Heute wurde Oliver Wittke als Nachfolger von Norbert Lammert zum Chef der CDU-Ruhr gewählt. Im Sommer habe ich ihn in Düsseldorf interviewt.
Oliver Wittke Foto: Görges
?: Im Ruhrgebiet staut sich der Verkehr – auch Oliver Wittke konnte daran bis jetzt nichts ändern. Was halten Sie von diesem Satz?
Oliver Wittke: Nichts, weil er nicht stimmt. Autobahnbau ist ein langfristiges Geschäft, aber wir sind in den vergangenen Jahren deutlich weitergekommen. Die Blockade-Politik von Rot-Grün ist zu Ende und wir drängen beim Bund auf den Ausbau von Bundesstraßen und Autobahnen. Der dreispurige Ausbau der A 40 hat auf Bochumer Gebiet begonnen, aber auch in Dortmund müssen wir ihn vorantreiben, denn die B1 ist ein Nadelöhr.
?: Ein anderes Nadelöhr ist die B 224 – sie kann den Ausbau der A 52 zwischen Gelsenkirchen-Buer und Essen-Ost nicht ersetzen.
Wittke: Der Ausbau der A 52 muss kommen und ich bin mir sicher, dass wir noch in diesem Jahrzehnt den ersten Spatenstich
für den Ausbau zwischen Gladbeck und Bottrop erleben werden.
?: Gladbeck wehrt sich mit Händen und Füssen gegen den Ausbau und verlangt einen Autobahntunnel im Bereich seiner Innenstadt.
Wittke: Gladbeck und der Bund müssen sich aufeinander zubewegen und ich bin gerne bereit, mich für eine Tunnellösung beim Bund einzusetzen, doch der will sie nicht bezahlen. Aber klar ist auch, dass jede Lösung besser ist als der Ist-Zustand. Der
Verkehr wird zunehmen. Wenn auf der B 224 Stau ist, weicht er heute schon auf die Gladbecker Innenstadt aus. Das ist nicht
zumutbar.
?: Im Kulturhauptstadt-Jahr 2010 hofft das Ruhrgebiet auf zahlreiche Besucher, ist aber im Öffentlichen Personen-Nahverkehr extrem schlecht aufgestellt. Das Angebot ist schlecht und teuer. Blamiert sich das Ruhrgebiet?
Wittke: Es gibt objektive Schwierigkeiten und es gibt hausgemachte Probleme. Im Gegensatz zu anderen Metropolen verfügt
das Ruhrgebiet nicht über den einen Kern, auf den alles zuläuft, wie Berlin, Paris oder London oder auch Städte wie München
oder Frankfurt. Das Ruhrgebiet ist polyzentrisch: Es gibt große Zentren wie Dortmund, Duisburg und Essen und mittelgroße
wie Bochum, Gelsenkirchen oder Oberhausen. Das ist ein objektives Problem. Ein anderes ist: Es gibt nicht den einen, für den
Nahverkehr zuständigen Dezernenten und nicht das eine, für das ganze Ruhrgebiet zuständige Nahverkehrsunternehmen.
?: Und die hausgemachten Probleme?
Wittke: Die Bereitschaft zur Kooperation zwischen den Städten und ihren Nahverkehrsunternehmen ist weit unterentwickelt. Es
gibt zwar erste erfolgreiche Einkaufsgemeinschaften von Nahverkehrsbetrieben, aber das reicht nicht aus. Wir haben zwar den
VRR, der versucht im Rahmen seiner Möglichkeiten etwas zu bewegen, aber immer wieder an den Stadtgrenzen und an den
Eitelkeiten der Verantwortlichen scheitert. Das fängt schon bei der Frage an: Braucht jede Stadt einen eigenen Hauptbahnhof?
Ich sag jetzt mal was Böses: Der Hauptbahnhof von Herne ist Bochum und der von Gelsenkirchen ist Essen.
?: Hätten Sie das als Oberbürgermeister von Gelsenkirchen auch gesagt?
Wittke: Das hätte ich damals nicht gesagt, aber wenn man es objektiv betrachtet, ist das so. Die Städte brauchen natürlich Bahnhöfe, aber es reichen Nahverkehrsbahnhöfe mit guten Regionalexpress-Anbindungen, so wie es in vielen Berliner Stadtteilen auch der Fall ist. Im Moment kämpft jedoch jeder Bürgermeister darum, möglicht viele ICE-Verbindungen zu haben – nur die werden ja von den Bürgern selten genutzt. Man kann den Bürgern durchaus zumuten, wenn sie einen ICE benutzen wollen, in die Nachbarstadt zu fahren, die ja woanders gar nicht Nachbarstadt wäre. Wir brauchen weniger prestigeträchtige ICE-Haltepunkte, aber einen insgesamt besseren Nahverkehr.
?: Warum haben wir den nicht?
Wittke: Es ist natürlich auch nicht hilfreich, dass fast jede Stadt sich ihre eigene Nahverkehrsgesellschaft leistet. Die Effizienz
und auch die Bürgernähe könnten deutlich steigen, wenn es eine Nahverkehrsgesellschaft für das ganze Ruhrgebiet gäbe. Aber das müssen die Städte tun. Da, wo wir Landesgelder vergeben, geben wir effizientere Strukturen vor. Es wird bald nur noch drei Verkehrsverbünde in NRW geben.
?: Schön, aber was nutzt das dem, der mit dem Nahverkehr von Gladbeck nach Dortmund will?
Wittke: Dem wird der Rhein-Ruhr-Express von Dortmund nach Köln etwas bringen. Da errichten wir mit leistungsfähigen Zügen und einer verbesserten Taktung eine Korsettstange für den Nahverkehr, auf den die Städte ihren Nahverkehr ausrichten müssen.
?: Und wenn die Städte sich nicht nach dem Korsett richten und ihre Streckenplanungen nicht neu ausrichten?
Wittke: Das werden sie tun, denn es ist im Interesse der Kunden.
?: Das scheint die Städte aber nicht zu interessieren: Gladbeck beispielsweise ist besser an Recklinghausen und Gelsenkirchen angebunden als an Essen, da lässt man städteübergreifende Buslinien durch die Vororte juckeln, obwohl Essen Gladbecks Oberzentrum ist.
Wittke: So etwas würde sich ändern, wenn es eine Nahverkehrsgesellschaft für das ganze Ruhrgebiet gäbe, aber ich kann nicht auch noch die Planung für den Busverkehr übernehmen. Da sind die Städte in der Verantwortung und müssen sich an der neuen Magistrale ausrichten.
?: Der Nahverkehr gewinnt als Standort-Faktor mit der Benzinpreis-Erhöhung an Bedeutung. Bayern zwingt die Bahnverkehrsgesellschaften zur Kooperation – ohne Kooperation und Abstimmung kein Geld vom Land.
Wittke: Ich bin ein großer Verfechter der kommunalen Selbstverwaltung. Die Städte müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Bayern ist da zentralistischer…
?:…aber erfolgreicher als NRW!
Wittke: Wir haben in NRW eine andere Tradition und Struktur. Bayern hat ein Zentrum und ein paar, nach unseren Maßstäben, kleine Großstädte. Da wird alles auf München ausgerichtet und dann passt das. In NRW geht so etwas nicht. Übrigens funktioniert die Kooperation in anderen Landesteilen. In Aachen sind Stadt und Kreis sehr eng zusammen gerückt, weil sie eingesehen haben, dass sie gemeinsam stärker sind als alleine.
?: Warum funktioniert so etwas im Ruhrgebiet nicht? Hier kooperieren die Städte in der Regel doch nur auf dem kleinsten, gemeinsamen Nenner.
Wittke: Ich habe die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Politiker endlich verstehen, dass das Ruhrgebiet nur wieder stark werden kann, wenn es sich einigt. Da müssen die Langemeyers dieser Welt ein Stück ihrer Eitelkeit zurücknehmen. Die Frage ist doch: Wie kann ich die Region stark machen, damit es meiner Stadt besser geht, oder auch, wie können die starken Städte vom Ruhrgebiet profitieren – aber nur an die eigene Stadt zu denken, nutzt doch niemanden, zu allerletzt der eigenen Kommune.
?: Was kann das Land tun?
Wittke: Von der Landesebene aus können wir die Strukturen schaffen, die es dem Ruhrgebiet ermöglichen, sich selbst zu helfen.
Ab Herbst kommenden Jahres kann die Region wieder für sich selbst planen. Das ist ein historischer Schritt – wir geben dem Ruhrgebiet ein großes Stück der Unabhängigkeit wieder, die ihm von den Sozialdemokraten genommen wurde. Der Regionalverband Ruhr (RVR) wird große Teile der Kompetenzen der Regierungsbezirke übernehmen – von der Regionalplanung über die Sportstättenplanung bis zur Schulenentwicklungsplanung wird das Ruhrparlament, die Regionalversammlung des RVR, künftig die Geschicke des Ruhrgebiets bestimmen. Und das ist nur der erste Schritt einer großen Verwaltungsreform in NRW.
?: Was sind die weiteren Schritte?
Wittke: Am Ende dieses Prozesses werden drei Landschaftsverbände die neue Mittelinstanz im Land bilden und die Aufgaben der alten Bezirksregierungen auf diese Landschaftsverbände übertragen. Auch da werden die Städte und Bürger einen größeren Einfluss haben als heute. Wir werden von den Bürgern gewählte Parlamente auf regionaler Ebene haben und auch einen gewählten Repräsentanten. Es wird eine bürgernahe Struktur werden und keine obrigkeitsstaatliche.
?: Aber innerhalb der Koalition gibt es Widerstände. Gerhard Papke, der Fraktionsvorsitzende der FDP ,hat erklärt, das Thema Verwaltungsreform habe sich erledigt.
Wittke: Das ist ein wenig so wie mit Familienangehörigen. Ich möchte nicht jede Bemerkung meines Sohnes kommentieren und
ich will auch nicht jede Bemerkung irgendeines Politikers kommentieren.
?: Es gibt aber auch Widerstand in Ihrer Partei: Vor allem in Westfalen ist die Begeisterung für die Verwaltungsreform eher gering ausgeprägt – hat dort die CDU nicht ihre Hochburgen?
Wittke: Es gibt im Ruhrgebiet mehr CDU-Wähler als im Münsterland und wir brauchen, wenn wir die Wahlen gewinnen wollen, jede Stimme. Aus Rücksicht auf das Münsterland das Ruhrgebiet aufzugeben wäre auch aus wahltaktischen Gesichtspunkten Unsinn. Wir müssen eine Politik für das ganze Land machen – und auch im ganzen Land die Wähler überzeugen. Außerdem haben wir in der CDU klare Beschlüsse und die gelten für mich ebenso wie der Koalitionsvertrag, in dem die Verwaltungsstrukturreform vereinbart wurde.
[…] Nachfolgerwurde, hatte ich ein gutes Gefühl: Schon in seiner Zeit als Oberbürgermeister von Gelsenkirchen stritt Wittke für das Ruhrgebiet. Die Legende sagt, dass er zusammen mit dem WAZ-Chef und heutigem Vorwärts-Chefredakteur Uwe Knüpfer und dem damaligen Oberhausens Burkhard Drescher die Idee der Ruhrstadt prägte und medial wieder ins Spiel brachte. Wittke würde, das war allen klar, Lammerts Arbeit fortsetzen – mit einem eigenen, anderen Stil aber ebenso kraftvoll und engagiert. […]