Mietpreise im Revier: Hier bleibt es billig – hier will keiner hin

Gladbecker Innenstadt

In Deutschland steigen die Mieten. In ganz Deutschland? Nein, in den Regionen ohne Zukunft nicht. Im Ruhrgebiet wird es immer billiger und leerer.

Nennen wir ihn mal Michael. Michael hat einen Job in Bochum und ein paar Jahre in Bochum gewohnt. Nun ist er weg. Den Job hat er noch, aber er wohnt lieber in Köln. Zur Arbeit nach Bochum pendelt er ein. In Köln, sagt er, sei es netter. Man müsste weniger fahren um Freunde zu treffen, alles wäre kompakter und unkomplizierter. Und  natürlich ist Köln auch sonst eine geile Stadt.

Und natürlich verlassen ganz viele das Ruhrgebiet, weil sie hier keine Jobs finden.

Das so viele das Ruhrgebiet verlassen, hat natürlich auch seine angenehmen Seiten. In vielen Teilen Deutschlands steigen die Mieten. Nicht im Ruhrgebiet. Überall wird  über Gentrifizierung und ihre Auswirkungen gestritten. Im Ruhrgebiet wird diese Diskussion eher simuliert. Klar, in Essen-Rüttenscheid, in Bochumer Ehrenfeld oder in Dortmunder Kreuzviertel braucht man ein paar Monate um eine Wohnung zu finden. Vier Zimmer ist sowieso schwierig. Aber das war es dann schon. Denn, nur einen Steinwurf entfernt gibt es Leerstände und nichts deutet darauf hin, dass sich daran was in absehbarer Zeit ändert. Im Gegenteil. Noch nicht einmal die billigen Mieten sorgen dafür, dass Leute hier hinziehen.

Neu gebaut wird sowieso relativ selten. Renoviert auch nicht. Es lohnt sich ja auch kaum.

Mit intelligenten Zwischennutzungskonzepten könnten wir die Wegzüge von ein paar Künstlern  vielleicht verzögern. Vielleicht bleiben auch ein paar dauerhaft hier. Aber nicht einmal diese intelligenten Zwischennutzungskonzepte für leerstehende Immobilien gibt es. Das Ruhrgebiet ergibt sich einmal mehr seinem Schicksal, zeigt natürlich keine Initiative und wartet darauf, dass die Hilfe von Aussen kommt. Genügsam schauen wir uns an, wie eine Region mit fünf Millionen Menschen zum Vorort von Düsseldorf und Köln wird. Ein Mega-Ratingen. Nur ärmer.

Es gibt schon gute Gründe, warum es hier so ist wie es ist.  Und der Grund sind wir.

Dazu der passende Soundtrack:

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Reiner D
14 Jahre zuvor

Schönes Stück, leider wahr.

lebowski
lebowski
14 Jahre zuvor

„Das Ruhrgebiet ergibt sich einmal mehr seinem Schicksal, zeigt natürlich keine Initiative und wartet darauf, dass die Hilfe von Aussen kommt.“

Wenns bloß so wäre. Mein Eindruck und meine Erfahrung ist, dass insbesondere die Politiker an den alten Strukturen festhalten. Das ganze Ruhrgebiet sollen offenbar ein Bergbaumuseum werden. Jede alte Zeche muss nachgenutzt werden. Jeden Abend das Steigerlied!
Dabei könnte das Ruhrgebiet ein wunderbares Experimentierfeld für neue urbanistische Ansätze werden.

lebowski
lebowski
14 Jahre zuvor

Sorry! Es muss natürlich heißen:
„Das ganze Ruhrgebiet soll…“

Nomade
Nomade
14 Jahre zuvor

Ich habe immer gedacht, dass Bielefeld die Hauptstadt des Antilokalpatriotismus wäre. 😉
Aber mal ernst Antilokalpatriotismus habe ich bis jetzt überall, wo ich gewohnt habe erlebt. D.h. in Düsseldorf, in Bremen und auch in Hamburg, bei letzteren vor allem in der Alternativszene.

Inzwischen glaube ich, dass das mehr über die Person als die Situation aussagt. Vielleicht mal wegziehen. Es gibt nämlich etliche Vorteile des Ruhrgebietes gegenüber Hamburg, nur erschließt sich das nicht sofort.

Michael
14 Jahre zuvor

Diese ganze Zechenseligkeit wird ja hoffentlich nach 2010 endlich durch sein. Irgendwann ist auch der letzte Ex-Kumpel für immer eingefahren, und dann muss sich eine neue, junge Generation (auch in den Verwaltungen) überlegen, was sie aus dem Flecken hier macht. Die ewige Trauer um die alten Zeiten ist eben nicht sexy, die alten Zöpfe gehören ab, eine neue Ruhri-Indentität muss auf etwas komplett Neuem basieren. Fragt mich aber nicht, was das sein kann.

Wähler
Wähler
14 Jahre zuvor

Eingeteilt in drei Verwaltungsbereichen, was soll sich da tuen..?

Gruss

trackback

[…] Mietpreise im Revier: Hier bleibt es billig – hier will keiner hin (Ruhrbarone) – […]

Jürgen Dressler
Jürgen Dressler
14 Jahre zuvor

Wie sollte eine Region ohne gesellschaftlich-existentielle politische Diskussion eine Zukunft vermitteln. Wer sind im Ruhrgebiet die Zielgruppen für eine Entwicklungsperspektive. Wenn sich im Revier unbefangene Blicke und Bewertungen von außen einstellen, gerät die fachliche und allgemeine Introvertiertheit in abwehrende Alarmbereitschaft. Die planerische Inzucht der letzten Jahrzehnte hat eine Qualität von Entwicklungsperspektiven ergeben, welche dieser Region nicht dienen, sondern schaden. Wir haben uns auf eine alimentierte Zukunft mit banalen, sozialromantischen und rückwärtsgewandten Auffassungen eingerichtet. Wir haben im Revier nicht nur die Altlasten im Boden, wir haben sie zuerst in den Köpfen. Hier ist nichts mehr in regionaler Bewegung. Wer als Duisburger seine geborene Stärke nicht in einer partnerschaftlichen, ergänzenden Städteregion mit Düsseldorf, Köln und Bonn rheinseitig sucht, sondern weiterhin der Betriebsfläche Revier seine Hoffnung schenkt, wird wie diese die Gesamtabwicklung erleben. Das Ruhrgebiet besitzt keine Zukunft.

Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
14 Jahre zuvor

@#8 (Jürgen Dressler)
Es ist eher das alte binäre Denken (Rheinland ODER Ruhrgebiet), das „keine Zukunft“ hat. Schon jetzt hat es mit der Wirklichkeit immer weniger zu tun. Die androgyne Grunddisposition (Rheinland? Ruhrgebiet?) ist ohnehin das eigentlich Interessante an Städten wie Duisburg. Sie sollte man kultivieren, und nicht beseitigen wollen.

„Hier ist nichts mehr in regionaler Bewegung.“
Der Tenor der einschlägigen Ruhrgebietsdiskussionen hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert. Es scheint so, als würde an den beiden größten Bauwerken des Ruhrgebiets, dem Luftschloss und der Klagemauer, munter weitergewerkelt.

Arnold Voss
14 Jahre zuvor

Der (Wieder)Aufstieg Berlins zur Stadt junger Kreativer lag nicht nur, aber auch, an niedrigen Mieten. Was also ist so schlecht daran, dass im Ruhrgebiet die Mieten nicht generell steigen sondern eher fallen?

Jürgen Dressler
Jürgen Dressler
14 Jahre zuvor

Was bleibt eigentlich von der „Betriebsfläche“ zwischen Kamp-Lintfort und Hamm übrig, wenn sich das weiter fortsetzt, was keiner sagen will. Die gebildete und
junge Schicht, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, verläßt wegen besserer Bedingungen und interessanterer Angebote rasant die Region.
Die deutsche Immobilienwirtschaft verneint jegliches Interesse am Revier. Arbeitsplatzrelevante Investitionen finden anderswo statt, denn auch heute
noch kerngesund scheinende Regionen stellen sich auf radikale Veränderungen ein,
aber mit besseren Voraussetzungen, diversifizierteren Wirtschaftstrukturen und mit
großen Urbanitätspotentialen. Es bleiben bei schrumpfender Gesamtbevölkerung die
großen historischen deutschen Orte mit nachhaltiger Perspektive. Das Revier wird mit Ausnahme von Dortmund, Essen und Duisburg – und auch diese Städte werden sich radikal ändern müssen – auf vorindustriellen Strukturen von Kleinstädten und Dörfern zurückkehren. Die Drei überleben wegen ihrer topografischen und geografischen Kompetenzen. Und dieser Prozeß wird öffentlichen und privaten Vermögensverzehr ungeahnten Ausmaßes bewirken. Es wird Stadträume geben, die uns an verlassene Stadtteile Amerikas erinnern werden, weil das Geld für einen flächenhaften Abbruch in den letzten Jahren für zweifelhafte Überlebensstrategien
verpulvert wurde. Die aktuelle IBA in den neuen Bundesländern zeigt uns doch unsere Fehler der Vergangenheit auf. Als ich 1995 den Duisburgern erzählte, der Stadtteil Bruckhausen gehört abgerissen, waren es die „politischen Wächter“ der „Betriebsfäche“ , wie immer schon im Revier, dass es eine Hoffnung auf Überleben im Unveränderten geben kann. Doch das der Verfall des Reviers die natürliche Umkehr der eigenen industriellen Entwicklung ist, will heute noch keiner glauben. Und die investive Wirtschaft, auch die kreative Wirtschaft sucht sich psychologisch geeignete Räume zur Neubesinnung. Das Revier hat noch nicht einmal morbiden Charme, weil die Einwohner schon zu Lebzeiten ohne Basis dafür waren und sind.
Die deutsche investive Wirtschaft besucht die Region kaum, auf jeden Fall nicht ausreichend genug; und diese Region möchte auch, an ihren höchsten Repräsentanten erkennbar, unentdeckt bleiben.
Was bleibt ist eine überalterte, materiell wenig auskömmliche, an zeitgemäßen Bedarfen wenig interessierte und introvertierte Gesellschaft, welche zur Abwicklung bereit steht.

Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
14 Jahre zuvor

Gegen einen unverstellten Blick wäre ja nichts zu sagen, aber der naive Alarmismus und das ökonomistische Sprachbild von der Betriebsfläche, die zur Abwicklung bereit steht, sind ja nun selbst „Altlast in den Köpfen“ (#8): Wer sich das Ruhrgebiet nur montan-industriell vorzustellen vermag (oder gar nicht), muss wahrscheinlich diesem Reflex folgen: Wir wickeln ab und wir reißen ab, was seinen ursprünglichen Sinn verloren hat. Dieses Denken hat das Ruhrgebiet bereits in den 1960er und 1970er Jahren dominiert und schon damals hat der Abriss von Stadtvierteln kein einziges wichtiges Problem gelöst. Man muss kein Romantiker sein, um zu konstatieren: erst seit das Ruhrgebiet seine 150-jährige Industriegeschichte als wichtiges symbolisches Kapital anerkannt hatte, wurde die Gegend überhaupt erst wieder einigermaßen interessant.

Wer sich über mangelnde Urbanitätspotentiale beklagt, sollte zunächst zulassen, dass sie sich entwickeln: halb verlassene Stadträume sind Teil dieses Prozesses. Hätten Rom, Siena, Brügge und wie sie alle heißen in all den zurückliegenden Jahrhunderten bei jedem Niedergang ihren Immobilienmarkt „bereinigt“ und ihre überschüssigen Stadträume „abgewickelt“, würde man über deren Urbanität heute kaum ein Wort verlieren. Um es konkret zu machen: Das neuerliche Gewusel im geschrumpften, bereits in den 1980er Jahren eigentlich abgeschriebenen Marxloh ist um einiges viel versprechender als die Aussicht auf ein neuen cordon sanitaire („Grüngürtel“).

Arnold Voss
14 Jahre zuvor

Drei Fragen an Jürgen Dressler:

Wenn das Ruhrgebiet keine ökonomische Perspektive (mehr) hat, dann nützt doch auch der Abriss von was auch immer nichts mehr, oder?

Wenn die Rettungsperspektiven für Duisburg wirklich in den vorhandenen Entwicklungspotentialen der sogenannten Rheinschiene liegen, warum erklären sie sich dann zwecks schnellerem Imagewechsel nicht zu einem Stadtteil von Düsseldorf?

Würden sie das auch alles so schreiben, wenn sie den gleichen Posten in Herne oder Gelsenkirchen bekommen hätten?

Jürgen Dressler
Jürgen Dressler
14 Jahre zuvor

Die wahre Kunst des Ruhrgebietes liegt in der überzeugten Introvertiertheit. Alle Indikatoren sprechen von einem rasanter werdenden Abstieg des Reviers. Die Arbeitslosigkeit bleibt die Höchste, die Einkommen sind die Niedrigsten, die Überalterung trifft hier besonders zu, die Bildung weist die größten Defizite auf und die finanzielle Situation wird sich trotz der mageren Ankündigungen der neuen Landesregierung noch verschärfen.
Und Bekenntnisse von Investoren sind trotz der besonderen Standorteignungen mehr als unbefriedigend. Die deutsche Immobilienwirtschaft verneint geradezu das Ruhrgebiet als Entwicklungsperspektive. Und schauen sie sich das Programm der Metropolregion auf der Exporeal 2010 in München an; dort tritt „viertklässige Freundlichkeit“ aus dieser Region auf und erzählt den Zuhörern aus der gleichen Region bekannte Banalitäten. Der Grund: es gibt dafür keine hochrangigen Speakers aus bedeutenden Unternehmen außerhalb des Reviers, sie haben einfach kein Interesse. Und als Executive-Kommitee-Mitglied des Urban Land Institue Germany bin ich sehr nah an dieser Erkenntnis.
Allein der gepflegte Schwindel von der Metropolregion Ruhr, man kann besser von einer „Staatengemeinschaft“ rheinischer und westfälischer Dörfer sprechen, zumal wenn man noch die gelebten Eigenständigkeiten der 1974 eingemeindeten Stadtteile hinzurechnet. Und denen will man noch mit ihren politischen Vertretern eine Schimäre vermitteln. Es gibt zwischen Dortmund und Duisburg weniger Gemeinsamkeiten als zwischen Pankow und Charlottenburg.
Im Gegensatz zu den „gepflegten Kollegialitäten“ der Revierler mit ihrem Glauben an eine räumlich-gesellschaftliche Gemeinsamkeit, denkt man in einer neuen Partnerschaft der Stadtentwickler aus Bonn, Köln, Düsseldorf und Duisburg über eine Strategie des gleichberechtigten und ergänzenden Nebeneinanders nach. Die gewaltige Stärke dieser Region ist der Rhein als global bekannte Orientierung; ist der Besitz von zwei bedeutsamen Flughäfen und eines zentralen Binnenhafens; ist die diversifizierte Wirtschaftstruktur; die verkehrsinfrastrukturelle Kompetenz und eine neue Aufgeschlossenheit für eine Partnerschaft. Gemeinsam mit dem ehemaligen Oberbürgermeister Erwin sind diese Perspektiven von mir vor Jahren schon initiiert worden und im Fluß.
Natürlich würde ich in anderen Verantwortlichkeiten andere Erkenntnisse gewinnen und zu anderen Schlüssen kommen. Aber als einer der Unterzeichner von 2031 habe ich inzwischen die Überzeugung gewonnen, dass die damals erhoffte Gemeinsamkeit bestenfalls einem Zusammenzeichnen von eigenen Entwicklungsüberlegungen, aber keiner gesamträumlichen Strategie gewichen ist. Dafür gibt es schon kein Verständnis bei der kollegialen Fachlichkeit, geschweige bei der „Altlast“ Politik.

Dortmunder
Dortmunder
14 Jahre zuvor

Auch von mir: lieber Herr Dressler,
und ich armer Kerl habe schon immer gedacht, Ihr Ex-Kollege aus Dortmund Ullrich Sierau wäre im Schönreden und im Verkennen von Tatsachen nicht zu toppen. Aber Respekt: Sie legen noch ne Schüppe drauf.

Scheint ein schwerer Fall von „Soplakra“ (sozialdemokratische Planungsdezernenten-Krankheit) zu sein.

Jetzt gehe ich aber Schalke verlieren gucken. Ach halt, ich wollte noch meinen Dr. Dressler Lieblingssatz analysieren.

„Die Drei (gemeint sind Duisburg, Essen und Dortmund, der Verf.) überleben wegen ihrer topografischen und geografischen Kompetenzen.“

Geografische Kompetenz haben Menschen, nicht Städte. Und noch besser: damals, lang ist es her, habe ich während des Studiums gelernt, dass Topographie jenes Teilgebiet der Kartografie ist, das sich mit der Vermessung, Darstellung und Beschreibung der Erdoberfläche und der mit dieser fest verbundenen natürlichen und künstlichen Objekte befasst.

Warum die topographische (ich schreibs immer noch lieber mit ph statt mit f) Kompetenz (sic!) Essens und Dortmunds eine andere sein soll als die Bochums oder Mülheims, ich weiß es nicht!

Arnold Voss
14 Jahre zuvor

„…als einer der Unterzeichner von 2031 habe ich inzwischen die Überzeugung gewonnen, dass die damals erhoffte Gemeinsamkeit bestenfalls einem Zusammenzeichnen von eigenen Entwicklungsüberlegungen, aber keiner gesamträumlichen Strategie gewichen ist.“

Da ist zweifellos was dran, Jürgen Dressler. Im Addieren waren die Ruhr- und Emschergemeinden schon immer stärker als im Integrieren. Ich bin mir allerdings nicht sicher ob das bei den Rheinstädten de fakto so viel besser sein wird. Da sind sie obendrein aber nichts anderes als der arme Verwandte denn man irgendwie mit durchziehen muss, und entsprechend werden sie, wenns ans Teilen geht, auch behandelt werden.

Was meine Position zum Schrumpfen und zum Abriss betrifft schauen sie bitte mal hier:

https://www.transparentonline.de/index.php?option=com_content&view=article&id=375:bevoelkerungsschwund-als-chance&catid=62:nr-74&Itemid=53

Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
14 Jahre zuvor

@#14 (Jürgen Dressler): Ein Papier, das glaubhaft darlegt, warum Duisburg sehr viel mehr strukturelle Gemeinsamkeiten mit Bonn als mit Dortmund hat, würde ich gerne lesen. (-:

@all: Die Ebene der „gepflegten Kollegialitäten“ und „viertklassigen Freundlichkeit“, die ja offensichtlich einen wichtigen Hintergrund für die Generalabrechnung des Duisburger Planungsdezernenten mit dem Ruhrgebiet darstellt, dürfte hier kaum seriös zu diskutieren sein. Auch darüber, ob das strategische Nebeneinander in der Rheinschiene demgegenüber zumindest zweitklassig sein wird, lässt sich noch nicht viel sagen, denn bisher lesen wir nur von Willensbekundungen, Absichten – und dem langen, großen Fluss als verbindendem Element.

Nicht von der Hand zu weisen ist aber etwas anderes: Die Städte am Rhein (Bonn, Köln, Leverkusen, Düsseldorf, Duisburg) besitzen sehr unterschiedliche Strukturen (Kompetenzen) und das macht eine strategische Partnerschaft um einiges interessanter als eine Koalition, an der alle nur das Gleiche einbringen (das weiß jeder, der mal eine Fußballmannschaft zusammengestellt hat). Insofern geht Jürgen Dresslers Kritik an „2030“ ( https://www.staedteregion-ruhr-2030.de/cms/index.php ) in die falsche Richtung: das eigentliche Problem der Ruhrgebietsstädte sind nicht etwa die fehlenden Gemeinsamkeiten, sondern die zu geringen Unterschiede – Unterschiede, die sich zu einem breiten (regionalen) Spektrum an verschiedenartigen Kompetenzen entwickeln ließen.

Arnold Voss
14 Jahre zuvor

Dirk, es gab mal einen schönen Satz zum Scheitern von (real)sozialistischen Gesellschaften. Ich glaube vom durchaus als links geltenden Philosophen Ernst Bloch der sinngemäß geschrieben hat: Der Sozialismus ist nicht deswegen gescheitert weil es (noch) zu viele Individualisten gabe sondern (noch) viel zu wenige.
Nun der zugegeben etwas gewagte Schlenker zum (real)sozialdemokratischen Ruhrgebiet und der dortigen Hegemonie des „wir wollen alle das gleiche wie unsere Nachbarn haben“.

Wie soll denn die von dir geforderte Individualität der Ruhr- und Emscherstädte hergestellt werden? Woran könnte man da sozial, kulturell und städtebaulich ansetzen? Wo sind schon in der Entstehungsgeschichte dieser Städte die unterschiedlichen Wurzeln auf die man dabei aufbauen könnte? Wo wären dafür die räumlich sichtbaren Zeichen und vor allem die präzisen Grenzen, an denen das Andere der jeweiligen Stadt auch für den nicht Eingeweihten sichtbar wird? Wie wäre das speziell bei den Emscherstädten? Und das Wichtigste:Wo sind die politisch und kulturell führenden Personen/Gruppen die dafür in den jeweiligen Kommunen auch als entsprechend markante und eigenwillige Köpfe stehen?

Ach ja, mit integrieren meine ich nicht das Glattbügeln sondern das strategische Zusammenfügen von Unterschieden.

Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
14 Jahre zuvor

@ Arnold: Kluger Satz natürlich; ob er tatsächlich auf Bloch zurückgeht – ich weiß es auch nicht.

Auf Deine Fragen gibt es keine zackigen Antworten. Ich bin auch gar nicht sicher, ob mehr Individualität überhaupt gelingen kann, stelle aber wie gesagt fest, dass es nicht so sehr an Gemeinsamkeiten, sondern an Unterschieden mangelt. Richtig ist, dass der Rückgriff auf die Historie der Ruhrgebietsstädte alleine zu wenig beitragen wird, auch wenn ein Blick nach z.B. Hattingen, Marl oder Oberhausen doch sehr unterschiedliche Wurzeln, Traditionen erkennen lässt. „Individualität“ ist im Ruhrgebiet aber keine primär konservatorische Aufgabe, sondern etwas, das eher in der Zukunft liegt – und da auch nicht so sehr eine Frage von Grenzen und Zeichen sein wird, sondern von künftigen Erfahrungen: Bislang dominiert die gemeinsame Erfahrung, Industriestadt gewesen zu sein.

Wir werden diese Debatte über eine stärkere Individualisierung schon aus zweierlei Gründen führen: weil das Ruhrgebiet in toto mehr Diversität benötigt (kulturell, ökonomisch, städtebaulich) und weil gerade diejenigen Stadtviertel, die sich tatsächlich spürbar verändern („anders“ werden), entweder mit ängstlichen Gentrifizierungs- oder hysterischen Integrationsdebatten belagert werden.

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