Afghanistan und die Jahrestage der Niederlage: 1991, 2001 und 2021

Bundeswehr in Afghanistan Foto: ISAF Headquarters Public Affairs Office Lizenz: CC BY 2.0

Diesen Text habe ich gestern geschrieben, er ist inzwischen in Teilen überholt, denn die Taliban rücken gerade in Kabul ein, während die USA und andere Ländern versuchen, Botschaften zu evakuieren. Von „totalem Desaster“, „Katastrophe“, absolutem Chaos etc. ist derweil die Rede und in der Tat ist, was gerade geschieht, schlimmer, als was man sich als worse case scenario noch vor ein paar Tagen auszumalen versuchte. Von unserem Gastautor Thomas von der Osten-Sacken.

Während bald der 20. Jahrestag der Anschläge von 9/11 begangen wird, überrollen die Taliban große Teile Afghanistan – die Botschaft könnte deutlicher kaum sein. Und in Vergessenheit gerät dabei ein anderer Jahrestag.

Was wäre dieser Tage wohl der feuchte Traum nicht nur der Taliban, sondern aller, die mit Schadenfreude und Genugtuung das Debakel der USA und Europas in Afghanistan verfolgen? Ganz einfach: Am 11. September 2021, zwanzig Jahre nach 9/11, rücken die Gotteskrieger als Sieger in Kabul ein, zünden die amerikanische Botschaft an und verkünden im Regierungssitz des afghanischen Präsidenten, dass das Islamische Kalifat jetzt wieder die Kontrolle über das ganze Land innehabe – nach zwanzig Jahren des beharrlichen Kampfes und mit der Hilfe Allahs sind die Ungläubigen für immer vertrieben worden!

Die nicht bloß klammheimliche Freude, die an vielen Orten angesichts dieser beschämenden Niederlage des Westens empfunden würde, ist nicht schwer vorzustellen. Mag man die Taliban auch in Teheran, Moskau oder Peking nicht besonders, für diese Show würden ihnen alle selbsterklärten Antiimperialisten weltweit auf ewig dankbar sein.

Afghanistan, 1991

Vielleicht lohnt sich die Erinnerung daran, dass 2021 nicht nur der Jahrestag von 9/11 ist, sondern dass auch zehn Jahre zuvor viel geschah. Damals fand nicht nur der Krieg um Kuwait statt, sondern Ende des Jahres 1991 wurde die Sowjetunion, schon damals nur noch ein Gespenst ihrer selbst, aufgelöst. Erinnert sich noch wer an Boris Jelzin, der im August den Panzern die Stirn bot? Zwei Jahre zuvor war der letzte Rotarmist aus Afghanistan abgezogen, im Westen herrschte Jubel über diese Niederlage Moskaus am Hindukusch, und die von den USA ausgerüsteten Mudschaheddin galten in der antikommunistischen Denkschablone als wahre Freiheitskämpfer.

Die Niederlage in Afghanistan war zwar nur eine der vielen Ursachen für den Zerfall der Sowjetunion, aber sicher eine wichtigeren. Doch 1991 war auch das Jahr, in den Osama bin Laden mit seinen in Afghanistan gestählten Dschihadisten dem Westen den Krieg erklärte, weil ungläubige US-Soldaten von heiligem saudischem Boden aus einen Krieg gegen den Irak führten. Damals nahm niemand die al-Qaida so wirklich ernst, aber zehn Jahre später bewies die Terrorgruppe, wie ernst sie es meinte. Dschihadisten haben einen langen Atem und wissen sehr genau um die Schwächen westlicher Politik und westlicher Kriegsführung.

Der Sieg über die Sowjetunion in Afghanistan hatte seinen Preis, und der bestand aus zehntausenden mit amerikanischen Waffen ausgerüsteten Milizionären, die sich bald gegenseitig an die Gurgel gingen. Er bestand auch aus Millionen von Flüchtlingen, die perspektivlos in Pakistan vor sich hinvegetierten und dort zu Rekruten der Taliban wurden, die, man sollte es nie vergessen, in den Lagern in Pakistan entstanden – mit tätiger Mithilfe des pakistanischen Staates, der sich mit ihnen ein willfähriges Werkzeug schuf, um später in Afghanistan die Kontrolle zu übernehmen.

Damals finanzierten sich diese Taliban noch nicht vornehmlich mit dem Opiumgeschäft, sondern erhielten reichlich Spenden von reichen Gönnern am Golf. (Es gehört zu den Absurditäten der letzten Jahrzehnte, dass diese Golfstaaten ebenso wie Pakistan zu den engsten Alliierten der USA in der Region gehören.)

Nach 1991 überließ der Westen Afghanistan seinem Schicksal, und 1996 wurde Kabul schon einmal von den Taliban eingenommen. Damals waren dort freilich keine westlichen Truppen stationiert gewesen, sodass die Niederlage der Regierung in Kabul, einem fragilen Bündnis zerstrittener Warlords, als regionales Problem gewissermaßen zu den Akten gelegt werden konnte.

Geschichte wiederholt sich

Das markiert – so sehr auch der Eindruck entstehen mag, Geschichte würde sich bloß wiederholen – den Unterschied: Heute ist es nicht die Macht skrupelloser Warlords, sondern die Glaubwürdigkeit der USA, Europas oder allgemein des Westens, die in der absehbaren Eroberung der Hauptstadt durch die Taliban in die Brüche geht.

Daraus folgt nicht notwendigerweise, dass es diesem Westen ähnlich ergehen wird wie zuvor der Sowjetunion, aber der Hinweis auf gewisse Parallelen ist auch nicht völlig abwegig. Wie die äußere Durchsetzungsfähigkeit der Sowjetunion im Staub der abziehenden sowjetischen Armee auf der Strecke blieb, muss man sich heute weltweit fragen: Nachdem der Westen in den vergangenen Jahren zuerst Syrien Russland und dem Iran überlassen hat und jetzt Afghanistan fluchtartig den Rücken zukehrt, warum sollte nach all den gebrochenen Versprechungen der letzten 20 Jahre noch irgendjemand Politikern aus Washington, Brüssel, Berlin, London oder Paris Glauben schenken?

Assad könnte gute Ratschläge geben

Man kann sich gut vorstellen, wie Bashar al Assad seinen bedrängten afghanischen Amtskollegen anruft und ihm sagt: „Das passiert, wenn man den Imperialisten traut. Schau mich an: Ich setzte auf Moskau und Teheran – die stehen, wenn auch manchmal etwas unwillig, doch fest an meiner Seite und lassen mich nicht fallen.“

Das ist die Lehre, die viele dieser Tage ziehen, während andere, deren Weltbild religiöser grundiert ist als das des syrischen Diktators, ganz sicher die Hand des Allmächtigen im Spiel sehen. Es muss Allahs Wille gewesen sein, den bestausgerüsteten Truppen der Ungläubigen eine solche Niederlage zuzufügen. Und das zwanzig Jahre nachdem die Türme in New York, Sinnbilder westlicher Dekadenz und Verkommenheit, von Kriegern Allahs zu Einsturz gebracht wurden. „Seht“, werden sie frohlocken, wir waren es, die die kommunistischen Teufel zu Fall brachten, und wir sind es, die den Großen Satan nun so demütigen, dass er sich davon nie wird erholen können. Dank sei Allah, dem Allmächtigen. Er hat uns zum Sieg geführt!“

Und wer kann’s ihnen verdenken? Sprechen die Bilder aus Afghanistan etwa eine andere Sprache, lassen sie andere Schlüsse zu? Was immer sich die Zuständigen im Weißen Haus gedacht haben mögen, den Abzug noch rechtzeitig vor dem 11. September zu beenden, ist die alles andere als nur symbolische Botschaft. Vielleicht glauben wie wirklich, sie würden endlich einen Krieg beenden, den der von ihnen so ungeliebte George W. Bush vom Zaun gebrochen hat, und damit ein Kapitel der amerikanischen Geschichte schließen, mit dem sie nie etwas anfangen konnten. Vielleicht hegen sie auch die innenpolitische Hoffnung, dass am Ende Donald Trump als der Schuldige dastehen wird, der dieses irrwitzige „Friedensabkommen“ mit den Taliban geschlossen hat.

Wie auch immer: Die glasklare Botschaft, die von seinen Todfeinden und seinen (noch) Verbündeten in aller Welt verstanden wird, lautet: Der Westen ist schwach, und jeder wird den Sieg davontragen, der sich ihm nur entschlossen genug entgegenstellt – zumal, wenn er auch die richtigen – weil konsequenten – Partner an seiner Seite weiß. Diese Botschaft ist übrigens nicht mehr ohne Weiteres revidierbar, selbst wenn jetzt doch wieder Truppen nach Afghanistan entsendet würden, um für Kabul noch ein paar Monate Zeit zu gewinnen.

Erpressbar gemacht

Wahrscheinlich ist das ohnehin nicht, vielmehr käme es in diesen Tagen nicht überraschend, würde den Taliban bei den absurden Verhandlungen in Katar stattdessen Geld angeboten, damit sie bis zum Jahrestag von 9/11 wenigstens nicht in Kabul einmarschieren. Glaubt irgendwer ernsthaft, das Geschwätz voller Stichworte wie „Dialog“, „Friedensprozess“, „Regierung der nationalen Einheit“ etc. beeindruckt einen der Bärtigen? Oder dass Drohungen, man werde ihr Kalifat nicht anerkennen oder Hilfsgelder einstellen, die Taliban in Angst und Schrecken versetzen?

In Wahrheit hat der Westen den Taliban wenig anzubieten, ist im Gegenzug aber in großem Maße erpressbar. Jederzeit kann ein Anruf in Berlin oder Paris ankommen: „Hallo hier sprechen die Taliban. Entweder ihr zahlt diesen oder jenen Betrag, oder wir jagen eine Million Afghanen über die Grenzen. Viel Spaß dann mit der nächsten Flüchtlingskrise. Was Bashar al Assad 2015 konnte, können wir schon lange!“

Und dann? Werden die Europäer dann dem iranischen Regime Geld für einen Grenzzaun nach türkischem Vorbild zahlen, damit ja keine Afghaninnen und Afghanen mehr das Land verlassen können? Die Europäer beginnen erst langsam zu verstehen, wozu ihre Politik, basierend auf Expertenstudien über Migrationsabwehr, Push- und Pull Faktoren oder wie es sonst noch alles heißt, geführt hat: Dazu, dass zwei der wichtigsten Herkunftsländer aller Flüchtlinge – Syrien und Afghanistan – inzwischen solche Höllenlöcher geworden sind, dass nicht einmal mehr Straftäter dorthin abgeschoben werden können. (Aller populistischen Rhetorik zum Trotz, die gerade von manchen österreichischen Politikern noch immer zu hören ist.)

Die USA können sich immerhin in Isolationismus zurück ziehen

Vielleicht schaffen es die USA, mit einer neuen isolationistischen Politik, über das Debakel einigermaßen, wenn auch nicht unbeschadet hinwegzukommen. Solange von Afghanistan kein neuer Terroranschlag ausgeht, braucht es sie nur bedingt zu scheren, was dort vor sich geht. Für Europa sieht es ganz anders aus: Schon die Flüchtlingskrise 2015 hat den Kontinent bis auf die Grundfesten erschüttert, eine abermalige wird Europa vor noch größere und existentielle Probleme stellen.

Gerade deshalb folgt man den Szenen aus Afghanistan mit so großem Staunen, Entsetzen und Fassungslosigkeit: Die europäische Außenpolitik ist nicht nur zutiefst unmoralisch und kurzsichtig, sondern sie erweist auch als konterproduktiv und selbstdestruktiv – oder anders gesagt: als unfassbar dumm, schafft sie es doch nicht einmal, in ihrem eigenen Interesse das Richtige zu tun. Man will sich gar nicht vorstellen, wie man in zehn oder zwanzig Jahren auf das Jahr 2021 zurückblicken wird.

Der Text erschien bereits in der Jungle World

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DAVBUB
DAVBUB
3 Jahre zuvor

Präsident Raffzahn Ghani ist nach Tadschikistan geflohen. Dort wird er bestimmt mit dem wenigen Geld, daß er vom Westen erhielt, ein eher kümmerliches Dasein fristen müßen.

abraxasrgb
abraxasrgb
3 Jahre zuvor

Vielleicht bekommt es Frontex diesmal hin die EU-Grenzen zu sichern …

ccarlton
ccarlton
3 Jahre zuvor

Trump's irrwitziges „Friedensabkommen“ hätte zu einem Abzug der ausländischen Truppen geführt, aber über einen Zeitraum von 14 Monaten und auch das nur wenn die Taliban ihren Teil der Vereinbarung einhalten.

Das fluchtartige Verlassen Afghanistans und die aktuelle Misere rührt daher, dass Herr Biden Trump's vernünftiges Abkommen nicht umgesetzt hat.

Richard Heller
Richard Heller
3 Jahre zuvor

Da gibt es noch einen Faktor: Die Afghanen. Es ist doch auffällig, wie schnell die Taliban das Land übernehmen. Das Tempo scheint ja nur durch die Höchstgeschwindigkeit der Fahrzeuge begrenzt zu sein. Die "regulären Soldaten" der afghanischen Armee oder was auch immer das vorstellt, sind praktisch ohne Gegenwehr mit allem Material zu den Taliban übergelaufen.

Es ist doch offensichtlich, dass die Afghanen das westliche Demoktratiezeug nicht wollen und nie wollten. Der ganze Einsatz führte von dem Tag an in eine krachende Niederlage, an dem zusätzlich zu den zwei ursprünglichen Aufgaben – Al Qaida ausheben und Osama bin Laden ausschalten – noch das ganze Entwicklungsgedöns hinzukam. Man muss sich Kriegsziele setzen, die auch erreichbar sind. Dann kann man sagen: Aufgaben erledigt, Mission erfolgreich abgeschlossen, tschüss. Das hätte man 2010 so sagen können. Aber Demokratie gegen den Willen der Afghanen durchzusetzen, war nie erreichbar.

Immerhin hat die Situation auch etwas Gutes: Islamkritiker brauchen sich nicht mehr dem Vorwurf der Islamophobie auszusetzen, sondern sie können einfach auf Afghanistan verweisen. Außerdem können wir sehen, was die Twitter-Queerfeministinnen wert sind. Ich warte da auf die Bildung eines Freiwilliginnenkorps.

Stefan Laurin
Admin
3 Jahre zuvor
Reply to  Richard Heller

@Richard Heller Vor 20 Jahren eroberte die Truppen unter Führung der USA das Land auch in ein paar Wochen.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
3 Jahre zuvor

Beim Afghanistan-Projekt ging es auch um Nationbuilding. Daß bei dem Projekt die Rechnung ohne den Wirt gemacht worden ist, ist seit der Präsidentschaftswahl 2009 und der Parlamentswahl 2010 offensichtlich.
Diese Termine waren bereits klare Hinweise darauf, eine Exitstrategie zu entwickeln, bei der lediglich ein leidliches Containment des Failed-state Afghanistan anzustreben war. Afghanistan und die Afghanen hatten eine Chance, die aber, total zerrüttet wie das Land nach dem russischen Abzug war, nicht wahrgenommen werden konnte und gegen die sich die von Tribalismus und Korruption strukturierte Gesellschaft in Wahlen entschied.

Viel spannender als das Scheitern mit Ansage in Afghanistan ist für uns einmal mehr das von Gleichgültigkeit geprägte Versagen deutscher Bürokratie im Umgang mit lebensbedrohlichen Situationen. Meiner Meinung nach gehört die Disfunktionalität allzuvieler Prozesse unserer Verwaltung ganz oben auf die Liste der Wahlkampfthemen. Die Öffentlichkeit scheint aber Weltrettung und Besitzstandswahrung sexier zu finden. Was auch logisch ist, beides kostet einen selber nix, egal wen man wählt.

Helmut Junge
Helmut Junge
3 Jahre zuvor

Die Städte sind erobert worden, aber das Land wohl nicht. Die Taliban waren offenbar immer da.
Über all die Jahre hatten die Allierten Tote und Verwundete. Aber wenn ich ehrlich in mich gehen will, muß ich zugeben, daß ich nie etwas von diesem Land und seinen Bewohnenern verstanden habe. Und jetzt erlebe ich ich, daß sich alle verschätzt haben. Biden wohl noch mehr als ich.

Richard Heller
Richard Heller
3 Jahre zuvor

@Stefan Laurin

Richtig. Aber steht dem nicht entgegen, was ich geschrieben habe. Das amerikanische Militär war damals die höchsttechnisierte und schlagkräftigste Streitmacht. Und die Afghanen waren damals mit der Talibanherrschaft nicht glücklich.

Das waren sie aber mit den Demokratieversuchen des Westens auch nicht, zumal mit diesen die Korruption zurückgekehrt ist. Afghanistanveteranen haben zwischendurch die Bevölkerung mal gefragt, ob sie mit den Taliban oder dem Westen glücklicher seien. Die Antwort: Mit den Taliban, denn da gab es Verlässlichkeit und keine Korruption. Es gab jetzt für die Afghanen einfach nichts zu verteidigen.

DAVBUB
DAVBUB
3 Jahre zuvor

@6, Wolfram Obermanns: "Viel spannender als das Scheitern mit Ansage in Afghanistan ist für uns einmal mehr das von Gleichgültigkeit geprägte Versagen deutscher Bürokratie im Umgang mit lebensbedrohlichen Situationen."
Das glaube ich nicht: Das Evakuierungsflugzeug soll heute morgen um 7 Uhr gestartet sein. Die haben also das Nachtflugverbot beachtet und so die Ruhe der Bürger und der Hufeisennasigen Waldrohrschnepfe geschützt

Walter Stach
Walter Stach
3 Jahre zuvor

Die konkrete Lage bietet Anlass konkret zu fragen, ob und wie der " deutsche Truppenabzug" effektiver, effizienter hätte gemanagt werden können. Zu bedenken ist dabei, auf wen bezogen sich primär diese Frage stellt -auf die deutsche Soldaten nebst ihrer einheimischen Gehilfen- und -oder?- auf die Afghanen, die vor den Taliban zu fliehen versuchen bzw. zu fliehen versucht haben.

Ich kann momentan diese Frage nicht beantworten, jedenfalls nicht mit hinreichender Begründung.

Zudem erfordert die konkrete Lage eine konkrete Antwort auf die Frage, ob und wie Deutschland -allein?, im sog. westlichen Bündnis -EU, NATO ?- mit den Menschen umzugehen gedenkt, denen es gelungen ist bzw. noch gelingen wird, aus Afghanistan zu fliehen. Auch diese Frage kann ich nicht, jedenfalls nicht hinreichend begründet, beantworten.

Darüber hinaus wird generell und grundsätzlich der Truppenabzug der sog. westlichen Mächte aus Afghanistan zwangsläufig, mehr denn je und kontroverser denn je die Frage aufwerfen, aus welchen Gründen und ggfls. wie die sog. westlichen Mächte, expliziert Deutschland,, Kriege führen sollten, wenn es keine unmittelbare militärische Bedrohung Deutschlands oder eines Nato-Verbündeten gibt.
Ein Aspekt -der wichtigste?-, der in einer entsprechenden Diskussion zu bedenken wäre ist der, ob eine militärische Aktion -ein Kriegseinsatz- deutscher Soldaten- zu rechtfertigen ist mit dem Ziel, in einem "anderen Land" sog. westlichen Werte, wie sie fundamental sind für eine freiheitlich-demokatichen Grundordnung -zu implementieren bzw. zu gewährleisten oder ob ein Kriegseinsatz
nur dann -imme dann?- zu vertreten, ja zwingend geboten ist, wenn es unmittelbar um die Sicherung "handfester" deutsche Interessen geht, um deren Gewährleistung angesichts ihrer Gefährdung durch Dritte.

Da steht "uns" auch in Deutschland eine spannende, eine unvermeidliche und eine dringend notwendige "Grundsatz-debatte", bevor -in der Gesellschaft, im Staat, in den Parteien, in…. und das völlig unabhängig davon, wie die konkreten Probleme in und mit Afghanistan gelöst werden und völlig unabhängig vom laufenden Wahlkampf und vom Ausgang der Wahl.

Ich habe hier bei den Ruhrbaronen in diversen Zusammenhängen mehrfach meine diesbezügliche Grundeinstellung geäußert : Es muß stets gefragt werden vor allem dann, wenn es um deutsche Kriegseinsätze geht, ob und in welchem Ausmaß deutsche Interessen unmittelbar bedroht, unmittelbar gefährdet würden, wenn es den deutschen Kriegseinsatz nicht geben würde. Es kann nach meiner Meinung nicht darum gehen, deutschen Soldaten in einen Krieg zu schicken, um in welchem Land auch immer, sog. westlichen Werte, die das Fundament "unserer" freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausmachen (jedenfalls vorgeblich ausmachen) zu implementieren, auch dann nicht, wenn das -vorgeblich ? -aus der Zivilgesellschaft des betr. Landes gefordert wird.

Deshalb habe ich mich von Anfang gegen den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan ausgesprochen. Und deshalb halte ich folglich auch den von den USA initiierten und danach von Deutschland (mit-) vollzogenen Abzug der "westlichen " Truppen aus Afghanistan grundsätzlich für geboten.

Helmut Junge
Helmut Junge
3 Jahre zuvor

@Walter Stach, weder du noch ich müssen das entscheiden. Das ist Weltpolitik und da rächen sich Wortbrüchigkeiten anders als durch Abstimmungen.
Da kommen sofort Konkurrenten in die entstandene Lücke rein. In diesem fall wird China profitieren, und die Amerikaner sind aus Mittelasien komplett raus. Dazu kommt, daß Afgahnistan die zweitgrößten Kupfervorkommen der Welt hat. Wer die jetzt ausbeuten darf, dürfte auch klar sein. Biden hat sich und allen Verbündeten so sehr geschadet, daß er sich genauso gut ein Bein abschneiden könnte.
Die Wertung der Folgen für die Ortskräfte ist noch eine ganz andere Frage. Das wird Biden in seiner eigenen Partei noch sehr verfolgen. Biden steht in der Ecke und ob er da jemals rauskommen wird, wird sich bald zeigen.

Walter Stach
Walter Stach
3 Jahre zuvor

Ja, Helmut Junge,
Dein Hinweis auf die Kupfervorkommen in Afghanistan verdient besondere Beachtung, wenn man bedenkt, daß China gestern bzw. heute nachdrücklich seinen Willen zur Zusammenarbeit mit dem Taliban-Regime bekundet hat.

Dass China zudem andere gewichtige Gründe hat, intensiv und mehr als bisher Einfluss zu nehmen auf das Geschehen in einem benachbarten Land, konkret Einfluss zu gewinnen, auf die "herrschenden Taliban", liegt auf der Hand. Das wiederum dürfte vor allem Pakistan und Indien veranlassen, sich ebenfalls noch mehr als bisher auf Afghanistan einzulassen und um ihren Einfluss auf das Taliban-Regime bemüht zu sein..

Das Alles schafft dann politische "Spielräume", politische Gestaltungsmöglichkeiten für dass Taliban-Regime in Afghanistan, nicht zuletzt in seinen Bemühungen um finazielle, wirtschaftliche Unterstützung. Die Taliban sind also nicht, wie hierzulande zu lesen und zu hören ist, auf "den Westen" angewiesen, wenn sie ihr Land wirtschaftlich voranbringen wollen.; im Gegenteil. "Er" -der Westen- wird nicht gebraucht.

Helmut Junge,
abgesehen von diesem einen unter vielen bedenkenswerten Aspekten, wenn "man" über die Zukunft Afghanistan zu diskutieren gedenkt, habe ich derzeit nicht das Bedürfnis, mich näher auf eine Afghanistan-Diskussion einzulassen..
Ich habe vorstehend unter -1o- lediglich einige Fragen formuliert, und zwar primär deshalb, weil ich mir bei so mancher Einlassung zur Lage in Afghanistan, zur ihrem Zustandekommen, zu ihrer Abwicklung, zu ihren Konsequenzen (in Afghanistan, in der Region, welltweit) Zweifel kommen, ob "man" sich vorher bemüht hat, also vor den "richtigen Antworten", zunächst nach "richtigen Fragen" zu suchen..

Eine weitere Frage, die ich mir stelle, aber nicht zu beantworten weiß, ist die nach den Machtverhältnissen iinnerhalb Afghanistan nach dem Abzug der Truppen der sog. westlichen Mächte. Ich weiß z.B. weiß z.B. nichts über die Organisation und über das Führungspersonal der Taliban.. Wer oder was sind "die" Taliban -eine straff organisierte politische Bewegung oder nur ein loser Zusammenschluß islamistischer Gruppen, ilslamistischer Interessensverbände, islamistischer Feudalherren in Afghanistan?
.

Helmut Junge,
-sh. erster Satz Denes Beitrages zu -11-
zu entscheiden haben wir Beide in der Tat nichts . Und trotzdem -oder gerade deshalb?- liegt es nahe, sich selbst Fragen zu stellen, für sich nach Antworten zu suchen und, wenn dazu ein Bedürfnis besteht, darüber mit anderen zu diskutieren. Letzteres Bedürfnis besteht bei mir derzeit , wenn überhaupt, nur in sehr geringem Umfange.

Das gilt zu.a. auch für der Frage, warum (!!) für die USA Afghanistan offenkundig so uninteressant ist -geworden ist?-, daß "man" das Land sich selbst und damit den Machtinteressen Chinas, Pakistans, Indiens (und Russlands?) zu überlassen gedenkt.

Das gilt ferner auch für die Frage, warum "wir" in Deutschland , in Europa weiterhin davon auszugehen scheinen, daß "wir" diejenigen sind, deren Interessen, deren Wille letztendlich maßgeblich sein könnte, wenn es um die Zukunft Afghanistans geht.

Das wäre also eine weitere Frage, die ich stelle , nicht um sie beantworten zu wollen, sondern nur deshalb, um, wie vorstehend mehrfach umschrieben, zu verdeutlichen, daß ich nicht nachvollziehen kann, wie "man" hier und in anderen Medien Meinungen vorträgt in der Gewissheit, für alle Afghanistan betreffende Probleme nicht nur umfassend die "richtigen Fragen" zu stellen, sondern diese zugleich mit dem Anspruch auf die absolute Wahrheit beantworten zu können. Und Letzteres ist dann offensichtlich häufig bestimmt von parteipolitischen Erwägungen in Wahlkampfzeiten in Deutschland.

Helmut Junge,
u.a. deshalb war dieses mein letzter Beitrag hier bei den Ruhrbaronen zur Problematik, zur Dramatik und zum Schicksal Afghanistans , das heißt vor allem auch l zum Schicksal der Menschen, die weiterhin in Afghanistan leben oder als Flüchtlinge das Land verlassen haben und noch verlassen werden.

Walter Stach
Walter Stach
3 Jahre zuvor

Helmut Junge,
ich habe unter -12- im 2. Absatz vergessen, einen der derzeit und zukünftig wichtigsten Akteure zu erwähnen vergessen, nämlich den Iran.
(Iran und Pakistan haben bekanntlich ganz wesentlich zum militärischen Erfolg der Taliban beigetragen.)

Und ich habe vergessen, an einige Fakten Afghanistan betreffend zu erinnern, die jedenfalls aus meiner Sicht zu bedenken sind, wenn "man" sich daran macht, Fragen zu stellen und nach Antworten auf sie , die all das betreffen, was derzeit in Afghanstan passiert und was dort zukünftig passieren könnte bzw. sollte.

Dazu gehören z.B,:
Die Größe des Landes mit rd. 653.OOO Quadratkilometern im Vergleich zu Deutschland mit rd. 358.000..

Die Existenz vieler sehr unterschiedlicher Ethnien. Darunter 5 sog. Hauptethnien.

Die Existenz zweier sog. Hauptsprachen -Paschto und Persisch unter insgesamt 49 verschiedene Sprachen.

In diesem Zusammenhang -sh. Paschto- erinnere ich zudem daran, daß die Paschtunen, die bei den Taliban die dominierende Rolle innehaben, nicht nur in Afghanisitan -ca.8 Mio-, sondern auch in Pakistan -ca. 15 Mio- leben.

Diese Fakten helfen zumindest dabei, die Fragestellung aufzuwerfen, warum der Iran (Persien) und Pakistan massive Interessen daran haben, was in Afghanistan passiert und ihrer Interessenslage gemäß über das Kriegsende hinaus passieren sollte und die Fakten lassen mich fragen, ob und wie ein Interessenskonflikt zwischen China. Pakistan, dem Iran (und…..) Afghanisan betreffend aussehen könnte. "Wir" -der Westen- sind dann gänzlich aus dem Spiel? Ob das dann letztendlich gut sein wird für Afghanistan, für die gesamte Region -und für den sog. Westen, Deutschland eingeschlossen?

Helmut Junge,
und ab jetzt werde ich meine Ankündigung unter -12- abschließen- tatsächlich befolgen.

Helmut Junge
Helmut Junge
3 Jahre zuvor

@Walter Stach, Afgahnistan wird aufgeteilt zwischen all den Kräften, die die Amerikaner dort nicht sehen wollten, und das, weil der derzeitige amerikanische Präsident diese Entwicklung eingeleitet und selber vollzogen hat. Die Falken hier und dort toben bereits. Aber was machen die Tauben? Die dürften auch entsetzt sein, weil es zur menschlichen Tragödie geworden ist. Ob Biden 2022 noch Präsident sein wird? Das was jetzt passiert, haben nicht einmal die eingefleischtesten Antiamerikaner bislang gefordert. Selbstmord aus Kostengründen. Da wäre ich nie drauf gekommen.

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