Aktualisierung mit der Hexenhammer-Methode

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Im Schauspielhaus Bochum wird mit den Hexen Arthur Millers Theaterstück gleich mit hingerichtet. Von unserem Gastautor Daniel Kasselmann.

Als Arthur Miller 1953 sein Drama „Hexenjagd“ als kritische Auseinandersetzung mit den Kommunistenverfolgungen in der McCarthy-Ära schrieb, nahm er die Hexenprozesse von 1692 in Salem als Folie, um daran den Teufelskreislauf zwischen einer machtbesessenen Obrigkeit, einem angsteinflößenden Feindbild, der Salonfähigkeit des Denunziantentums und einem wachsenden gesellschaftlichen Klima der Angst und Hysterie auf dem Theater erlebbar zu machen. Da liegt es in Zeiten von IS-Terror, der NSU-Prozesse, Pegidaismus und Angriffen auf die Pressefreiheit nahe, diesen Klassiker des modernen Theaters auf den Spielplan zu nehmen.

Ein majestätisches Tribunal erstreckt sich seiner ganzen kafkaesken Monströsität über die gesamte Bühnenbreite mit Empore, Mikrofonanlage und dem vorgelagert die Zeugenstände, davor der Zuschauerraum, darin das Publikum, welches heute einem Hexenprozess beiwohnt. Hinter dem Tribunal eine Guckkastenbühne auf der Bühne; hier werden während des Prozessverlauf in Rückblenden die vergangenen Ereignisse der Hexenjagd gezeigt werden. Der Zuschauer wird gleichzeitig Prozessbeobachter, diese Doppelung der Perspektive macht das hochplausible Bühnenkonzept zu einer der stärksten Elemente der Inszenierung.

Das Konzept der Inszenierung basiert darauf, das Stück um die Frage der Entstehung eines Klimas der Denunziation, Bespitzelung und Angst dadurch ins Heute zu adaptieren, indem die Figur der im Stück ursprünglich schwarzen Sklavin Tituba zu Titubar umgemodelt wird, einem männlichen Muslim mit Kopfbedeckung und Gebetskette. Anfangs ist davon die Rede, dass der dort ebenfalls anwesende Titubar beim nächtlichen Reigen mit den Mädchen irgendwelche fremdländischen Murmeleien von sich gegeben habe – sicherlich irgendein bedrohliches arabisches Zwiegespräch mit einem Flaschengeist – doch seine Rolle in der Nacht bleibt verschwommen, daran ändert sich auch nichts, als er sich aus Reue über sein vorheriges Geständnis in einer archaisch anmutenden Szene im Gerichtssaal selbst die Zunge abschneidet und damit umbringt. In einer späteren Szene sehen wir ihn in der leeren Guckkastenbühne im muslimischen Gebet – ob Rück-oder Traumblende, bleibt in der Schwebe – und zwar sowohl im arabischen Original, wie auch in der deutschen Übersetzung. Es ist die Sure Al Fâtihah (Die Eröffnende) und bei aller Unterschiedlichkeit des islamischen Gebets zum christlichen erkennt man Ähnlichkeiten zum Vaterunser. Das einzige Problem ist daran, dass ab diesem Moment das Thema der Islamophobie als Angelpunkt der Aktualisierung ohne erkennbaren Grund aufgegeben wird. Ende, aus, das war’s.

In den Fokus rücken immer stärker Proctor’s Konflikt mit seiner Frau Elisabeth, die ihm seinen Betrug mit dem Hausmädchen Abigail zunächst noch nicht verzeihen kann, sowie das zunehmende Klima von Denunziation, Angst und Hysterie. Das großartige Ensemble, allen voran Jürgen Hartmann als John Proctor und Katharina Linder als Elisabeth switcht in Szenen zwischen den immer absurderen Prozessen im Gerichtssaal (hervorragend autoritär und unmenschlich: Anke Zillich als oberste Richterin Danforth und Michael Schütz als Richter Hathorne) und Szenen an anderen Orten sowie Rückblenden auf der Guckkastenbühne. Friederike Becht, sehr ausdifferenziert in ihrem Spiel als Mary Warren, gesteht mitten im Prozess die Verhexung der Mädchen zunächst als Erfindung und muss durch die anschließende Demonstration der vermeintlichen Dämonen-Besessenheit von Abigail, Betty und Mercy (Kristina Peters, Pola Jane O’Mara und Sarah Grunert als wunderbarer Chor der Verhexten) erkennen, dass deren Lüge stärker wirkt, als ihre Wahrheit. Bis zu dem Punkt der Frage, ob Proctor wider besseren Wissens ein Schuldeingeständnis unterschreiben wird, um sein Leben zu retten, oder nicht und es zu sehr intensiven Szenen zwischen ihm und seiner Frau Elisabeth kommt.

Nach dreieinhalb Stunden Peinlicher Befragung ist der Prozess vorbei. Das hervorragende Ensemble und die Schlüssigkeit des Teufelskreises der Angst, der das Stück so aktuell macht, können leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Regie anfangs zu unentschieden auf die Islamophobie-Karte gesetzt, und diese, anstatt damit in kluger Manier aufzutrumpfen, lieber sofort wieder weggesteckt hat. So erinnert man auch eine Woche nach der Premiere immer noch insbesondere die blutige Szene, in der Titubar sich selbst als Buße für die eigene Schuld die Zunge abschneidet. Ein barbarisches Bild, das den Vorurteilen gegenüber dem Islam übelsten Vorschub leistet. Daniela Löffner hat mit ihrer Inszenierung der modernen und unvoreingenommenen Begegnung von Christentum und Islam einen grandiosen Bärendienst erwiesen und sich im übertragenen Sinne der fahrlässigen Tötung eines Theaterstücks schuldig gemacht.

Termine: 12./29.3., 3./25.4.; Karten: Tel: (0234) 33 33 55 55

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