Ein Großteil künstlerischer/kultureller Prozesse – das wissen und hoffen wir doch – entfaltet sich eben nicht wegen der Kulturförderung, ihrer Masterpläne und Visionen, sondern oft ohne oder sogar gegen sie. Und das ist auch gut so. Unterm Strich und nach aller Modernisierungs-Rhetorik ist klar: Wenn davon die Rede ist, die Stärken zu stärken, dann werden tatsächlich meist nur die Starken gestärkt. Sie werden zu Krisengewinnlern. Die Anderen? Modernisierungsverlierer, auch in Kunst und Kultur.
Primat der Ökonomie als Ökonomie der Primaten?
Die hoch verschuldeten, unter Kuratel und Haushaltsaufsicht stehenden Städte sahen und sehen sich in einer Notwehrsituation und suchen verzweifelt nach kulturpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten, nach dem Strohhalm, an den sie sich klammern könnten.
Doch dieselbe global-neoliberale Wirtschaftspolitik, die in ihren politischen/wirtschaftlichen/steuerlichen Konsequenzen auch die Städtefinanzen ruiniert, bietet dann zynisch nichts als Scheinlösungen an:
Kannibalistische Standortkonkurrenz (lokal, regional oder international), Vergünstigungen für Unternehmen um jeden Preis, Steuersenkungen, obszönes Sponsoring als Allheilmittel. Mit anderen Worten: Man liefert sich in Denken, Sprache, Handeln erneut dem Primat einer Ökonomie aus, das sich in seinen Folgen längst als Ökonomie von Primaten entpuppt hat.
Kein „Empört Euch“, nirgends
Wo immer mehr kulturelle Daseinsvorsorge als freiwillige Leistung der Kommunen weggekürzt werden muss (warum eigentlich: muss?), bleibt nur die Streichung oder Privatisierung kultureller Angebote und mit deren ökonomischen Zwängen dann auch der zunehmende Verzicht auf jede komplexe Ästhetik des Widerstands zugunsten sinnentleerter Oberflächen.
Auch im Kulturbereich wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer vehementer mit einer Sprache, mit Sprachhülsen, mit Weltanschauung operiert, die aus der Wirtschaft kamen, speziell der Unternehmensberatung (Potenziale, Ranking, Positionierung, neue Impulse geben …). Und im Rahmen der Ökonomisierung aller Lebensbereiche wurde auch die Kulturförderung und ihre Sprache konsequent mit ökonomischen Zielen und Vokabeln durchsetzt.
Dass diese Sprache überhaupt in der Lage sein soll, künstlerische und kulturelle Prozesse adäquat – also nicht verengt/beschränkt – zu beschreiben oder diese sogar anzuregen, möchte ich dagegen gerne vehement bestreiten.
Naiv hätte man nach dem Fiasko des Casino-Kapitalismus wunschdenken können, der Tanz ums neoliberal-goldene Kalb ginge zu Ende, seine Fetische hätten ausgedient.
Schließlich wurden auch die Lehman Brothers vor der Krise hoch gerankt und hatten selbst aufs Ranking gesetzt. Kurz nach der Krise las sich das dann ganz anders. US-Senator Henry Waksman z.B. warf nun ausgerechnet den namhaften US-Ranking-Agenturen Standard & Poor’s und Fitch Ratings unsaubere Geschäfte vor. Diese hätten tausende Aktien grundlos hoch bewertet. Das Vertrauen in Ranking Agenturen und ihre Rankings hatte also (vorübergehend) gründlich gelitten, seit klar war, dass sie durchaus auch interessegeleitet und mit Eigennutzabsichten ranken.
Und noch eines wurde in den letzten Jahren in Deutschland und global klar wie nie. Ausgerechnet die Banker und Lobbyisten, die immer vor staatlicher Steuerung und Subventionen warnten, riefen nun vehement nach dem Eingreifen des Staats und sind die größten Kredit-, Bürgschafts- und Subventionsempfänger, die man sich vorstellen kann, wenn man sich die verhandelten Beträge denn überhaupt noch vorstellen konnte.
Mehr Selbstbewusstsein bei Künstlern und Kulturarbeitern
Der Kunst und Kultur muss man dagegen endlich mehr Selbstbewusstsein empfehlen.
Ihre Subventionen sind vergleichsweise und de facto gering.
Eigentlich wäre nichts gegen einen Paradigmenwechsel zu sagen: Ab jetzt befrage also nicht mehr die Wirtschaft die Kultur auf ihre Kosten und ihren Nutzen, ihre gesellschaftliche Leistung und ihr Potenzial im Rahmen von „Standortkonkurrenz“, sondern umgekehrt: Die Kunst und Kultur befrage die Wirtschaft konsequent auf die Menschenwürdigkeit ihrer ökonomischen Praxis.
Vielleicht stehen wir wirklich am Scheideweg: Wollen wir bei Kunst und Kultur Stadtpolitik noch gestalten oder wird die Stadt mehr noch als bisher zur Beute steuerlich hochsubventionierter Unternehmen, die nur ihre Gewinne noch privatisieren, selten allerdings ihre Verluste. Selbst eine Loveparade ohne Katastrophe hätte den Steuerzahler über den Einsatz von Polizei, Feuerwehr, Zuarbeitern, versteckten und offenen Subventionen) enorm viel Geld gekostet. Übrig geblieben wäre im besten Fall etwas Imagegewinn für Duisburg, den finanziellen und Image-Reingewinn, den hätte McFit u.a. gehabt, über Werbeeinnahmen und die Werbewirkung fürs eigene Unternehmen.
So aber fielen lange Schatten auf die Kulturhauptstadt Europas 2010, Schatten auf eine Kulturpolitik, die sich vor allem der Kultur- als Wirtschafts-, Tourismusförderung, der Creative Economy und Politikrepräsentation verschrieben hatte und in deren Rahmen Künstler bestenfalls noch als Promi-Marke oder blasse Content Provider auftauchen.
„Möglichst jenseits demokratischer … Kontrollen“
Im Rahmen einer global sich zeigenden Festivalisierung der Stadtpolitik überrascht solches Vorgehen nicht, schließlich gab’s „City-Marketing“-Vorlaufmodelle zuhauf in Berlin, London und anderswo. Für alle Kultur-Kampagnen scheint eines zu gelten:
„Ein gemeinsames Merkmal dieser Strategie ist die Schaffung von Sonderorganisationen (…). Dazu werden die (angeblich, G.H.) engagiertesten und kreativsten Mitarbeiter in task-force-Organisationen zusammengefasst. Die anderen bleiben in der Linienverwaltung zurück. Damit wird die öffentliche Verwaltung qualitativ polarisiert in eine lahme für den Alltag und eine brillante für das große Ereignis. (…) Die Festivalisierung der Politik und ihre organisatorischen Konsequenzen führen zu einem Brain-drain des normalen politisch-administrativen Systems, der auch in neuen Positionen und besserer Entlohnung institutionalisiert wird. Die Sonderorganisation dient dazu, privatwirtschaftliche Management-Methoden, Erfolgsorientierung und all das, was gemeinhin mit ‚Professionalität‘ umschrieben wird, in der politischen Führungsebene zu verankern, und möglichst jenseits demokratischer und verwaltungsmäßiger Kontrollen (…).“
(Häußermann, Hartmut/ Siebel, Walter: Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik. Große Ereignisse in der Stadtpolitik. In: Festivalisierung der Stadtkultur. Stadtentwicklung durch große Projekte. Leviathan, Sonderheft 13/1993, S. 7-31. Westdeutscher Verlag, Opladen 1993)
(Den Spruch „Möchte was gründen. – Wer hat Ahnung?“ verdanke ich Michael Klaus, Satiriker; er verstarb völlig zu Unrecht 2008 in Gelsenkirchen-Buer.)
„Auch im Kulturbereich wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer vehementer mit einer Sprache, mit Sprachhülsen, mit Weltanschauung operiert, die aus der Wirtschaft kamen, speziell der Unternehmensberatung (Potenziale, Ranking, Positionierung, neue Impulse geben …). Und im Rahmen der Ökonomisierung aller Lebensbereiche wurde auch die Kulturförderung und ihre Sprache konsequent mit ökonomischen Zielen und Vokabeln durchsetzt.“
Lieber Gerd, dazu passt ein Fundstück aus der heutigen F.A.S.: die Phrasendreschmaschine, mein neues Lieblingsspielzeug:
https://www.luftpiraten.de/phrasendreschmaschine.html
Lieber Peter,
danke, habe ich mir eben angesehen. Ja, so sind sie. Als Ergänzung zu Deinem Tipp empfehle ich
„Die Phrasen-Dreschmaschine von Klaus Birkenhauer
Wie anderswo, aber witziger, wurde in Straelen festgestellt, daß die deutsche Sprache zumindest ein doppeltes Gesicht hat. So entstand die PHRASENDRESCHMASCHINE »aus der Wortspielhölle des Übersetzerkollegiums Straelen«. Drei Rädchen erlauben, auf der einen Seite »konservative«, auf der anderen »progressive« nichtssagende, aber tiefschürfend erscheinende Wortkombinationen herzustellen. (Alfred Grosser, Deutschland in Europa, 1998)
Klaus Birkenhauers PHRASEN-DRESCHMASCHINE besteht aus drei doppelseitigen Drehscheiben in einer Kartonhülle und generiert mühelos wirkungsvolle Formulierungen jeder politischen Couleur:
klassisch »konservativ / progressiv« (ISBN 3-89107-000-4 bzw. 978-3-89107-000-0)
»schwarz-rot-gold« für selbstbewußte MACHER- und aufgeklärte DURCHBLICKER-Typen (ISBN 3-89107-029-2 bzw. 978-3-89107-029-1)
Sie paßt wie ein Briefumschlag in jede Innentasche und läßt sich diskret unterm Rednerpult bedienen.
https://www.straelener-manuskripte.de/PDM/PDMindex.html
Disclaimer: Ich verdien‘ an dem Tipp nix! kenn den Mann auch nicht persönlich.
Wir – das Modern Dance Center in Dortmund – existieren im kommenden August 30 Jahre.
In der Zeit haben wir auf nahezu jeder Art von Unterstützung verzichten können. Wir sind in NRW oft kopiert worden. Meist offen und ohne Scham kamen die Gründer aus Essen, Bochum und Köln und haben gefragt, wie wir das machten. Und sie haben eine Antwort bekommen.
(lokal) Politiker habe ich nie gesehen. Unser Konzept, oder Teile davon, wurden trotzdem kopiert. Natürlich nicht frei finanziert: nein, meist mit erheblichen Subventionen. Auf dieser Art wurde zB erst eine blühende Step (tap dance) Szene kaputt gemacht, danach hat die Institution das Monopol und wurde lückenhaft zu ende demontiert.
Aber meine erste Frage lautet: welche frei finanzierte kulturelle Institutionen gibt es sonst so lange?