50 Jahre Moers Festival

Tim Isfort Foto:
Matthias Hesse


„Improvisation ist eine gesellschaftliche Idee, Moers hat 2021 den Kampf für eine neue Zukunft der Kunst aufgenommen,“ sagt Tim Isfort im Time-Tunnel, einer seit langem versiegelten Unterführung in der Innenstadt, in die das Festival geladen hat. Von unserem Gastautor Matthias Hesse.

Vergangenes Pfingsten war das Moers Festival das erste seiner Art, das trotz Pandemie stattfand, indem es komplett ins Internet gestreamt wurde – flankiert von allerlei Versuchen, mit den virtuellen Besucherinnen und Besuchern interaktive Tuchfühlung aufzunehmen, von der internationalen Jazzpresse mit reichlich Aufmerksamkeit bedacht. Nun fällt ausgerechnet das 50. Jubiläum des traditionsreichen, 1972 noch als New Jazz Festival Moers firmierenden Spektakels ins streamingmüde zweite Pandemiejahr. Deshalb ist die Hoffnung beim künstlerischen Leiter Tim Isfort und seinem Team gross, bei den überwiegenden Open Air-Veranstaltungen im Schlosspark ausreichend Distanz und Platz zu haben, um den auftretenden Künstlerinnen und Künstlern ein physisch anwesendes Publikum präsentieren zu können und umgekehrt – echten Menschen spannende Konzerte bieten. Möglichst ohne Bildschirm dazwischen. So soll in der Festivalhalle nur eine von zwei Hauptbühnen stehen, dezentral viele weitere Bühnen bespielt und im Netz experimentellere Formen ausprobiert werden, als einfach nur eine Kamera drauf zu halten. Virtual Reality zum Beispiel, beziehungsweise „Ausgedachtes Raum-Zeit-Vorhandenheitsgefühl“ (ARZV), wie es im Jahr 2040 heissen könnte, in dem die performativ angedickte Programmvorstellung als Retrospektive aus der Zukunft angesiedelt ist.

Ein wahrhaft bizarrer lost place, den wir wie Höhlenforscher durch eine schmale Öffnung erklettern müssen. Dort kämpfen die Morphs gegen die neophoben Pyrills, und in diesem Science-Fiction-Setting gestattet uns ein Archäologenteam den Blick aufs die geplanten Konzerte. Die gesamte Veranstaltungsbranche, zahlreiche Musikerinnen und Musiker, leiden seit einem Jahr unter Arbeitsbeschränkungen und Lockdown. Mittlerweile geht es oft nicht mehr bloß um schmerzhafte Umsatzeinbussen, sondern um Existenz und den Zusammenbruch des Lebenswerks. Statt sich also in der Rückschau auf 50 Jahre Subversion, Regelbruch, Avantgarde und Experiment selbst zu feiern, bietet sich das Corona-Jubiläum an, sich zukunftsorientiert und kämpferisch zu zeigen.Einen wesentlichen Focus will Isfort auf die Musikszene in Addis Abbeba legen. Hier ist zum einen eine exklusive Großformation in Planung, in der sich äthiopische, brasilianische und skandinavische Musikerinnen und Musiker in der Improvisation begegnen werden; aber auch Arbeiter, die in Äthiopien unseren europäischen Wohlstandsmüll händisch recyclen, kommen im Projekt Mercato Workers feat. Han Benning mit ihren organischen Polyrythmen auf die Bühne. Lightning Bolt aus USA sind neben Will Guthry, Joe McPhee und Joëlle Léandre grosse Namen, die sich angekündigt haben. Die Dudelsackformation La Théne, Nihiloxika („Schlagzeugwahnsinn aus Uganda“), Julien Desprez und eine Kooperation mit dem Peng! Collective werden für musikalische Grenzgänge und Entdeckungen sorgen.Weitere Programmpunkte, Ausstellungen, History-Geocaching sowie Camping auf dem Festivalgelände bleiben auf der Wunschliste, alledings pandemiebedingt mit mehr oder weniger großen Fragezeichen. Der Unterstützung von Fördergebern und Stadt kann sich das „Jazz“ allerdings erstmal sicher sein. Auch das war 1972 nicht abzusehen, als die Chaoten in die verpennte niederrheinische Ortschaft einfielen und hiesige Hotelliers noch keine dunkelhäutigen Musiker beherbergen wollten. Die Langlebigkeit der oft skeptisch bis hasserfüllt beäugten Krachveranstaltung hat viele Väter und Mütter. Die derzeit wohlwollende Akzeptanz in der Stadtgesellschaft aber ist das Ergebnis einer offensiven und leidenschaftlichen Festivalpolitik in den letzten Jahren.

Das 50. moers festival findet wie immer an Pfingsten vom 21.-24. Mai statt. Das komplette Programm und Informationen zu Hygienekonzept und Tickets erfährt man unter https://moers-festival.de

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Ash

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