Aktivisten sind nichts anderes als selbstermächtigte Lobbyisten

Klimaaktivist auf einer Demonstration in Bochum


Die Politik lässt sich zu stark von Aktivisten treiben.

Wer wissen will, wie Demokratie in der Praxis aussieht, tut gut daran, einmal die Sitzung eines Stadtrats zu besuchen. In den meisten Städten arbeiten dort die Politiker über die Fraktionsgrenzen hinweg zusammen, schließen Kompromisse, springen bei Abstimmungen immer wieder über ihren eigenen Schatten und unterstützen oft den Haushalt der Mehrheit, auch wenn sie als Mitglieder der Opposition nur wenig durchsetzen konnten. Auch in den Räten werden leidenschaftliche Reden gehalten und wird laut gestritten, aber das ist eher selten. Nichts an einem Stadtrat ist glamourös. Wer Lokalpolitik macht, arbeitet im Maschinenraum der Demokratie. Und oft gehen die Handelnde Kompromisse ein. Das ist selbstverständlich langweilig. Alle haben irgendwie verloren und niemand ganz gewonnen. Der Kompromiss lässt keinen Raum für heroische Posen. Aber Kompromisse helfen, Konflikte zu lösen und das nicht nur in der Politik: Gewerkschafter und Arbeitgeber schließen sie jeden Tag: Oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit bei Streitigkeiten zwischen Betriebsräten und Unternehmensleitungen aber auch spektakulärer bei Tarifverhandlungen. Wird ein Kompromiss geschlossen, ist das ein Zeichen dafür, dass ernsthaft versucht wurde, ein Problem zu lösen. Und dass alle Beteiligten anerkennen, dass auch die andere Seite nicht vollkommen falschliegt und Ansichten vertritt, die es wert sind, berücksichtigt zu werden.

Vielen der fast zu Heiligen verklärten Aktivisten der Zivilgesellschaft ist ein solches Denken allerdings vollkommen fremd: Sie sehen nur ihre Ziele und sind oft genug bereit, sie durchzusetzen. Koste es die Gesellschaft, was es wolle.

Wer dagegen ist, dass in seiner Nachbarschaft neue Wohnungen entstehen oder eine Flüchtlingsunterkunft gebaut wird, ist egal, wo Menschen künftig wohnen. Es geht um die Durchsetzung der eigenen Interessen. Argumente werden gesucht und passend gemacht. Da wird dann schon einmal Gestrüppwiese zur kleinen Schwester des Amazonas-Dschungels verklärt und der Streit um die freie Aussicht zum Kampf gegen den Klimawandel erhöht. Wer gegen ein Kraftwerk, eine Stromleitung oder auch nur ein Windrad in seiner Nähe protestiert, ist die Sicherung der Energieversorgung in der Regel vollkommen egal. „Not in My Backyard”, auf Deutsch „Nicht in meinem Hinterhof“, wird dieser egoistische Politikansatz genannt und er ist berechtigt: Jeder hat natürlich das Recht, sich für seine Interessen einzusetzen. Nur es ist nicht die Aufgabe von Politikern, dem nachzugeben. Doch dazu kommt es immer häufiger. Bürgerinitiativen, Aktivistengruppen oder auch die großen, reichen NGOs wie die Deutsche Umwelthilfe und Agora Energiewende machen oft eine hervorragende Öffentlichkeitsarbeit. Sie spielen sich als Vertreter der Bürger auf, tun so, als ob sie die Interessen der Allgemeinheit vertreten. Dabei sind sie nichts anderes als medial gehypte Lobbygruppen. Sie malen Schreckgespenster an die Wand und verbreiten Angst: Gelingt es nicht bis am besten gestern kein CO2 mehr auszustoßen, geht die Welt unter.

War es nicht ein großer Erfolg der Umweltbewegung, Kernkraftwerke sicherer zu machen? Seitdem sie alle abgeschaltet sind, gehen immer mehr Kohlekraftwerke ans Netz und die Bundesnetzagentur setzt auf französische Reaktoren als Reserve. Die Radikalität der Bewegung hat zu mehr C02-Austoss geführt. Klimaschutz ist wichtig, aber er ist nur eins von vielen wichtigen Themen. Jobs und Wohlstand sind den Menschen auch wichtig. Wenn Klimaschutzmaßnahmen wie bei der Wärmewende Hausbesitzer und Mieter überlasten, wenn die ihre Jobs  verlieren und ärmer werden, wird  Klimapolitik keine demokratischen Mehrheit mehr finden. Kein Wunder, das Aktivisten auf Bürgerräte setzen und das Mehrheitsprinzip als Störfaktor sehen.

Der Kompromiss ist Aktivisten fremd. Für sie ist er nicht ein grundlegendes Element der Demokratie, sondern Verrat. Damit tragen dazu bei, die Gesellschaft zu spalten und zu radikalisieren. Profitieren tun davon Parteien wie die AfD. Politiker müssten dagegen steuern, aber das fällt ihnen schwer: Viele Medien lieben Aktivisten, ihren Pathos und ihre Unbedingtheit. Und wenn mit ihnen verbündete Wissenschaftler auch noch die gewünschten Daten liefern, wirkt die perfekte Schlagzeile sogar seriös.

Der Preis, den wir als Gesellschaft für die Entwicklung zahlen, ist die Vergiftung von Debatten und die sich ausbreitende absurde Vorstellung, es gäbe große, einfache Lösungen. Doch Probleme werden in der Wirklichkeit nicht durch pathetische Gesten gelöst. Der Kern des demokratischen Verfahrens ist Versuch und Irrtum: Man probiert etwas aus, sieht, wie es läuft und bereitet den nächsten Schritt vor. Und all das im Bewusstsein, sich auch irren zu können. Eine solche Politik wird immer die Möglichkeit offenlassen, eine Entscheidung zurückzunehmen, wenn sie sich als falsch erweist. Und natürlich wird sie dem Einzelnen Möglichkeiten geben, seinen eigenen Weg zu gehen. Ja, das ist alles so unvorstellbar langweilig wie es klingt. Aber wer nicht irgendwann in den rauchenden Trümmern dessen stehen will, was wir unsere Gesellschaft nennen, sollte den Kompromiss schnell schätzen lernen und Aktivisten als das sehen, was sie sind: Durch nichts außer ihrer eigenen Eitelkeit selbstermächtigte Lobbyisten, die in allen Debatten nur eine Stimme unter vielen sind.

 

 

 

 

 

 

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