Aktivismus getarnt als Wissenschaft: Das Beispiel Professor Volker Quaschning

Volker Quaschning Foto: Stefan Müller (climate stuff) Lizenz: CC BY 2.0

Die Geschwindigkeit, mit der neue Entwicklungen und Erkenntnisse weltweit generiert werden, macht es selbst innerhalb des eigenen Fachbereichs schwierig den Überblick zu behalten. Umso schwieriger ist es, diese zu kondensieren und interessierten, aber meistens fachfremden Zuhörern zu vermitteln. Zeitgleich entspricht es nicht nur dem Grundgedanken der akademischen Lehre, sondern ist Ausdruck des Geistes der Aufklärung, Wissen nicht als ausgrenzendes Gut zu begreifen, sondern jedem Menschen zur Verfügung zu stellen. Die Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim betreibt mit maiLab hier beispielsweise einen herausragend erfolgreichen YouTube-Kanal.

Ohne zunächst die Aussagen selbst zu beurteilen: Das Bemühen darum, diesem Anspruch über unterschiedlichste Formate gerecht zu werden, ist im höchsten Maße respektabel. Und selbstverständlich ist es für jeden Wissenschaftsjournalisten, für jeden Akademiker und Professor absolut zulässig, eigene Meinungen und Positionen zu kommunizieren. Es bedarf eben nur Trennschärfe: Was ist Meinung und was ist eben Wissenschaft. Und insbesondere: Wo gibt es Dissens? Denn einheitliche oder absolute Positionen gibt es in der Wissenschaft eigentlich nie. Auch ist es, um Aufmerksamkeit zu erregen, durchaus notwendig zu polarisieren. Für den eigenen Aktivismus das Schwert „Wissenschaftlichkeit“ stumpf zu schlagen und öffentlich zu entwerten, muss einen jeden Akademiker stören.

Ein im Bereich der Energiewende medial häufig zitierter Akademiker ist Professor Volker Quaschning. Quaschning ist nicht nur Professor sondern auch Aktivist und ein bekennender Gegner der Kernenergie und scheut auch nicht den Kontakt zu Gruppierungen wie beispielsweise der Letzten Generation, bei der das Landgericht München jüngst den Anfangsverdacht einer kriminellen Vereinigung festgestellt hat.

Quaschning nutzt seine mediale und akademische Reichweite, um im Brustton der Wissenschaftlichkeit Positionen und Meinungen als „wissenschaftliche Fakten“ zu vermitteln, die bei näherer Betrachtung als untragbare Vereinfachungen, Polemik, Übertreibungen oder bewusste Detailvermeidung zu beurteilen sind.

Hierzu zwei aktuelle Beispiele:

  • Balkonkraftwerke
  • Grundlast

Ein kurzer Exkurs:

Grundlast, Mittellast und Spitzenlast

Die Grundlast ist die Belastung eines Stromnetzes, die im Laufe von einem Tag nicht unterschritten wird. Bezogen auf die Abbildung ist dies der niedrigste Punkt der Stromverbrauchslinie. In der Abbildung werden die drei Lastanteile im Tagesverlauf dargestellt. Die Mittellast ist jener Anteil, der über die Grundlast hinausgeht und hierbei bekannten Lastprofilen entspricht, also gut zu prognostizieren ist. Die Spitzenlast ist der Anteil, der zu schnellen Lastanstiegen führt und mitunter unvorhergesehen ist. Die Spitzenlast umfasst die Bedarfsspitzen. Grundlastfähigkeit bedeutet, dass ein Kraftwerkstyp in der Lage ist, dauerhaft und ohne große Unterbrechung Energie bereitzustellen

Residuallast

Als Residuallast wird der verbleibende Energiebedarf beschrieben, der nach Abzug der fluktuativen Erzeuger Wind und PV von der Nachfrage noch bestehen bleibt und somit über sonstige, aktuell konventionelle, Erzeuger gedeckt werden muss. Wird mehr Energie erzeugt als benötigt wird, so ist von einer negativen Residuallast die Rede.

Quaschnings Fachgebiet sind regenerative Energiesysteme mit Fokus auf Photovoltaik. Zu Beginn des knapp einminütigen Videos stellt Quaschning die grundsätzliche Funktionalität von Balkonkraftwerken vor und begründet die Wirtschaftlichkeit. Bis hierhin:

Volle Zustimmung. Liebe Leser, bitte kaufen Sie ein Balkonkraftwerk, sofern Sie einen sonnigen Balkon oder eine Terrasse besitzen, der Kauf amortisiert sich in kürzester Zeit.

Anstatt aber bei den völlig unzweifelhaften Fakten zu bleiben, muss Quaschning auch hier wieder als Aktivist aktiv werden und behauptet: Ist auf jedem vierten Balkon eine Solaranlage installiert, haben alle zusammen die gleiche Leistung wie 9 Atomkraftwerke. Und an dieser Stelle wird aus Quaschnings Ausführungen Quatsch.

Zunächst, Quaschning beginnt seine Ausführungen damit, dass 60 Millionen Menschen in Deutschland einen Balkon oder eine Terrasse besäßen. In Deutschland gibt es aber lediglich 41 Millionen Haushalte, die eigentlich als Referenz für die Rechnung dienen müssten. Derzeit ist die Installation von einem Balkonkraftwerk bis 800 Watt Peakleistung je Haushalt zulässig. Neben solchen kleinen Detailabweichungen bleibt ein ganz anderer Faktor: Der Vergleich von PV-Anlagen mit Kernkraftwerken ist nicht mal mehr als Milchmädchenrechnung zu beurteilen.

Die Rechnung geht so: Auf jedem vierten Balkon werden zwei Module installiert, diese haben pro Modul 400 Watt. In Quaschnings Kalkulation sind das 15.000.000 x 2 x 400 W = 12 GW. Das vergleicht er nun mit Kernkraftwerken, die größten in Deutschland hatten etwas unter 1,5 GW an Leistung. Folglich 12 GW / ~1,5 GW, das macht dann 8 bis 9 Kernkraftwerke.

PV-Anlagen haben eine so genannte Peak-Leistung. Diese wird ab einem bestimmten Grad an Sonneneinstrahlung erreicht – aber eben auch nur dann. Sprich die tatsächliche Leistung ist abhängig vom Wetter und dahingehend eben auch nicht planbar. Zeitgleich speisen Balkonkraftwerke auch ein, wenn der Strom überhaupt nicht benötigt wird. Natürlich ist es physikalisch völlig korrekt, dass der erzeugte Strom zunächst im eigenen Haushalt verbraucht wird (Lastfluss über die geringste Impedanz), ist die abgenommene Leistung aber niedriger als die erzeugte Leistung, dann wird diese über das Niederspannungsnetz verteilt. Kurzum, es ist in einem künftig vorstellbaren Szenario durchaus möglich, dass Balkonkraftwerke Netzbetreiber vor zusätzliche Probleme stellen, da die Leistung irgendwie im Netz verteilt werden muss. Die Auslastung der Niederspannungsnetze sorgte erst vor etwas über einem Jahr für eine Debatte um die mögliche Abregelung von Wärmepumpen und e-Auto Ladestationen.

Ein Kernkraftwerk hingegen ist nicht nur unabhängig vom Wetter sondern kann Leistung auch dann zur Verfügung stellen, wenn diese benötigt wird. Wird weniger Leistung benötigt, erlaubt die Regelung eines Kraftwerks auch das, man bezeichnet dies als Lastfolgebetrieb. Die Leistung ist sicher und planbar. Das Papier, in dem die gute Lastfolgefähigkeit deutscher AKWs beschrieben wird, stammt vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag in Zusammenarbeit mit dem renommierten KIT.

Stellen Sie es sich so vor: Sie vergleichen die Wasserverfügbarkeit eines Bachs vor der Tür mit der Wasserversorgung der Stadt und dem Bezug von Wasser über ihren Wasserhahn. Sie haben aber jeden Tag Durst. Nun können Sie immer dann trinken, wenn der Bach genug Wasser führt. Wehe Ihnen, wenn eine Dürre eintritt oder Sie plötzlich wirklich viel Durst haben – oder sie Wasser zum Löschen eines Brandes benötigen.

Nun ernsthaft einer interessierten Öffentlichkeit gegenüber zu erklären, es handle sich bei einem Bach und dem städtischen Wasserwerk um perfekte Substitute, ist unwissenschaftlich und schlicht weg falsch.

Quaschning vertritt regelmäßig die Position, dass es so genannte Grundlastkraftwerke, dies sind insbesondere Kernkraftwerke, Kohle- und eingeschränkt auch Gaskraftwerke, zukünftig überhaupt nicht mehr benötigt würden. Die Zukunft, so Quaschning, gehört der uneingeschränkten Flexibilität. Diese Position kann man vertreten, in der Begründung liefert der Professor dann aber auch hier reichlich viel Meinung, die mit Wissenschaft und der Realität wenig zu tun haben.

Der Begriff Grundlast ist eine wissenschaftliche Definition und es ist ersichtlich: An jedem Tag, in jeder Stunde, in jedem Monat wird es immer einen niedrigsten Bedarfspunkt geben. Dies ist die Grundlast des betrachteten Zeitintervalls. Der Begriff findet sich in Unternehmensdarstellungen, Standardlehrwerken, in Handbüchern für Lehrer und Pädagogen, in Lexika und ein Blick auf Google Scholar zeigt: Auch in der wissenschaftlichen Literatur, in Papern und Publikationen wird „Base Load“ weltweit diskutiert. Mehr noch, zahlreiche Publikationen befassen sich explizit mit der Fragestellung, wie in der “künftigen Energiewelt“ Grundlast gedeckt werden kann. Alle hier von mir zitierten Paper, die den Begriff Grundlast verwenden, diskutieren oder grüne Grundlastszenarien beschreiben sind von 2020 oder neuer. Die Antwort hierauf lautet in zahlreichen anderen Teilen der Welt unter anderem auch: Kernkraft. „Braucht kein Mensch“, nur scheinbar kommt ein großer Teil der restlichen Welt zu gänzlich anderen Erkenntnissen. Ein derartiger Umgang mit Akademikerkollegen und Ingenieuren ist wenigstens despektierlich.

Auch ist die Aussage, die Zukunft gehöre variablen Lasten, bereits auf den ersten Blick zu hinterfragen. Insbesondere Großverbraucher wie die Aluminiumindustrie, Hochöfen oder Produktionsbetriebe können nicht beliebig den Energiebedarf variieren und es ist für einen Industriestaat heute nicht glaubwürdig zu vermitteln, dass das hohe Produktionsvolumen mit beliebiger Flexibilität und ohne langfristige Planbarkeit realisiert werden kann. Die Abwanderung der energieintensiven Industrie in den vergangenen Monaten gibt bereits heute Auskunft darüber, wie derartige Gedankenspiele von praxisnahen Akteuren beurteilt werden.

Der Verzicht auf konventionelle Kraftwerke und die von Quaschning, zumindest bei Social Media, als längst abschließend erklärte Entwicklungsprognose hat darüber hinaus aber auch Auswirkungen auf die Energienetze selbst, und hier insbesondere auf den Aspekt der Netzstabilität. Ein solches Netz, wie von Quaschning beschrieben, existiert heute noch gar nicht, sondern ist vielmehr ein akademisches Planspiel, dessen genaue Umsetzbarkeit für eine Industrienation völlig offen ist.

Im Dezember 2023 erschien mit der „Roadmap Systemstabilität“ ein Arbeitspapier des BMWK, in dem erstmals auch sehr detailliert auf offene Fragen eingegangen wurde. Auf mehr als 100 Seiten wurden Problemstellungen umrissen, die bis heute größtenteils ungeklärt sind und in den nächsten 12 Jahren in Forschungs- und Entwicklungsaufträgen abgehandelt werden sollen. Das Papier zeigt aber auch: Andere Wissenschaftler und Akteure sehen eine Zeitschiene im Bereich von Jahren bis Jahrzehnte. Und selbst das ist, wenn man in dem Bereich arbeitet und die Fragestellungen begreift, als ambitioniert zu beurteilen.

Erst vor wenigen Tag beschied der Bundesrechnungshof dem Vorgehen der Bundesregierung „massive Mängel“ und warnte, dass die sichere Versorgung gefährdet sei. Als Ingenieur gehe ich die These in der Form nicht mit, solange die derzeit existierenden thermischen Kraftwerke am Netz sind, halte ich eine beschriebene Versorgungsgefährdung für unbegründet. Die Welt bezeichnete den Sonderbericht gar als „vernichtend„. Richtig ist jedoch: Die Energiepreise werden zunehmend ein Risiko nicht für den beschrittenen Pfand der Energiewende sondern jeden Akteur in der Bundesrepublik. Und es zeigt auch, dass selbst innerhalb hoher politischer Institutionen das Vertrauen in die Handlungsstringenz verloren gegangen ist.

Die im Februar veröffentlichte Kraftwerkstrategie von Wirtschaftsminister Habeck trägt diesem Umstand Rechnung: Dunkelflauten sind real. Grundlastkraftwerke sind notwendig. Professor Quaschning mag das nicht gefallen, erkennbar ist jedoch, dass selbst Politiker der Grünen anfangen, Abstand von wenig substanziierten Energiewendethesen zu nehmen.

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[…] umtriebigen Mann und seine Thesen etwas genauer angesehen. Besser gesagt hat Daniel Bleich einen Artikel über Quaschning verfasst. Er nimmt ein sehr konkretes Beispiel von Quaschning und das sind […]

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