Der Einheitstaumel von 1990 will 20 Jahre später nicht mehr so recht aufkommen: Ernüchterung ist gefolgt. Denn viele haben vergessen. Die Erinnerungen verklären. Sonst würde man ja auch am Leben verzweifeln. Doch einer hat den Frieden des bequemen Vergessens gestört – mit einem Computerspiel.
Dieses widerwärtige DDR-Ballerspiel gehört verboten!
Was? In der Tätarä gab es schon Ballerspiele? Etwa auf dem KC-85? Oder dem AC1? Sensationell! Wir im Westen haben dazu mindestens einen 386er gebraucht!
Aber nein, das Spiel ist nicht aus der DDR. Es ist aus der BRD, aus Karlsruhe. Und es gibt es noch gar nicht. Dafür aber jede Menge Ärger!
Ein Spielefreak hat es programmiert, um jenen die deutsch-deutsche Geschichte zu vermitteln, die lieber ballern als lesen.
Zugegeben, als ich dies las, dachte ich auch erstmal
Das ist aber makaber – und geschmacklos.
Ja, das ist es. Das muß es aber leider sein. So wie es die Mauer eben war!
Nur, daß damals keiner wählen konnte, ob er lieber Grenzsoldat oder Flüchtling ist.
Das Spiel bemüht sich, die Realität von 1976 nachzustellen, Point Alpha ist recht zutreffend getroffen, nur die Panzer gehören halt nicht auf den Kolonnenweg, wie sich ehemalige DDR-Grenzer in ihren Foren empören. Na gut, alles weiß Jens M. Stober, der Programmierer, halt doch nicht: er war damals ja nicht dabei. Das Spiel selbst sehen die Ex-Grenzer aber weder als Affront noch als Verherrlichung.
Wohl aber die DDR-Opfer. Die haben nun ernsthaft Angst, die Jugend könnte nun statt Moorhühnern Flüchtlinge schießen und sich dann die Mauer zurückwünschen.
Ja, über Geschmack kann man sicher streiten. Allerdings hat außer einem (inzwischen gesperrten) Trailer und einen paar Screenshots noch niemand das Spiel tatsächlich gesehen. Insofern ist es definitiv zu früh, darüber zu urteilen.
Am lautesten plärrt das Blatt mit den vier Buchstaben. Es war immer gegen die Mauer, zugegeben. Aber als vermeintlich moralische Instanz, die plakatives Verdeutlichen in BILDern ablehnt und das Umsetzen echter Schießereien in Computerspiel-Bilder verurteilt, ist BILD nun definitiv ungeeignet:
Eine öffentliche Rüge erhält die BILD-Zeitung für ihre mehrseitige Berichterstattung unter den Überschriften „Seid ihr immer noch nicht tot?“ sowie „Wie wurde so ein netter Junge zum Amokschützen?“ wegen Verstößen gegen die Ziffern 11 und 8 des Pressekodex. Ein ganzseitiges Bild zeigt den Amokläufer mit gezogener Waffe in einem Kampfanzug. Diese Fotomontage verbunden mit der Überschrift „Seid ihr immer noch nicht tot?“ ist nach Ansicht des Ausschusses unangemessen sensationell. Sie stellt den Amoktäter in einer Heldenpose dar.
Unangemessen sensationell bewertet der Ausschuss auch die Grafik, die eine Situation in einem Klassenzimmer darstellen soll. Die Redaktion zeichnet hier nach, wie der Amokläufer – wieder als Fotomontage im Kampfanzug – eine Lehrerin erschießt. Diese Darstellung der Tötung, gezeigt durch das Nach-Hinten-Überkippen der Lehrerin, hält der Ausschuss mit Blick auf die Hinterbliebenen der Getöteten für eine unangemessen sensationelle Darstellung.
Mitteilung des Deutschen Presserats vom 20.5.2009
Doch „BILD kämpft für Sie“. Notfalls auch an der gefallenen Mauer: Hochschule und Student sind eingeknickt, das Spiel wird nicht wie geplant heute zum kostenlosen Download freigegeben. Vielleicht auch gar nicht mehr: Es soll wegen Gewaltverherrlichung verboten werden. Na das ist ja wie in der … ja, genau!
Ich denke, die Zeit für so ein Spiel ist einfach noch nicht reif.
Ich wohne jetzt seit ein paar Wochen im „Osten“ und die Reaktionen da fielen teilweise recht negativ aus. Zum einen wurde es befürwortet, da man die Situation direkt greifbar machen konnte, zum anderen aber reisst es alte Wunden auf. Vor allem auf Seiten der Familien, die direkt Opfer durch die Mauerschützen zu beklagen haben.
Oder wie es der Vater eines Mitbewohners gesagt hat: Vierzig Jahre hatten wir Diktatur, zwanzig Jahre haben wir jetzt die Wiedervereinigung. Es brauch mindestens noch zwanzig Jahre, wenn nicht noch mehr, bis sich alles normalisiert hat.
Dann ist es vielleicht auch Zeit für so ein greifbares „Spiel“.
Naja, ob die Zeit dafür je reif sein wird, das ist die Frage. Es ist schon eine heftige. Idee. Und in nochmal 20 Jahren versteht die Jugend vielleicht gar nicht mehr, worum es geht. Die wissen es ja heute schon nicht mehr und denken, die DDR war eine Demokratie, weil es doch im Namen ist…
Aber machen wir uns nichts vor: Irgendwer hätte sie irgendwann umgesetzt. Gibt ja nun wirklich zu jedem Krieg inzwischen Kampfspiele, und zum Kalten auch schon so einige. Insofern ist dann ein Mauer-Computerspiel mit geschichtlichem Anspruch besser als eins ohne. Und wenn es nun verboten wird, programmiert irgendwer sowas ohne eingebauten Geschichtsunterricht und ohne Gerichtssaal.
Daß es jene trifft, die familiär belastet sind, ist klar. Ich verstehe auch, wenn sich der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenhausen aufregt. Nur wenn sich nun ein Medium echauffiert, das selbst genauso geschmacklos agiert…
„Normalisieren“ wird sich das in unserer Generation nicht mehr. Ich bin aber nach wie vor sehr froh, daß die Mauer weg ist, vermutlich würden wir sonst gar nicht mehr leben, wir standen ziemlich oft direkt vor dem Atomkrieg. Und die Wirtschaftskrise liegt nicht am Osten.
Und der Programmierer hat natürlich noch einen Fehler gemacht: Er ist Wessi. Die meisten haben hier gar keinen solchen Bezug zum Osten. Ich durchaus, meine Eltern haben „rübergemacht“, bevor die Mauer stand. Damit waren wir im Westen Flüchtlinge – und im Osten sowieso. Ich könnte sicher von meinen Kenntnissen her über den Osten einiges sagen – aber alleine, weil ich kein Ossi bin, würde ich dann schnell als „Besserwessi“ angesehen. Und so ist es bei diesem Dingens nun auch.
Immerhin kann man inzwischen Freundschaften West-Ost haben. Auch, wenn ich mich sicher nicht nochmal so weit vorwagen werde wie vor einigen Jahren recht naiv. Und die Mehrheit ist froh, daß die Mauer weg ist – selbst die, die gerne ihre Margot und ihren Erich zurückhätten statt des komplizierteren Lebens, das sie jetzt haben.
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