Ehrungen und Preisverleihungen sind, in normalen Zeiten, eine angenehme Sache: Es gibt musikalische Einlagen, schöne Reden und am Ende Schnittchen und vielleicht sogar Sekt. Dass wir aktuell weit entfernt von normalen Zeiten entfernt sind, spürte man am Donnerstagabend in der Synagoge der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf.
Dort wurde die Verteidigungspolitikerin Agnes-Marie Strack-Zimmermann (FDP), durch die Gemeinde, mit der Josef-Neuberger-Medaille geehrt.
Im Schatten des 7. Oktober
Bei der Ankunft am Paul-Spiegel-Platz fallen zuerst die Blumen und Kondolenzkarten, Reaktionen auf das Massaker in Israel vor drei Wochen, ins Auge. Was ebenfalls auffällt, ist die größere Polizeipräsenz. Mehr Sicherheitskräfte als sonst, auch vor der Synagoge. Trotzdem ist die Stimmung nicht angespannt. Ich stehe nicht, trotz Anmeldung, auf der Gästeliste. Noch bevor ich meine Emails nach der Bestätigung durchsuchen kann, ist die Sache mit einem Anruf geregelt: Ich darf rein.
In der Vorhalle des Gemeindezentrums sind Fotos, der von den Hamas-Schlächtern entführten Menschen, zu sehen. Viele Gäste tragen „Bring them home NOW“-Buttons an ihrer Kleidung. Der Andrang ist groß an diesem Abend. Die Sitzplätze im Saal der Synagoge sind alle gefüllt.
Dass die Menschen, die sich heute zur Ehrung von Agnes-Marie Strack-Zimmermann versammelt haben, von den Ereignissen in Israel betroffen sind, ist deutlich spürbar. Als der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Dr. Oded Howowitz, nach einer musikalischen Einlage von Jakov Kolessnikov am Klavier, die anwesenden Gäste begrüßt und die Erfolgsbilanz der Gemeinde vorstellt. Die Synagoge ist September 65 Jahre alt geworden.
Dr. Oded Horowitz:
Dies ist ein Ort für Gemeindemitglieder. Ein Ort des Gebets, aber auch der Gemeinschaft. In diesen Tagen ist die Synagoge besonders ein Ort, an dem wir für die Existenz Israels und die Unversehrtheit der israelischen Soldaten und der Bevölkerung beten.
Das Rabbinat ist in den letzten Monaten gewachsen, das Paul-Spiegel-Filmfestival kehrte, nach dreijähriger Pause zurück auf die Leinwand, das Albert-Einstein-Gymnasium ist im stetigen Aufbau, die Städtepartnerschaft zwischen Neuss und Herzliya besiegelt. Eine Zäsur im Gemeindeleben, für jüdisches Leben, in Düsseldorf und Deutschland sieht Dr. Oded Horowitz am 7. Oktober 2023:
Wir haben in unserer Gemeinde den Grundstein für eine jüdische Zukunft diese Stadt gelegt. Die weiter wächst und blüht. Zumindest bis zum 7. Oktober. Dieser Tag ist eine Zäsur. Nicht ausschließlich für unsere Gemeinde und Jüdinnen und Juden, sondern für unsere Demokratie. Der barbarische Terrorangriff der Hamas auf Israel – bei dem israelische Zivilisten massakriert, ermordet, vergewaltigt, verschleppt, wurden – macht uns zutiefst betroffen.
Nahezu jeder in der Gemeinde kennt jemand, der in irgendeiner Art und Weise betroffen ist. Diese Brutalität, zu der Menschen in der Lage sind, schockiert mich. Sie macht mich fassungslos und für ein solches Verbrechen fehlen einem fast die Worte.
Ich möchte ausdrücklich unterstreichen, dass Israel das Recht und sogar die Pflicht hat, sich zu wehren und die eigene Bevölkerung zu beschützen. Die Terroristen der Hamas haben den einzigen Schutzraum, den Juden weltweit haben, zerstört. Es gilt, diesen Schutzraum in Israel wiederherzustellen. Außerdem ist es mir wichtig zu sagen, dass wir heute auch an die über 200 Geiseln denken, die versteckt wurden, von denen wir nicht wissen, wie es ihm geht.
Dass die Jüdische Gemeinde von der aktuellen Situation betroffen ist, wurde deutlich als Dr. Oded Horowitz von besorgten Eltern berichtete, die besorgt wegen des Schulbesuchs der Kinder sind. Und an Gemeindemitglied Naja gedacht wird, der als Reservist eingezogen wurde und jetzt für den Schutz Israels kämpft. Das Abfeiern der Massaker auf deutschen Straßen macht den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf fassungslos:
Antisemitismus ist keine Meinungsfreiheit, sondern volksverhetzende Straftat, die auch so benannt werden muss.
Wir dürfen dies in Deutschland nicht hinnehmen, wir dürfen sie nicht einfach machen lassen. Der Rechtsstaat muss durchgreifen und sie bestrafen. Sie gefährden nicht nur die Sicherheit des jüdischen Lebens in Deutschland, sondern sie gefährden auch unser freiheitliches, offenes und tolerantes Miteinander in diese Gesellschaft.
Die antisemitische Stimmung in Deutschland, der Terrorangriff auf Israel: Dass die Nerven in den letzten Wochen blank lagen und man unter Stress stand und immer noch steht, wird mir persönlich bei der Schweigeminute für die Terroropfer in Israel deutlich. Diese fällt sehr kurz aus.
Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt ging in seiner Rede ebenfalls auf die Lage in Israel ein: Und die auf Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas im Jahre 2007. Seine Rede, in der besonders die Stimmen kritisiert werden, die den Terrorangriff in einem „Kontext von israelischer Besatzung“ betonen. Die es, seit 2005 nicht mehr gibt: Weil Ariel Scharon zu dieser Zeit den einseitigen Rückzug aus den Gazastreifen umsetzte.
Ich möchte heute Abend sagen, dass es keinen Kontext und keinen Grund auf der Welt für das gibt, was am 8. Oktober in Israel passiert ist. Es gibt keine Rechtfertigung für die Enthauptung von Babys, die Vergewaltigung von Mädchen und die Geiselnahme von Holocaust-Überlebenden. Überhaupt keine. Und diejenigen, die über den Kontext sprechen, möchte ich fragen: Vielleicht sollen wir auch beginnen, die Reichskristallnacht im Kontext des Attentats von Herschel Grynszpan in Paris zu diskutieren? Vielleicht sollten wir über die Nazi-Endlösung im Kontext der jüdischen Bolschewisten und kommunistischen Revolutionäre sprechen?
An die Preisträgerin Agnes-Marie Strack-Zimmermann gerichtet formulierte Pinchas Goldschmidt die Vision von einer Welt ohne Terror:
Frau Strack-Zimmermann, Sie erhalten heute von der jüdischen Gemeinde den Josef-Neuberger-Preis. Als Abgeordnete, Leiterin des Verteidigungsausschusses des Bundestages.
verstehen Sie die Probleme, vor denen wir stehen und ich möchte Ihren berühmten Satz zitieren: Wer stark ist, wird nicht angegriffen.Sie haben recht, wir müssen stark sein. Und die die Botschaft vermitteln, dass sich Terror nicht lohnt und dass der Terror von der Erdoberfläche verschwinden wird, damit unsere Kinder wieder ohne Angst auf die Straße gehen können und Eltern ihre Kinder ohne Angst in die Schule schicken können.
Als positives Ereignis der letzten Tage, nannte Oberrabbiner Pinchaes Goldschmidt einen Effekt des Hamas-Terrors: Die Zerstrittenheit des Landes hat sich in Luft aufgelöst. „Dank Hamas ist Israel heute geeint wie nie.“
„Jüdisches Leben ist ein Geschenk für dieses Land.“
Die Laudatio auf Dr. Strack-Zimmermann wurde von Hape Kerkeling gehalten. Diese ist in der Jüdischen Allgemeinen dokumentiert. Mit Blick auf die antisemitischen Demonstrationen forderte Hape Kerkeling, dass Staatsbürgerkunde in Schulen Pflicht werden sollte.
Hass, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit plagen uns täglich. Deutschland steht hier, viel mehr als andere Länder, in der Pflicht, eine offene und tolerante Gesellschaft zu sein. Aber auch eine starke Demokratie, die sich zu wehren weiß. Da mutet es mitunter schmerzlich an, dass die frühen Werke meiner Kollegen Otto Waalkes und Harald Schmidt nur noch mit Warnhinweis versehen, ausgestrahlt werden, während ein AFD-Vorsitzender aus Thüringen weiter seine rechtsradikale Hetze öffentlich betreiben darf.
Besonders betonte der Laudator den Kampf gegen Antisemitismus, gerade in Düsseldorf, durch Agnes-Marie Strack-Zimmermann:
Antisemitismus ist jedoch keine Meinung, sondern ein Angriff auf die Menschlichkeit. Unsere Demokratie braucht Menschen wie Sie, Frau Strack-Zimmermann. Menschen, die den Finger in die Wunde legen, um etwas zu verändern. Jüdisches Leben ist ein Geschenk für dieses Land.
Aufgelockert wurde die ernste Rede zu einem ernsten Thema durch Hape Kerkeling, als er zum Schluss in den Tonfall seines Alten Egos Horst Schlämmer Dankesworte an Dr. Strack-Zimmermann richtete.
„Das liberal aufgeklärte Bürgertum, wird den Preis für diese Ignoranz einmal bezahlen müssen.“
In ihrer Dankesrede ging Preisträgerin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf das Schweigen der Mehrheit auf antisemitische Angriffe ein:
Wo die intellektuelle Elite des Landes?
Wo, liebe Freundinnen und Freunde, befindet sich in diesen Tagen der unüberhörbare gesellschaftliche Protest, wenn antisemitische Parolen gegrölt und Jüdinnen und Juden auf der Straße angegriffen werden? Oder wie just in Berlin geschehen, Wohnungstüren mit dem Davidstern gekennzeichnet wurden um deren Bewohner einzuschüchtern?Wo ist das eingreifen, wenn auf dem Schulhof der Begriff Jude zum Schimpfwort verkommt?
Mehr denn je ist der verantwortungsvolle Journalismus gefragt, der recherchiert, der anordnet.
Lord Rabbi Jonathan Sachs hat diesem Phänomen einmal im britischen Unterhaus auf den Punkt gebracht.
Wir hassen keine Juden, sagten sie im Mittelalter. Nur ihre Religion.
Wir hassen keine Juden, sagten sie im 19. Jahrhundert. Nur ihre Rasse.
Wir hassen keine Juden, sagten sie jetzt.
Nur ihren Nationalstaat Israel.Und weiter sagte er, Antisemitismus ist der am schwersten zu besiegen der Rasse, weil er wie ein Virus mutiert. Aber eines bleibt gleich: Juden, ob Religion und Rasse oder Israel, werden zum Sündenbock für Probleme gemacht, für die alle Seiten verantwortlich sind. So beginnt der Weg zur Tragödie.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem Haltung und Werte eine große Rolle gespielt haben. Meine beiden Großmütter, so unterschiedlich sie waren, waren in den dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte couragiert und mutig, und ihre Kinder, meine Mutter und mein Vater haben uns von Jugend an sensibilisiert dafür, dass der Antisemitismus nach 1945 nicht verschwunden sei, sondern lebe und nur auf seine Zeit warte, wieder salonfähig zu werden. Sie gaben uns immer mit, wachsam zu sein.
Ich empfinde es als Tragödie, dass sie recht behalten sollten. Und das liberal aufgeklärte Bürgertum, meine Damen und Herren, wird den Preis für diese Ignoranz einmal bezahlen müssen.
Musikalisch wurde die Veranstaltung begleitet durch Gesangseinlagen von Susan Borofsky und Yaromyr Bozhenko am Flügel.
Das Singen der HaTikva – der israelischen Nationalhymne – konnte an diesem Abend auch als Zeichen gesehen werden:
HaTikva, die frühe Hymne der zionistischen Bewegung und heutige israelische Nationalhymne, bedeutet übersetzt „Die Hoffnung“.
Etwas, was man in diesen schwierigen Zeiten vielleicht nicht verlieren sollte.