Zum Jahreswechsel hat die BackUp, die Beratungsstelle gegen rechte Gewalt in NRW mit Sitz in Dortmund einen offenen Brief veröffentlicht.
Sich um die Opfer rechter Gewalt zu kümmern, sie auch bei Prozessen zu begleiten und ihnen einen sicheren Raum zu bieten – das sind die Aufgaben von BackUp, der Beratungsstelle gegen rechte Gewalt in Dortmund. In einem offenen Brief vom 30. Dezember appelliert die Opferberatungsstelle unter anderem an Neonazis mit einer Naivität, die einer Bettina Wulff gut zu Gesicht gestanden hätte:
„Nutzen Sie bitte die demokratischen Möglichkeiten, um Ihren politischen Protest auszudrücken, und verzichten Sie auf Gewalt gegen Menschen, die Ihnen nicht in den ideologischen Kram passen. Denn durch Gewalt und Menschenfeindlichkeit werden Sie hier in NRW niemanden davon überzeugen, dass Ihr politischer Weg der richtige ist.“
Wäre man böse, könnte man dies als Aufforderung verstehen, in die NPD oder Pro NRW einzutreten: Als Parteien bieten sie klassische Möglichkeiten sich innerhalb innerhalb der Demokratie zu engagieren. Zum Beispiel als Kommunalpolitiker. Nazi sein ist demnach ok, solange man nicht gewalttätig ist. Kann man so sehen, muss man nicht.
Auch schwer nachzuvollziehen ist, das BackUp eine Art Monopol für Arbeit gegen Nazis beansprucht. In dem Teil des Briefes, der sich an die Gegner der Nazis wendet heißt es:
„Bitte lassen Sie sich nicht durch die Aktionen von Neonazis provozieren oder gar zu Gewalt hinreißen. Kommen Sie zu uns, zu Back Up, im Falle eines rechtsextremen Angriffes und stellen Sie eine Strafanzeige bei der Polizei. Denn wer Gewalt mit Gegengewalt beantwortet, opfert den Feinden der Demokratie den Rechtsstaat.“
Nun wüsste man gerne was provozieren heißt: Vielleicht die vielen legalen Wege zu beschreiten, die es gegen Nazis gibt? Statt sich also von den Nazis zu Blockaden, Demonstrationen oder anderen Protestformen hinreissen zu lassen, soll Nazigegner lieber den Amtsweg beschreiten?
Auch der Aufruf an die Polizei und Justiz ist zweifelhaft:
„Bitte bemühen Sie sich noch stärker, die Motive rechtsextremer Straftaten als solche zu erkennen! Neonazis führen an manchen Orten in NRW einen Raumkampf, so wollen sie etwa Bahnhöfe zu Angstzonen für Migranten und linksalternative Jugendliche machen, deshalb schlagen sie dort zu. Sie prügeln in Kneipen und markieren Häuserwände, um politische Deutungshoheit in den Städten zu erlangen: All diese Schläge und Schmierereien sind politisch motiviert und nicht auf harmlose Streitigkeiten zwischen Jugendlichen zurückzuführen.“
Hätte man hier nicht fordern können, dass zumindest das Landgericht Dortmund aufhört die Verfahren gegen Nazis zu verschleppen? Der DGB hat das getan. BackUp in diesem Schreiben nicht.
Auch die Medienschelte ist überflüssig:
„Bitte überdenken Sie Ihre gelegentlich sehr anlassbezogene Berichterstattung, und schauen Sie auch abseits des anstehenden NSU-Prozesses gegen Beate Zschäpe oder Ralf Wohlleben auf den Rechtsextremismus.“
Gerade in NRW haben in den vergangenen Jahren fast alle Medien ausführlich über Rechtsradikalismus berichtet. Sie taten das oftmals gegen den Willen der Politik in den betroffenen Städten, die erst nach Bekanntwerden der NSU-Morde ihren Kuschelkurs gegen Nazis beendete.
Warum BackUp diesen überflüssigen offenen Brief veröffentlicht hat, ist schwer zu verstehen. Bislang erfreute sich BackUp einer gewissen Reputation. Warum man die mit einem solchen Brief gefährdet ist mir schleierhaft.
Wie finanziert sich denn BackUp ?
@Jenner: Stadt und Land – indirekt gibt es noch Geld vom Bund, aber ob das weiterläuft ist wohl noch nicht ganz sicher.
Es klingt ein wenig nach dem verzweifelten Versuch, den Staat doch noch gegen die militante Rechte zu positionieren. Wie du, Stefan, richtig festgestellt hast, haben einige Stadtregierungen, allen voran natürlich Dortmund, ihr massives Neonaziproblem geleugnet. Dass man jetzt einmal hart mit Verboten eingestiegen ist, ist natürlich schön, aber eben sinnlos.
Eine dieser „illegalen“ Formen im Kampf gegen die militante Rechte waren übrigens auch die Blockadebündnisse in Dresden, vor allem 2010 und 2011. Im Jahr 2011 sind die Neonazis durch diese Blockaden ja etwa 80 Meter gelaufen, bevor sie gestoppt wurden; 2012 fand, meines Wissens nach, kein Aufmarsch statt. Vielleicht sollte man sich lieber nicht mit einer Strafanzeige an den Rechtsstaat wenden, der nach wie vor einen volksverhetzenden Hintergrund gerne aus Strafanzeigen raus nimmt, und sich ernsthaft mit dem Problem auseinandersetzen. Das hieße dann aber natürlich auch die etablierte Politik anzugreifen, die durch exophobe Äußerungen den Boden für die militante Rechte bereitet.
Das kam gerade als Pressemitteilung rein:
Anlässlich eines offenen Briefs der Beratungsstelle Backup
veröffentlicht das NRW-weite Antifabündnis Alerta! folgende Stellungnahme:
Als antifaschistische Gruppen aus Dortmund und NRW sehen wir die
Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, Backup, als wichtigen
Bestandteil im Kampf gegen die Neonazis. Die 116 Menschen, die im
vergangenen Jahr die Dienste der Beratungsstelle in Anspruch nehmen
mussten, unterstreichen die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung.
Der am Montag als “Offener Brief gegen die rechte Gewalt in NRW” von
der Beratungsstelle Backup veröffentlichte Text enthält jedoch
Passagen, die so nicht tragbar sind. In mehreren “Appellen” wendet
sich Claudia Luzar, die wissenschaftliche Leiterin der
Beratungsstelle, in dem Schreiben unter anderem an die Neonazis und
ihre Gegner, aber auch an Politik, Behörden und Presse. Insbesondere
die ersten beiden “Appelle” enthalten Aussagen, die unserer Ansicht
nach im Gegensatz zu den Zielen einer unabhängigen, parteiischen
Opferberatung stehen, die sich Backup auf die Fahnen schreibt.
Backup ist eine Opferberatung und muss als solche parteiisch mit den
zu Beratenden sein. “Tipps” an die Adresse der Neonazis zu richten,
wie sie ihre Ziele besser erreichen könnten, verspielen das Vertrauen
der Betroffenen. Es muss von Seiten einer Einrichtung wie Backup
deutlich erkennbar sein, dass nicht bloß die Gewalt der Neonazis
abgelehnt wird, sondern auch die Ideologie, aus der sie entspringt. Es
gibt viele gute Gründe, warum Nazis aufhören sollten, Menschen
anzugreifen, aber die Tatsache, dass ihnen ihre Gewalt beim Erreichen
ihrer Ziele im Weg steht, ist keiner.
Die Ideologie der Neonazis unter die Floskel “ihr politischer Protest”
zusammenzufassen, ist eine unsägliche und unverschämte Verharmlosung
dessen, was die Neonazis als Programm vertreten. Ihnen geht es um
nicht weniger als die Schaffung eines Führerstaates, in dem Jüdinnen
und Juden, Sinti und Roma, Migrant_innen, Homosexuelle und politische
Gegner_innen keinen Platz haben. Ihnen drohen die Neonazis mit
Entrechtung und Vernichtung. In einer solchen Ideologie ist die Gewalt
fester Bestandteil. Von den Neonazis die Besinnung auf demokratische
Partizipationsmöglichkeiten zu verlangen, ist gleich doppelt paradox:
Zum einen wollen sie ja gerade diese Demokratie abschaffen, zum
anderen sollte es “Experten” wie Frau Luzar bekannt sein, dass die
Neonazis überhaupt nicht vorhaben, mit ihrer Gewalt die Menschen zu
überzeugen. Sie wollen sie einschüchtern und brechen.
Mit der Forderung an Nazigegner, auf Gewalt zu verzichten, stellt sich
Frau Luzar in eine Reihe mit dem typischen Muster aus Relativierung
und Täter-Opfer-Umkehr, die uns auch als Betroffene aus Polizei,
Justiz und Politik nur allzu gut bekannt sind. Wie können sie sich
anmaßen, Betroffenen die Reaktion auf rechte Gewalt vorzuschreiben?
Wir stehen solidarisch zu jedem Menschen, der einen Angriff von
Neonazis auf sich oder andere abwehrt. Dazu ist es selbstverständlich
legitim, Gewalt anzuwenden, niemand muss sich von einem Neonazi
verprügeln lassen. Eine solche Delegitimierung der Selbstverteidigung
von Seiten der Leiterin der Beratungsstelle Backup ist dem Vertrauen
aufs Höchste abträglich. Frau Luzar lässt sich hier auf die Rhetorik
derjenigen ein, die seit geraumer Zeit versuchen, eine Spaltung in
gute und böse Antifaschist_innen vorzunehmen.
Auch der pauschale Rat an Betroffene, sich bei der Polizei zu melden,
hat uns irritiert. Sie sollten es besser wissen. Zu oft hat eine
Anzeige nach einem Übergriff von Neonazis zu Ermittlungen der Polizei
gegen die Nazigegner geführt. Wir erinnern uns noch gut an zahlreiche
Angriffe auf die HirschQ oder den Überfall von Neonazis im Juli 2011,
als die Polizei nichts besseres zu tun hatte als die gerade mit
Messern, Flaschen und Baseballschlägern angegriffenen des illegalen
Plakatierens zu verdächtigen, anstatt nach den flüchtigen Angreifern
zu fahnden. Die Aufgabe einer unabhängigen Beratungsstelle ist es,
Betroffene über Sinn und Folgen einer Anzeige zu beraten. Backup muss
auch denen offen stehen, die von der Polizei keine Hilfe zu erwarten
haben.
Leider Versäumt es Frau Luzar in ihrem “Appell” an Polizei und Justiz,
die vorhandenen Missstände anzusprechen. Kein Wort von der jahrelangen
Verschleppung der Verfahren gegen Neonazis, kein Wort davon dass der
Messerstecher, der im Dezember 2010 einen Gast der HirschQ verletzte,
immer noch frei herumläuft, weil das Verfahren “auf Eis” liegt.
Wir sind enttäuscht und verärgert. Wir fragen uns, wie ein derartiger
Text als Äußerung der Beratungsstelle entstehen konnte. Wir fordern
Backup dazu auf, zu den Punkten Stellung zu nehmen und wünschen uns
eine Korrektur.
Krass, Naziberatung durch die Opferberatungsstelle!!! Mich ekelts.
Die Presseerklärung des Alerta-Bündnisses dagegen reagiert sachlicher auf diese Entgleisung, als ich mir das zugetraut hätte. Respekt.
Und kann jetzt bitte mal die Leitung dieser wichtigen Dortmunder Errungenschaft „Backup“ gegen eine Person ausgetauscht werden, die sich um die Opfer sorgt -und nicht darum, wie die Nazis besser die Menschen in NRW davon überzeugen können, „dass Ihr politischer Weg der richtige ist“? Das ist doch unerträglich.
Für Claudia Luzia sind auch die Nazis Opfer:
„Aber glauben Sie mir, hinter vielen Tätern steckt auch eine eigene Opfergeschichte; die meisten von ihnen stammen aus zerrütteten Familien, und sind selbst mit einem Gefühl der Angst aufgewachsen.“
So äußerte sich die Leiterin von BackUp vor zwei Wochen gegenüber dem WDR. Die Kritik von Alerta, die in dem Brief eine Täter-Opfer-Umkehr sehen, ist also durchaus berechtigt.
In demselben Interview gibt Claudia Luzia darüber hinaus zu erkennen, dass die Finanzierung ihrer Einrichtung, trotz des klaren Bekenntnisses der Landesregierung, Naziopfer unterstützen zu wollen, keineswegs gesichert ist, weil die benötigten Gelder jedes Jahr neu beantragt werden müssen. Vielleicht hat Frau Luzia die Vorstellung die Sicherstellung der Finanzierung ihrer Einrichtung dadurch erreichen zu können, dass sie Polizei und Justiz aus der Schusslinie der Kritik zu bringt und sich mit ihnen verbündet. Eine quasi Wiederanknüpfen an den im Artikel beschrieben Kuschelkurs.
hier geht es zum WDR Interview mit Claudia Luzia:
https://www.wdr.de/studio/dortmund/serien/themadestages/2012/12/luzar.html
Sozialpädagogen-Sprech.
Bei aller berechtigten Kritik muss ich doch mal als betroffener Feststellen das auf zwei Prozessen gegen Nazis, die uns überfallen haben, und die nicht grade angenehem sind, weil das Faschopack jedesmal mit 10-15 Leuten aufgetaucht ist, immer mehrere Leute von Backup dabei waren, von Dortmunder Antifaschisten hat sich hingegen niemand blicken lassen, obwohl diese früh genug bescheid wussten. Und in der Sitiuation freut man sich über alle die n Arsch in der Hose haben und was machen. Packt euch mal an die eigene Nase, machts besser!
[…] Hier findet Ihr einen Artikel der Ruhrbarone zu dem Thema, in welchem Teile des offenen Briefes von BackUp zitiert werden. […]
[…] wollte, auf rechte Angriffe auf keinen Fall gewalttätig zu reagieren. Kritisch dazu: [1] [2] [3] Konzepte von oben, von Oberbürgermeisters […]
[…] Ähnliche Linie deutet sich auch im offenen Brief von BackUp Ende 2012 an, der eine Aufforderung an die Nazis […]
[…] In diesem Appell gab sie nicht nur den Neonazis gute Ratschläge, wie sie ihren „politischen Protest“ ausdrücken können, sondern wollte auch Neonazi-Gegnern vorschreiben, wie sie auf rechte Angriffe zu reagieren haben. Sachliche und fundierte Kritik wurde bereits von antifaschistischen Initiativen und Bündnissen geäußert und soll deshalb hier nicht näher rekapituliert werden – siehe dazu Artikel auf Akduell Indymedia, Alerta und Ruhrbarone. […]