Wen soziale Herkunft, Schule oder andere Anstalten ohnehin gründlich deklassiert oder verblödet haben, der gibt sich heute vor dem Fernseher anstandslos gern selbst den Rest. Wem nichts mehr dämmern will, der dämmert elend vor sich hin und glotzt „Helena Fürst. Anwältin der Armen“ und „Hör mal, wer da hämmert“, und merkt kaum noch, dass der da Behämmerte er selber ist. Oder lässt sich locken vom „Großen Film“, vom „Eventkino“ oder Free-TV-Premieren“. Ausgelutschte Gebrauchtstreifen allesamt, zigfach verwertet, flott umetikettiert zu „Top-Spielfilmen“.
Pausen? Von was?
Mit dem erstotterten Superlativ „Filmfilm“ brezelte man vor nicht allzu langer Zeit Blockbuster-Veteranen auf, um uns zugleich den toten Bären draufzubinden, im vermeintlichen Doppelpracht-Schinken wäre unvermutet bester 5-Sterne-Film versteckt. Tatsächlich aber hatte man nichts getan, als verstaubten Stoff bloß ungeniert zu strecken: mit jeder Menge Zusatz-Werbung. So bekam das komatöse Publikum, was es verdiente: Statt Sinnen-Rausch gab’s einschläfernd sinnfreies Rauschen.
Und heute? SAT.1 z.B. (einst „powered by emotion“) bringt es am kommenden Mittwoch fertig, die angerostete Kostümklamotte „Ritter aus Leidenschaft“ mit sogenannten Werbepausen eine gute halbe Stunde von 126 auf 160 Minuten Sendezeit aufzublasen: ein Zwitter wird‘s, der Leiden schafft.
Eingeschaltet? Ausgeschaltet.
Wer sich das gefallen lässt, obwohl’s ihm nicht gefällt, droht, vom Mittelsch(l)icht- endgültig ins Unterschichtenfernsehen abzustürzen, wird voraussichtlich nie mehr hochkommen, mit dem Arsch nicht und mit dem Hirn, total anästhetisiert im Sofa aus dem Sozialkaufhaus oder meinetwegen auch von Rolf Benz. Zugedröhnt vom Privatfernsehen, der Massen-Kirche der Heiligen Einfalt, jeder Sendemast ein hohl-tönender Glockenturm zu Sancta Simplicitas. Jeder Zuschauer ein Opfer mehr der televisionären Betäubungsmittelindustrie. Junkfilm-Junkie halt.
Kein Film stirbt für sich allein
Aber nicht nur jeder einzelne TV-Schuss für sich macht Dummies dümmer. Uns schafft vor allem das große Film-Flimmern im Zusammenhang ausgeklügelter Programmstrukturen. Was man auch einschaltet: Andauernd wird das digitale Paradies jenseits allen Sendeschlusses versprochen, tatsächlich aber nimmt nichts als die tägliche HDTV-Hölle Gestalt an. Fernsehen, garantiert „hochauflösend“: In der Tat, wir waren gewarnt.
Nicht nur die Rohrkrepierer der Werbeindustrie schlägt man uns unzählige Male um Ohren und Augen („Autsch. Ein Indianer kennt keinen Schmerz“), unablässig werden auch jene Filme angepriesen, die wir nie als Ganzes, als Ganzheit sehen sollen, nie werden sehen dürfen, jedenfalls nicht im Fernsehen. Schon deshalb, weil bei der Ausstrahlung Film um Film wiederum gnadenlos zerbröselt wird – und zugemüllt mit Werbeschrott sowie reißerischen Demnächst-in-diesem-Theater-Mantras zum nächsten abgetakelten Melodram. Ein quasi religiöser Vorgang: Heilsbringend heile Filme werden immer wieder annonciert, ihre Ankunft aber bleibt aus. Jeder einzelne Film wird stattdessen medial erbrochen in Dutzenden Splatter-Splittern. Und ist nicht einmal wiederzubeleben durch das mittlerweile gängige Zurückspulen des Films nach der Werbepause; eine Lebenszeit fressende Idiotenroutine für jene Zuschauer, die tatsächlich vergessen haben sollten, an welcher Stelle sie zuvor aus dem Film geschmissen wurden.
Augenwischer-Hirnwäscher
Da muss es Menschen geben bei den Sendern (oder sind es Roboter?), die legen fest, wie oft wie lange welcher Film an welcher Stelle ununterbrochen unterbrochen werden soll. (Es muss Sachverständigen-Gutachten dazu geben, ab wann der Zuschauer das brutale Zerstückeln seines Wunsch-Films nicht mehr hinnimmt, also wegswitcht oder das Gerät wider Erwarten abschaltet, wenn nicht – nun selbst Amok laufend – zertrümmert.) Bis an diese Grenze werden sie gehen und dann – nach der Landnahme – die Grenze verlegen.
Vieles deutet darauf hin, dass Sender längst versuchen, Film und Werbung schnellstmöglich im Verhältnis 3:1 zu panschen. Feiertags scheinen sie’s schon an uns Versuchsratten im Wohnzimmerkäfig zu erproben. Insbesondere aber leblose Live-Übertragungen vom Boxen lassen wirklich ahnen, wohin die Reise geht. Irgendwann wird die Summe der Werbepausen jeden Inhalt (Inhalt?) überwuchern. Dann wird es keine Werbepausen mehr geben, sondern nur noch minutenkurze Filmpausen von der Werbe-Endlosschleife. Kleine Filmschnipsel im Meer der Commercials und Claims. Zwischen lautstarkem Werbewummern darf dann Roland Emmerichs Urzeitechse Godzilla jäh auftauchen, krakeelen und – Nine-Eleven zum Trotz – aus Manhattan immer wieder Kleinholz machen, zum tausendsten Mal. Davor und danach werben Billigstflieger („Fly and die“) unerbittlich mit dem Spot: Besuchen Sie Amerika, solange es noch steht.
Und nicht viel später werden sich alle Seh-Grenzen vollends verwischt haben und niemand weiß mehr: Schaue ich noch überhandnehmendes Product-Placement in Hollywood-Kitsch oder erzählt mir da ein neuer Werbespot von Spike Lee unverhofft endlich eine kleine Geschichte am Stück, kunstvoll geschnitten und in den schönsten Farben? Vielleicht wird sie von einem Underdog handeln, mittendrin im Schüchterner-Held-rettet-die-Welt-Plot, sponsored by Hugo Boss („Your fragrance, your rules“). Eine Geschichte also, die mich tatsächlich für einen kurzen Moment fiebern lässt, ich wäre einmal im richtigen Leben doch nicht im falschen Film.
Ja, Gerd, die Sendeanstalten entwickeln sich für anspruchsvolle Zuschauer in den geistigen Abgrund. Wenn Du schreibst: „Wer sich das gefallen lässt, obwohl’s ihm nicht gefällt, droht, vom Mittelsch(l)icht- endgültig ins Unterschichtenfernsehen abzustürzen, wird voraussichtlich nie mehr hochkommen, mit dem Arsch nicht und mit dem Hirn“, entspricht das auch meinem Gefühl, obwohl ich glaube, daß es eine kleine Zahl von Menschen geben wird, die den Weg zurück findet.
Mein Lieblingscartoonist Touche von der TAZ läßt einen Karnevalisten, der mitten im Satz“ Wenns unter der Nase juckt und kracht, dann is wieder Fassenacht“ tot aus der Bütt fällt, stirbt, und direkt in die Hölle kommt, zu Goethe stecken, als Strafe für Faust eins, die der immer noch absitzen muß.
Da stellt sich mir die Frage, ob die Sendeanstalten so etwas wie eine Vorwegnahme solcher gemeinen Strafen sein könnten, ob sie quasi so eine Art Dependance der jenseitigen Einrichtung sein könnten.
Wen die Werbung so stört, dem empfehle ich sich Pay TV zuzulegen oder einfach nicht einzuschalten statt hier möchtegern intellektuell über Werbung im Privat Fernsehen zu jammern…
(bei mir steht zwischen dem Artikel und den Kommentaren übrigens eine Werbung für Pay TV… wie war das gleich mit dem „überhandnehmendes Product-Placement“)
Das liest sich so..als wäre man diesem Medium hilflos ausgeliefert und der Art und Weise, wie es nun mal vermarktet wird.
Das sehe ich nicht so..
Wenn man einen guten Film oder gute Serien schauen will, gibt es bessere werbefreie Alternativen und über den Rest muß man sich ja gar nicht aufregen, wenn er denn so schlecht ist … bleibt der Fernseher eben aus.
🙂
Ich habe seit Ewigkeiten keinen mehr angemacht und es lebt sich prima so..
Und mal abgesehen von der Art und Weise, wie die Sendeanstalten jeden Film „zerstören“…
WAS gezeigt wird…das will die Mehrheit in Deutschland ja wohl sehen…sonst wäre es ganz schnell wieder aus dem Programm und das finde ich viel bedenklicher :O)
Wenn man sich das Nachmittagsprogramm so anschaut, das seit Jahrzehnten vollgestopft ist mit Talkshows , Gerichtsshows…etc. dann weiß man, wer vor dem Fernseher sitzt und da werden die vielen Werbepausen sicherlich sinnvoll genutzt und sich ne Kippe gedreht oder mal kurz mit dem Hund um den Block gelaufen …
Und die wenigen,die das stört…da kenne ich niemanden ,der sich das weiter antut und dann leiht man sich eben einen guten Film aus und ist zufrieden..
bzw. dann hat man auch den Verstand sich generell eine bessere Beschäftigung zu suchen ..:D
Sich davorzusetzen und aufzuregen ist so müssig wie sich vom schlechten Wetter die gute Laune verderben zu lassen …
Gruß…;)
#1 Helmut: Ja, den Zynismus der Macher zu zeigen, Ihre Strategien, ihre Abrichtung der Zuschauer als Verbraucher-Geldquelle, das mal näher zu betrachten, darum ging’s.
Wir sind in der Lage um- und abzuschalten. Aber viele hatten keine Chance, einen Bildungshorizont zu entwickeln, der sie in die Lage versetzt, den ‚Verführungen‘ (Manipulationen) zu entkommen. Die sind eher ausgeliefert, und dabei zuzusehen, macht überhaupt keinen Spaß.
Ich habe mir Fernsehen, Auto und Lotto entzogen – ging ganz leicht. Jetzt, mit 62, habe ich besseres zu tun, als vor dem TV zu vergammeln. Was interessiert mich ein Medium, das vor allen Dingen über sich selbst berichtet? 300 € im Monat, für ein Auto? Spinne ich? Die Freiheit, hinzufahren, wohin ich will, mit Arbeit im Büro-Knast zahlen? Gesch….en! Das große Los Jackpot?. Die Chance, den gewinnenden Schein auf der Straße zu finden, ist nicht viel geringer. Da ist, Millionär zu werden durch meiner Hände Arbeit, wahrscheinlicher, obwohl schon fast unmöglich. Internet? Ohne das stünde hier keine Zeile. Obwohl man sich dadurch den Großen Bruder ins Haus holt und auch noch stolz ist, dafür zu zahlen.
Die Alternative? Ich will hier kein Oberstudienratsgewäsch absondern. Vielleicht: Jeder tue, was er will, nur DAS nicht.