1. Soccer Poetry Slam Ruhr

Architektur DFB Museum Foto: Lucas Kaufmann Lizenz: CC BY-SA 4.0
Architektur DFB Museum Foto: Lucas Kaufmann Lizenz: CC BY-SA 4.0

Es scheint eine zwangsläufige Entwicklung zu sein, dass Unterschichtssubkulturen bei Ihrem Weg in den gesellschaftlichen Mainstream das aggressiv-subversive weggeschliffen wird und sie mit einem neuen Label versehen werden. So wird aus Graffiti dann Street Art und aus einer MC-Rap-Battle dann Poetry Slam,.

Während man sich für die Frühform noch irgendwie in Gefahr begab, Sprayer werden von der Polizei gejagt, Rapper tauchen in dunkle Keller ab, wo es nach Schweiß riecht, die Luft mehrfach ausgefurzt wurde und aus dem Stehgreif der Gegner noch ordentlich gedisst wird, ist Poetry Slam sowas wie die bürgerliche Nerd-Variante der Subkultur. Das Deutsche Fußball Museum lud zum ersten Soccer Poetry Slam Ruhr in seine Arena. Es liegt direkt am Dortmunder Hauptbahnhof also in einer Stadt die angeblich echte Liebe für den Fußball empfindet. In der Ausstellung war ich noch nicht, denn obwohl im Ruhrgebiet geboren, aufgewachsen und dortgeblieben, interessiere ich mich nicht für Fußball, sondern nur für den BVB. Während ich so drauf warte das es los geht, schweiften meine Gedanken ab in meine Kindheit in Wattenscheid als Sohn eines Maschinenschlossermeisters aus Gelsenkirchen der im Fußball nur Schalke kannte. Bei Heimspielen ging mein Vater ins Parkstadion. Auswärtsspiele besuchte er nur in Bochum und Dortmund.

Das hieß an Samstagen entweder auf meinen Vater warten und gemeinsam Sportschau gucken (Heim) oder die WDR Konferenz im Radio hören (Auswärts). Nach Heimspielen gab es je nach Spielergebnis standardisierte Schimpftriaden. Bei Schalker Heimsiegen war der Standardspruch: „Die haben wieder eine Scheiße gespielt, aber wenigstens gewonnen.“ Ein Unentschieden: „Die haben wieder eine Scheiße gespielt, aber wenigstens einen Punkt geholt.“ Heimniederlagen wurden mit einem Furor kommentiert: „Die Krampen, die haben wieder eine Scheiße gespielt, da geh ich nie wieder hin, die können mich mal…“. Unnötig zu erwähnen, dass dies stets ein leere Drohung war. Nach Siegen gab mein Vater mir und meinen kleinen Bruder 50 Pfennig für ein Dolomiti von der Bude. Derbysiege waren ihm ein Cornetto Erdbeer wert. Zum Start erklärt der Moderator Sebastian23 die Regeln. Es gibt sechs Teilnehmer diese wurden paarweise im Losververfahren zusammengeführt und eine Jury aus drei ehemaligen Bundesligaspielen, Ingo Anderbrügge, Thomas Ernst und Patrick Owomoyela und zwei Zuschauern halten Tafeln mit Nummer (1 -10) hoch. Niedrigste und höchste Punkte werden gestrichen und der Rest zu einer Wertung addiert. Sebastian23, ist einer der Könner der Poetry Slam Zunft. Hier moderiert einer der es kann, der mehrfache deutschsprachige Meister im Poetry Slam und der Cheftrainer der Poetry Slam-Szene im Ruhrgebiet, wobei ihm, wie er selber betont, sein Philosophiestudium geholfen hat. Das könnte also ein witziger Abend werden. Es kommt leider anders. Den Anfang macht Daniel Wagner mit einem Vortrag über die Gefahren der Fehlernährung bei Sammelpunkten auf Kinderriegeln. Diese werden regelmäßig bei großen Fußballevents auf Produkte gedruckt die hauptsächlich aus Zucker und Fett bestehen. Das prangert er an. Obwohl er schon mal deutscher Vizemeister war, ist seine Vortragstechnik ist eher wirr und statt flüssiger Rhetorik verfällt er ins lautstarke krakeelen. Aber da Zucker und Fett nun mal gar nicht gehen, räumt er kräftig Punkte ab. In der Vorrunde gab es nur zwei Perlen über Fußball zu hören. Den von Björn Gögge vorgetragenen Text „Bolzplatzlegenden“. Ein anrührendes Stück über die Zeit der Kindheit, wo zum Fußball nur Freunde, vier Dinge, die auf irgendeinem Stück freier Erde zwei Tore abstecken und ein Ball nötig waren. Über die Freundschaften, die dort entstehen und ihrem sanften Verblassen in der Zeit des Erwachsenwerdens. Dieser wunderschöne Text, der sogar auswendig vorgetragen wurde, räumte die höchste Punktzahle des Abends ab (29) und ließ erahnen wozu ein Poetry Slam über Fußball fähig sein kann. Die einzige Frau Feld, Lisa Schoeyen, verlas ein surreales Stück Lyrik, dass aber in der Form eines Bühnenvortrags einfach untergehen musste.

Aber ein großes, fast schon literarisch zu nennendes, Talent offenbarte. Es bekam die niedrigste Punktzahl des Abends. Damit war die Vorrunde vorbei und die drei Finalisten standen fest. Der Krakeeler Daniel Wagner, Björn Gögge und Christof mit F, der sich mit einem Text über Sportluschen in die Finalrunde gejammert hatte. Bevor es losging erklärte der Moderator, Sebastian23, dass in der Finalrunde nur freie Texte vorgetragen würden, die nichts mehr mit Fußball zu tun haben müssten. Er selber gab zur Überleitung einen eignen Text zum Besten, der sich Gedanken über Dinge machte: Schrauben sind Nägel mit Falten, Schränke sind Häuser für Sachen. Was sollte das? Sebastian23 zeigte sich wild entschlossen, einen Soccer Poetry Slam ohne Texte über Fußball über die Zeit zu retten. Soccer Poetry Slam Ruhr. In Dortmund. Echte Liebe. Ruhrgebiet. Schalke um die Ecke. Herzkammer des Fußballs. Fußballmuseum. Heilige Erde. Echt jetzt? Ist es nicht möglich für eine Veranstaltung die Soccer Poetry Slam heißt Menschen aufzutreiben, die in der Lage sind zwei Texte, ja nur zwei Texte, zum Thema Fußball zu verfassen und unfallfrei vorzutragen. Der Godfather des Poetry Slam, Sebastian23, als angeblicher Cheftrainer der Zunft, schafft es ebenfalls nicht auch nur einen Text zum Thema Fußball rauszuhauen.

Da konnte unsere Oma ja mehr und lustigere Geschichten über Fußball erzählen. Aus dem Stehgreif, ohne Anlauf. Und die hat nie gespielt, war nie im Stadion. Die kannte Fußball nur aus der Sportschau. Es war zum fremdschämen. Die Finalrunde ist schnell erzählt, die Bolzplatzlegende Björn Gögge stürzte mit einer dümmlichen Ode an das Bier ab und Christof mit F wünschte sich jammernd ein Leben als männliche Lesbe. Daniel Wagner krakeelte einen Text über die AfD der nix aber auch gar nix mit Fußball zu tun hatte. Er gewann. Man kann bewundern, dass er sehr kaltschnäuzig in der Manier des FCB die Themen der maximalen bürgerlichen Selbstvergewisserung präsentierte. Ernährung und irgendwie gegen rechts sein. Vorgetragen mit der nötigen bildungsbürgerlichen Verachtung für alle Proleten, die das falsche Essen und das falsche Wählen. Nur irgendwas mit Fußball kann er nicht. Aber da sich niemand der Jury traute gegen den politischen Mainstream zu bewerten, siegte er haushoch. Scheiße gespielt, aber Hauptsache gewonnen. Mag sein, dass man mit so einem kreativen Offenbarungseid in das Deutsche Fußball Museum kommt. Aber mit so peinlichen Vorträgen wäre niemand der Finalrunde lebend aus einer deutschen Eckkneipe gekommen. Empfehlung für den nächsten Soccer Poetry Slam Ruhr: Nicht hingehen, auf gar keinen Fall! Stattdessen mal was riskieren. Irgendwo im Ruhrgebiet an irgendeinem Kiosk stehen bleiben, wo Menschen in Trikots rumstehen, einen Schokoriegel und ein Flasche Bier kaufen, es wird sie nicht umbringen, sich dazustellen und den Gesprächen lauschen. Mehr Fußballpoesie geht nicht.

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