Corelli 2012 (links mit Kappe und Kamera) Foto: Roland Geisheimer/ attenzione photographers
Update: Die Sachverständige der Charité wurde am 02. Februar 2015 in der 36. Ausschusssitzung des Innenausschusses gehört. Sie äußerte sich ausführlich zu dem hyperglykämischen Koma aus medizinischer Sicht und beantwortete detailliert die Fragen der Abgeordneten. Sie verfügte allerdings nicht über „tiefergehende Informationen“ zur Person des Thomas R. Eine Einwirkung von Außen, also der Einbringung eines Stoffes um eine Diabetes bzw. ein Diabetes-Koma auszulösen, hielt die Sachverständige für „nahezu ausgeschlossen“. Zudem müssten erhebliche Mengen der in Frage kommenden Substanzen beigeführt werden, was ohne vom Betroffenen bemerkt zu werden, kaum möglich sei. Auch müssten in bestimmten Fällen weitere auslösende Faktoren hinzukommen. Petra Pau (Die Linke) bemängelt in der Sitzung noch einmal, das man ergänzend zu den Ausführungen der Sachverständigen nicht das Gutachten vorliegen habe.
Am 25. Februar 2015 behandelte der NRW-Landtag den Tod des V-Mannes Corelli, der im April 2014 tot in seiner Wohnung im Kreis Paderborn aufgefunden wurde. Thomas R., alias Corelli, verstarb mit 39 Jahren. Vor allem der Todeszeitpunkt wirft viele Fragen auf. Thomas R. verstarb nur wenige Tage vor seiner Vernehmung. Er hätte wesentlich zur Aufklärung der Hintergründe der NSU-Morde und der Rolle des Verfassungsschutzes beitragen können. Die Obduktion ergab eine „natürliche Todesursache“. An dieser Version gibt es erhebliche Zweifel, doch machte NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) vorgestern deutlich, dass es kein ernstzunehmendes Interesse der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gibt, die genauen Todesumstände des V-Manns ‚Corelli“ aufzuklären. Transparenz ist offenbar unerwünscht.
Im Januar hatte Justizminister Kutschaty in enger Absprache mit der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft in Hamm das Versenden des toxikologischen Gutachtens an die Abgeordneten unterbunden. Das Schreiben vom 20.01.2015 ist ernüchternd. Der NRW-Justizminister teilte mit, dass es nach Prüfung durch den Generalstaatsanwalt in Hamm „keine Rechtsgrundlage für die Übersendung von Mehrfertigungen von Aktenteilen und die Erteilung von Auskünften aus den Verfahrensakten“ gebe.
Die Einsicht in das Gutachten ist aber Voraussetzung, um den Tod eines der wichtigsten V-Männer und Zeugen aus dem NSU-Umfeld, umfassend aufzuklären.
Vor zwei Tagen berichtet Kutschaty dann zumindest den Abgeordneten im Rechtsausschuss im NRW-Landtag zum Fall Corelli. Doch ergab der Bericht zum Todesermittlungsvorgang, der auf den Berichten der Staatsanwaltschaft beruht, wenig Erhellendes. Ausführlich wurde zwar das Auffinden der Leiche, die Obduktionsergebnisse und das Verfahren der verschiedenen Gutachten beschrieben, doch ist das Résumé am Ende: „Natürliche Todesursache“. Zur Richtigkeit dieses Ergebnisses können sich die Abgeordneten im Land und im Bund allerdings kein klares Urteil bilden.
Über den Ablauf und die Gründe für den frühen Tod des V-Mannes könnte ihnen nur der maßgebliche Gutachter, Prof. Dr. S., ein umfassendes Bild verschaffen. Doch diesen dürfen die Abgeordneten nach dem Willen des Justizministers nicht befragen.
Diagnose „Natürliche Todesursache“ – doch kennt niemand den Inhalt des Gutachtens
Beim Auffinden der Leiche von Corelli war die Diagnose nach Eintreffen des Notarztes „keine Anhaltspunkte für äußere Einwirkungen, die den Tod zur Folge gehabt hätten“. Dennoch sei die Todesursache ungeklärt. Auch die Polizeibeamten stellten fest: „Hinweise
auf ein Fremdverschulden liegen augenscheinlich nicht vor.“ Einen Tag später nahm die Mordkommission des Polizeipräsidiums Bielefeld die Ermittlungen auf.
Die Staatsanwaltschaft Paderborn hatte Zweifel an der eindeutigen Ausschliessung von Fremdeinwirkung und beauftragte eine laborchemische Zusatzuntersuchung. Ergebnis: Es könne bei Corelli von einer Hyperglykämie, die zu einem tödlichen diabetischen Koma geführt habe, ausgegangen werden. Doch ist dieser Satz kein eindeutiges gutachterliches Ergebnis, sondern enthält einen Konjunktiv. Zudem führte ein ebenfalls beauftragte Institut an anderer Stelle aus, “dass es (…) nicht über die für den Nachweis einiger dieser Wirkstoffe erforderliche Analytik verfüge.“ Das bietet ausreichend Raum für Spekulationen.
Verfassungsschützer immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Ein weiterer Sachverständiger, Prof. Dr. S., wurde hinzugezogen, um herauszufinden, ob eine Hyperglykämie (Anm. der Autorin: Überhöhter Blutzuckerspiegel) Todesursache sei und wenn ja, ob „die Hyperglykämie durch das Beibringen von Stoffen herbeigeführt worden sei.“ Kurz gesagt – ob man eine natürlich Todesursache aufgrund eines überhöhten Blutzuckerspiegels vortäuschen könne, indem man dem Opfer bestimmte Stoffe verabreiche, die den tödlichen Kollaps verursachen. Der Gutachter verneinte dies. Am 12.11.2014 stellte die Staatsanwaltschaft Paderborn das Todesermittlungsverfahren ein. Und weil man schon einmal dabei war, sah der Staatsanwalt auch von der Auswertung der Funkzellenabfrage rund um Corellis Haus ab.
Interessant ist diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft auch deswegen, weil am Todestag des Thomas R. gleich zwei Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz vor Ort waren. Manche fühlen sich an Kassel erinnert, wo ein Verfassungsschützer zum Zeitpunkt des NSU-Mordanschlages auf Halit Yozgat, unweit des Tatortes, Kaffee trank. Im Fall Corelli klingelten die Beamten bei der Mutter des Vermieters und sagten, dass sie sich als „Bekannte von Thomas R.“ Sorgen gemacht hätten, da sie 5 Tage vergeblich versucht hatten, ihn zu erreichen. Besorgte Verfassungsschutzbeamte als „Kümmerer“ unterwegs?
Justizminister im Hü-Hott-Modus
Trotz all der offenen Fragen, stehen die Zeichen für Aufklärung bei Thomas Kutschaty (SPD) auf rot. Die Absage des Justizministeriums nährt nicht nur Verschwörungstheorien, sondern erzeugt möglicherweise den Eindruck, dass der Justizminister nicht aufklären, sondern verschleiern will. Ein verheerendes Zeichen an den Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen, der gerade mit seiner Arbeit begonnen hat. Der Bundestag jedenfalls hat sich an Corelli bisher die Zähne ausgebissen: Der Innenausschuss des deutschen Bundestages wurde bereits monatelang hingehalten, bevor das NRW-Justizministeriums jetzt die Einsicht in das Gutachten endgültig verhinderte. Im Juli 2014 war man noch der Bitte des Bundes-Innenausschusses nachgekommen, dass der Leitende Oberstaatsanwalt in Paderborn den Abgeordneten Auskunft erteilen dürfe.
Im Januar 2015 sah die Welt dann ganz anders aus: Der Gutachter Prof. Dr. S., teilte dem Innenausschussvorsitzenden Wolfgang Bosbach (CDU) mit, dass ihm der Paderborner Oberstaatsanwalt telefonisch mitgeteilt habe, dass er keine Aussagegenehmigung bekommen hat. Er könne nicht wie vorgesehen an der Sitzung des Ausschusses am 2. Februar teilnehmen. Eine ausgewiesene Sachverständige der Charité Universitätsklinik Berlin sollte zunächst ebenfalls nicht gehört werden.
Bundestag beisst sich am Fall Corelli die Zähne aus
Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen), Obfrau im Innenausschuss und ehemaliges Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin, ist darüber verärgert: „Es ist unverständlich, dass nicht zumindest der Gutachter eine Aussagegenehmigung bekommen hat, um dem Innenausschuss qualitative Antworten zu geben. Das hätte schon einmal weitergeholfen. Denn dann hätten wir uns gemeinsam mit der vom Innenausschuss benannten Prof. Dr. Ursula Plöckinger von der Charitè ein Bild über die Stimmigkeit der Ergebnisse des Gutachtens machen können.“
Und auch die Vorlage der schriftlichen Gutachten scheiterte. Den Bericht des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 16.12.2014 überreichte der Leitende Oberstaatsanwalt in Paderborn dem Justizministerium inklusive Mehrausfertigungen der Gutachten mit der Bitte um Weiterleitung an den Vorsitzenden des Innenausschusses des Deutschen Bundestages. Doch haben die Gutachten den Innenausschuss in Berlin bis heute nicht erreicht.
Der Bundestag ist bisher mit dem Versuch gescheitert, die Causa Corelli aufzuklären. Ob das im gerade eingesetzten NRW-Untersuchungsausschuss gelingt, wird auch daran liegen, ob die CDU im NRW-Untersuchungssausschuss genauso zäh um Aufklärung kämpfen wird, wie das der ihr Parteikollege und Obmann der Union, Clemens Binninger, auf Bundesebene im NSU-Untersuchungsausschuss beispielhaft getan hat.
Das Verhalten von Justizminister Thomas Kutschte ist in meinen Augen ein Skandal. Neben den im Text genannten Argumenten, Nähren von Verschwörungstheorien und dem Verdacht der Verschleierung, scheint dieser Mann auch wenig Empathie für die Angehörigen der Opfer der NSU Morde zu empfinden, die ein Recht haben sollten, endlich zu erfahren, was wirklich passiert ist.
Was mich wundert ist das Schweigen der Grünen in dieser Angelegenheit, immerhin sitzen die in NRW mit in der Regierungsverantwortung und die oben erwähnte Irene Mihalic, die als Obfrau im Innenausschuss bislang eigentlich einen recht guten Eindruck hinterlassen hat, ist Vorstandsmitglied im NRW Landesverband…
Die „Leistungen“ des Innen- und Justizministeriums bereitet mir immer größere Sorgen. Ich kann es nicht nachvollziehen, dass eine rot-grüne Regierung und eine Opposition hier offenbar keinen Bedarf an massiven Korrekturen sehen.
Auch als Abgeordnete(r) kann man Konsequenzen ziehen, wenn die Politik nicht mehr den eigenen Idealen folgt.
Als Bürger hat man nur die Hoffnung auf neue Wahlen oder man wandert aus.
Schade, dass man auch hier jetzt VT´s hochkocht.
Die Faktenlage ist klar:
http://www.mdr.de/nachrichten/nsu-corelli-ermittlungen100.html
Eine chemisch-toxikologische Untersuchung der Rechtsmedizin in Münster bestätigte nun, dass Corelli tatsächlich durch einen Zuckerschock starb und nachweislich nicht durch Dritte.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft ergab das Gutachten außerdem, dass die Diabetes-Krankheit von Corelli für Außenstehende nicht erkennbar gewesen sei. Deshalb gebe es auch keine Anhaltspunkte für eine unterlassene Hilfeleistung.
@Olaf #3: Es geht nicht um Verschwörungtheorien (VTs). Im Gegenteil, es geht um Fakten und berechtigte Fragen. Zu den Fakten: Es gibt nicht nur das Gutachten, von dem Sie sprechen, das vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikum Münster (IfR) erstellt wurde. Zunächst gab es eine Obduktion, bei der man feststellte, dass die Befunde mit einem diabetischen Koma „vereinbar sind“. Im April wurde eine laborchemische Untersuchung in Auftrag gegebenen. Ergebnis: Es „könne“ von einem tödlichen diabetischen Koma ausgegangen werden.
Daraufhin wurde von der Staatsanwaltschaft Paderborn eine vollständige toxikologische Untersuchung in Auftrag gegeben. Dabei ging es auch um die Frage, ob die Verabreichung von Substanzen einen Diabetes-Schock herbeiführen könnten. Zumindest erwähnenswert ist die Feststellung, dass man nicht „über die, für den Nachweis einiger Wirkstoffe erforderliche Analytik verfüge“. Das sah man zwar als irrelevant an, da keiner der Stoffe geeignet sei, „gezielt“ einen Diabetes-Schock herzurufen. Doch wenn nicht alle Analyse-Tools in einem Institut vorhanden sind, hinterlässt das zumindest ein kleines Fragezeichen.
Einige Monate später wurde ein diabetologischer Sachverständiger hinzugezogen. Prof. Dr. S. erhielt die entsprechenden Akten. Daraus lässt sich schliessen, dass seine Ergebnisse nicht auf Untersuchungen an den Leichenasservaten, sondern nur auf Grundlage der Aktenlage und den Gutachten der IfR-Kollegen.
Warum aber dürfen die Abgeordneten die Gutachten nicht sehen? Und die eigene Urteilsfähigkeit nicht mit der Einschätzung einer weiteren (neutralen) Sachverständigen sinnvoll ergänzen? Das schafft kein Vertrauen. Dazu gibt es zwar eine juristische Begründung des Justizministers, aber der Innenausschuss (der um die Gutachten gebeten hatte), hat die Aufgabe, das Bundesinnenministerium und seine Behörden zu kontrollieren.
Kontrolle ohne Einblick ist aber unmöglich. Daher haben die Abgeordneten recht, wenn sie sich gegen die Weigerung des Ministers, relevante Informationen mitzuteilen, wehren. Wir reden über Gutachten während der Ermittlungen einer Mordkommission, die im Fall von Corelli zur Einstellung des Todesermittlungsverfahrens führten. Da darf man schon noch mal etwas genauer hinsehen …
Vielen Dank für den Artikel, ich warte seit Monaten auf Details von den Lokalzeitungen Neue Westfälische und Westfalen Blatt. Nur kommt da nichts, dabei dürfte es für einen lokalen Journalisten sicher nicht schwer sein den Vermieter ausfindig zu machen, denn so gross ist Paderborn nicht. Aber nichts passiert !
Was ich mich aber noch frage und es gibt ja noch andere Diabetikärzte, ist ob es grundsätzlich möglich ist ein diabetisches Koma künstlich herbeizuführen ?
Es ist doch so, dass jeder Diabetiker durch falsche Ernährung sich selber in einen Zustand der Hyperglykämie versetzen kann. Also kann man Hyperglykämie selbstverständlich durch Zufuhr von „Substanzen“ erzeugen. Wenn man das bei jemand anders macht, geht es allerdings nur unter Voraussetzungen: z.B. wenn der Betreffende von seiner Diabetes nichts weiß (wie war das bei „Corelli“?), wenn er über die Beschaffenheit dessen, was er isst/trinkt, irregeführt wird oder wenn ihm die Substanzen in bewusstlosem Zustand verabreicht werden.
Es ist ja schön, dass die Sachverständige über die Symptome und Ursachen einer "Hyperglykämie" schwadroniert hat. Allerdings ist VM Corelli nicht an einer Hyperglykämie sondern an einer Hypoglykämie (oder eben auch "Zuckerschock" siehe u.a. wikipedia) gestorben. Eine solche bekommt ein Diabetiker, wenn er sich selbst mit einer zu hohen Dosis Insulin versorgt, bzw. anstrengende Tätigkeit oder Sport bei seinen BE-Berechnungen nicht berücksichtigt. (Allerdings muss der Diabetes dafür natürlich ein erkannter und behandelter sein) Dann kommt es zu Unterzuckerungen, die genau jene Symptome, die VM Corelli entwickelt haben soll (Fieber, Bauchschmerzen, Erbrechen bis hin zum Tod), hervor rufen. Es gibt meines Wissens nach jedoch keine Erkrankung, die eine zu hohe Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse zur Folge haben, sondern nur die zu niedrige Ausschüttung. Das nennt man dann Diabetes und der Patient benötigt eine künstliche Zufuhr von Insulin von Außen. Künstliche Unterzuckerungen sind sehr wohl bei einem an sich gesunden Menschen unbemerkt herbeiführbar, indem man z.B. für extreme Zuckerschwankungen sorgt. Das wäre möglich, wenn man z.B. das Leitungswasser der Zielperson mit extremen Mengen von wasserlöslichen Fettsäuren durchsetzt. Das schmeckt man nicht und das merkt man nicht, aber das bringt den Zuckerhaushalt enorm durcheinander und lässt die Risiken an diversen schweren Krankheiten zu erkranken deutlich steigen (Diabetes, metabolisches Syndrom, Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs etc.). Es gibt ein Buch von einem Neurologen dazu "Das Hypoglykämiesyndrom" – leider sehr schwer zu bekommen. Dort findet man sogar eine Reihe von Medikamenten, die in der Nebenwirkung Unterzuckerungszustände auslösen können. Darunter sind Antidepressiva (z.B. Doxepin) und auch Blutdrucksenker oder sogar Antibiotika. Die Möglichkeiten, einem Menschen so hässliche Unterzuckerungssymptome bis hin zum Tod zu bereiten sind also vielfältig und – wenn man dann noch unter dem Deckmantel eines Geheimdienstes agieren könnte- durchaus nicht übermäßig schwierig durchführbar. Das würde natürlich erklären, warum Herr Kutschaty nicht möchte, dass ein Untersuchungsausschuss einen Blick in das toxikologische Gutachten wirft. Man könnte z.B. ungewöhnliche Konzentrationen von Insulin und/oder Fett bzw. Cholesterin finden, die durchaus einen Mord nahe legen würden.