Fast jeden Tag erinnert mich Facebook daran, anderen Menschen zum Geburtstag zu gratulieren und fast immer tue ich das dann auch. Ich mag diese Funktion. NRW wurde mir heute nicht vorgeschlagen. Ob es daran liegt, dass ich dieses „NRW“ nie zu meine Freunden hinzugefügt habe?
Obwohl ich, mit eine fünfjährigen Unterbrechung, die ich in Frankfurt wohnte, mein ganzes Leben in Nordrhein-Westfalen verbrachte, habe ich nie irgendeine Beziehung zu diesem Land aufbauen können. Das hat nichts damit zu tun, das dieses Land „künstlich“ ist, das sind all diese Einheiten, egal ob sie Deutschland, NRW oder Ruhrgebiet heißen, sondern dass es mir schwer fällt, ja unmöglich ist, irgendein Gefühl zu einer politischen Einheit zu haben. Ein Gefühl wie „Heimat“ oder „zu Hause“ ist bei mir ohnehin kaum ortsbezogen. Zu Hause bin ich, wo die Menschen sind, die ich mag und dann gibt es noch ein paar Stadtteile deren Atmosphäre ich schätze. Frankfurt natürlich, das Ehrenfeld in Bochum, wo ich wohne und noch einige andere Quartiere, oft sind es nur ein paar Straßenzüge. Alles andere ist eine politische Frage. Ich war nicht dafür, dass das Ruhrgebiet eine stärkere politische Einheit wird, weil ich irgendwelche Heimatgefühle für das Revier hege, sondern weil ich es für politisch und wirtschaftlich vernünftig hielt. Und warum ich das in der Vergangenheitsform schreibe? Weil die Debatte darum beendet ist und sich das Ruhrgebiet für einen anderen Weg entschieden hat. Und damit bin ich dann auch raus aus der Geschichte – so einfach ist das.
Und Nordrhein-Westfalen? Mein Verhältnis hat drei Ebenen. Die erste hat mit Heimatgefühl zu tun: Habe ich nicht, ist mir vollkommen egal. Siegen oder Bielefeld sind mir persönlich so wichtig oder unwichtig wie Kassel und Kiel. Abgehakt.
Die politische Ebene ist verbunden mit dem Slogan „Wir in NRW“, den Bodo Hombach für einen Wahlkampf von Johannes Rau erfand – es ist ein SPD-Slogan, es ist ein guter Slogan, aber er wirkt bei mir so so wenig wie „Willst Du viel, spül mit Pril“. Auch ein guter Slogan, aber ich habe trotzdem noch nie Pril gekauft – oder SPD gewählt. Das sozialdemokratische Konstrukt NRW mochte ich noch nie, es war mir immer zu behäbig, der soziale Anspruch, den das Land schon seit seiner Gründung hatte und der von Karl Arnold (CDU), seinem ersten Ministerpräsidenten formuliert wurde, war mir immer fremd. NRW war immer „Versöhnen statt spalten“, ein weiterer Rau-Werbe-Slogan, ein Land, das langsam ist und nicht gewinnen will, ein Land, wie eine AWO-Sozialstation. Funktional eingerichtet und so aufregend wie ein Senioren-Tanztee, bei dem ein Juso für die Musik sorgt. Mir ist das alles immer fremd geblieben.
Die dritte Ebene ist eine praktische. Ich lebe in diesem Land und bekomme zumindest ab und an die Folgen der Qualität der Regierung zu spüren. NRW ist ein Versagerland, und viele scheint das nicht zu stören: Geringe Bildungsausgaben, kein Wachstum – das sind fatale Ergebnisse der politischen Arbeit. Auf die Dauer wird es hier dann unangenehm. 70 Jahre NRW sind kein besonderer Grund zu feiern. Es wäre ein guter Grund, darüber zu streiten, wie es weiter geht. Aber hier versöhnt man ja lieber, als zu spalten.
Aki Watzke (vom BVB) hat kürzlich in der Bilanzpressekonferenz des Clubs einen Standortnachteil gegenüber dem FC Bayern ausgemacht. Er beklagte dort öffentlich das Nullwachstumsland NRW, ‚neidete‘ dem Ligakonkurrenten aus dem Süden seinen Standort, bezeichnete diesen sogar als ‚Land in dem Milch und Honig fließt‘. Fand ich spannend. Man konnte ihm da auch nicht völlig widersprechen. Auch wenn man, wie ich, durchaus lokalpatriotisch veranlagt ist… Über die Gründe mag man natürlich diskutieren. Aber der Zustand von NRW ist tatsächlich beklagenswert und sicherlich kein Standortvorteil. Eher ein trauriger Geburtstag…
Menschen orientieren sich nun mal nur gezwungenermaßen an Länder- oder Gemeindegrenzen. Wenn der Nachbar in einer anderen Stadt oder sogar in einem anderen Land wohnt, nur weil die Stadt- oder Ländergrenze zwischen zwei Häusern oder Straßenzügen liegt, bzw. auf dem Weg zu nächsten Stadt eine Landesgrenze überschritten werden muss, ändert das nichts an der räumliche Nähe und den sich daraus ergebenden sozialen Beziehungen.
Eine räumliche Bindung entsteht über Menschen und nicht über eine formale Ortszugehörigkeit, wobei sich beides natürlich decken kann. Selbst eine nationale Identität funktioniert nicht ohne menschliche Bindungen, es sei denn sie wird politisch und kulturell absichtlich so aufgeladen, das sie darauf verzichten kann. Formale Grenzen trennen deswegen häufig Menschen und Räume, die eigentlich zusammengehören oder fügen umgekehrt Räume und Menschen zusammen, die wenig bis gar nichts miteinander gemein haben.
Ich selber habe deswegen auch keine Beziehung zu NRW . Die Landeshauptstadt ist für mich eine ganz normale Großstadt am Rhein. Das Rheinland ist das Rheinland sowie das Münsterland das Münsterland und das Sauerland das Sauerland ist. Das städtische Kernruhrgebiet liegt irgendwie dazwischen und steht mir viel näher, weil ich darin bis heute einen Teil meines alltäglichen Lebens verbringe. Das wäre auch nicht anders, wenn ich statt in Wanne-Eickel in Bottrop, Bochum oder Dortmund geboren worden wäre.
Dazu ist aus verschiedenen Gründen über die letzten 3 Jahrzehnte New York City und Berlin gekommen, wo ich jedes Jahr auch einen Teil meines alltäglichen Lebens verbringe und mittlerweile genauso enge Freundinnen und Freunde habe wie im Ruhrgebiet. Deswegen sind mir auch diese beiden Orte wichtig geworden, bzw. ist mir nicht egal was dort geschieht. Zu mehr reicht allerdings mein räumliches Bindungspotential beim besten Willen nicht.