Afghanischer Rückzieher

Foto: Flickr.com/Canada en Afghanistan

Die afghanische Wahlfarce ist vorüber. Endlich. Der afghanische Präsident Hamid Karzai und dessen Herausforderer Abdullah Abdullah einigten sich auf den strategischen Rückzug. Abdullah tritt nicht zur Stichwahl an und Karzai bleibt Präsident. Der strategische Rückzug hat in dem langjährigen afghanischen Bürgerkrieg Tradition. Er ist seit vielen Jahren fester Bestandteil der militärischen Auseinandersetzung am Hindkusch. Die gegnerischen Führer bauen ihre Truppen auf, dann beginnt ein Raketenbeschuss, und danach zieht sich in der Regel einer der Feldkommandanten samt Armee zurück und der andere besetzt die beanspruchte Stadt oder Provinz. Eine offene und zudem verlustreiche Feldschlacht wird, wenn es denn irgendwie geht, in Afghanistan vermieden.

Kabul, Kunduz, Herat oder Masar-e-sharif wechselten so viele Male ihre Herren. Die Anführer im afghanischen Bürgerkrieg Achmed Shah Massud, Raschid Dostum oder Gulbuddin Hekmatyar waren allesamt Rückzugsvirtuosen. Und ein Rückzug macht ja auch Sinn. Der Kommandant verliert zwar für einige Zeit einen Streifen Land, aber er behält den Anspruch aufrecht und hat die Truppen gerettet. Der Feldkommandant, der seine Truppen in die Berge ziehen lässt, kann immer behaupten, dass er ungeschlagen sei und im Grunde sogar der eigentliche Sieger, den allein die Umstände zum Rückzug gezwungen haben.

Er hat sein Gesicht gewahrt und kann  zudem noch auf Augenhöhe mit der Gegenseite, die nach dessen Rückzug die Kontrolle der jeweiligen Provinz oder Stadt  übernommen hat, verhandeln. Auch die Gegenseite ist erleichtert, dass ihr ein verlustreicher Kampf erspart geblieben ist, und  daher dem Anführer, der samt Armee in die Berge gezogen ist, zu Dank verpflichtet.

Nach diesem Drehbuch haben Karzai und Abdullah das Wahlspektakel am Hindkusch beendet und dem Land eine Tod und Verderben bringende Stichwahl erspart. Der Präsidentschaftswahlgang in dem von einem Bürgerkrieg zerrissenen Land war von Anfang ein gefährlicher Unsinn. Der Urnengang wurde durchgeführt, damit der Westen die Visionen von einem friedlichen Aufbau in Afghanistan ausleben konnte. Es ist der Klugheit Abdullahs und Karzei zu verdanken, dass sie diesen Rausch auf einer sehr afghanischen Weise beendeten. Über Abdullah müssen wir uns übrigens keine Sorgen machen. Ich bin sicher, dass er bald einen wichtigen Posten von Karzai übertragen bekommt.

Nun wäre es höchste Zeit für die USA, die Nato und Deutschland die Atempause zu nutzen und Realitäten in Afghanistan anzuerkennen:

I. In Afghanistan herrscht Bürgerkrieg

II. In diesem Bürgerkrieg sind internationale Truppen keine Aufbauhelfer sondern Kriegspartei

III.  Wahlgänge in einem Bürgerkrieg, die nur von einer Kriegspartei getragen werden, haben keinen Nutzen

IV. Wenn man in einem Bürgerkrieg die Gegenseite nicht vernichten kann, muss man mit ihr verhandeln

VI. Die Taliban müssen für eine afghanische Friedensordnung als Verhandlungspartner anerkannt werden

VII. Nach Friedensverhandlungen sind Wahlen mit Beteiligung der Taliban abzuhalten

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