Kurzurlaub in Oberhausen – a cheap holiday in other people’s misery? Zum Teil, aber immer vor allem eine merkwürdige Veranstaltung. Die Oberhausener Kurzfilmtage und viele ihrer ProtagonistInnen verstehen und sehen sich großteils als links, was zu spannenden Grundvoraussetzungen führt. Zugespitzt gesagt (- ist ja ein Aufmerksamkeit heischendes Medium, dieses Internet): Eine Art Jutetaschen-Prosecco-Bohème gibt sich in einem zerfallenden Stadtteil avantgardistisch-künstlerisch und tut, als hätte sie die Zukunft gepachtet und im Griff, während überall (sonst) Zuschüsse gekürzt und Kurzfilme nicht gerade das Gelbe vom Ei in punkto Medienpolitik sind. Und auch ansonsten: Eine spannende Mischung aus Abgehobenheit und Rebellionsattitüde von irgendwie „unten“. Kleinformat meets Hollywood in a nutshell. Featuring cameos by: Nomeansno & And So I Watch You From Afar.
Am Donnerstag geht’s los. Und da hilft natürlich gern das Programmheft. MuVi-Preis? „Nach dem 80er-Revival kommt der Stummfilm.“ Deutscher Wettbewerb? „Filme über die Liebe und das Filmemachen“. Internationaler Wettbewerb? „Seelenlandschaften“. Klingt also alles nach „Neue Innerlichkeit“, diesem typischen Rezessionssymptom – nicht zwingend nach einer Auseinandersetzung damit, na gut. Also mal in’s Detail gucken: Bei der Eröffnungszeremonie gibt es französische Kurzfilme von vor hundert Jahren plus Klaviermusik – also mal wieder erst am Freitag hin und all das Meet-and-greet und see-and-be-seen verpassen. Erstes Podium am Freitag? Da wird mal wieder das Ich abgesprochen bei „Die Illusion des Ich“. Vielleicht mal gucken, was es denn sonst gibt bzw. wohin sich das denn aufgelöst hat. Ist aber vielleicht etwas herb für 10 Uhr morgens, wenn das Ich sich ja gerade noch finden will. Also wohl doch Schwerpunkt auf die uralten Schätzchen bei „From the Deep: The Great Experiment 1898 – 1918: Sensation Bewegung, Dimension Zeit, Präsenz der Absenz“. Gut, letztens nochmal „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ gelesen zu haben. Genau, vielleicht macht man dieses Jahr einfach mal eine Zeitreise über 100 Jahre. Hm, mal gucken.
Samstag ist 1. Mai, da bietet sich doch das Podium „Bedingungsloses Grundeinkommen“ an. Und dann stoisch „From the Deep“ weitergucken und vielleicht ein bisschen Filmbar-Atmosphäre schnuppern: „Psychedelic/Electro/Soundtracks/Filmmusik“ mit zwei Düsseldorfer Tonträgerjockeys. Überhaupt: Nomeansno (Foto: Band) spielen im Druckluft schon am Mittwoch! Aber da muss man(n) doch gucken, wie Inter diesen Messi aus der Champions League kegelt! Ts. Ach ja, Konzertalternative am Donnerstag, auch im „Drucki“: And So I Watch You From Afar.
Der Sonntag nervt: „Kinder und bewegte Bilder“ am Anfang, „No Wave Night“ ganz am Ende. Idee: Irgendwann auflaufen und die Screenings schauen, dann unverbindlich reinhören, ob man dann wirklich nochmal so ein New York Anfang Achtziger Revival braucht. Oder ausfallen lassen und am Montag „Profil: No Wave“ gucken – und hoffen, hoffen, hoffen, dass da nicht nur viel zu coole, natürlich vollsexy Trend-Nerds herumhängen. Dienstag fällt aus, Abschlussparty nur bei freundlicher, ernst gemeinter Einladung. Meine Güte, man wird ja schon während des Schreibens arrogant! Oberhausen, Oberhausen – welch tückisch Reiseziel!
Reisetipp zum Wochenende: 56. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen. Von Donnerstag bis Dienstag.
Man kann doch froh sein, wenn im Ruhrgebiet überhaupt sowas noch stattfindet.
@Goncourt:
Eigentlich wollte ich jetzt nur schreiben: „Ich muss doch erst einmal die professionelle Distanz herstellen, bevor ich am Wochenende zwei Live-Beiträge dazu mache.“ Aber das Thema ist nunmal im Grunde ernst.
Also: a) Das Thema bekommt hier im Grunde drei Beiträge. b) Wenn ich Werbetexter hätte werden wollen, säße ich jetzt leider woanders. So gönne ich mir immer gerne so eine schnoddrig-ruhrige Art, Themen äh vorzustellen, statt hier den Jubelruhrie zu geben. Okay? c) Im Moment wird jede einzelne Kulturinstitution auf die Probe gestellt, und man sollte das Monopol dafür nicht bei den Parteien und ihren „ExpertInnen“ lassen. d) Persönlich hätte ich mir mehr als eine Alibi-Veranstaltung „Bedingungsloses Grundeinkommen“ von der Pop-Linken aus OB gewünscht. e) Auf’s Inhaltliche und Atmosphärische werde ich am Wochenende noch eingehen – die Kommunen machen derzeit und immer den Wert von Kulturveranstaltungen ja lieber an Bausubstanz und Touristenverträglichkeit fest als an inhaltlicher Substanz. Und ich habe bislang keine Sorge, dass die Kurzfilmtage eine inhaltliche Auseinandersetzung besser scheuen müssten.
P.S.: Zur Einstimmung vielleicht mal die Berichte vom vorletzten Jahr? https://www.ruhrbarone.de/die-68er-die-89er-und-das-geneigte-publikum-kurzfilmtage-oberhausen-2008/ https://www.ruhrbarone.de/oberhausener-kurzfilmtage-teil-2-vom-festival-zum-zeitgenossischen-museum-%e2%80%93-eine-nachbetrachtung/
Ist ja okay. Mein Kommentar liest sich jetzt auch etwas kurz ab.
Aber jetzt die sog. Poplinke für die Kulturmisere verantwortlich zu machen, wenn gerade auch spannende Ansätze weggespart werden, ist auch einfach.
Vgl. zum Beispiel das Frauenfilmfestival „femme totale“, das auch mal jährlich stattgefunden hat und für die, die sich für Film interessieren, sehr spannende Beiträge hatte. Ist natürlich auch wieder „links“ und „intellektuell“ und, seufz, „pop“.
Mir scheint einfach in dem Genörgel gegen „die Szene“ (wo ist die im Alltagsleben überhaupt? Ich krieg nix mit…) die Polemik (die ich ja nachvollziehen kann) auf das falsche Ziel gerichtet.
@#1 Goncourt
„Man kann doch froh sein, wenn im Ruhrgebiet überhaupt sowas noch stattfindet.“
Ich teile diese Meinung.
@Angelika: Naja, froh zu sein bedarf es wenig. Und „überhaupt noch“ ist mir (auch) zu kulturpessimistisch.
@Goncourt: Ich mach doch bitte nicht die Poplinke für eine Misere verantwortlich! Es geht wenn dann doch genau um das altbekannte Problem, dass diese so gerne in so einer süßen, kleinen Kulturblase haust, die ja auch Miese machen darf, weil dann vielleicht mal das bedingungslose Grundeinkommen und die Revolution, etc…. Privat sage ich dann immer „Ich glaube, ich darf das sagen“, denn ich nehme mich da nicht aus und hab’s womöglich schon schlimmer getrieben mit der etwas entwurzelten Popseligkeit. Auch deshalb wird die Polemik schon aufhören, wenn ich erst einmal wieder vom Charme der Veranstaltung eingenommen sein werde. 🙂 Und dass ich für eine gewisse Zusammenlegung von Theatern, Opern etc. im Rahmen der Trümmermenschenbespaßungs“hoch“kultur hier im Ruhrgebiet bin, habe ich ja bei den Ruhrbaronen schon deutlich gemacht. Friede den Hütten, Krieg den Palästen, jaja. Bürokratieabbau muss auch, mehr für soziale Zwecke und Jugendarbeit, weniger für reine Selbstbespaßungsklitschen, mehr für Internationalität, weniger für museale Ruhrfolklore, etc. Soziokulturelle Zentren, die auch also solche funktionieren, bitte, etc. s.a.: https://www.ruhrbarone.de/jugend-kultur-zentren-%e2%80%93-teil-8-zeche-carl-essen/ ff. Meine Güte, ich verstehe ja eine gewisse Dünnhäutigkeit der Szene derzeit!
Und: Nicht froh sein, auch hingehen bitte – ich mach’s ja auch. 😉
@#5 Jens Kobler
„…Naja, froh zu sein bedarf es wenig…“
Ich bin eben so anspruchslos …
@Angelika: „… und geh hin.“? 🙂