Afghanistan: „Das Versagen auf allen Ebenen der Bundesregierung ist beispiellos“

Kabul 2021: Taliban in einem erbeuteten Humvee Foto: Voice of America News Lizenz: Gemeinfrei

Das denkwürdige Debakel um den internationalen Truppenabzug und die Evakuierung der in Afghanistan für die Bundeswehr tätigen Ortskräfte und ihrer Familien beschäftigt sowohl eine breite Öffentlichkeit in unserem Land als auch mich als Parlamentarier. Unser Gastautor Olaf in der Beek ist Bundestagsabgeordneter der FDP.

Als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bin ich Berichterstatter meiner Fraktion für das Thema Afghanistan. Bereits seit der letzten Bundestagswahl darf ich die Entwicklungen im Land aus der entwicklungspolitischen Perspektive begleiten.

Vor wenigen Wochen habe ich einen Brief an die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GiZ) geschrieben, da ich wissen wollte, wie nach dem Abzug der internationalen Truppen die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan gewährleistet werden kann. Die Antwort, die ich bekommen habe, klang plausibel und durch ein professionelles Risk-Management-Office würde die Sicherheitslage permanent neu bewertet. Exakt sieben Tage später wurde Kabul von den Taliban eingenommen.

Tag für Tag wird immer mehr klar: Das Versagen auf allen Ebenen der Bundesregierung ist beispiellos.

Die letzten Wochen sind leider ein gutes Beispiel dafür, um aufzuzeigen, wie dick die Bretter sind, die man als Oppositionspolitiker bohren muss, um in einer solchen Situation überhaupt an Informationen zu kommen, die ja Grundlage der politischen Arbeit sein sollten.

Als Parlamentarier, insbesondere als Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfinde ich eine Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen Entwicklungspolitik und ihre Ortskräfte.

So wollte ich erfahren, wie viele ausreiseberechtigte Ortskräfte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sich auch als ausreisewillig bei der Bundesregierung gemeldet haben. Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter der Leitung von Minister Dr. Gerd Müller mauerte. Auf meinen zweiseitigen Brief mit einer Reihe konkreter Fragen erhielt ich nach wenigen Tagen vom Minister einen lapidaren Vierzeiler als Antwort zurück: Das zuständige Bundesinnenministerium werde zu Beginn der kommenden Woche hierüber informieren.

Als Parlamentarier nennen wir so etwas gerne „Missachtung des Parlamentes“. Es ist auch eine Frage des politischen Stils, ob die Bundesregierung erst das Parlament informiert – immerhin sitzen hier diejenigen, die über viele politische Dinge entscheiden, oder die Presse. Und es ist zutiefst frustrierend, dass man immer häufiger erst dann an Informationen gelangt, wenn die Medien berichtet haben.

Alleine schon um also an Informationen zu kommen, die ich für eine politische Bewertung und Entscheidung brauche, habe ich als Obmann meiner Fraktion eine Sondersitzung des Ausschusses beantragt, in der ich die in meinem Schreiben aufgeworfenen Fragen noch einmal stellen konnte und auch Antworten erhalten habe – warum nicht gleich so?

Je schneller und engagierter man also auf diese Bundesregierung mit konkreten Forderungen und Anfragen zugeht, desto mehr bröckelt die Fassade einer Koalition, deren einziger Anspruch es ist, einen Eindruck des selbstverschuldeten Kontrollverlusts zu verschleiern. Dass ein Mitglied des Deutschen Bundestages sich allerdings dieser Mittel bedienen muss, um die notwendigen Informationen zu erhalten, zeichnet ein trauriges Bild von der Wertschätzung des Parlaments durch die Bundesregierung.

Zur Missachtung des Parlaments durch die Bundesregierung passt aber auch die Debatte um ein sogenanntes Löschmoratorium. Dass es überhaupt notwendig ist, zu beantragen, dass Vermerke und weitere Daten im Zweifel lieber nicht gelöscht werden, damit eventuelle Beweise im Rahmen einer späteren Aufarbeitung noch vorhanden sind, stimmt ebenfalls nachdenklich. Was nun zwingend notwendig ist, ist Transparenz. Transparenz schafft Vertrauen und zeugt von Respekt.

Ich wünsche mir nach der Wahl eine Bundesregierung, die nicht versucht, sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben, sondern ordentlich arbeitet, dem Parlament die notwendigen Informationen für Entscheidungen nicht vorenthält und Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht dazu zwingt, Geschäftsordnungstricks anzuwenden, um diese Informationen zu bekommen. Stattdessen Narrative zu suchen, um eigene Versäumnisse zu verklären, hilft dabei expliziter nicht weiter. Grade im Falle der Evakuierungsoperation in Afghanistan und der humanitären Verantwortung, die wir als Deutsche für diejenigen haben, die für uns gearbeitet haben, halte ich Transparenz und Respekt für das Mindeste.

Eigentliche Selbstverständlichkeiten wie transparentes Regierungshandeln und der Respekt vor unserem Parlament und seiner Armee müssen gestärkt, eine neue Fehlerkultur implementiert und das „Geschacher“ zwischen den zuständigen Ressorts beendet werden. Ein nationaler Sicherheitsrat, der das entsprechende Know-How bündelt, wäre ein richtiger und notwendiger Schritt.

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