Das Septemberprogramm von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg vom 9. September 1914 und die heutige EU-Krise

Plakat zu WK-I-Ausstellung in Brüssel (Foto: J. Klute)
Plakat zu WK-I-Ausstellung in Brüssel (Foto: J. Klute)

Mit dem völkerrechtswidrigen Überfall Deutschlands auf das neutrale Belgien am 4. August 1914, dem nicht einmal eine formale Kriegserklärung voraus ging, begann der 1. Weltkrieg. Gut einen Monat später, am 9. September, legte der damalige Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg das so genannte Septemberprogramm vor. Darin skizzierte er, welche Ziele dieser Krieg aus deutscher Sicht haben und wie Europa nach einem Sieg des Deutschen Reiches über die europäischen Nachbarn aussehen sollte.

Die Bedeutung dieses Textes im damaligen Kontext ist unter Historikern nicht ganz unumstritten. Dennoch gibt dieser Text einen guten Einblick in die Denkweisen der damaligen politischen Entscheidungsträger in Deutschland. Dieser Text ist aber nicht nur historisch Interessant, sondern es lässt sich auch ein Bogen zur gegenwärtigen politischen Rolle Deutschlands in Europa schlagen.

Bethmann Hollweg konzentrierte sich im Septemberprogramm auf die ökonomischen Kriegsziele. Zu den militärischen äußerte er sich nicht, das wollte er den damaligen Militärs überlassen.

Zunächst äußert sich Bethmann Hollweg zu Frankreich. Er wollte zum einen das nordfranzösische Erzbecken um Briey Deutschland einverleiben. Dann sollten Frankreich in einem Umfang Kriegsentschädigungen auferlegt werden, dass es zunächst einmal keine Mittel mehr für Rüstung zur Verfügung gehabt hätte. Das restliche Frankreich sollte durch einen Handelsvertrag in deutsche Abhängigkeit gebracht werden. Im Original liest sich das bei Bethmann Hollweg wie folgt:

„Des weiteren: Ein Handelsvertrag, der Frankreich in wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland bringt, es zu unserem Exportland macht und uns ermöglicht, den englischen Handel in Frankreich auszuschalten. Dieser Handelsvertrag muß uns finanzielle und industrielle Bewegungsfreiheit in Frankreich schaffen – so, daß deutsche Unternehmungen nicht mehr anders als französische behandelt werden können.“

Für Belgien sah das Septemberprogramm noch weitergehende Maßnahmen vor. Ein Teil der belgischen Provinz Luxemburg sollte an Luxemburg fallen, Lüttich und Verviers an Preußen. Andererseits sollten die flandrischen Teile Nordfrankreichs Belgien zugeschlagen werden. Äußerlich, so Bethmann Hollwegs Vorstellung, sollte Belgien als Staat bestehen bleiben, faktisch sollte es aber „zu einem Vasallenstaat herabsinken“ und „wirtschaftlich zu einer deutschen Provinz werden“

Zu Luxemburg findet sich im Septemberprogramm nur eine schlichte und knappe Anmerkung: Es sollte als Bundesstaat dem deutschen Reich eingegliedert werden.

Holland gegenüber war Bethmann Hollweg zurückhaltender. Er schlägt keine konkreten Maßnahmen vor, sondern stellt nur ein paar kurze Überlegungen an, wie man Holland möglicherweise in ein engeres Verhältnis zum deutschen Reich bringen könne. Bethmann Hollweg noch einmal im Originalton:

„Dies engere Verhältnis müßte bei der Eigenart der Holländer von jedem Gefühl des Zwanges für sie frei sein, an dem Gang des holländischen Lebens nichts ändern, ihnen auch keine veränderten militärischen Pflichten bringen, Holland also äußerlich unabhängig belassen, innerlich aber in Abhängigkeit von uns bringen. Vielleicht ein die Kolonien einschließendes Schutz- und Trutzbündnis, jedenfalls enger Zollanschluß, eventuell die Abtretung von Antwerpen an Holland gegen das Zugeständnis eines deutschen Besatzungsrechtes für das befestigte Antwerpen wie für die Scheldemündung wäre zu erwägen.“ 

Schließlich sah das Septemberprogramm einen mitteleuropäischen Wirtschaftsverband unter deutscher Dominanz vor:

„Es ist zu erreichen die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes durch gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluß von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und eventl. Italien, Schweden und Norwegen. Dieser Verband, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren.“

In gewisser Weise nahm Bethmann Hollweg damit die Idee des EU-Binnenmarktes vorweg – allerdings mit gänzlich anderen Vorzeichen.

Die EU ist zwar nicht nur (es gab schon im 18. Jahrhundert Überlegungen, die vielen Kriege in Europa durch eine Art politischer Integration zu unterbinden, die es ermöglichen sollte, Konflikte auf diplomatischem Wege zu lösen), aber eben auch eine Folge der beiden Versuche Deutschlands im 20. Jahrhundert, sich mit militärischen Mitteln eine politische und wirtschaftliche Vormachtstellung in Europa zu sichern.

Durch eine zunächst wirtschaftliche und dann auch politische Integration, die mit  der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-Vertrag), die am 23. Juli 1952 ihre Arbeit aufnahm, begann und sich dann zur heutigen EU weiterentwickelt hat, sollte Deutschland so eingehegt werden, dass es seine Nachbarn nicht mehr beherrschen kann.

Militärisch ist das durchaus gelungen. Seit 1945 hat es zwischen den Mitgliedsstaaten der EU und ihrer Vorläuferorganisationen keinen Krieg mehr gegeben. Nachdem der Nationalismus sich auf den Schlachtfeldern des 1. und 2. Weltkrieges ein für alle Mal diskreditiert hat, ist es somit bis heute auf EU-Ebene gelungen, die Austragung von Interessenkonflikten von den Schlachtfelder auf die Ebene parlamentarischer Aushandlungsprozesse zu verlagern. Das ist ein kaum zu überschätzender zivilisatorischer Fortschritt.

Bis zum Untergang des Warschauer Paktes ist das auch ohne Probleme funktioniert, die Bundesrepublik politisch so einzuhegen, dass sich deutsche Vormachtsansprüche in Europa nicht erneut durchsetzen konnten.

Bei der so genannten Wiedervereinigung gab es dann bei einigen europäischen Nachbarn Bedenken, dass ein derart vergrößertes Deutschland möglicherweise doch wieder in alte Vormachtsansprüche zurückfallen könnte. Die Verständigung auf eine gemeinsame Währung, den Euro, war auch eine Antwort auf diese Bedenken. Der Euro sollte die wirtschaftliche und politische Integration im 1993 eingeführten EU-Binnenmarkt soweit vorantreiben, dass ein machpolitisches Ausscheren Deutschlands nicht mehr möglich sein sollte.

Die Grundannahme, dass eine wirtschaftliche Integration mit einer folgenden politischen Integration zu anderen als militärischen Konfliktlösungsstrategien führt, hat sich in der EU bisher als grundsätzlich richtig erwiesen.

Im Zuge der 2008 begonnen EU-Krise, die zunächst nur als Auswirkung der us-amerikanischen Bankenkrise wahrgenommen wurde, zeigte sich dann, dass ein so weitgehender wirtschaftlicher Integrationsschritt wie die Einführung einer gemeinsamen Währung ohne die notwendigen politischen Integrationsschritte (gemeinsame Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialpolitik – vgl. dazu Hubert Gabrisch, Währung ohne Souverän) nicht nachhaltig ist.

Die bisher ausgebliebenen, aber für eine Währungsunion nötigen politischen Integrationsschritte haben zur Folge gehabt, dass die bundesdeutsche Wirtschaft und die Bundesregierung plötzlich doch eine Vormachtstellung übernommen haben, die selbst die für die EU bedeutende Stabilitätsachse Berlin – Paris ins Ungleichgewicht gebracht hat. Innerhalb kurzer Zeit hat diese Rollenverschiebung dazu geführt, dass die Bundesregierung ihre mehr als fragwürdigen Vorstellungen zur Lösung der Krise den anderen EU-Mitgliedsstaaten aufgedrückt hat, was zu enormen sozialpolitischen Verwerfungen innerhalb der südeuropäischen EU-Staaten, aber auch innerhalb der EU als solcher geführt hat.

Hauptprofiteur des EU-Binnenmarktes ist die bundesdeutsche Wirtschaft. Laut Eurostat hat die bundesdeutsche Wirtschaft in 2013 einen Anteil von 30 % an der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes in der EU28 gehabt. Die vier Länder Großbritannien, Italien, Frankreich und Spanien haben zusammen einen Anteil von 40 % erbracht und die anderen 23 EU-Mitgliedsländer einen Anteil von insgesamt 30 %.

Zudem ist die bundesdeutsche Wirtschaft die mit weitem Abstand größte Exportwirtschaft innerhalb der EU. Noch immer gehen fast 60 % der deutschen Exporte in den EU-Binnenmarkt (was in gewisser Weise ein Paradoxon ist, denn der Binnenmarkt ist ja nicht wirklich Ausland, sondern Binnenmarkt – aber diese Sichtweise ist eben auch eine Folge der mangelnden politischen Integration).

Faktisch ist damit das im Septemberprogramms von Bethmann Hollweg skizzierte wirtschaftliche Ziel im Groben mit fast hundertjähriger Verspätung doch noch erreicht worden. Nur von der Ausdehnung ist die EU deutlich größer als der von Bethmann Hollweg skizzierte mitteleuropäische Wirtschaftsverband. Wirtschaftlich hängt die EU stark von der deutschen Wirtschaft ab. Die kleineren Mitgliedsstaaten der EU – vor allem im Süden und Südosten sind umfassend deindustrialisiert und somit in vielen Sektoren auf Importe angewiesen. Und die kommen, wie gesagt, zu einem erheblichen Teil aus Deutschland.

Die heutige dominante Rolle in der EU hat Deutschland gänzlich ohne den Einsatz militärischer Mittel erlang, sondern durch die wirtschaftliche Integration innerhalb des EU-Binnnenmarktes. Das Ziel der EU war es allerdings genau dies zu vermeiden. Zu vermeiden wäre das aber nur gewesen durch eine politische Integration, die Schritt gehalten hätte mit der wirtschaftlichen Integration.

Dass diese Entwicklung nicht risikolos ist, zeigt eben die gegenwärtige Krise, die zu aller erst eine Krise der mangelnden politischen Integration ist. Auf dem Höhepunkt der Krise stand der Euro kurz vor dem Aus. Ein Scheitern des Euro hätte allerdings nicht nur die wirtschaftliche Integration der EU zurückgedreht, sie hätte auch die bisher erreichte politische Integration in Frage gestellt. Und damit wäre letztlich auch der zivilisatorische Fortschritt, den die EU darstellt, infrage gestellt gewesen.

So zeigt die Krise, dass die EU keineswegs ein Selbstläufer ist. Vielmehr erweist sich die EU derzeit als ein kontingentes historisches Projekt, dass die Option des Scheiterns nach wie vor in sich trägt.

Die gegenwärtige wirtschaftliche und politische Stärke macht die deutsche Politik blind für  die Interessen und Bedarfe der anderen EU-Mitgliedsländer und für die Notwendigkeiten einer auf Dauer funktionsfähigen Europäischen Union und führt zu den schon genannten sozialen Verwerfungen. Verwerfungen, die die Akzeptanz der EU durch die BürgerInnen zerstört. Darin liegt die aktuelle Gefährdung für die EU, deren Scheitern allen Beteiligten teuer zu stehen käme.

Die wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik hat die alte wie die neue Bundesregierung unter Merkel dazu in die Lage versetzt, den anderen Mitgliedsländern ihre Krisenlösungen aufzudrängen. Und sie hat diese Möglichkeit intensiv genutzt – zum massiven Nachteil der betroffenen Krisenländer und zum Nachteil einer sinnvollen wirtschaftlichen und politischen europäischen Integration, aber zum – zumindest kurzfristigen – Nutzen der deutschen Wirtschaft.

Die Machtungleichgewichte zwischen den EU-Staaten sind mittlerweile so groß, dass sich angesichts der deutschen Übermacht im EU-Rat kaum eine Regierung mehr traut, den deutschen Interessen eigene entgegenzustellen. Ganz besonders haben das die Krisenstaaten unter dem Druck der Troika zu spüren bekommen. Die Troika besteht aus EU-Kommission, EZB und IWF und agiert allein auf der Grundlage von Beschlüssen des EU-Rates, die im wesentlichen die Interessen der Bundesregierung widerspiegeln.

Dieses Machtungleichgewicht kann nur ein starkes Europäisches Parlament (EP) als die einzige demokratisch legitimierte EU-Institution kompensieren. Der kritische Bericht des EP vom März ’14 zur Arbeit der Troika ist in Berlin aufmerksam zur Kenntnis genommen und vehement kritisiert worden – ganz im Gegensatz zu den Protestbewegungen in den Krisenländern. Sie waren und sind zu sehr auf das eigene Land bezogen, kaum vernetzt und ohne strategische Ausrichtung. Deshalb haben sie bis heute die EU-Ebene kaum erreichen können und noch weniger die Regierungen der EU-Mitgliedsländer – abgesehen von den eigenen Regierungen.

Soll die EU als politische Institution bestehen bleiben, der es gelungen ist, die Lösung seiner Interessenkonflikte vom Schlachtfeld auf eine parlamentarische Aushandlungsebene zu verlagern, dann muss die Bundesrepublik einen grundlegenden Richtungswechsel in der EU-Politik vornehmen und die Interessen der anderen – insbesondere der kleineren – Mitgliedsstaaten respektieren und spürbar und nachvollziehbar in Rechnung sowie das Funktionieren der EU als Ganzer vor die eigenen Interessen stellen. Sonst kommen wir am Ende wieder dort an, wo einer der Hauptausgangspunkte für die EU lag: 1914.

 

 

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Robert
Robert
10 Jahre zuvor

Vielen Dank für diese spannende Analyse!

Hubi
Hubi
10 Jahre zuvor

„Seit 1945 hat es zwischen den Mitgliedsstaaten der EU und ihrer Vorläuferorganisationen keinen Krieg mehr gegeben.“

Da Serbien mittlerweile EU-Beitrittskandidat ist und voraussichtlich 2020 aufgenommen wird, stimmt das so leider nicht mehr.

der, der auszog
der, der auszog
10 Jahre zuvor

@Jürgen

Mal ganz provokativ gefragt, weil wir am Ende wieder bei 1914 ankommen könnten: Haben wir bald wieder Krieg mit Frankreich und den Benelux-Ländern oder wieso spannst Du einen Bogen von Bethmann Hollwegs Europaplänen aus den Anfangstagen des ersten Weltkriegs in die unmittelbare Gegenwart?

Ich möchte das Machtungleichgewicht innerhalb des Europäischen Parlaments gar nicht in Frage stellen, aber solange alle Länder innerhalb der EU vom Binnenmarkt profitieren (einzige Ausnahme ist derzeit Griechenland), sehe ich keine Veranlassung den Teufel an die Wand zu malen.

Die zunehmende europäische Integration im EU-Binnenmarkt hat sich seit 1992 für alle Gründungsländer (F, GB Benelux, Italien etc.) positiv auf deren Wirtschaftswachstum ausgewirkt.
Das Zusammenwachsen Europas hat vor allem jenen Volkswirtschaften geholfen, die wirtschaftlich besonders eng mit den übrigen EU-Ländern verflochten sind und damit auch einen konjunkturell ähnlichen Verlauf wie der EU-Durchschnitt aufweisen.

Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine vor 2 Monaten veröffentlichte Studie von Prognos, die von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegeben wurde und die unter folgendem Link abgerufen werden kann:

http://www.prognos.com/fileadmin/pdf/publikationsdatenbank/140728_Prognos_VBW_Studie_20_Jahre_EU-Binnenmarkt.pdf

Thomas Weigle
10 Jahre zuvor

Und nicht Soldaten wie 1914, sondern Touristen erobern die Nachbarstaaten, wie ich gerade eben einmal mehr auf Fünen feststellen konnte. Geht´s nicht `ne Nummer kleiner?

WALTER Stach
WALTER Stach
10 Jahre zuvor

-6-Thomas Weigle….
„Geht’s nicht `ne Nummer kleiner?“
Ja, sehe ich auch so.

Aber Jürgen Klute hat ja -sh.5-bewußt provoziert.

Derzeit finde ich in keinem EU-Land, in dem ich mich ein wenig auskenne, einen in der Bevölkerung spürbaren, dominierenden Hass auf „die Deutschen,auf Deutschland“, aus dem gewaltsamen Auseinandersetzungen -Krieg(e)?- entstehen könnten.

Hass kann allerdings befördert, befeuert werden, wenn es dafür einen „Bodensatz“ in der Bevölkerung gibt. Und hier lassen sich zumindest in Ansätzen Zustände erkennen, politische Aktivitäten beobachten, die diesen „Bodensatz“ für sich zu nutzen wissen. Das gilt für radikale rechte und radikale linke Bewegungven in Ost- und Westeuropa.
Und insofern teile ich die grundsätzliche Besorgnis von Jürgen Klute. Auch ich neige zu derf Auffassung, daß in Deutschland zuviel national, zu wenig gesamteuropäisch gedacht und gehandelt wird, daß deshalb im europäpischen Ausland mehr und mehr der Eindruck entsteht, sh.z.B. unsere Exportüberschüsse, Deutschland denke und handle „ohne Rücksicht auf Verluste“ nur an sich und das ist Teil des von mir angesprochenen „Bodensatz“, auf dem „Anti-deutsches“ basieren kann und sich beförden/ befeuern läßt.
Mir scheint, daß diese Problematik in Deutschland weder in der Bevölkerung, noch in den Medien, noch in der Politik hinreichend bedacht wird.

der, der auszog
der, der auszog
10 Jahre zuvor

@Thomas Weigle

Dänemark ist das einzige Land, dessen Bürger noch stärker von der EU profitiert haben als die Deutschen. Ne Nummer kleiner würde eventuell die Rangfolge auf den Spitzenplätzen verändern und Deutschland wäre dann auch in Sachen Europäischer Integration der Europameister.

@Jürgen
Ergänzend zu Deiner Perspektive als Europaparlamentarier, vielleicht noch die eines Jakobspilgers: Ich war im Frühjahr 4 Wochen in Frankreich und Spanien unterwegs, genauer gesagt ab dem 26. Mai, also einen Tag nach der Europawahl. Als wir in Toulouse ankamen und vom Bahnhof zu unserer Unterkunft liefen, sprach uns ein Franzose auf Deutsch an, weil er mitbekam, dass meine beiden Begleiter und ich uns auf Deutsch unterhielten. „Ich schäme mich weil ich Franzose bin und der nächste Hitler ist auch ein Franzose.“ sagte dieser Mann, der Altersmässig so zwischen 65 und 70 Jahre gewesen ist. Ich war völlig überrascht. Zum einen, weil ich mal wieder feststellen musste, wieviele Franzosen mitlerweile Deutsch sprechen, scheinbar auch aus der unmittelbaren Nachkriegsgeneration. Zum anderen, weil Hitler für mich bislang immer ‚Made in Germany‘ war, also etwas typisch deutsches. Der Mann brachte uns dann noch bis zu unserer Herberge um auf dem Weg dorthin weiter über die Wahlen zu reden. Die Wahlen waren sowohl auf dem Camino in Frankreich als auch später in Spanien immer wieder Thema und Deutschland hat da eigentlich kaum eine Rolle gespielt. Vielleicht wäre das anders gewesen, wenn wir durch Griechenland gepilgert wären.

Hinsichtlich des Rechtsrucks in Europa sehe ich da auch wirklich ein Problem. Die von Dir angesprochene FN von le Pen hat in Frankreich 26 % geholt. Nigel Farage kommt mit seiner Ukip in GB sogar auf 28%. Dänemarks Volkspartei schafft es auf 23%, Österreichs FPÖ auch über 20%. Das ist ein alarmierendes Ergebnis und sicherlich auch eine Bedrohung der europäischen Idee. Ich wüsste allerdings nicht, wieso man den Schwarzen Peter ausgerechnet Deutschland in die Schuhe schieben sollte. Mit 7% für die AfD wirkt Deutschland da fast schon wie ein unschuldiger Waisenknabe. Ehrlich gesagt bin ich froh, wenn das Europaparlament, in dem sich nach der Wahl eine reichlich braune Suppe zusammen gefunden hat, nicht mit noch mehr Rechten versehen wird. Darüber hinaus kann ich mir auch einen Zusammenhang zwischen dem Wohlstand in Deutschland und dem Wahlverhalten seiner Bürger vorstellen. Geht es nämlich der Wirtschaft gut, profitieren da auch die Bürger von und kommen bei Wahlen nicht so schnell auf dumme Gedanken.

Thomas Weigle
10 Jahre zuvor

Walter Stach, DDA ich fahre ja immer noch mit dem 2.Weltkrieg im Gepäck in unseren Nachbarstaaten umher, bin immer wieder erstaunt, wie freundlich und aufgeschlossen uns begegnet wird. Auch jetzt in Dänemark, dass unser bevorzugtes Urlaubsland geworden ist, war das erneut so. In all den Jahren bin ich nur 2x auf die Vergangenheit angesprochen worden: in Orange im Krankenhaus von einer Schwester, die in Deutschland als „Fremdarbeiterin während des Krieges war, in Ypern von einem Flamen, der begeistert von seiner Zeit in Sennelager 1942 erzählte, was uns wiederum etwas peinlich war.
DDA, manchmal denke ich, dass die niedrige Wahlbeteiligung bei uns möglicherweise ein gar nicht so schlechtes Zeichen ist, dass die Leute zufrieden sind, deshalb eben nicht „auf dumme Gedanken kommen“.

Rüdiger
Rüdiger
10 Jahre zuvor

Da ist aber jemand ganz schön auf Fischers Theorien hereingefallen

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