3 FÜR 7 – 90er-Special

"Musik im Revier" – welch lustig tag! Und damit zum Thema: Mensch kann mit Diederichsen beim Bier plaudern, Polls lesen, manchmal gar Artikel selbst schreiben, whatever: Bei Jahresrückblicken, speziell zum Thema Musik, geht es entgegen aller Lehren zum Thema "Privates & Politisches" NIE darum, welche Musik genau was mit den KonsumentInnen macht bzw. was sie begleitet. Welchen Nutzen hatten die Regierungen und die Industrie von den Hippies, den Punks, den Ravern, dem (Anti-)Folk? Fragt niemand. Könnte aber interessant sein, nicht nur für andere Kulturkreise, schließlich speist sich die Unterhaltungs- ja oft aus Errungenschaften der Waffen- und Raumfahrindustrie z.B. – und dabei muss nicht nur an Drogen, Internet und Psychologie gedacht werden. Das mal als Anregung gegen Ende der 00er und zum Thema "90s(-Revival?)" mit: Tortoise, The Notwist, Hotel Shanghai.

Wie sagte mir letztens so ein vom Hardcore/Skaten zum Shoegaze/Postrock gekommener Musikus: "Tortoise haben dann wieder an die Wurzeln erinnert, an Krautrock z.B." Und das ist natürlich vor allem ein Thema für Musikusse, diese Art des Zusammenspiels, das nicht zwingend viel auf Songstrukturen, kaum etwas auf Liedtexte und ganz wenig auf Boygroup-Gehabe gibt. Andererseits schüttelt es den Autor dieser Zeilen in letzter Zeit immer wieder bei einem Wiederaufkommen übelsten Muckertums – was auch eine Folge des generell recht regressiven, Besitzstand wahrenden Geistes der aktuellen Generation in Europa und Amerika sein mag, aber nicht zuletzt auch an Bands liegen mag, die laut Eigenbekundung eigentlich mal angetreten sein wollten, um Strukturen zu zerstören, und dann via irgendwie Prog-Rock doch wieder nur zurück in die Siebziger gewiesen haben. Ach ja, die Neunziger waren halt eben kein (!) Aufbruchs-Jahrzehnt! (Und alte Punks gibt es im Grunde gar nicht.)

The Notwist passen natürlich auch schön in dieses Bild: Als der Independent-Gedanke das tiefste Bayern erfasste! Ja wow! Und fiel gerade "irgendwie Prog-Rock"? Nun, das sieht in diesem konkreten Falle dann nicht wie bei Tortoise nach Vermischung mit Dub und so aus, sondern man gönnt sich direkt ein ganzes "Irgendwie-Jazz"-Orchester dazu!! Das Andromeda Mega Express Orchestra hilft *hüstel* sozusagen The Notwist auf dem Weg zu den Genesis des süddeutschen Indie. Phil Collins, übernehmen Sie! (Also "American Psycho" für Leute, die grün oder Die Linke wählen, haha. Natürlich auch für depressive Regierungsfreunde.)

Na, und damit zu Whirlpool Productions, Andreas Dorau und Superdefekt (Foto: MFOC), die dem Shanghai zum Sechsjährigen gratulieren. Meine Güte, waren das noch Zeiten, als die berüchtigte 80er Rhein-Elbe-Achse in den Neunzigern den Schlager-Rave erfunden hat! Motor Music big in Berlin, angenehmes innerdeutsches "Wir revolutionieren uns jetzt gegenseitig"-Gewusel, viele neue Drogen und alles ein schöner, neuer Abenteuerspielplatz mitten in Europa! Das passt natürlich wunderbar zum "Kindergeburtstag für (noch etwas zu junge) Erwachsene"-Konzept des Hotel Shanghai – wobei … Nunja, die Menschen um die 20 gucken sich das ja immer lieber nicht an, sonst wird ihnen noch ganz komisch wie wenig sich eigentlich geändert hat in zwei Jahrzehnten Abenteuerspielplatz Popmusik. Egal, dafür ändert sich ja die Gesellschaft rasant, nicht wahr? Und damit zur beliebten Kurzfassung für PraxisfreundInnen:

Tortoise am Dienstag.
The Notwist am Donnerstag.
6 Jahre Hotel Shanghai am Samstag.

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Perik O'Loso
15 Jahre zuvor

Das ist jetzt mal ein Aufmunterungskommentar, lieber Jens, damit Du nicht denkst, die durchweg „0“ Kommentare Deiner Programmvorschauen seien der durch das Null-Rund dargestellte offene Mund der schweigenden Mehrheit, die Deine feinen kulturellen Hinweise nur mit ausgerenktem Unterkiefer goutieren kann. Besonders die heute vorgestellten 3 für 7 sind dermaßen sophisticated, dass man sich natürlich gleich gierig 30 ähnliche Gelegenheiten (und ähnlich kennerisch angepriesen) für den gleichen Zeitraum wünscht. Nun, Tortoise „ist so gar nicht meins“, wie es bestimmt aus dem Mund einer der kulinarisch unbedarften Zahnarzthelferinnen auf VOX heißen würde, käme eine heiße Schildkrötensuppe auf den Tisch des „Perfekten Dinners“, aber Notwist ist gesetzt. Und den Hoteliers vom Shanghai weiterhin die richtige schlitzäugige Gesinnung!

Jens Kobler
Jens Kobler
15 Jahre zuvor

@Perik: Danke! Wollte Dich eh grad anrufen, mach ich jetzt nicht mehr. 😉

Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
15 Jahre zuvor

Hmm, Schildkröte verpasst, hatte ich aber schon mal, an gleicher Stelle, Jahre her. ? Aber, Jens, was ist das, ein ?Aufbruchsjahrzehnt?? So etwas wie die 60er, 70er, 80er ?? (-:

Und alte Punks? Gibt?s natürlich; deren Schicksal ist ultimativ verfilmt:

David Schraven
Admin
15 Jahre zuvor

@ Jens #4

Häh?????

Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
15 Jahre zuvor

David, mit ?Pop? meint Jens ?Iggy Pop? (und dessen vom Houellebecq inspiriertes Werk ?Preliminaires?):
https://sz-magazin.sueddeutsche.de/musikblog/irre-iggy-vertont-houellebecq/

Jens, kein Problem, die Bücher, die Sie nicht schreiben wollen, gibt?s ja schon. Die Frage allerdings, um mal zu den 00er Jahren zu kommen, welchen Nutzen welche ?Regierungen? von bspw. der ausgeklügelt eskapistischen Weirdo-Industrie à la Banhart haben könnten, wär? schon eine poplinke Erörterung wert (-:

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[…] Ich bin auch nicht dafür, dass sich jede Band mit einem Orchester auf die Bühne stellen muss, halte aber The Notwist auch nicht für die Phil Collins des süddeutschen indierocks, weil sie es getan haben. Dass ich jetzt vielleicht ein klein wenig enttäuscht bin, spricht also […]

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[…] Ich bin auch nicht dafür, dass sich jede Band mit einem Orchester auf die Bühne stellen muss, halte aber The Notwist auch nicht für die Phil Collins des süddeutschen indierocks, weil sie es getan haben. Dass ich jetzt vielleicht ein klein wenig enttäuscht bin, spricht also […]

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