Advent, Advent! Quasi als kleinen Adventskalender stellen wir jetzt bis zum heiligen Abend jeden Tag eine Band aus dem Ruhrgebiet vor.
Törchen 9: Extrabreit. Sie verspotteten die Polizei, zündeten die Schule an und besangen düster den Tod des Präsidenten. Sie ließen auf Partys den Flieger abheben, wollten mit Annemarie Geschlechtsverkehr, beschworen die Wonnen der Kleptomanie und die Abgründe des Kokains: Ende der 1970er entdeckten fünf Jungs aus Hagen die Schönheit der 3-Minuten-Gitarrenhymne mit rotzig-subversiven Texten und eroberten bald darauf damit die Charts: Extrabreit, die Erfinder des deutschsprachigen Pop-Punks.
Dafür wurden sie von renitenten Teenagern heiß geliebt und von der Musikkritik als NDW-Spaßkapelle verschrien, von Franz-Josef-Strauß‘ Bayrischem Rundfunk verboten und von der Punk-Avantgarde als Kommerz-Abzocker angefeindet. Schon in den 1980ern waren Extrabreit eine ebenso umstrittene wie legendäre deutsche Band und im Jahr 1982 mit zwei goldenen Schallplatten auch die Erfolgreichste.
Eigentlich waren sie eine Punk-infizierte Rockband aus dem Umfeld der linken Szene ihrer Heimatstadt Hagen, die Musik und Texte für sich und ihre Leute machten. 1978 in Hagen von dem Schaufensterdekorateur Stefan Klein (Gitarre, heute Stefan Kleinkrieg) gegründet, machten Extrabreit mit dem Cartoonzeichner Kay Schlasse (aka Kai Havaii) als Sänger und Texter zunächst mit Live-Konzerten regional auf sich aufmerksam und erhielten 1980 die Chance, ihre Songs mit viel Selbstironie auf dem „Ihre Grössten Erfolge“ genannten Debütabum zu veröffentlichen.
Diese Platte enthielt 13 Alltagshymnen, von „Hart wie Marmelade“, „Lottokönig“ bis zu „Junge, wir können so heiß sein“ und interessierte zunächst nur ein paar Insider. Erst beharrliches Touren und das zweite Album „Welch ein Land! Was für Männer!“ mit der Chart-Single „Polizisten“ brachte Ende 1981 den Durchbruch. Als im Frühjahr 1982 nachträglich aus dem Debütalbum die Single Hurra, hurra, die Schule brennt ausgekoppelt wurde, verbuchten EXTRABREIT nicht nur ihren größten Single-Hit der 80er, sondern galten fortan auch als die Bad Boys der NDW – die der BRAVO und anderen Teenie-Zeitschriften einige Skandalgeschichten ins Diktiergerät plauderten.
Dabei hatte man neben partytauglichem Chart-Stoff auch so singuläre Rocksongs wie Der Präsident ist tot oder Ruhm zu bieten. Im Herbst 1982 beschloss das Album „Rückkehr der phantastischen 5!“ die Trilogie der Frühwerke mit Nummern wie „Kleptomanie“, „Superhelden“, „Kokain“, „Komm nach Hagen (werde Popstar)“ und „Duo Infernal“ (mit Marianne Rosenberg). Bei einer Nummer wie „Wir leben im Westen“ stellt man den greifbaren Pioniergeist von Extrabreit fest. Dieser Smasher könnte in der Jetztzeit ein müheloser Brückenschlag zwischen Mediengruppe Telekommander und LCD Soundsystem in der Electro-Indiepunk-Disco sein. Die messerscharfen Gitarren mit Killing Joke-Touch und der zackige Groove bieten erstaunliche Frische und einen faszinierenden Minimalismus an.
Am 23. Dezember kommen Kai Hawaii & Co. in die Bochumer Zeche und werden mit Sicherheit den einen oder anderen Klassiker von der Bühne jagen.