60 Jahre Bundesliga zwischen Boss Hoss, Harry Kane und Middendorp-Demission

Der VfL Bochum pendelt zwischen blauem Himmel und grauen Beton | Foto: Peter Hesse

Die Bundesliga war schon immer relativ handfest, aber muss ausgerechnet das neue Fußball-Jahrzehnt mit einer German Country-Ouvertüre so peinlich präsentiert werden, wie es am vergangenen Freitag im Bremer Weserstadion vollzogen wurde? Thommy Junga und Peter Hesse legen grundsätzliche Problemfelder frei – und reden dazu über Saudi Arabien, den VfL Bochum, Borussia Dortmund und Union Berlin.  

Peter Hesse: Vergangenes Wochenende ist die Bundesliga in ihre 60. Saison gegangen – was hat dich in diesem Sommer am meisten genervt: der zähe Harry Kane Transfer zu den Bayern, der missglückte Boss Hoss Auftritt mit der Deutschland-Hymne in Bremen oder der spektakuläre Rücktritt von Ernst Middendorp beim SV Meppen?

Thommy Junga: Ich bin davon überzeugt, diese Boss Hoss Nummer ist ein eindeutiges Symptom. Ein Verbandsgefüge aus Liga und DFB, das mit Rudi Völler in die Zukunft durchstarten will, ist erfolglos und wird ein völlig unsolidarisches Vermarktungskonzept anstreben.  Und wer ein Jahr vor der EM im eigenen Land 0,0 Euphorie entfachen will, der holt diese musikalischen Trümmer aus Gitarrenmottenkiste. Wer solche Entscheidungen trifft, der findet es auch schön, wenn zuhause alles weiß eingerichtet ist. Zum nächsten Teil deiner Frage: Ich bin skeptisch, ob Harry Kane der Liga so gut tut – ich befürchte er wird eher den Finger in die Qualitätswunde legen und grundsätzliche Problemfelder aufdecken. Für die Bayern wird es mit ihm in der Liga aber wieder fraglos leichter, worüber wir alle natürlich sehr erleichtert sind. Grundsätzliche Problemfelder waren ja wohl dem Vernehmen nach auch die Ursache der Middendorp-Demission. Ich kann gut verstehen, dass er nicht die halbe Trainingseinheit mit Styling vertrödeln wollte. Mich persönlich hat vor allem dieser saudische Staatsfond genervt, der da jetzt Fußballmanager im Cheat-Modus spielt.

Neymar kickt jetzt für großes Geld in Saudi-Arabien | Foto: wikipedia / soccer.ru / CC BY-SA 3.0

Peter Hesse: Gutes Stichwort: Cristiano Ronaldo, Karim Benzema, Sadio Mané, Neymar und viele weitere Fußballprofis aus Europas Topligen schlossen sich in den vergangenen Wochen Klubs aus Saudi-Arabien an. Die Stars kassieren im Wüstenstaat groß ab – wird die neureiche Operettenliga im Wüstenstaat jetzt ein Cosmos New York in der 2.0-Version?

Thommy Junga: Immerhin ist Saudi-Arabien ein fußballbegeistertes Land. Das war dann auch mit den positiven Unterschieden zum amerikanischen Ligaexperiment aus den Siebzigern. Dieses staatsgesteuerte Sportwashing eines Landes, in dem jede Woche Leute hingerichtet werden, ist schwer zu ertragen. Ich finde es erbärmlich und bin einigermaßen erleichtert, dass die Übertragungsrechte angemessen wertlos bleiben und zum Beispiel in Deutschland kaum jemand dieser Liga Beachtung schenkt. Es ist allerdings bedauerlich, wie durch diese fortlaufenden Transfermeldungen mittlerweile dieser ganze Zirkus als normaler Teil der Fußballrealität wahrgenommen wird. Das erste Ziel dieser großen Imagekampagne ist damit schon erreicht und wir müssen wohl akzeptieren, Saudi-Arabien auf der Fußballlandkarte zu haben.

Peter Hesse: Bei der 5:0 Pleite beim VfB Stuttgart brachte der VfL Bochum offensiv kaum mal den Fuß in die Tür. In dieser Form sind sie neben Heidenheim und Darmstadt ein lupenreiner Abstiegskandidat. Wie bekommt man schnell das Gewinner-Gen wieder an die Castroper Straße?

Thommy Junga: Die Bochumer haben wieder große Transferbewegungen im Kader, die Neuverpflichtungen (ausgenommen den Transfer von Bernados) scheinen die Mannschaft eher in der Breite, denn in der Spitze zu verstärken. Ich sehe diese Bochumer Saisonvorbereitung und die Transferpolitik daher durchaus kritisch: es wurde die schlechteste Abwehr der letzten Saison erfolgreich zusammengehalten, das neue Wunschsystem des Trainers Thomas Letsch setzt eine hohe taktische, aber auch fußballerische Qualität voraus, die ich in diesem Kader nicht sehe und gestandene neue Leader sucht man vergebens. Im dritten Jahr Bundesliga wäre der nächste Schritt nötig, es wäre Zeit für finanziell mutige und nachhaltige Entscheidungen. Das Sieger-Gen wie du es nennst, oder die VfL-DNA, wie ich es nenne, lautet ungeachtet all dessen aber wieder ein unangenehmer Gegner zu sein, in der 80. Minute an der Eckfahne in der Grätsche angeflogen zu kommen und das Ding aus dem Gewühl in der 90. reinzudrücken, völlig unabhängig vom System. Der VfL ist eigentlich ein Verein mit Gänsehautpotenzial – derzeit aber viel zu brav.

Brot und Spiele im Windschatten vom VfL Bochum | Foto: Peter Hesse

Peter Hesse: Mit Marcel Sabitzer (vorher FC Bayern), Ramy Bensebaini (Gladbach) und Felix Nmecha (Wolfsburg) gingen die Dortmunder Borussen sehr sparsam mit den Bellingham-Millionen um. Kommt bis zum Transfer-Stichtag am 1. September noch ein prominenter Name an die Strobelallee? Oder sparen Watzke & Co. lieber für schlechte Zeiten?

Thommy Junga: Aki Watzke hat zuletzt noch einmal betont, wie froh er über die finanzielle Konsolidierung des Vereins sei. Ein Transfer-Halali geht sicher anders – kann aber auch Taktik sein und der Geschäftsführer will mit herausgerupften Hosentaschen die Preise drücken. Ich weiß noch nicht, ob die Borussen mit Emre Can auf der 6 dauerhaft glücklich werden und könnte mir vorstellen, dass in diesem Bereich noch etwas passiert. Auch wird ja immer noch über ein Backup zu Haller diskutiert. Grundsätzlich ist der Kader der Dortmunder aber auch schon jetzt für höhere Aufgaben geeignet und steht sich höchstens selbst im Weg. Da ist jetzt Trainer Edin Terzic gefordert. Sein Welpenschutz dürfte annähernd verbraucht sein, er muss jetzt die neue Handschrift für Dortmund entwickeln.

Ist Manager Oliver Ruhnert der eigentliche Star bei Union Berlin? | Foto: wikipedia / Lesen gegen das Vergessen / CC BY 2.0

Peter Hesse: Kevin Volland, Robin Gosens und David Fofana – Union Berlin hat ganz prominent am Transfermarkt investiert. Beim 4:1 gegen Mainz war Goalgetter Kevin Behrens der Mann des Tages, weil er gleich dreimal traf. Wie schätzt du Union ein – können sie sich wieder an der oberen Tabellenspitze etablieren?

Thommy Junga: Wir werden diese Woche sehr viele Kevin Behrens Homestories und Interviews mit Jugendtrainern vor Kopfballpendeln zu sehen bekommen. Der eigentliche Star bei Union ist aber Geschäftsführer Oliver Ruhnert. Er steht für diese Kultur bei Union alle Entscheidungen gleichermaßen mit Mut und Augenmaß zu treffen und hat bewiesen, dass das kein Widerspruch sein muss. Er gibt Trainer Urs Fischer jetzt die Spieler um die Eisernen auf das nächste Level zu heben und wettbewerbsfähig für die neuen Aufgaben zu sein. Fußball findet bei Union im ›Jetzt‹ statt und das ist es, was zum Beispiel in Bochum  gerade versäumt wird. Ein Verein ähnlichen Potenzials, der auf dem besten Wege ist mit 20 Millionen Festgeld abzusteigen. In Berlin bewahren sie die Kultur des Vereins und stellen sich dennoch den Herausforderungen und Realitäten des Marktes.

 

 

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