Ach SPD, wieso?

Der aktuelle Zustand der deutschen Sozialdemokratie (Symbolfoto: Flickr/ The Strongest Girl/ CC BY 2.0)

Dies sollte ein gehässiger Text über den Zustand der SPD werden. Vor dem Hintergrund des neuerlichen Abrutschens in der Sonntagsfrage. Bella Ciao sollte als Aufhänger dienen und beleuchtet werden, dass weder die SPD geschweige denn ihre Vorsitzende bella ist. Dann sollte der sich im Netz an diese Textzeile aufkommende Vorwurf des Lookismus genutzt werden, um zu zeigen, dass die SPD auf die falschen, weil eher grün- oder sed-pink-wählenden Wähler setzt, die eben all zu laut sind. Und so weiter und so fort. Aber das Mitleid übernahm beim Schreiben die Kontrolle.

Ich bin kein Sozi. Aber wie viele im Ruhrgebiet bin ich in enger Nähe zu den Sozen aufgewachsen. Mein Großvater kam aus Schlesien, aus Polen ins Ruhrgebiet um auf dem Pütt zu arbeiten, mein Onkel folgte ihm, und arbeitet immer noch in den Resten des Kohlebergbaus. Selbst mein Vater, an sich eher nicht der klassische Arbeitertyp verbrachte einen Teil seiner Semesterferien vor Kohle. Daran schloß sich für meine Familie zwangsläufig eine Nähe zur Gewerkschaft an, zumindest für meinen Opa, der zwar beileibe kein klassich linkes Weltbild hatte, für den aber die Gewerkschaft und die SPD zwei selbstverständliche Ankerpunkte darstellten. Es machte ihn sehr wütend, als ich Ende der 90er den Weg zur FDP fand – zum Höhepunkt der Streits der Kohlesubventionsstreit wurde ich gar einmal des großelterlichen Mittagstischs verwiesen. Diese Politisierung des Alltags war für mich damals selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich wie es für mich war, dass Selbstständige natürlich nicht SPD wählten (das ist geblieben) war es, dass der durchschnittliche abhängig Beschäftigte eben SPD wählte (das ist nicht so geblieben).

Ich weiß noch recht genau, wie es war, als die SPD wie in einer Welle die Rathäuser im Ruhrgebiet verlor, zeitnah ging auch das Ministerpräsidentenamt an die Schwarzen. Das war mehrerlei: zum einen ein Befreiungsschlag, der den Muff des roten Filzes löste, mit dem gleichwohl (und das bis heute) die besonders Treuen (und Unfähigen – das geht mitunter Hand in Hand) sehr gut lebten. Zum anderen aber auch ein Warnschuss an die SPD von ihrer Kernklientel. Die SPD sollte aufwachen. Sie tat es nie wieder so richtig. Sie entfernte und entfremdete sich.

Ich habe die SPD unter Gerd Schröder wirklich geschätzt. Für mich war es die beste SPD die es je gab. Diese SPD wählte ich sogar einmal. Die Hartz-IV-Reformen retteten den deutschen Arbeitsmarkt ebenso wie die Sozialkassen vor dem Bankrott. Die SPD hat sich diese grandiose Reform nie selbst verziehen. Aus Schröder Agenda 2010 wurde gewissermaßen für die SPD Schrödingers Arbeitsmarktreform: man geißelte sich selbst dafür, und ließ sie trotzdem stets in Kraft. Man passte sich diesem Vorgehen auch als Regierungspartei an: einer Oppositionspartei gleich schoß man gegen „die“ Regierung, und wunderte sich dann, wenn die CDU mit dem positiven Handeln der Bundesregierung verknüpft wurden.

Nun rutscht der Text doch ins Stänkern. Worauf ich hinaus möchte, ist, dass die SPD sich zunehmend von sich selbst, und damit von denen entfremdete, die sie davor wie selbstverständlich wählten: von der durchschnittlichen Maße der Angestellten und der wenigen verbliebenen Arbeiter. Von Menschen, deren drängendsten Fragen in den Bereichen der Sozialpolitik, der Familienpolitik, eigentlich auch der Wirtschaftspolitik lagen. Sie hat auch die Sprache dieser Menschen verlernt. Sie begab sich zunehmend in Fahrwasser der Sozialgerechtigkeitskrieger und Kleinstinteressenvertreter.

Dort sitzt sie heute, und führt online ihre Gefechte. Immer wieder hörte ich von den Sozen unter meinen Online-Kontakten, dass man aber genau für dieses Eintreten für gerechte Sprache, für Gendersternchen und alldiesesrealirrelevante Gelaber auch an den Infoständen Zuspruch erhalte. Das mag sein. Bei der Wahl, und den Umfragen zur Wahl, erhält man es nicht. Es tut mir weh, zu sehen, wie die Antwort darauf seit Wochen und Monaten ein „Weiter so“ ist. Keine Ahnung von wem der Spruch wirklich ist, nach dem es Irrsinn ist, wenn man immer wieder dasselbe tut, und einen anderen Ausgang erwartet. Aber er paßt wie auf keine andere Partei auf die SPD. Die Vorsitzende, die viel besser in der Muppet-Show aufgehoben wäre, ist ein gutes Symptom dieses Irrsinns. Sie ist der personengewordene Politwitz von einem Politiker, der Nähe heuchelt und die Klappe groß aufreißt und nicht in der Lage ist, irgendwen zu beeindrucken oder tatsächlich politisch etwas zu bewegen.

Dabei braucht Deutschland meines Erachtens eine sozialdemokratische Partei. Das Bezeichnendste dabei ist, dass die SPD ihre Kernwählerschaft weder an die verbotsliebenden Freiheitshasser der Grünen noch die nationalen Sozialsten der Linken verloren hat, sondern an die CDU – und zunehmend auch an die AfD. Die CDU wiederum wurde dadurch unverhältnismäßig nach links gezogen, die rechte Flanke wurde freigegeben. Auch da gibt es Korrekturbedarf. Aber nicht in diesem Artikel.

Hier soll das Ganze damit enden, dass ich mir wünschen würde, dass die SPD denen zuhört, die vor Ort Politik machen und brauchen. Ich beobachte da noch die letzten zuckenden Reste der seinerzeitigen Stärke der SPD. Sie sollte die dort benannten Themen nach vorne bringen, irgendwann der Empörungsverlockung einer Internetlinken widerstehen, die laut schreit, und nach 2 Stunden vergessen hat, worum es überhaupt ging, weil sie sich bereits über das nächste falschgegenderte Wort empört. Sie sollte für die Menschen da sein, die sich sorgen, dass sie Miete im nächsten Monat, die nächste Rate für ihr Haus vielleicht nicht bezahlen können, die Kindergartenplätze für ihre Kinder wollen, die verunsichert werden von der ausländerfeindlichen Rhetorik der CSU – mehr als von der der AfD.

Manchmal, wenn ich mit Sozen spreche, stimmen sie mir hinter vorgehaltener Hand zu, und wollen das anders machen. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Bestenfalls.

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thomas.weigle
thomas.weigle
6 Jahre zuvor

Schröder und H4 waren der Anfang vom Niedergang der SPD. Damit hat sie ihre Stammklientel aufgegeben. Die halbherzigen Versuche, diese zurückzunehmen, kommen zu recht nicht beim Wähler an.
Dass ein FDPler mal SPD gewählt hat,zeigt mehr als deutlich, wieso die SPD im Sinkflug ist, denn sozialstaatsmäßig haben SPD und FDP soviel miteinander zu tun, wie die Fans von BVB und S04: nix.

ingeborch
6 Jahre zuvor

"Ich habe die SPD unter Gerd Schröder wirklich geschätzt. Für mich war es die beste SPD die es je gab."

Ja, der Herr Schröder, der war schon toll. *Platzhalter für Smiley das 1 Ironieschild hoch hält*

puck
puck
6 Jahre zuvor

Nun ja, einem FDP-Anhänger mag die SPD unter Schröder gut gefallen haben – aber die SPD-Wähler sahen das wohl etwas anders. Noch mehr als die Agenda 2010 und Hartz4 hat der SPD allerdings die Häme geschadet, mit der das Programm unterlegt wurde ("kein Recht auf Faulheit") und die den Diskurs bis heute vergiftet.

ke
ke
6 Jahre zuvor

Die H4 Gesetze sind für mich weitgehend OK. Sie sichern einen Sozialstaat auf einem ziemlich hohen Satz. Das einzige Problem, dass Arbeiter damit haben, sehe ich darin, dass der Eindruck entsteht, dass es nichts bringt zu sparen/zu arbeiten, wenn diese Lebensleistung nicht anerkannt wird und man im Notfall sehr schnell an einer Stelle ist, die eine Person, die nie gearbeitet hat oder die erst eingewandert ist, auch erreicht hat.
Das entspricht auch nicht meinem Gerechtigkeitsgefühl. Es ist aber für mich durchaus zumutbar auch geringer qualifizierte Jobs anzunehmen bzw. weniger zu erhalten. Hier muss jeder selber sehen, dass er den für sich geeigneten Job findet.
Natürlich muss das alles unter der Voraussetzung laufen, dass jemand, der arbeitet und in die Systeme einzahlt, von diesen Einzahlungen auch spürbar profitiert.

Ines C.
Ines C.
6 Jahre zuvor

Geniale Formulierung "Schröd(ing)ers Arbeitsmarktreform" und kluge Analyse. Viele Argumente, die ich so auch von meinen diversen Diskussionspartnern hörte und selbst bewegt habe. Und das beschränkt sich nicht nur auf uns Enkel Schlesischer Bergleute ;).
Ja, wir brauchen wieder eine echte SPD. Wo sind die guten Leute und wie kommen sie nach oben? Ich fand Mathias Brodkorb als Bildungspolitiker Spitze z.B.

Arnold Voss
6 Jahre zuvor

Das ein FDPler so überzeugend für die Weiterexistenz der SPD plädiert, zeigt das diese Partei die eigentliche Erfinderin des sogenannten Rheinischen Kapitalismus ist, und nicht die CDU. Eine soziale Marktwitschaft funktioniert nur, wenn der soziale Aufstieg für Jedermann möglich ist. Das wiederum setzte voraus, das gerade die Chancen der Menschen erhöht werden, deren Eltern es finanziell und sozial schwer haben, ihren Kindern die entsprechende Unterstützung zu geben. Genau da hat die SPD die letzten Jahrzehnte grundsätzlich versagt, nicht bei der Hartz4 Reform.

Eine dynamisch-produktive Gesellschaft produziert nun mal soziale und ökonomische Unterschiede, bzw. vergößert sie die tendenziell. Sonst wäre sie nicht so erfolgreich. Aufgabe gerade der Sozialdemokratie ist es, die Teilhabe aller an diesem Erfolg zu sichern. Aso gerade der Menschen, die die letzten Jahrzehnten nicht daran teilgenommen haben. Stattdessen hat sie an der weiteren Privilegierung derer mitgearbeitet, deren überproportionale Teilhabe am erwirtschafteten Wohlstand schon von Geburt an zu 90% gesichert war und ist.

Ansonsten siehe meine Prognose vom Januar dieses Jahres:

https://www.ruhrbarone.de/havarie-oder-untergang-warum-die-naechste-groko-fuer-die-spd-toedlich-ist/150664

thomas weigle
thomas weigle
6 Jahre zuvor

Schröder hat das geschafft, woran Bismarck, die beiden Wilhelm Hohenzollern und Adolf Nazi gescheitert sind: die SPD klein zu kriegen. Und wenn die SPD glaubt, sie sei schon am Tiefpunkt angelangt: die Hölle hat zahlreiche Nebenverließe in denen es noch heißer ist.

Helmut Junge
Helmut Junge
6 Jahre zuvor

Evolution von politischen Parteien funktioniert ähnlich wie Evolution in der Natur. Die Umstände haben sich geändert, und die SPD hat sich geändert. Dummerweise paßt das aber nicht mehr zusammen. Wäre die SPD so geblieben wie sie früher mal war, würde das aber auch nicht richtig passen. Nur wenn die SPD sich so verändert hätte, daß sie zu den veränderten Umständen passen würde, wäre sie Trumpf. Aber sie weiß ja nicht einmal, wie sie das machen sollte. Und in solchen Fällen ist die Evolution extrem rücksichtslos. Maximalstrafe. Platz für Neuesfreimachen. Weitergehen wird es immer.

Michael
Michael
6 Jahre zuvor

@7

Es ist immer wieder überraschend, dass das sozialdemokratische Geschwätz vom sozialen Aufstieg, das die SPD seit über 150 Jahren verbreitet , einfach nicht tot zu kriegen ist. Habt ihr Sozialdemokraten – als willfähiger Erfüllungsgehilfe des Kapitals – es nicht gemerkt? Diesen uralten Quatsch nimmt euch keiner mehr ab. Es gibt mit euch keinen sozialen Aufstieg für Jedermann, keine Gerechtigkeit und keine fortschrittliche Gesellschaft.

Ich bin heilfroh, dass die SPD endlich am Ende ist und der Rest in den nächsten paar Jahren von der Bildfläche verschwinden wird. Weg mit Schaden.

thomas weigle
thomas weigle
6 Jahre zuvor

#10 Der soziale Aufstieg und v.a. die soziale Gleichheit hat ja bei den Kommis um so viel besser als in den von Sozialdemokraten dominierten Ländern funktioniert, wie wir alle wissen. Die SPD-Hasser von links haben es immer noch nicht verwunden, das die sozialdemokratischen Parteien den Kommis immer den Rang abgelaufen haben, so dass die Kommis ganz selten ein Publikumserfolg waren, der ihnen Einfluss auf demokratisch gewählte Regierungen verschafft hätte, wie bspw. 81 in Frankreich. Da waren sie aber schon auf der schiefen Bahn nach unten. Die Regierungsbeteiligung hat den Weg nach unten dann noch beschleunigt, schuld daran waren wie so oft die pösen Sozis. Wahlweise aber anderswo auch Links-und Rechtsabweichler, Zentristen oder Versöhnler, Maoisten oder Trotzkisten. An Schuldigen der Desaster der Kommis hat es ja nie gefehlt.

Bebbi
Bebbi
6 Jahre zuvor

Warum noch über die SPD nachdenken? Man kann ja schon fast ausrechnen, wann sie unter die 5 Prozenthürde fällt.

https://web.de/magazine/politik/sonntagstrend-spd-prozentpunkte-gruenen-33112760

Arnold Voss
6 Jahre zuvor

@Thomas weigle # 11

Michael könnte, wie so viel gut situierte Systemkritiker, ein bis zum Lebensende abgesicherter Beamter sein. Aus dieser Position heraus lässt sich die SPD ganz besonders radikal verdammen. 🙂

thomas weigle
thomas weigle
6 Jahre zuvor

Das ist nicht von der Hand zu weisen, Arnold. Und was wird erst ab November los sein, wenn sich das "Wer hat uns verraten?Sozialdemokraten"- Geschrei den hundertsten Geburtstag feiert?

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