Religionsschule Waldorfschule: ein „Umkreisen Gottes“

Armillarsphaere Foto: Felix Steger Lizenz: PD

Bei den Ruhrbaronen streitet man darüber, ob es an öffentlichen Schulen bekenntnisorientierten Religionsunterricht geben sollte. An den Waldorfschulen gibt es ihn – als Ablenkungsmanöver von der alles durchdringenden religiösen Prägung durch die Anthroposophie. Von Andreas Lichte.

Der Erziehungswissenschaftler Prof. Klaus Prange schreibt in seinem Standardwerk „Erziehung zur Anthroposophie – Darstellung und Kritik der Waldorfpädagogik”: „Die Anthroposophie braucht in der Tat nicht [in den Unterricht der Waldorfschule] hineingetragen zu werden, sie ist immer schon da.”

Schwieriger wird es, will man die Religion Anthroposophie auch als solche erkennen, Prange führt aus: „In der Tat entsteht aus der Differenz von allgemeiner öffentlicher Präsentation, die sich der üblichen Vokabeln und Formeln bedient, und dem, was eigentlich damit gemeint ist, der Eindruck, man habe es bei der anthroposophischen Pädagogik mit einer Art Mogelpackung zu tun, die ein sehr eigenwilliges Produkt in einer geläufigen und höchst normalen Verpackung an den Mann zu bringen versucht.“

Zur Illustration der „Mogelpackung Waldorfpädagogik“ ein Beispiel aus der Praxis meiner Ausbildung zum Waldorflehrer – der „Lehrer“ ist ein Gastdozent am „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“:

„Ein letztes Mal quietscht die Kreide über die Tafel. Der Lehrer steht bewundernd vor seiner vollendeten Unendlichkeitskonstruktion. Den Kreidestaub aus seiner Aura und seinem modischen Jackett klopfend, holt er nun zur Offenbarung letzter Wahrheiten aus: »Sie sehen, der Mensch besitzt die Fähigkeit zur Erkenntnis des Unendlichen, des Göttlichen…« Das Fach: Mathematik, genauer: »darstellende Geometrie«.”

Die „normale Verpackung“ ist „Mathematik“, das „eigenwillige Produkt“ die Religion Anthroposophie. Lothar Steinmann, Leiter des „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“, schreibt dazu in einer e-Mail an Pfarrer Thomas Gandow, Beauftragter für Sektenfragen der Evangelischen Kirche:

„Die Begegnung mit der Unendlichkeit ist für Schüler, wenn sie denn stattfindet, immer auch die Begegnung mit einer neuen Dimension. Das vermeintlich Abstrakte verdichtet sich zu einem Erlebnis, dass eine andere, vielleicht transzendente Seinsebene ahnen lässt. Geometrie ist in diesem Sinne immer auch Begegnung mit dem Unendlichen. Ich fasse das als eine Art »Umkreisen Gottes« auf, benutze damit einmal ein Ihnen geläufiges Vokabular, und wünsche mir in diesem Unterricht, wenn es denn gelingt, eine Art religiöser Stimmung, bei der Richtungen, Ismen und Konfessionen keine Rolle spielen.“

Ein weltanschaulich neutrales „Umkreisen Gottes“? Hier klingt das anthroposophische Selbstverständnis an, „Wissenschaft“ sein zu wollen: Rudolf Steiners irreführende Bezeichnung für die Religion Anthroposophie ist „Geisteswissenschaft“. Lothar Steinmann kann aber auch deutlicher werden, so sagt er an die zukünftigen Waldorflehrer gerichtet: „Sie werden die Welt mit anderen Augen sehen … Zweck unseres Zusammenseins ist Rudolf Steiner.”

In der Waldorfschule sind alle Fächer von Rudolf Steiners Religion Anthroposophie geprägt, hier nur noch ein weiteres Beispiel aus einem Gebiet, wo man im 21igsten Jahrhundert eigentlich keine Religion erwarten würde:

„Im Fach «Himmelskunde« hantiert ein anderer Lehrer mit einer Antiquität: einer »Armillarsphäre«. Das ist ein Modell des geozentrischen Weltbildes, in dem die Erde Mittelpunkt des Universums ist. Er will den Schülern den Himmel auf »natürliche Weise« nahe bringen, »so wie der Mensch ihn erlebt«. Warum? Der Lehrer erläutert es mit einem Schiller-Zitat: »Es knüpft dein Zenit und Nadir dich an die Achse der Welt …«, »das bringt eine moralische Dimension«. Leider lösen Moral und Schiller bei den Schülern nur Erstaunen aus, deshalb erklärt er dasselbe noch einmal, diesmal zum Anfassen: »Das Zentrum der Welt ist in meinen Füßen, das Zentrum der Welt ist in meiner Haarspitze. Sie sind immer das Zentrum … ein erbauender Gedanke! Der Mensch, sein Ich, steht im Zentrum der Welt: Ich bin Gott …«“

In der „Himmelskunde“ lässt der Dozent erahnen – und bewusst offen! – welch bedeutende Rolle der Mensch in der Anthroposophie hat, hier im Schnelldurchlauf:

„Anthroposophie“ heißt übersetzt „Weisheit vom Menschen“. In der Anthroposophie ist alles „Mensch“, auch die Natur ist vom Menschen „durchgeistigt“. Der Mensch ist Beginn und Ende der Welt.
Rudolf Steiner stellt Darwins Evolutionslehre auf den Kopf und zugleich in den Rahmen einer kosmischen Geschichtsschau: Der Mensch steht am Anfang. Aus ihm heraus haben sich die Tiere entwickelt, sind Spezialisierungen, Vereinseitigungen menschlicher Eigenschaften. Und zugleich ist „der Mensch“ auch Ziel des ganzen Entwicklungsgeschehens. Aufgrund „höherer Notwendigkeiten“ steigt er als rein geistiges Wesen in die materielle Welt hinab, um sich – und damit auch die „geistige Welt“ – im Verlaufe vieler Reinkarnationen zu perfektionieren.

Der selbsternannter Hellseher Rudolf Steiner behauptete, in der „Akasha-Chronik“, einem „Geistigen Weltengedächtnis“ im „Äther“lesen zu können. Laut Steiners übersinnlichen Erkenntnissen vollzieht sich die „Menschheitsentwickelung“ nacheinander auf sieben „Planeten“: Saturn, Sonne, Mond, Erde, Jupiter, Venus, Vulkan.

Zurzeit befindet sich die Menschheit auf der Erde. Die Erdentwicklung begann mit einer „polarischen“ und „hyperboräischen“ Zeit, es folgten „Lemurier“ und „Atlantier“, Zitat Rudolf Steiner, „Aus der Akasha-Chronik“: „Und von einem kleinen Teil [der Atlantier] stammen die so genannten Arier ab, zu denen unsere gegenwärtige Kulturmenschheit gehört.“

„Arier“ benutzt Steiner synonym zu „Europäer“, andere Kulturen und Völker spielen keine entscheidende Rolle – wie sollten sie auch, wurden sie doch „zu verkümmerten Menschen, deren Nachkommen heute noch als so genannte wilde Völker gewisse Teile der Welt bewohnen.“ (ebd.)

Zu abgehoben? Wo bleibt die Praxis? In der Waldorfschule wird auch „Atlantis“ – als Geburtsstätte der „Arier“ – unterrichtet. Noch nie davon gehört? Manche Eltern auch nicht, siehe das Feature des SWR, „Betrifft: Wie gut sind Waldorfschulen?“:

„O-Ton Mutter: »Also ich bin noch nie über irgendwelche Inhalte gestolpert, die mich irritiert hätten, ist mir nicht passiert.«

SWR: »Aber uns. Als wir in Julias alten Epochenheften graben, finden wir ein Geschichtsheft, das doch tatsächlich mit der Beschreibung von Atlantis beginnt …«“

Wenn es richtig „waldörflich“ sein soll, zitiert man hier am besten Goethe: „Den Teufel spürt das Völkchen nie, // und wenn er sie beim Kragen hätte.“ Anders gesagt: Die beste Missionierung ist die, die man gar nicht erst bemerkt.

 Weiterführende Artikel der Ruhrbarone:

Waldorflehrer werden! – am „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“ Erfahrungsbericht über die Ausbildung zum Waldorflehrer

Waldorfschule: Curriculum und Karma – das anthroposophische Erziehungsmodell Rudolf Steiners – von Prof. Dr. Klaus Prange, Erziehungswissenschaftler, Überblicksdarstellung der Waldorfpädagogik

Waldorfschule: Prof. Peter Loebell verkauft Rudolf Steiners Jahrsiebte – über den esoterischen Ursprung der „Jahrsiebte“ und das falsche Etikett „Wissenschaft“

3 Jahre Rudolf Steiner ist „zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend anzusehen“ die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM) entschied, dass Bücher Rudolf Steiners rassistischen Inhalt haben

Waldorfschule: „Man kann nicht nur ein »bisschen« Waldorf sein“, Interview mit Prof. Dr. Stefan T. Hopmann, Bildungswissenschaftler an der Universität Wien

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Ex-steiner
Ex-steiner
12 Jahre zuvor

Guter Artikel. Klare Aussage. Die Waldorfschule braucht im Grunde keine separate anthroposophische religiöse Erziehung, weil die Lehre Rudolf Steiners durchdringt überall.

Mathematisch ausgedrückt: Anthroposophische Religion + Waldorfschule = Anthroposophie Quadrat 🙂

Nachrichten aus der Welt der Anthroposophie

In Band 150 seiner „geistigen Schauungen“ erklärt der okkulte „Meister“ Rudolf Steiner seinen Hörigen („Anthroposophen“):

„Unser Zeitalter wünscht, unbewußt natürlich, die Kinder so zu erziehen, daß Ahriman möglichst stark in der Menschenseele kultiviert werden kann. Und wenn wir heute die gangbaren Erziehungsmethoden durchnehmen, so sagen wir uns als Okkultisten: Diese Leute, die diese Erziehungsmethoden vertreten, sind nur Stümper.“ (S. 17 f.)

Damit sind Erziehungswissenschaftler und Lehrer gemeint, die eine akademische Ausbildung haben und ihrem Lehrauftrag nachkommen. Sogenannte „Waldorfpädagogen“ sind dagegen Sektenpriester, die der wissenschaftlichen Entzauberung der Welt nach Kräften entgegenwirken sollen. Und das natürlich fächerübergreifend, „ganzheitlich“, absolut.

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[…] Artikel ist zuerst bei den Ruhrbaronen erschienen. Tags »   Antisemitismus, Rudolf Steiner, Waldorfschulen « […]

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[…] Andreas Lichte, zuerst veröffentlicht bei den Ruhrbaronen Vortragsplakat von Rudolf Steiner aus dem Jahre 1917 […]

Marsupilami
Marsupilami
12 Jahre zuvor

@ Sekten-Vorwurf

Die Waldorfschule ist alternativ,

und alternativ ist gut,

also ist die Waldorfschule gut.

so einfach geht das mit dem „Sektenvorwurf“. Bei den alternativen Spiessern interessiert doch keinen, daß Rudolf Steiner ein Scharlatan und glühender Rassist war.

trackback

[…] Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart vom Anthroposophen Emil Molt, Besitzer der „Waldorf-Astoria“-Zigarettenfabrik, als Betriebsschule gegründet. Molt beauftragte Rudolf Steiner mit der pädagogische Leitung der neuen „Waldorf“-Schule. Die Waldorfschule war für Rudolf Steiner (1861–1925) von Beginn an ein wirksames Instrument zur Verbreitung der von ihm begründeten esoterischen Weltanschauung Anthroposophie. […]

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[…] Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart vom Anthroposophen Emil Molt, Besitzer der „Waldorf-Astoria“-Zigarettenfabrik, als Betriebsschule gegründet. Molt beauftragte Rudolf Steiner mit der pädagogische Leitung der neuen „Waldorf“-Schule. Die Waldorfschule war für Rudolf Steiner (1861–1925) von Beginn an ein wirksames Instrument zur Verbreitung der von ihm begründeten esoterischen Weltanschauung Anthroposophie. […]

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