100 Tage mindere Macht

Macht korrumpiert. Herrschaft verbiegt und verwandelt sympathische Personen in überhebliche Alleingänger. Warum die unsicheren Machtverhältnisse der rot-grünen Minderheitsregierung Parteien und ihre Politiker in NRW schon nach 100 Tagen verändert haben.

Früher kam es auf das Skatspiel an, wenn in Nordrhein-Westfalen Gesetze erlassen wurden. Der inzwischen verstorbene Landesvater Johannes Rau lud seine Genossen vor wichtigen Entscheidungen zum Kartenkloppen ins Hinterzimmer. Sein späterer Nachfolger Wolfgang Clement hielt die Diskussion um seine wahnwitzigen Projekte wie den Metrorapid gar für überflüssig und drückte sie gegen alle Widerstände durch – bis sie letztendlich scheitern mussten. Die Düsseldorfer Landesregierungen waren lange Zeit ein Biotop der Arroganz. Die in dieser Woche hundert Tage regierende rot-grüne Minderheitsregierung von Hannelore Kraft (SPD) hat dem Dünkel ein Ende gesetzt. Die mächtigste Frau im Land muss für jedes noch so kleine Gesetz – und sei es die Farbe der Polizisten-Uniform – um eine Mehrheit kämpfen. Sie benötigt immer eine Stimme oder Enthaltung aus der Opposition.

Gerade an Rhein und Ruhr mit der fast vier Jahrzehnte lang ungebrochenen Mehrheit für die SPD haben viele Genossen arrogant ihre Macht ausgeübt. „Die anderen“ wurden in Diskussionen gar nicht erst mit einbezogen, sämtliche Ämter vom Regierungspräsidenten bis zu den Bankern der Landesbank an SPDler vergeben. Und die CDU schien innerhalb ihrer kurzen Machtblüte der vergangenen fünf Jahre ähnlich selbstvergessen zu werden. Ex-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers konnte noch Wochen nach seiner krachenden Niederlage nicht einsehen, dass es keine Große Koalition unter seiner Führung geben wird.

Diese gestörte Selbstwahrnehmung hat das uneindeutige Wahlergebnis nun jäh zerstört. Die nach zähen Sondierungen gefundene Minderheitsregierung ist auf den Dialog angewiesen. „Das schützt auch ein bisschen davor, arrogant oder überheblich zu werden,“ sagt Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen. Bei einem satten Vorsprung müsse man sich nicht um die Opposition bemühen. Ausgerechnet mit der Partei, denen noch im Wahlkampf absolute Unfähigkeit attestiert wurde, muss nun gemeinsame Sache gemacht werden. Längst sprechen alle Fraktionen mit der Linken, auch wenn CDU und FDP aus ihrer Ecke der Kalten-Krieger nur langsam hervorkriechen. Anfang Oktober hätte es den ersten von CDU und Linken gleichermaßen befürworteten Antrag zum den sozialen Wohnungsbau gegeben- wenn nicht sechs Christdemokraten, darunter Jürgen Rüttgers, der Abstimmung fern geblieben wären.

Aber dies war mehr ein organisatorischer Fehler als ein Boykott. Denn die potentielle Möglichkeit, bei Gesetzen Zünglein an der Waage zu spielen und so irgendwie doch Macht ausüben zu können, beschwingt auch die starre CDU. Erstmals hat ihr Fraktionschef Karl-Josef Laumann nun angekündigt, nicht mehr an der Hauptschule fest halten zu wollen. Eine Revolution in den Reihen der Konservativen. Aber wer bei der Schulreform mitspielen will, muss sich wenigstens ein bisschen auf dem Spielfeld der Macht bewegen.

Regieren mit wechselnden Mehrheiten ist langsam, auch das haben die ersten drei Monate gezeigt. So brüstet sich die Landesregierung zwar damit, bei bisher 59 Abstimmung im Landtag „keine einzige verloren zu haben“, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Römer. Allerdings wurden viele Anträge in die Ausschüsse verwiesen – und die abgestimmten betrafen landespolitisch harmlose Forderungen wie nach einem Atomausstieg oder verbesserten Hochschulchancen für Frauen.

Die zentralen Wahlversprechen aber muss sich Rot-Grün noch hart erkämpfen. Die Linke will die Studiengebühren von 1000 Euro jährlich schon im Sommersemester statt zum Winterhalbjahr 2011 abschaffen und droht mit einem Nein. Die größte Reform aber, nämlich die Gemeinschaftsschule bis zur zehnten Klasse, will Kraft offenbar nicht im Landtag einbringen. Der neue Schultyp soll ohne Gesetz als Experiment eingeführt werden. Die Opposition ist empört. „Das Parlament wird ausgeschaltet und nicht ernst genommen“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der NRW-FDP, Ralf Witzel. „Und das nur, weil sie Angst vor einer parlamentarischen Niederlage haben.“ Letztlich aber gibt Rot-Grün ihre Entscheidung nach unten weiter. Nun entscheiden Kommunen und Schulen vor Ort, ob sie ihre Schulen zusammen legen wollen.

Die Opposition findet dies „unsäglich“ und will einen Volksentscheid gegen die Reform starten. Dann wäre die Minderheitsregierung nicht nur auf Stimmen aus der Opposition angewiesen, sondern auch auf die Zustimmung der Bevölkerung zwischen den Wahltagen. Auch dies ist neu an Rhein und Ruhr.

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koelneruwe
koelneruwe
14 Jahre zuvor

Ich vermute, Rot-Grün hält länger durch, als von allen erwartet.

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[…] NRW-Regierung – 100 Tage mindere Macht: Macht korrumpiert. Herrschaft verbiegt und verwandelt sympathische Personen in überhebliche Alleingänger. Warum die unsicheren Machtverhältnisse der rot-grünen Minderheitsregierung Parteien und ihre Politiker in NRW schon nach 100 Tagen verändert haben, schreibt Annika Joeres bei den  … ruhrbaronen […]

Ronny
Ronny
14 Jahre zuvor

Hannelore Kraft war grundsätzlich zu einer „Großen Koalition“ bereit gewesen, die CDU ebenfalls, Schon daran kann man ausmachen, dass beide nicht wer weiß wie weit voneinander entfernt liegen können.

Entsprechend geht es auch nicht um grundlegend verschiedene Richtungen, sondern darum, wer sich die Machtpfründen zur Verwertung sichern kann. Was ist denn schon eine Abschaffung von Studiengebühren? Nicht mehr als eine minimale Revision der in den letzten Jahrzehnten geschaffenen sozialen Ungerechtigkeiten, also Makulatur.

Zu Hartz-IV sagt Hannelore Kraft jedenfalls nichts Grundsätzliches, kritisiert es nur, dass die Merkel-Westerwelle-Koalition es nur völlig unwesentlich erhöhen will – um 5 Euro.

Wer von Hannelore Kraft grundlegenden Wandel erwartet hatte, muss sich getäuscht sehen, und im Großen und Ganzen ist es fast völlig egal, ob NRW von CDU/FDP oder von SPD/Die Grünen regiert wird – man muss sich offensichtlich schon Mühe geben, um darzustellen, dass man sachlich unterschiedliche Positionen vertrete; dafür kommen erkennbar nur noch Streitpunkte infrage, bei denen es jedenfalls nicht um Grundsätzliches geht.

Stefan Laurin
Admin
14 Jahre zuvor

@Roinny: Wer will schon einen grundsätzlichen Wandel? Offenbar kaum jemand. Und das es den dan nicht gibt entspricht dem Willen der Wähler. Eine Hannelore Kraft die einen grundsätzlichen Wandel hätten haben wollen wäre heute nicht Ministerpräsidentin, sondern würde mit Ypsilanti auf irgendwelchen Kongressen rumsitzen, die niemanden interessieren.

Ronny
Ronny
14 Jahre zuvor

@ Stefan Laurin: Kaum jemand will grundsätzlichen Wandel? Und wieso sind die alten „Volksparteien“ dann im Sinkflug, wieso liegen Wahlbeteiligungen bei 60%, wieso findet man tausende von Blogbeiträgen im Internet, in denen über soziale Ungerechtigkeit und arrogante Politik im Sinne des Kapitals geklagt wird?

Na ja, OK, es ist ja wohl Ihr Blog hier. Also: Wir haben ein tolles Land, und alle sind ja sooooooo zufrieeeeeeeden…!!!

Ich hoffe, dass nun wenigstens Sie zufrieden sind.

Stefan Laurin
Admin
14 Jahre zuvor

@Ronny: Kritik gehört dazu und ist wichtig. Aber was wäre erst los wenn es zu grundlegenden Veränderungen käme… 🙂
Und das Ende der Volksparteien? Die Gesellschaft zerfällt in kleinere Einheiten, die Menschen werden individueller. Ist doch ok – ich mag eh keine große Gruppen. Klasse, Volk – mich schüttelt es schon, wenn ich so etwas höre.

Ronny
Ronny
14 Jahre zuvor

Wir haben seit Jahrzehnten grundlegende Änderungen, ablesbar an Verteilung von Reichtum; Armut und Verschuldung.

Im Übrigen sind doch auch diejenigen, in deren Auftrage Sie, Stefan Laurin, hier schreiben, doch längst nicht zufrieden. Hartz-IV muss doch noch kräftig gekürzt werden, geht es nach ihnen, die Beteiligung der Arbeitgeber an den Sozialversicherungssystemen muss komplett wegfallen, geht es nach ihnen, und Menschen, die das nicht aushalten, gehören weggesperrt, geht es nach ihnen.

Da wir an dem Punkte noch nicht sind, sind auch Ihre Auftraggeber doch längst nicht zufrieden.

Stefan Laurin
Admin
14 Jahre zuvor

@Ronny: Hui, in wessen Auftrag schreibe ich denn hier? Die Frage interessiert mich auch brennend, denn bislang ist mir kein Auftraggeber bekannt.

Ronny
Ronny
14 Jahre zuvor

Stefan Laurin, wer so oft unumstößliche Wahrheiten bestreitet wie Sie, wer heute z.B. noch behauptet, das Volk sei mit den Verhältnissen zufrieden, muss entweder ahnungslos sein, oder einen Grund haben, die Tatsachen zu leugnen und die Realität schön zu reden. Was ist Ihnen denn lieber, wenn man Sie für ahnungslos hält, oder für einen Demagogen?

Stefan Laurin
Admin
14 Jahre zuvor

@Ronny: Wie wäre es mit ahnungsloser Demagoge? 🙂

im Auftrag Höherer Wesen
im Auftrag Höherer Wesen
14 Jahre zuvor

@ Ronny

Stefan Laurin schreibt im Auftrag Höherer Wesen.

Sigmar Polke hat diesen Vorgang für dich illustriert. Hier:comment image

Der Wille der Höheren Wesen ist für Normal-Sterbliche manchmal schwer zu verstehen. Zum Beispiel, wenn Stefan Laurin plötzlich den Strauß-Imitator gibt. Hier: https://www.ruhrbarone.de/seehofer-hat-unrecht-und-tut-das-richtige/

“Es darf rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte politische Kraft geben.” Franz Josef Strauß

Ronny
Ronny
14 Jahre zuvor

Wie wäre es mit von anderen instrumentalisierter unbelehrbarer Irrläufer? 🙂

Ronny
Ronny
14 Jahre zuvor

Stefan Laurin, auch dieses PR-Projekt bestimmter Kreise funktioniert nicht wirklich so, wie es funktionieren soll. Das ließ sich immer wieder an den Kommentarspalten ablesen, und schließlich gilt der Spruch, der dem Abraham Lincoln zugeschrieben wird, wie ein Naturgesetz:
„You can fool all of the people some of the time, You can fool some of the people all of the time, but You can’t fool all of the people all of the time.“

Kein böses Spiel ist auf Dauer gut gegangen, und wenn es nicht zuvor zur Verständigung kam, dann hat es irgendwann fürchterlich gerappelt. Ich würde Verständigung allemale bevorzugen, aber dazu gehörten eben alle Seiten, nicht nur eine. Ich fürchte, man werde den Bogen überspannen.

Stefan Laurin
Admin
14 Jahre zuvor

@Ronny: Jaja, „bestimmte Kreise“ führen immer böses im Schilde 🙂

Arnold Voß
Arnold Voß
14 Jahre zuvor

@ Ronny # 3 und folgende

„…im Großen und Ganzen ist es fast völlig egal, ob NRW von CDU/FDP oder von SPD/Die Grünen regiert wird…“

Wenn das stimmt Ronny,dann ist es doch auch fast völlig egal was hier geschrieben wird, oder? Was soll also die ganze Aufregung?

Ach ja, was sind eigentlich „unumstößliche Wahrheiten“ (#9)? Sind das die, die du verkündest?

Ronny
Ronny
14 Jahre zuvor

@ Stefan Laurin u. Arnold Voss: Ihr seht ja, dass kaum noch jemand bei Euch kommentieren will. Herzlichen Glückwunsch dazu.

Stefan Laurin
Admin
14 Jahre zuvor

@Ronny: Ja, wir sind fertig. Platt. Ich tausche gleich den Server gegen eine Flasche Jägermeister ein und dann ist hier Schluss!

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