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Hohe Zahlen haben derzeit Konjunktur. Seit Wochen werden milliardenschwere Rettungspakete diskutiert, für Banken, für Autofabriken und bald wohl auch für andere „Schlüsselbereiche“ der deutschen Wirtschaft. Von Dirk E. Haas

Besichtigung anlässlich des Erhalts der Scharoun-Schule auf Initiative des BDA (Bund Deutscher Architekten). Foto: Mengedoht

Einige Monate bevor wir uns an die Zahlen mit den sehr vielen Nullen gewöhnen mussten, hat das Deutsche Institut für Urbanistik (difu) eine Studie mit dem Titel „Investitionsrückstand und Investitionsbedarf der Kommunen“ vorgelegt, die den mittelfristigen Investitionsbedarf für kommunale Infrastruktur berechnet hat: 704 Milliarden Euro müssen die deutschen Städte und Gemeinden bis zum Jahr 2020 in Straßen, Schulen, Abwasserbeseitigung, ÖPNV, Krankenhäuser, Sportstätten usw. investieren (daran sollte man sich erinnern, wenn man jetzt über Konjunkturprogramme oder Steuersenkungen nachdenkt).

Den zweitgrößten Anteil am Gesamtvolumen nehmen die städtischen Schulen ein: Innerhalb von ca. 15 Jahren (das difu betrachtet den Zeitraum von 2006-2020) müssen laut Studie ca. 73 Milliarden Euro für die Sanierung, den Umbau und die Erweiterung vorhandener Schulen verausgabt werden, damit sich die Leistungsfähigkeit der Schulinfrastruktur nicht weiter vermindert. Die Rede ist wohlgemerkt einzig und allein von Schulen – Sanierung, Erweiterung und Neubau von Fachhochschulen und Universitäten sind darin gar nicht enthalten, weil sie in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen.

Was bedeutet das für das Ruhrgebiet? Ermittelt man der Einfachheit halber den Investitionsbedarf für Schulen im Ruhrgebiet proportional zum Gesamtansatz (was man streng genommen nicht tun sollte, da der Investitionsbedarf in den neuen Bundesländern wegen der vielen Schulneubauten in den letzten 15 Jahren dort vergleichsweise geringer ist), geht die Rechnung folgendermaßen: 73 Mrd. Euro bei ca. 82 Mill. EW – das entspricht in etwa 900 Euro pro EW. Im Ruhrgebiet mit seinen 5 Millionen Einwohnern wären dies also ca. 4,5 Milliarden Euro, die bis 2020 in die Schulen der Region investiert werden müssten – es dürften eher mehr sein, denn das Ruhrgebiet hat einen überproportional hohen Besatz an veralteten Schulgebäuden.

4,5 Milliarden Euro – ist das nun viel oder wenig? Hamburg wird sagen: „Das ist nicht viel. Das sind gerade mal zehn Elbphilharmonien“, und auch die Blitzrechner im Ruhrgebiet dürften nur mittelmäßig beeindruckt sein: „4,5 Mrd. Euro geteilt durch ca. 15 Jahre, das sind 300 Mio. Euro, geteilt durch 5 Mio. EW sind das doch nur 60 € im Jahr, also 5 € pro Monat – meine Güte, das ist EINE Margherita, ohne alles. Wo ist das Problem?“     

Es ist auch dringend notwendig, dass diese viereinhalb Milliarden Euro kein Problem darstellen, denn sie sorgen lediglich dafür, dass das vorhandene System weiter funktioniert: Veraltete, undichte Fenster werden ausgetauscht, neue Heizungssysteme eingebaut, gesundheitsgefährdende Baustoffe entfernt, Wärmedämmung angebracht, Datenleitungen verlegt, neues Schulmobiliar angeschafft, Fachräume renoviert und neu ausgestattet, Mensen, Cafeterien für den Ganztagsbetrieb eingerichtet usw.

Falls die Ruhrgebietsstädte in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren rd. viereinhalb Milliarden Euro in Schulgebäude investieren, ist das also noch lange keine „Bildungsoffensive“. Bildungsoffensive – das würde nämlich auch bedeuten: eine Anpassung vorhandener Schulräume an zeitgemäße Lern- und Unterrichtskulturen, eine Neuordnung der verschiedenen kommunalen Einrichtungen zu lokalen Bildungslandschaften, und natürlich eine Schaffung von bestmöglichen, Kreativität fördernden Arbeitsplatzbedingungen in den Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, wie sie etwa im modernen Bürobau völlig unstrittig sind  (– ja, Kinder, Jugendliche und Lehrer „arbeiten“ in der Schule, und wer sich die immergleichen 60qm-Lernboxen anschaut, in denen heute noch 30 Kinder Tag für Tag im Gleichtakt mit Wissen instruiert werden, wundert sich über den kompletten Widersinn eines solchen Konzepts und muss die Schule, neben dem Callcenter, als letzte Bastion des fordistischen Arbeitsprinzips empfinden; aber das nur am Rande).

Bildungsoffensive – das würde auch bedeuten, Bildungseinrichtungen für eine aktive Stadtentwicklung einzusetzen. Denn Schulen sind – das wird in den zahlreichen Programmgebieten der „Sozialen Stadt“ besonders deutlich – mit neuen Aufgaben und Anforderungen gesellschaftlicher Integration verbunden, sie fungieren dort als sozial stabilisierende Zentren eines Quartiers oder Stadtteils. Aber es geht noch weiter: Die Qualität von Schulen ist immer häufiger ein Ausschlag gebendes Motiv für Wohnortwechsel, und zwar im positiven wie im negativen Sinne. Familien ziehen in solche Städte oder Stadtteile, in denen die aus ihrer Sicht guten Schulen gelegen sind, nicht selten – und nicht nur in Berlin – fingieren sie sogar solche Wohnortwechsel, damit die Kinder an den betreffenden Schulen angenommen werden. Und aus den Stadtteilen mit den vermeintlich schlechten Schulen ziehen sie weg. Das mag man für kleinbürgerliche Mittelschichtenpanik halten, es ändert aber nichts daran, dass dies stattfindet, also Realität ist. Und es verweist auf einen generellen Trend, dem sich gerade die Ruhrgebietsstädte stellen müssen: Mit dem Wandel von der alten Industrie- zur Wissensgesellschaft werden jene Städte und jene Orte einer Stadt, in denen Wissenserwerb und Wissensvermittlung besonders gut gelingen, auch besonders attraktiv und erfolgreich sein. Den Schulen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: aus ihnen, den „Wohnfolgeeinrichtungen“ der Vergangenheit, werden nämlich Standortbildner der Zukunft – noch ein Grund mehr, künftig sehr viel stärker in qualitätvolle Bildungseinrichtungen zu investieren.

Was heißt das nun wieder für das Ruhrgebiet? Es heißt: 4,5 Milliarden werden nur der Anfang sein. Wer aus dieser Region auch noch eine international anerkannte Wissenslandschaft machen will, wird in den nächsten Jahren einiges mehr investieren müssen. Mehr Geld, mehr Ideen, mehr Aufmerksamkeit.

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Jens Kobler
Jens Kobler
16 Jahre zuvor

Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass manche wichtigen Artikel eben deshalb gut und wichtig sind, weil eben nicht viel hinzuzufügen ist – Blogwesen hin und her. Und auch wenn dies ein „downward spiral“-Artikel ist: Gut. Wichtig. Danke.

Thomas
16 Jahre zuvor

>Den Schulen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: aus ihnen, den ?Wohnfolgeeinrichtungen? der Vergangenheit, werden nämlich Standortbildner der Zukunft[..].

Ausgezeichnete Ausarbeitung. Die gute alte Schule-macht-Leute-die-machen-Zukunft-These urbanistikmäßig voll auf den Punkt gebracht.

Aber – ich hab‘ da noch eine Frage:

In den Zeiten des sozialdemokratischen Füllhornes war es ja noch so, daß die Aktion Gemeinsinn die Facharbeiter auf den Hütten und in den Pütts vor den Werkstoren beworben hatte auf Großplakatleinwänden:

Schick Dein Kind länger auf bessere Schulen!

https://www.goethe.de/wis/sub/thm/pan/de514154.htm

Das war zu Zeiten des NRW-Kultusministers Girgensohn (unter Kühn und Rau, bis 1983), übrigens ein großer Mann hinsichtlich der Bildungsreform in all ihren Implikationen.

Jetzt gehen unsere Kinder alle auf Privatschulen oder in teure Internate, wiewohl wir den Gedanken der Gesamtschule als Urbanitätsknubbel immer noch verteidigen.

Auch Girgensohns Kids sind damals auf eine Privatschule gegangen.

Also, ich frage mich,

so schön die Theorie ist,

welcher LOHA will seine Kids mit denen von den bildungsfernen Schichten etwa von Gelsenkirchen-Bismarck oder Duisburg-Hochfeld freiwillig beschult sehen,

ob wir – die Girgensohnschüler – nicht scheinheilig sind.

So – what’s the beef?

Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
16 Jahre zuvor

@ Thomas: Der Privatschulboom ist eine Reaktion auf die chronische Vernachlässigung öffentlicher Schulen, und das gilt für alle Schulformen, egal ob Hauptschule, Gesamtschule oder Gymnasium (ich könnte Fotos zeigen von diversen Ruhrgebietsgymnasien, Gymnasien, die sich ?Eliteschule für dies? oder ?Exzellenzschule für das? nennen, die veranschaulichen ein Maß an Verwahrlosung und Notbetrieb, dass mir die Eliten, die dort zur Schule gehen, aufrichtig leid tun).

Diejenigen, die es sich leisten können, gehen solchen Zuständen natürlich aus dem Weg: Sie ziehen woanders hin, gründen Privatschulen oder peppen mittels finanzkräftiger Eltern- oder Alumnivereine ?ihre? öffentliche Schule auf (das geschieht meist in gut situierten Stadtvierteln, die ohnehin homogene soziale Milieus aufweisen). Scheinheilig ist das nicht, eher individuell rational.

Wenn man dieses soziale und räumliche Auseinanderdriften aus welchen Gründen auch immer für falsch hält, muss man zunächst einmal die Vernachlässigung öffentlicher Schulen in ihr Gegenteil verkehren: Schule muss ein Grund sein, zu bleiben (oder zu kommen), kein Grund zu gehen ? und zwar nicht aus irgendwelchen moralischen Gründen, sondern weil sie, ganz nüchtern betrachtet, die wichtigsten Produktionsstätten in der ?Stadt der Wissensgesellschaft? sind. Wer solche Produktionsstätten weiter vernachlässigt und stattdessen lieber dreispurige Autobahnen für Schattenwesen (die ?Investoren?, die ganz unbedingt kommen müssen) baut, muss damit rechnen, dass diese Autobahnen ganz schnell zu großen Ausfallstraßen werden.

Ein Nachsatz:
In Bildungsfragen wird gerne moralisch oder ideologisch argumentiert (wir kennen alle die seit Jahrzehnten parteipolitisch kontaminierten Debatten über Schulsysteme ? im übrigen eine deutsche Besonderheit), aber Bildung ist auch eine zutiefst ökonomische Angelegenheit. Und wer sich ein bisschen für ?Stadt? interessiert, der weiß: Nichts verändert Städte mehr als Ökonomie (mal abgesehen von Krieg und Katastrophen). Insofern ist ?Wandel durch Ökonomie? für eine Stadt letztlich immer grundlegender als etwa ?Wandel durch Kultur? (die rhetorische Figur, die im Moment durchs Ruhrgebiet tourt). Auch die Wissensökonomie wird ?Stadt? verändern: so oder so. Kluge Städte nutzen sie für Reurbanisierung ? mitunter auch unter Beteiligung von Scheinheiligen (-: Ernst Hubeli, ein Architekt aus Zürich, sagte mir letztens: Gute Städte, die sind ohne schlechte Menschen nicht zu haben.

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