Wie Diether Dehm „Lerryn, das Arschloch“ wurde

Im niedersächsischen Holzminden wendet sich Diether Dehm am Ostersamstag 2012 an die Protestierenden. Foto: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag Lizenz: CC BY 2.0


Für den Linkspartei-Bundestagsabgeordneten Diether Dehm gibt es keinen Antisemitismus jenseits der Shoah, Außenminister Heiko Maas ist für ihn ein gut gestylter Nato-Strichjunge und der Israelkritiker Dehm ist ein glühender Freund der Querfront-Mahnwachen. Doch seinen Spitznamen „Lerryn, das Arschloch“ erwarb sich der Musikant in Frankfurt aus anderen Gründen.

Der 14. Juni 1980 war ein ausgesprochen schöner Sommertag. Schon früh am Morgen war es warm und die Sonne schien auf die wunderbarste Stadt dieses Landes: Frankfurt. Eine kleine Gruppe junger Menschen hatte sich an der Universität getroffen und zog alsbald die Bockenheimer Landstraße hinunter Richtung Opernplatz, um schon nach wenigen hundert Metern nach links in die Siesmayerstraße abzubiegen. Dort, in der Nummer 2-4, wurden auf einmal die Fenster geöffnet und ein großes Transparent verkündetete: „Besetzt“. Rasch standen Boxen in den Fenstern, Tom Robinsons „Long Hot Summer“ und der „Rauch Haus Song“ von Ton Steine Scherben ertönten in Bockenheim.

In Frankfurt hatte es in diese Frühjahr bereits mehrere Hausbesetzungen gegeben: Die Häuser in der Guiollettstraße und  Ulmenstraße waren schnell geräumt worden. Der Schwarze Block, der zum ersten Mal am 1. Mai durch Frankfurts Straßen gezogen war und nicht so hieß, weil alle schwarz angezogen waren, sondern weil in diesem Block die schwarzen Fahnen des Anarchismus mitgeführt wurden, hatte sich Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Einmal konnte so die Verhaftung der Besetzern verhindert werden, die Räumung jedoch nicht.

Auch vor der Siesmayerstraße zog schnell eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei auf, allerdings zog sie, nach mehreren Aufforderungen das Haus zu räumen, schnell wieder ab. Das Ziel der Besetzer, aus der Siesmayerstraße ein Autonomes Zentrum zu machen, schien auf einmal nicht mehr unmöglich. Aber klar war auch: Wollte die Polizei räumen, würde man sie nicht daran hindern können.

Also wurde eine Delegation zum Rebstock-Gelände, einem großen Park und ehemaligen Flughafen  nahe der Messe, entsandt. Dort fand an diesem Samstag und dem darauffolgenden Sonntag „Rock gegen Rechts“ statt. Seit Mitte der siebziger Jahren wollte die NPD in Frankfurt immer am 17. Juni ihr Deutschlandtreffen veranstalten. 1978 hatte es schwere Unruhen gegeben und die NPD wurde vom Römerberg vertrieben. 1979 hatten Demonstranten trotz Verbot die gesamte Innenstadt besetzt und so den Naziaufmarsch verhindert. Damals gab es auch das erste Rock gegen Rechts-Festival und 1980 fand es zum zweiten Mal statt, denn man wusste nicht, ob die Nazis wiederkommen würden. Sie wichen schließlich nach Eschwege ins Mittelhessische aus und hatten es auch da mit tausenden Gegendemonstranten zu tun.

Die Delegation der Besetzer wollten bei Rock gegen Rechts auf die Bühne und das Publikum des Festivals um Hilfe bitten. Die Idee: Wenn nur ein paar hundert zur Siesmayerstraße mitkämen, würde es der Polizei deutlich schwerer fallen, das Haus zu räumen.

Doch als sie an der Bühne angekommen waren, erzählten sie später, habe es ein Problem gegeben. Einer der Veranstalter, ein ganz schlimmer  Schlagersänger mit den Namen Lerryn, hätte sich ihnen in den Weg gestellt und wollte, wohl gemeinsam mit DKP nahen Ordnern, verhindern, dass die Besetzer auf der Bühne eine kurze Durchsage machen. Dehm nutzte das Festival auch, sagten mehrere seiner damaligen Wegbegleiter, um Kontakte zu Musikern aufzubauen. Er war schon damals im Musikgeschäft tätig. Eine Hausbesetzung störte da wohl nur. Die Besetzer, einige davon nicht gerade klein und ausstaffiert mit Lederjacken vom Flohmarkt in Amsterdam, erzählte man sich, hätten ihn allerdings schon durch ein paar grimmige Blicke davon überzeugen können, dass es klüger wäre, sie auf die Bühne zu lassen. Dem geschah dann auch so. Gut 500 Konzertbesucher kamen schließlich rüber zur Siesmayerstraße, die an diesem Tag dann auch nicht geräumt wurde.

Aber das einer der Organisatoren eines Festivals dermaßen unsolidarisch war, entsetzte viele. Damit hatte niemand gerechnet und Lerryn, das war Diether Dehms Künstlername, wurde von vielen in Frankfurt danach nur noch „Lerryn, das Arschloch“ genannt.

Schon in den Jahren zuvor und natürlich auch danach war Diether Dehm eine äusserst umstrittene Figur: Gerüchte um eine Stasi-Tätigkeit machten schon damals die Runde, Dehms Geschmacksverbrechen sind bekannt, weswegen man ihn auch  „Plärryn“ nannte und wurden in der taz ganz wunderbar beschrieben. Er ist ein Querfrontler, ein vulgärer, eitler, in sich selbst verliebter Mensch, ein glühender Israelkritiker – aber der Titel „Lerryn, das Arschloch“ wurde ihm meines Wissens nach damals im Juni 1980 verliehen.  Und von denen, die das taten, kam bislang niemand auf die Idee, es zurückzunehmen.

 

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Max Adelmann
Max Adelmann
6 years ago

Ein Teil der Themen dieser Zeit (ohne das Arschloch…):

https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WikiProjekt_Autonome_und_Hausbesetzer-Bewegung

Bernd Brot
Bernd Brot
6 years ago

Mir ist Dehm jedenfalls bedeuted lieber als die zionistischen Arschlöcher der Ruhrfotzen.

Juri Hertel
Juri Hertel
6 years ago

Guter Artikel, ich war solidarisch bei der Siesmeierbesetzung dabei, habe vorher das Gerangel mit der SDAJ (des Arschloch's Garde!) auf der Buehne am Rebstockgelaende mitbekommen.

Der Verrat an Biermann u. vielen anderen fehlt noch im Artikel!

discipulussenecae
discipulussenecae
6 years ago

#2:

Womit Stefan Laurins Vorwürfe gegen den linken Antisemitismus bestätigt wären …

Schnantökel
Schnantökel
6 years ago

"Mir ist Dehm jedenfalls bedeuted lieber als die zionistischen Arschlöcher der Ruhrfotzen"

Koprolalie ist ein Sonderform des Tourette-Syndroms. Man kann dagegen sowohl psychoanalytisch wie medikamentös was tun.

non-liberal
non-liberal
6 years ago

… gibt ein interessantes Interview mit Pit Budde zur Rolle von Diether Dehm/Lerryn in Bezug auf die (linke) Musikszene der 80iger – scheint ein sehr sympathischer Zeitgenosse zu sein…

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 years ago

@non-liberal: Meinst Du das hier: http://www.netzwerk-regenbogen.de/budde030424.html ?

non-liberal
non-liberal
6 years ago

@Klaus Lohmann yep – danke für den Link, hatte es nur nicht schnell genug gefunden

Helmut Junge
Helmut Junge
6 years ago

Während es in den frühen Siebzigern noch Diskussionen in der DKP gab, war ab Mitte der Siebziger für Leute die die Diskussion suchten, keine Luft mehr zu atmen übrig. Damals glaubte ich eine inflationäre Vermehrung von Arschlöchern in dieser Partei zu beobachten. Vermutlich ist diese Partei an diesem Problem dann auch gescheitert und auseinandergeflogen. Ich habe die Entwicklung der DKP in den Achtzigern, mangels Kontakten allerdings nicht mehr verfolgt. Diese wunderliche Vermehrung von Arschlöchern in der DKP hatte Gründe in der verbotenen, aber dennoch praktizierten Methode des "Demokratischen Zentralismus", bei der Schlüsselfunktionen im Parteiapparat durch Vorschläge der Parteiführung besetzt wurden ihre Ursache. Das geschieht zwar in allen Parteien, aber wenn der Erfolg ausbleibt, fragt sich eben manch ein Wähler oder Mitglied, warum er dafür noch Beitrag zahlen soll. Diesen demokratischen Zentralismus in abgeschwächter Form gibt es heute noch in Parteien, religösen Gemeinschaften, Gewerkschaften und vielen anderen Organisationsformen, aber niemand nennt es so. Diese Organisationen werden sicher alle untergehen. Leider aber wechseln auch die Arschlöcher in die neuen Auffangbecken. Und dann geht da Spiel von neuem los.

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