Handelsblatt-Chef gegen Dummblogger für Qualität

Bernd Ziesemer. Chefredakteur des Handelsblattes / Foto: e-ini.nrw

Vor ein paar Minuten ist mir etwas interessantes untergekommen. Es geht um einen Beitrag des Handelsblatt-Chefredakteurs Bernd Ziesemer auf einer Tagung zur Lage des Wirtschaftsjournalismus in Köln, oder sagen wir eher um eine Polemik. Aber egal. Ziesemer greift die Dummschwatzblogger an, die Empfehlungen an die etablierten Medien zur Online-Strategie verpassen, ohne selbst den Beweis zu liefern, es besser zu können. Damit hat er wohl recht. Denn noch immer wird unzweifelhaft das meiste Geld im Print verdient und nicht auf den Internetseiten. Ziesemer ergreift Partei für den Qualitätsjournalismus, der in der Krise nicht zum Spielball der verlegerischen Profitablität verkommen dürfe. Edle Worte, richtig Worte. Und besonders spannend, nachdem das Handelsblatt selbst nur knapp dem Massaker zugunsten des Profitstrebens entkommen ist.

Aber genug der Vorrede: Hier die 10-Punkte Polemik von Bernd Ziesemer in ihrer ganzen Pracht, so wie sie offenbar zuerst bei Klaus J. Stöhlker erschienen ist:

1. Er sei ein „hoffnungsloser Anhänger der Trennung von Redaktion und Anzeigengeschäft“. Die redaktionelle Unabhängigkeit sei in der derzeitigen Krise allerdings akut gefährdet. Als Journalisten „sollten wir daher alle Modelle danach abklopfen, ob sie Unabhängigkeit und damit Qualitätsjournalismus stärken“, forderte Ziesemer.

2. „Zu viele Verlagsmanager gebärden sich so, als ob sie Chefredakteure wären. Und zu viele Chefredakteure tun so, als ob sie Verlagsmanager wären“, stellte Ziesemer fest. Manche Chefredakteure würden sich sogar Redaktionsmanager nennen. Ziesemer: „Ich finde das zum Kotzen.“ Das Geschäft der Wirtschaftsjournalisten seien Scoops, Leitartikel, spannende Reportagen. „Warum reden wir zu wenig auf solchen Veranstaltungen über unser Kerngeschäft?“, fragte er – und räumte ein, das in der Vergangenheit auch getan zu haben. „Ich habe gesündigt, aber ich werde ab heute damit aufhören“, versprach Ziesemer.

3. Einige „junge Verlagsmanager“ und „einige Unternehmensberater, die sich derzeit in den Verlagen tummeln“, würden bei ihm „einen Würgereiz auslösen“, so Ziesemers dritter Punkt. Unter ihnen seien „zu viele kulturelle Analphabeten, die längst keine Zeitung mehr lesen, aber uns erklären wollen, wie man eine Zeitung macht“, stellte er fest. Als beim „Handelsblatt“ kürzlich Berater gesucht worden seien, seien etliche der Powerpoint-Präsentationen von Firmen, die sich dafür bewarben, in ihrer „intellektuellen Dumpfheit, betriebswirtschaftlichen Vordergründigkeit und moralischen Impertinenz“ nicht mehr zu überbieten gewesen. Journalisten in einigen Verlagen seien dabei, ihren Berufsstolz zu verlieren und sich nur noch als Lückenfüllproduzenten am Band zu verstehen, um Anzeigenlücken zu füllen. „Der Vorgang bei Gruner&Jahr erfüllt mich mit Zorn und Scham“, so Ziesemer.

4. Es gebe in Printmedien eine „komische Mischung aus Bullshitting und Masochismus“, so Ziesemer. Das Bullshitting sei, bei den eigenen Marken jede Sparmaßnahme „als verlegerische Großtat zu verkaufen“, statt sie als das zu benennen, was sie seien: Sparmaßnahmen. Der Masochismus drücke sich etwa in einem Artikel im „Wirtschaftsjournalist“ aus, in dem es hieß, es gebe keine Branche, die so konservativ und innovationsfeindlich sei wie die Medienbranche. „Ach Quatsch“, so Ziesemer. Das Problem gehe „von ganzseitigen Werbepostern auf Seite 1“ aus. „Wer soll die Zeitung kaufen wenn sie aussieht wie Waschmittelwerbung?“, fragte Ziesemer. Und was die Krise angehe, so sei zwischen 1990 und September 2008 die Auflage des „Wallstreet Journal“ nicht gefallen, sondern um 6,6 Prozent gestiegen. Und das=2 0obwohl, oder gerade weil, die Zeitung den einzigen kostenpflichtigen Internetauftritt einer Tageszeitung weltweit betreibe.

5. Eine „besondere Kategorie von Dummschwätzern“ finde sich unter den Medien-Bloggern, klagte Ziesemer, die versuchten „ein paar lousy Pennys zu verdienen, dabei aber nicht mal auf Hartz-IV-Regelsatz kommen“. Diese würden dennoch den Journalisten täglich empfehlen, ihre Printprodukte einzustampfen und nur noch auf Online zu setzen – obwohl dort offenbar nicht so viel Geld zu verdienen sei.

6. Es sei ihm „vollkommen unerfindlich, warum sich einige Chefredakteure in Deutschland an diesem Dauergeschwätz beteiligen“, so Ziesemer. So habe FTD-Chefredakteur Steffen Klusmann jüngst in der FAZ gesagt, „die Zeitung werde in fünf Jahren vom iPhone gekillt“. Nur, warum habe er nicht sieben oder acht Jahre gesagt, fragt Ziesemer, und gibt sich selbst die Antwort: „Weil der Prognosewert gegen Null geht.“ Wenn Klusmann daran glaube, dann solle er sich „mal schnell bei iPhone bewerben“. Allerdings habe derselbe Klusmann auch 2005 gesagt, die FTD werde das „Handelsblatt“ „schon bald“ überholen. Das erinnere ihn an einen Daihatsu-Fahrer, so Ziesemer, der bei einem Kilometer Abstand auf der Autobahn den BMW-Fahrer mit seiner Lichthupe erschrecken wolle. Das „Handelsblatt“ habe heute eine Auflage von 150.000, die FTD 100.000 – der Abstand gelte seit fast drei Jahren. „Soweit zur Prognostik“, so Ziesem er.

7. Es sei ja bisher ein ungeschriebenes Gesetz gewesen, sich auf solchen Veranstaltungen nicht gegenseitig zu kritisieren. „Davon weiche ich heute leicht ab“, so Ziesemer. Der Grund sei ein Zorn, den er sich in 30 Jahren als Journalist erworben habe. Eine Einheitsredaktion für fünf Titel zu bilden erinnere ihn an einen Satz Lech Walesas, der über den Sozialismus gesagt habe, es sei leicht, aus einem Aquarium eine Fischsuppe zu machen, aber sehr schwer, aus Fischsuppe ein Aquarium. „Klusmann sollte aufhören, uns allen seine Fischgruppe als Rezept zu verkaufen“, forderte Ziesemer. Er solle ruhig machen, was er wolle, aber es sei „intellektuell unredlich“, ständig zu behaupten, alle anderen würden das auch tun.

8. Ein Problem sei, dass „die Kollegen, die über Medien schreiben, mit wenigen Ausnahmen das Langzeitgedächtnis einer Ameise haben“. Sie würden „den Bullshit, den Verlage präsentieren, eins zu eins runterschreiben“, so Ziesemer. Stattdessen sollten sie lieber mal ins Archiv schauen, was in der Vergangenheit gesagt und getan wurde. „Medienjournalismus ist leider weitgehend recherchefreie Zone“, so Ziesemer. Hörensagen werde als Faktum präsentiert. Er habe in 15 Blättern gelesen, was angeblich beim „Handelsblatt“ vor sich gehe, nur ein Journalist habe ihn angerufen und ein weiterer eine Mail geschickt.

9. Das Herz der Zeitung sei „Recherche und Qualität“, zitierte Ziesemer die Professorin Miriam Meckel aus einem Beitrag in der FAZ. Dafür brauche man keinen Newsroom, sondern Schreiber, die über eine Welt berichteten, die man nicht im Internet finde.

10. Das sei vielleicht eine „sehr konservative, fast altmodische Sichtweise“, die Meckel äußere, räumte Ziesemer ein, aber „ich teile sie“. Es gebe aber auch Verleger und Verlagsmanager, die das täten.

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ch_we
15 Jahre zuvor

Mir gefällt’s. Schon alleine, weil es diese Metadebatte über die Zukunft eines Mediums (Print) von der Tätigkeit der Journalisten (Recherche)trennt.

Angelika Wienert
Angelika Wienert
15 Jahre zuvor

„…schreibt David Schraven im Blog ruhrbarone und auf Welt Online…“ (siehe Medienlese.com)

Und so weiter …

Angelika Wienert
Angelika Wienert
15 Jahre zuvor

@ David

lustiges Pseudo-Haiku …

Schöne Ostertage (auch für alle anderen Mitwirkenden an dieser net-Seite)!

Prospero
Prospero
15 Jahre zuvor

Anderererseits aber: Kritisieren tun sich die Journalisten ja gegenseitig so gar nicht. Das räumt der gute Mann da oben ja auch ein – der erfrischend definiert was Qualitätsjournalismus zu sein hat. Aber wenn es keine Kritik an den Medien gibt – dann hätten wir eine Hofberichterstattung, denn Kritik unter sich ist doch bei Journalisten auch nicht dauernd an der Tagesordnung.
Nein, nein, lasst mir nur die Dummschwätzerblogs – wenn die Zukunft im Print liegt, dann zeigt sie mir! Aber was ist denn im Print momentan los? Ideenlosigkeit, Konzeptlosigkeit, Sparmaßnahmen en masse – gerade weil Zeitungen und Journalisten ja vermehrt auf Werbeeinnahmen setzen. Online.
Nein, lasst mir ruhig die Dummschwätzerblogs – lasst mir ruhig Medienrauschen, on the record, DWDL und wie sie alle heißen mögen. Denn nur sie gewährleisten, dass die Journalisten sich ab und an mal dran erinnern was sie eigentlich tun sollten: Kritisch, objektiv – nun ja, die haben immerhin den Anspruch – und sachlich über die Welt zu berichten. Wenn sie das gut tun trete ich als Blogger gerne in den Hintergrund – wenn sie das schlecht tun, dann gibts Leute wie mich.
Ad Astra

trackback
15 Jahre zuvor

Handelsblatt-Chef gegen Dummblogger für Qualität » ruhrbarone…

Ziesemer, Handelsblatt Chefredakteur zu Beratern, Verlagsmanagern und Qualitätsjournalismus. „ich habe gesündigt, höre aber ab jetzt damit auf“ :)…

Jens Kobler
15 Jahre zuvor

Mir war dieses Thema so wie hier angegangen ein wenig langweilig, daher schwieg ich bislang stille. Immer diese Betroffenheits-Diskurse via Bürohengst-Beißereien, oder? Mittlerweile wurde mir aber das Statement eines Spezialisten aus den USA zugespielt, das einige interessante Lösungsmöglichkeiten präsentiert:

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