Die Nachrichten aus Afghanistan sind düster. Aber auf Unterstützung durch die Muslime im Westen können die Afghanen offenbar nicht zählen.
Menschen sterben beim Versuch, den Flughafen in Kabul zu erreichen. Es gibt Berichte darüber, das Frauen eingesperrt oder Opfer von Zwangsheiraten werden. Regimegegner leben in ständiger Angst vor Verfolgung. Körperstrafen werden wieder vollzogen. Die Lage in Afghanistan ist düster und wenig spricht dafür, dass was sich im Augenblick dort abspielt nur dem Chaos eines Regimewechsels geschuldet ist. Millionen Muslime sind in höchster Not.
Doch auf Deutschlands, ja auf den Straßen aller westlicher Länder, ist es ruhig. Es gab am Wochenende einige Demonstrationen von Organisationen wie der Seebrücke, die sich für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzen. Aber spontane Demonstrationen von aufgebrachten Muslimen, die sich um ihre Glaubensbrüder und vor allem Glaubensschwestern sorgen, gab es nicht. Wenn Israel sich gegen Angriffe der Hamas wehrt, sind Teile der muslimischen Community schnell auf der Straße und scheuen oft auch vor antisemitischen Straftaten nicht zurück. Wenn Millionen Musliminnen in das Stoffgefängnis der Burka gezwungen werden, Mädchen der Schulbesuch verboten wird und Tausende vom Tod bedroht sind, bleibt alles ruhig.
Immerhin findet Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, klare Worte. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk (BR), das vor allem aus Kritik am Westen besteht, sagt er: „Diese Machtergreifung der Taliban ist sicherlich eine desaströse Niederlage für den Westen, es ist aber auch ein Disaster für die Muslime weltweit, denn die allermeisten Muslime – und die Afghanen ohnehin – wollen kein archaisches Leben gepaart mit einer Stammesdoktrin und das findet jetzt wieder an die Macht und deshalb ist es ein Desaster für alle.“
Nur scheinen sich die meisten Muslimen an dieser Niederlage nicht besonders zu stören.
Wow
Wo soll man da nur anfangen
Hunderttausende Muslime in den USA, aber auch in Europa beten täglich für ihre Mitmenschen. Sie twittern und schreiben Artikel zu Afghanistan in der englischsprachigen Presse, wie sie es zum arabischen Frühling, zu Libyen und den Uiguren in China getan haben. Das ist ihr Protest und ihre Teilnahme!
Wer das ignoriert, der ist offenbar blind oder ideologisch getrieben! Es gibt feinere Arten von Protest als sich schön dämlich desillusioniert auf eine Straße zu stellen und seine Zeit zu verschwenden. Typisch deutsch ist eben nicht der Rest der Welt.
Gegenfrage: Wo sind eigentlich all die Christen bei der Armenienfrage? Das scheint die Christen ja nicht sonderlich zu stören, dass Aserbaidschan die Armenier auslöschen will.
Wo sind eigentlich all die Demokraten, wenn es um Russland oder China geht?
Wo sind sie? Scheinbar scheren sich die westlichen Christen und Demokraten darum nicht. Könnte man sagen, wenn man alle über einen Kamm scheren würde und alle Initiativen ausblendet. Aber dann wäre man populistisch und würde Falschbehauptungen aufstellen. Doch man reflektiert ja, was man sagt und schon merkt man, dass man nicht asozial sein möchte. Außer natürlich, man hat das Reflektieren nie gelernt. Dann sollte man aber versuchen, andere nicht mit seiner ideologisch gefärbten und asozialen Meinung zu belästigen. Wäre wirklich freundlich!
Hat einfach damit zu tun, dass die meisten Moslems in Deutschland entweder hier geboren sind oder aus der Türkei und aus arabischen Ländern kommen. Für diese ist ebenso wie für die meisten nicht-moslemischen Deutschen Afghanistan kein großes Thema, weil es "weit weg" ist – die altbekannte Ignoranz. Bei mir im Alltag spreche ich auch nur allenfalls mit politisch interessierten Menschen darüber, den meisten anderen ist es egal.
Die Schieflage zum Israel-Palästina-Konflikt ist natürlich offenkundig, das hat aber nicht nur damit zu tun, dass die Pro-Palestine-Fraktion die "besser Lobby" hat, sondern dass dieser Konflikt in Deutschland präsenter ist: einmal wegen der geographischen Nähe, zum anderen wegen der deutschen Geschichte. Auch hier bei den Ruhrbaronen nimmt er einen höheren Stellenwert ein als z.B. der Krieg im Jemen oder der Terror von Boko Haram in Westafrika. Es leben auch nur wenige Menschen aus Afghanistan (oder Iran oder Pakistan) hier, denen das Thema Afghanistan naturgemäß emotional näher geht als Palästina.
Allgemein ist es auch simpel nicht so, dass jeder Moslem sich automatisch für das Schicksal aller Muslime in der Welt interessiert. Haben in Europa oder Nordamerika Menschen wegen dem Schicksal der atheistischen BloggerInnen in Bangladesch protestiert? Ich glaube, nicht mal der übereifrige Richard Dawkins ist da groß in Erscheinung getreten. Ignoranz und selektive Wahrnehmung gibt es leider überall, in allen Religionen und Regionen.
Der Vorsitzende eines Zentralrates, der HOW MANY FRAGEZEICHEN Muslime vertritt, findet klare Worte. Welche Relevanz hat es, wenn er etwas sagt?
Nun, das Rätsel um die ausbleibenden Demonstrationen von Muslimen gegen die Vorgänge in Afghanistan ist schnell gelöst: Man kann redlicherweise nur gegen etwas protestieren, gegen das man was hat.
Verstehe nicht, wo das Problem ist. Die Taliban wurden in allen Städten mit Jubel begruesst. Sie haben angekündigt, die Mädchenschulen nicht anzugreifen. Die Mehrheit ist froh den superkorrupten vom Westen eingesetzten Präsidenten los zu sein. Aus Sicht der Ruhrbarone wird sich die Sache ohnehin schnell erledigen: kein einziger Taliban trägt Maske, sie werden also schnell auf offener Straße roechelnd krepieren…
@sneaking_beauty, die öffentliche Debatte in Deutschland wird im Fall Afgahnistans von vielen unterschiedlichen Gruppen angeheizt. Hier geboeren worden zu sein, kann aber kein Grund sein, sich nicht dafür zu interessieren. Was soll denn das Argument?
Ich bin auch hier geboren. Ich denke, daß die Moslemverbände ausschließlich von Männern dominiert werden, die weniger sensibel auf Verletzungen der Frauenrechte reagieren, als aus meiner Sicht angemessen wäre. Und was den verlust demokratischer Freiheiten betrifft, wird denen das ähnlich wenig Probleme bereiten.
Ich darf an die Aufregung von Muslimen auch hierzulande erinnern, als in "charlie hebdo" und in "Jyllands Posten" Zeichnungen veröffentlicht wurden,die den ."Propheten" zum Thema hatten.
#6 Der Sofa Hunne:
Doch, es kann ein Grund – keine Entschuldigung – sein, da Außenpolitik in Deutschland (speziell außerhalb Europas) allgemein kein Thema für die breite Masse ist. Im Falle Afghanistans macht eine familiäre Bindung (nicht aber Religionszugehörigkeit) den entscheidenden Unterschied, z.B. bei afghanischen Flüchtlingen oder Familien, die Angehörige in Afghanistan verloren haben.
Aber mit wievielen Leuten unterhalten Sie sich denn über Afghanistan? Wie gesagt, bei mir waren das bisher nur Leute, die dezidierte politische Ansichten haben und sich für Außenpolitik interessieren und/oder Leute aus Afghanistan oder Iran. Abseits von denen sind die Durchschnittsmeinungen eher "Gut, dass wir da raus sind", "Ist weit weg von uns", "Die sollen sich selbst die Köppe einhauen" oder "Hauptsache, es kommen keine Flüchtlinge zu uns". Namen wie Dostum, Massoud, Khan oder Hekmatyar sagen dem Durchschnittsbürger nichts, ebenso wenig die Rolle des pakistanischen Geheimdienstes oder dass Afghanistan vor 1979 für ein paar Jahre eine säkular orientierte Republik war.
Natürlich ist das ignorant, aber die Realität.
Ich darf an den Sinn von Protesten erinnern: Man bringt eine Position zum Ausdruck, die der herrschenden oder zumindest einer relevanten Meinung in der eigenen oder zumindest einer nahestehenden Gesellschaft widerspricht. Bezüglich der Taliban sind in Deutschland aber alle relevanten politischen Kräfte, alle Medien, alle zivilgesellschaftlichen Organisationen usw. in ihrer Ablehnung einig. Warum soll man da bitte protestieren?
Gibt es in Deutschland Proteste gegen die nordkoreanische Regierung, gegen den Putsch in Myanmar o.Ä.? Nein, weil sich da nämlich auch alle einig sind.
Im Übrigen sind derlei Distanzierungsforderungen an Leute, die keinerlei tatsächliche Verbindungen zum Thema haben, sowieso eine Unverschämtheit. Die Muslime in Deutschland haben mit den Taliban so viel zu tun wie ich mit der LRA in Uganda, nämlich gar nichts außer der nominell gleichen Religion. Und wer mir sagte, ich solle mich doch bitte von der LRA distanzieren, mit der unausgesprochenen Unterstellung, wenn ich das nicht täte, hätte ich wohl Sympathien, dem zeigte ich knapp einen Vogel.
Eränzend zum o.a. Kommentar von Stefan Lauri:
"Der Elefant im Raum"
-Wo sind die mutigen muslimischen, die wütenden arabischen Stimmen, die Gerechtigkeit fordern gegen di Tabilanisierung der gesamten muslimischen Welt? Ein Aufruf zur Selbstkritik-
Überschrift nebst Unterzeile eines Beitrages von Ibrahim Quraishii in der TAZ -taz. am wochenende 28./29.august 2021, S.16 kultur,