Jetzt bist du also zwölf Jahre alt. Nein, eigentlich nicht jetzt. Eigentlich ist das Ganze schon gut anderthalb Monate her. Aber jetzt, mein lieber Linus, komme ich erst dazu, diesen Text zu schreiben. Und es wird der letzte Text sein, den ich hier zu deinem Geburtstag veröffentliche.
Wieso ist das so? Nicht, weil ich nicht weiterhin für dich Texte schreiben würde, sondern weil ich merke, dass du jetzt in ein Alter kommst, in dem es vielleicht für dich nicht so toll wäre, wenn einer deiner Freunde im Internet entdeckt, was ein rührseliger Papa zu seinem Sohn zu schreiben hat. So, wie du bist, wäre dir das – noch – nicht wirklich peinlich. Aber falls doch, würdest du es vermutlich nicht so nennen. Trotzdem finde ich, ich muss es ja nicht drauf ankommen lassen.
Und eigentlich fasst das auch schon ganz gut zusammen, wo du mittlerweile stehst: Einerseits bist du noch ein Kind, andererseits schon ein Jugendlicher. Da passiert so viel, und in diesem Jahr ist so viel passiert – bei mir, bei uns, bei dir.
Ich habe mehrfach in diesem Jahr gemerkt, dass sich Dinge verändern oder verändert haben und dann doch immer noch so sind wie früher. Wir waren auf Mallorca. Und wir waren schon vor Jahren mit dir auf Mallorca, als du so alt warst wie dein Bruder jetzt. Natürlich haben wir uns die Fotos von damals angeschaut. Und rein optisch hat sich so vieles bei dir verändert. Dein Gesicht wird länger, dein Körperbau erwachsener. Bei der Minidisco warst du diesmal davon entfernt, noch mitzumachen. Du warst aber auch noch nicht einer von den Jugendlichen, die nur im Pulk rumhängen und auf dem Handy tippen. Also, ja, auf dem Handy tippst du schon – aber es ist dir immer noch wichtig, Mama und mir zu zeigen, was du da machst.
Das warenn für mich Momente der Erkenntnis: Die Zeit, in der du uns Dinge zeigen möchtest, wird immer kürzer. Das ist normal. Natürlich wird es für dich wichtiger, was deine Freunde denken, und immer weniger wichtig, was deine Eltern finden.
Gerade deswegen habe ich mir vorgenommen – und in diesem Jahr bewusster denn je gemacht – innezuhalten, da zu sein, zuzuhören und mir Dinge zeigen zu lassen, wenn du mich darum bittest.
Dinge ändern sich. Ich habe geschluckt, als du das erste Mal in diesem Jahr sagtest, dass du für den Abend schon mit jemandem verabredet bist, als ich etwas mit dir unternehmen wollte. Ich hielt inne, es zog in mir. Und mir wurde klar, dass das gut und normal ist. Du hast Freunde, die dir wichtig sind, mit denen du Dinge erlebst. Trotzdem musste ich an Cats in the Cradle denken.
Aber du erzählst mir noch viel. Zumindest habe ich dieses Gefühl: Was du in der Schule lernst, welcher neue Skin bei Fortnite rausgekommen ist, welcher Fußballspieler wohin gewechselt ist.
Fußball ist so ein Ding, das deins ist. Du gehst regelmäßig zum Training und zu den Spielen, und auch wenn ihr wieder einmal verloren habt, lässt du nie den Kopf hängen. Es macht dir einfach Spaß: das Spiel, die Gemeinschaft. Fußball eben.
Deswegen habe ich auch Karten gekauft, als klar wurde, dass Donetzk seine Heimspiele in der Champions League auf Schalke austrägt. Wir waren gegen Bern da und jetzt gegen die Bayern. Du bist da noch ein bisschen unsicher: Wann ruft man mit? Was ruft man? Ich habe dir gesagt, dass es im Stadion völlig okay ist, mitzusingen, mitzuschreien, mitzubeleidigen – solange ich diese Worte außerhalb des Stadions nicht höre. Und ich höre sie nicht. Irgendwie glaube ich auch nicht, dass du sie nutzt, wenn ich nicht dabei bin. Aber denken Eltern nicht immer, dass gerade ihr Kind so etwas nicht macht?
Vater sein heißt für mich, immer weiter zu lernen – nicht auf fachlicher Ebene, sondern im direkten Umgang. Zu verstehen, was normales Ausprobieren ist und wo ich trotzdem klar zeigen muss, dass ich etwas nicht gut finde. Selbst dann, wenn ich es eigentlich nicht so schlimm finde. Dafür sind Eltern da: als Korrektiv, als Sparringspartner. Zumindest verstehe ich Erziehung so.
Aber du bist eben auch noch Kind, wenn du Quatsch machst mit deinem Bruder, Mama oder mir. Wenn du singst, tanzt, strahlst. Du hast eine unfassbare Wärme und bist so sehr im Einklang mit dir selbst. Ich möchte alles tun, damit niemand daran kratzt. Aber ich weiß, dass dich Menschen verletzen werden. Das ist Teil des Großwerdens. Ich hoffe nur, dass ich es möglichst selten bin.
Manchmal stehe ich einfach nur in deiner Zimmertür. Du sitzt am Rechner, spielst Fortnite oder FC. Manchmal hast du In-Ears drin, manchmal nicht. Ich sehe deinen Rücken, deine braunen Haare, und bin so unfassbar stolz auf dich. Und manchmal gehe ich zu dir, umarme dich von hinten. Manchmal erwiderst du die Umarmung, manchmal sehe ich, wie du dich auf WhatsApp mutest. Das ist okay für mich.
Und ich akzeptiere, dass du abends vorm Rechner sitzen möchtest. Und ich bringe dir ein Sandwich-Toast. Und noch eins. Und noch eins, wenn es sein muss. Und es muss so lange sein, wie du das möchtest.
Da sind so viele Geschichten, Gedanken, Erinnerungen, die mir jetzt durch den Kopf gehen. Aber viele davon sind zu intim, zu sehr Übergang von Kind zu Jugendlichem.
Deswegen schreibe ich hier nichts auf, was ich in deinem Alter nicht über mich online gefunden hätte haben wollen. Nur: als ich in deinem Alter war gab es kein Online. Die Zeit rennt.
Ich akzeptiere, wenn deine Zimmertür zu ist. Und ich würde niemals hineingehen, ohne zu klopfen. Aber ich hoffe, dass ich noch eine Weile in deiner offenen Tür stehen darf, auf deine braunen Haare schauen und dein Lächeln sehen kann, während du auf deinen Controller drückst.
Herzlichen Glückwunsch, Linus!