1986 revisited: Wie Bochum schrumpft

 

Für eine andere Baustelle ist mir ein fast vergessenes Stück Stadtanalyse wieder in die Hände gefallen. 1986 erschien "Umbruch der Stadt. z.B. Bochum", drei Autoren, darunter Herausgeber Michael Krummacher. Ich habe es eher durchblättert, ein Geschenk zum Umzug, mochte die kargen Fotoaufnahmen aus Innenstadt und Vororten, aber weniger das in Thesen zugespitzte Bändchen aus dem Germinal-Verlag. Was da stand, war dem Neurevierbürger zu trist. Heute lese ich es mit anderen Augen.

 

Foto: ruhrbarone

Die Autoren beschrieben Bochum als eine "shrinking city", als eine typische Stadt mit altindustriellem Erbe, eine Stadt, die nicht nur altert, die auch von vielen jungen Menchen verlassen würde. Die Stadtoberen Bochums, seinerzeit Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck, wollten von der anstehenenden Schrumpfkur oder einer sozial-tektonischen Plattenverschiebung in Bochum etwa zwischen Norden und Süden nichts hören. OB Eikelbeck kümmerte sich als Sanitärfachmann lieber um Spaßbäder, um Starlight, um mehr Stadtautobahnen und weniger besetzte Viertel. Ich weiß noch, wie verdattert Eikelbeck war, als eine Studentendemo vor seinem Rathaus stand und von ihm Solidarität gegen geplante Strellenstreichungen an der Ruhr-Universität einforderte. Die Uni hatte der OB weniger auf dem Plan (dass immerhin hat sich geändert).

Spannend sind die Aussagen des Buches zu Opel. Da hat sich seit 23 Jahren kaum was getan, nur die Zahl der Beschäftigten, die Krise um Krise weniger wurden. Nochmal, geschrieben 1986: Opel ziehe sein Management in der Schweiz zusammen, was einer Abkopplung von der Produktion gleichkomme. Die  EDV werde zentral gesteuert, die Werke würden enthauptet. Bochum habe sehr schlechte Karten, weil anders als in Rüsselsheim keine Entwickler vor Ort sind, und natürlich würde GM sowieso keine Gewerbesteuer zahlen, weil die Gewinne in die Staaten flössen, wir kennen das Spiel.

Ich habe mit Krummacher, der seit 1989 Professor an der evangelischen FH in Bochum ist, über Buch und Bochum gesprochen. Bochum ("fühle mich hier urban gut aufgehoben") sei nicht nur sein Wohnort auch ein interessanter Forschungsgegenstand, weil die Stadt so typisch sei für Ruhrgebietsstädte, in den Statistiken meist den Durchschnittswert der Region abbilde. Diese Durchschnittstadt erlebe also weiterhin einen starken Umbruch, "keinen Wandel", so der Politologe. Die Stadt habe seit dem Buch enorm eingebüßt, von 420.000 nach der Eingemeindung von Wattenscheid auf nur noch 370.000. In guten wirtschaftlichen Zeiten erhole sich die Stadt ein wenig, doch gelinge es den Revierstädten nicht, sozial und wirtschaftlich zu anderen Großstädten in NRW aufzuschließen.

Es gibt auch gute Seiten: Seinerzeit habe die Stadt nichts von den Schrumpfungs-Thesen hören wollen, das sei jetzt ganz anders. Auch habe Bochum als Hochschulstandort, als Kultur- und Freizeitstadt viel zu bieten, auch Zukunft. Und doch macht die Wirtschaftskrise, vor allem die starken Konjunktureinbrüche im Stahl und das drohende Aus für Opel dem Wissenschaftler größte Sorgen. Industrielle Kernarbeitsplätze seien nicht mal so eben aufzufangen, sagt Krummacher: Der Umbruch der Stadt, Schrumpfung, soziale Spaltungen, das alles würde sich dadurch "dramatisch beschleunigen".

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Ulrich Menne
Ulrich Menne
15 Jahre zuvor

Bochum ist ganz sicher keine Tal der Hoffnungslosigkeit. Selbst wenn OPEL über kurz oder lang immer weniger Arbeitsplätze in Bochum haben wird. Die Bochumer haben schon viele Krisen überstanden und insbeondere den Strukturwandel in Folge der Kohlekrise besser gemeister als andere Ruhrgebietsstädte. In der Vergangenheit haben sich für Bochum immer neue Möglichkeiten ergeben. Mit der Gründung der Uni in den 1960er Jahren hat sich Bochum hin zu einer leistunsgfähigen Hochschul- und Forschungsstadt entwickelt und hat jetzt alle Chancen, diese Entwicklung mit dem Gesundheitscampus weiter positiv zu gestalten.

Doch es gibt einen Risikofaktor, der viele gute Ansätze und Bemühungen zunichte machen kann. Die Finanzlage, in der sich Bochum befindet, ist desaströs. Die finanzielle Lage, die mit der Ablehnung des Haushaltes durch den Rgierungspräsidenten deutlich sichtbar eskalierte, zwingt zu schnellem und entschlossenem Handeln.

Dabei nützt es ebensowenig, darüber nachzudenken, welche Fehler hätten vermieden werden können (Cross-Border-Leasing etc.), wie den Schuldigen in Regierungspräsident Helmut Diegel zu sehen. Jetzt ist Entschlossenheit gefragt, um z. B. durch den Verkauf von RWE-Aktien, der Beteiligungen an Gelsenwasser, VBW etc. den Haushalt auch langfristig zu sanieren und handlungsfähig zu werden.

Man muss eine Prioritätenliste entwicklen, die festlegt, was der Stadt und ihren Bürgern an Investitionen nützt und welche Investitionen obsolet sind.

Auch ohne 15 oder mehr Mio. Euro von der Stadt für das Konzerthaus muss idese Prioritätenliste nicht zur Tränenliste werden…

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