Als das erste Flugzeug Nordturm des World Trade einschlug las sich die Meldung auf Spiegel-Online noch harmlos. Bei Flugzeug dachte ich an eine Cessna. Ein Drama, sicher, aber keine Katastrophe. Ich schaltete CNN ein und kurz raste ein Passierflugzeug in den Südturm. Nun war klar, dass Krieg ist. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, wer hinter den Anschlägen steckte, erste Gerüchte nannten palästinensische Gruppen, erst später fielen die Namen Al-Qaida und Osama bin Laden, war eines sicher: Das war ein Angriff auf den Westen. Wie Millionen anderer verfolgte ich den Einsturz der Türme, den Anschlag auf das Pentagon und den Absturz des United-Airlines-Flugs 93 in Pennsylvania. Dass es an Bord dieses Fluges einen Aufstand der Passagiere gegen die Terroristen gegeben hatte, war damals noch nicht klar.
Vier Angriffe in so kurzer Zeit: Niemand wusste, was noch kommen sollte. Eine Mischung aus Entsetzen, Angst und Wut machte sich breit. Bei mir aber auch das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich „Der Westen“ nannte, wie ich es nie zuvor erfahren hatte. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Auch nicht geändert hat sich die Erkenntnis, dass die Feinde des Westens nicht in irgendwelchen Steinwüsten sitzen, sondern unter uns leben: Die an dem Anschlag führend beteiligten Terroristen Mohammed Atta, Ziad Jarrah und Marwan al-Shehhi lebten und studierten in Hamburg, Ziad Jarrah wohnte zeitweilig bei seiner Freundin in Bochum. Eine seiner Lieblingsmoscheen wollte bis vor Kurzem von der Lokalpolitik dabei unterstützt, einen Neubau zu errichten. Erst die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht sorgte für die Abkühlung des Verhältnisses zwischen Stadt und Moscheeverein.
Spätestens seit 20 Jahren, seit dem Anschlag auf das World Trade Center und das Pentagon, steht der Westen mit dem Rücken an der Wand. Unsere Art zu leben, unsere Werte, sehen Islamisten auf der ganzen Welt als Gefahr an. Zurecht: Denn Freiheit, Universalismus und Markwirtschaft sind mächtige Ideen. Bei den Kriegen in Afghanistan konnten westliche Armeen, auch die Bundeswehr, zahlreiche Terroristen töten und es war besser, dies in Kabul tun zu können als in Karlsruhe oder Köln tun zu müssen. Daran endet auch die Niederlage in Afghanistan nichts. Nur dass der Kampf bald wieder vermehrt in unseren Städten geführt werden wird.
Mittlerweile hat der Druck auf den Westen weiter zugenommen: China hat wirtschaftlich, und militärisch Bedeutung gewonnen und setzt den Westen zunehmend unter Druck. Die Türkei und Russland haben sich in das Lager seiner Feinde begeben und selbst EU-Staaten wie Ungarn und Polen kann man nicht mehr klar als den westlichen Werten verpflichtet beschreiben.
Doch die Probleme des Westen liegen nicht nur jenseits der Grenzen der Staaten, die sich noch klar zu seinen Werten bekennen. Postmoderne Ideologien, Cancel-Culture und Wokeness wenden sich von Innen gegen die Ideen der Aufklärung und des Universalismus und denunzieren sie. Der Westen kann die Auseinandersetzung mit dem Islamismus, China und autoritären Regimen nur bestehen, wenn er seiner selbst sicher ist. Dazu gehört, dass ist seine Stärke, dass er sich hinterfragt und offen für Kritik ist, allerdings ohne seine Grundlagen zu gefährden. Es mag sein, dass wir die Freiheit nicht immer militärisch an jedem Punkt der Welt verteidigen können. Aber indem wir selbstbewusst klar machen und unter Beweis stellen, dass unsere Art zu leben den Menschen mehr Freiheit, Wohlstand und die Möglichkeit gibt als jede andere Ideologie oder Glauben werben wir für die universellen Werte der Aufklärung, die für Menschen in Taiwan oder Oppositionelle in Hongkong, aber auch viele Afghanen und vor allem Afghaninnen nach wie vor die einzige Hoffnung auf ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung sind.
Ja, der Westen steht unter Druck. Er steht es von außen und von innen. Heute vor 20 Jahren, an einem Dienstag im September, wurde er militärisch angegriffen. Die Antwort kann nur in überzeugender Stärke und dem Mut zur Auseinandersetzung liegen: Militärisch, wirtschaftlich und intellektuell.
Diese Terroranschläge für den eigenen Kulturkampf gegen angebliche "Postmoderne Ideologien", "Cancel-Culture" und "Wokeness" zu missbrauchen (was ja alles mit den Anschlägen nicht mal entfernt etwas zu tun hat), muss man erst mal bringen.
Die Antwort des Westens, speziell Europas, lautet fast durchgehend: Stillhalten, Wegducken, Kopfnicken. Das Problem sollen andere (USA) alleine regeln, wir haben damit nichts zu tun. Hier hält man sich raus oder bittet (in entsprechend hochmoralischen Kreisen) unablässig um Vergebung für alle möglichen historischen Untaten, die man natürlich ausschließlich bei sich bzw. beim „Westen“ verortet. Dass ausgerechnet der Einsatz in Afghanistan – wenigstens ansatzweise ein Ausbruch aus dieser verhängnisvollen Lethargie – auf so absurde Weise scheitern musste, ist fast schon ein trauriger Witz.
Dieser barbarische Massenmord, ausgeführt von Vertretern des politischen Islam, hat zumindest bei mir die Einstellung gegenüber dieser hochgradig toxischen Ideologie geändert. Das religiöse Leben unterhalb dieser Ebene ist akzeptabel, solange es sich ausschließlich im privaten Bereich bewegt.
Um den Bogen zur eingangs kritisierten Haltung des Westens zu schließen, will ich noch den mehr symptomatischen Ausspruch einer Freundin – gar nicht mal besonders weit links sondern eher alternativ ausgerichtet – anfügen, die meinte, „da hätte es ja mal die Richtigen getroffen“.
Was kann "derWesten" mit seinen vielen Waffen machen? Einzig ihm unangenehme, militärisch schwächere Systeme kann er besiegen, aber um die gewonnenen Gebiete zu halten und gewisermaßen zu reformieren, braucht er die Zstimmung der dortigen Bevölkerung. Und genau die hat er selten. Was er aber vor allem auch nicht hat, sind Menschen, die von seinen "westlichen Werten§ derart überzeugt sind, daß sie sich zu deren Durchsetzung sogar die Gedärme aus dem Bauch schießen lassen. Militärisch war der Krieg in Afgahnistan sehr schnell gewonnen. Al Kaida im Gebirge zu finden und zu schwächen ist auch gelungen. Die Probleme begannen mit dem Versuch, dort ein Regime zu installiern, das nicht die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich binden konnte. Soweit ich mich erinnere, waren unsere Soldaten anfangs mit keinem robusten Auftrag, sondern als eine Art Sozialarbeiter in Uniform dort. Und das war gelogen. Das entsprach zu keinem Zeitpunkt der dortigen Realität. Gelogen haben die Politiker, die die Soldaten dort hingeschickt hatten. Die Soldaten mußten sich sogar auf eigene Verantwortung verteidigen, wie das Gerichtsverfahren gegen den Oberst Klein gezeigt hat. Der ist freigesprochen worden, aber das Verfahren hätte auch anders ausgehen können. Denn diese Art Krieg sollten sie ja gar nicht führen, auch wenn sie sich das nie aussuchen konnten, Die soldaten können es sich nicht aussuchen und die Plitiker träumen ihren Traum.
Was stärker gewordene Konkurrenz betrifft, werden wir Ideen haben müssen, die sich verkaufen lassen. Jammern und wehklagen bringen da nichts. Und wenn wir mal verarmt sein sollten, spielen die woken und cancler keine Rolle mehr in der öffentlichen Debatte.
Es gibt noch einen anderen 11.9,der tausende Todesopfer gefordert hat. Da waren die USA (Mit)Täter.Und hat Chile in Sachen Aufklärung und Menschenrechte um Jahrzehnte zurück geworfen. Das ist angesichts der Türme völlig in Vergessenheit geraten. Ich habe keinerlei Sympathien für diese Kopfwindelträger und ihren "Glauben", aber nicht jeder Terrorist ist Muslim und agiert im Namen Allahs.
thomas weigle /#4
deine Unfähigkeit beim Thema zu bleiben, sowie dein Drang auch wirklich alles, was nicht in dein linkes antiamerikanisches Weltbild passt, auf dümmliche Art und Weise zu relativieren, ist schon ein Phänomen.
Den Militärputsch in Chile mit al Quaida und 9/11 in Verbindung zu bringen um den Amerikanern dann doch noch irgendwie einen völlig deplatzierten Schuldvorwurf machen zu können, ist bei 3000 Toten, die der islamistische Terrorismus vor 20 Jahren in den USA gefordert hat, so ziemlich unterste Schublade. Aber wem sag ich das?!
Mensch Bart, in Chile waren es in Folge des Putsches mehrere tausendeTote, die Schätzungen gingen auf ca.3000, tja. Ein Dienstag im September mit vielen Toten im Gefolge und noch mehr ins Exil getriebene Menschen. Und es war nun mal ein Putsch unter CIA-Regie. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
Dass die Erinnerung daran einigen Leuten sauer aufstößt, war zu erwarten.
Leider verrennt sich der Autor hier wieder in seiner eigenen Ideologie und sieht die offenkundigen Widersprüche nicht. Wenn wir den Westen nicht politisch definieren, sondern anhand von Werten, die in der Aufklärung wurzeln, richten sich "cancel culture" oder "wokeness" eben genau gegen Leute, die in anti-aufklärerischen Traditionen stehen. Ob nun der Rassismus von Gobineau, Chamberlain und Spencer, der in der Theorie schon vorhandene Vernichtungsantisemitismus von Paul de Lagarde oder der anti-aufklärerische Konservatismus von Leute wie de Maistre – sie alle erleben gerade ein Comeback in der Alt-Right, in der Identitären Bewegung und bei "fellow travellers" wie Jordan Peterson. Müssten also die "wokesters" nicht hier eher als die entschiedensten und selbstbewussten Vorkämpfer für westliche Werte zu sehen sein? Aus der deutschen Geschichte sollten wir langsam mal lernen, dass eine wehrhafte Demokratie die "Eier" haben muss, autoritären Charakteren keine Plattform zu geben.
Das Triumvirat "Freiheit, Universalismus und Markwirtschaft" erscheint mir nicht genuin westlich, sondern kann es überall geben. Marktwirtschaft gibt es auch im Iran, in Saudi-Arabien, in Somalia, im Kongo oder in Kasachstan. Unter "Freiheit" versteht doch alleine schon in Deutschland jeder etwas anderes. Westliche Popkultur hingegen kann man auch in Karachi, Nairobi, Kairo, Taschkent, Caracas oder Kinshasa konsumieren. Und die westlichen Selbstzweifel kamen nicht durch die Postmoderne, sondern durch die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs.
Wo also liegt nun der Westen? Zu Zeiten der Anschläge vom 11. September kam mir der alte Westen (also die NATO von vor 2004) noch sehr borniert gegenüber "Neuzugängen" vor, für den Durchschnitts-Westeuropäer endete der Westen damals mental immer noch an der Oder-Neiße-Linie. Huntington zog seine Grenzlinie sehr willkürlich an der zwischen Katholizismus und Orthodoxie aus dem großen Ost-West-Schisma im 11. Jahrhundert, aber nach der Logik wären Griechenland oder Rumänien nicht Teil des Westens, was wahrscheinlich nur noch bornierteste "Besserwessis" so sehen würden. Russland ist aus meiner Sicht kulturell klar ein Teil des Westens (für andere hingegen nicht), hat aber trotzdem politisch und wirtschaftlich kein nachahmenswertes Gesellschaftsmodell (wo mir andere "Pro-Westler" wieder heftig widersprechen würden).
Die USA als westliche Führungsmacht hat als engsten Verbündeten in der islamischen Welt einen Staat, dessen Politik von allen Nahost-Staaten vielleicht am "unwestlichsten" ist. Wie kommen wir da weiter? Warum wird ein Scharia-Staat verteufelt, aber ein anderer hofiert? Warum sind wir zu Recht so schockiert über die Taliban und ihre Vorstellungen von Frauenrechten und Sklaverei, fahren aber trotzdem gerne weiter in ein streng islamistisch ausgerichtes Land in Urlaub, weil dort die Scharia ja nur für Einheimische gilt und es dort so geile Wolkenkratzer gibt? Diesen Fragen müssen wir nachgehen, denn sie haben viel mehr mit dem Rückzug aus Afghanistan zu tun als Postmodernismus oder "cancel culture".
Hallo Herr Weigle. Auch nach ihrem zweiten Kommentar verstehe ich nicht, was die Terroranschläge auf die USA von 2001 mit dem Putsch in Chile zu tun haben. Können Sie bitte konkretisieren, wo da der Zusammenhang ist? Ich frage, weil damals auch Menschen unter den Attentätern waren, die wie Sie, Herr Weigle, die Deutsche Staatsbürgerschaft hatten. Von Chilenen ist mir nichts bekannt.