Heute beginnt für die Aleviten in Deutschland das Muharrem-Fasten, dem am 11. August 2022 das Aşure-Fest folgt. Für die Aleviten ist die Fastenzeit eine Zeit der Trauer und des Gedenkens, gefolgt von einem Fest der Freude und Zuversicht.
Die Fastenzeit der Aleviten im Monat Muharrem, dem ersten Monat des islamischen Kalenders, dauert in diesem Jahr vom 30. Juli bis 10. August. Während dieser zwölf Tage, deren Zahl an die zwölf Imame erinnert, gedenken die Aleviten insbesondere des gewaltsamen Todes des Imam Hüseyin und von 72 seiner Familienangehörigen und Anhänger im Jahr 680.
Im Anschluss an das Fasten – in diesem Jahr am 11. August – feiern die Aleviten das Aşure-Fest, an dem in Erinnerung an das Überleben in der Arche Noah eine Speise (Aşure) aus zwölf Zutaten zubereitet und mit Nachbarn und Freunden geteilt wird. Die Zutaten der Süßspeise können zwar variieren, aber sie müssen zwölf an der Zahl sein, denn diese symbolisieren die zwölf Imame. Es sind zum Beispiel Weizen, Bohnen, Saubohnen, Kichererbsen, Kastanien, Haselnüsse, Pistazien, Mandeln, Sultaninen, Feigen, Aprikosen und Walnüsse.
„Ich wünsche mir, dass der Monat Muharram, der das Symbol des Kampfes gegen Unrecht, Ungerechtigkeit und Finsternis ist, der gesamten Menschheit Frieden und Brüderlichkeit bringt, und ich hoffe, dass dieser Monat für uns eine Gelegenheit sein wird, universelle Werte wie Frieden und Brüderlichkeit zu finden, nach denen wir uns sehnen“, macht auf Twitter der beliebte türkische CHP-Politiker Şükrü Genç deutlich.
Für die Aleviten ist die Fastenzeit eine Zeit der Trauer und des Gedenkens, gefolgt von einem Fest der Freude und Zuversicht. Die Erinnerung daran, dass Gott seinen Geschöpfen in scheinbar ausweglosen Situationen neue Hoffnung schenkt, ist gerade in Zeiten brutalen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine von großer Aktualität.
In einer Grußbotschaft übermittelt der Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier die Segenswünsche der Deutschen Bischofskonferenz: „Eins ist der Weg, mit tausendundeiner Art, ihn zu begehen“, so lautet ein wichtiger Satz aus der alevitischen Tradition. Ja, wir sind alle Pilger auf dieser Erde, unterwegs zu Gott, dem Schöpfer und Erhalter des Lebens, und wir alle sind vergängliche Wesen. Als religiöse Menschen betrachten wir die Fastenzeit als eine willkommene Gelegenheit, die alltägliche Routine zu durchbrechen. Sie bietet die Möglichkeit, unsere Beziehung zu Gott und zu unseren Mitmenschen, aber auch zu uns selbst, zu überprüfen, damit wir achtsamer leben und wirken können“, betont Bischof Meier.
Hintergrund
In Deutschland leben nach Schötzungen etwa 800.000 Aleviten. Ihr Name verweist auf Ali, den Cousin Mohammeds und vierten Kalifen laut sunnitischem Islam, den sie verehren. Die Vorschriften der Scharia und die fünf Säulen des Islam spielen für sie keine Rolle. Aleviten glauben, durch das alevitische Wertesystem der “Vier Tore Vierzig Regeln“ zu reifen und den Weg zur Vervollkommnung zu finden.
Unter Aleviten gibt es zwei Strömungen – die eine Gruppe möchte das ursprüngliche Alevitentum bewahren und lehnt jede „Modernisierung“ ab. So ist die rituelle Gottesverehrung des Mehrheitsislam bei traditionellen Aleviten weit verbreitet, während modernere Aleviten dies mehrheitlich ablehnen. Diese zweite, größere Gruppe versteht das Alevitentum als eine Religion unter vielen in einer multireligiösen Gesellschaft.
Auch zu der Frage, ob das Alevitentum zum Islam gehört, gibt es mehrere Strömungen. Für eine Gruppe beispielsweise ist der Alevismus eine eigene Religion. Der Islam hat sie beeinflusst, mehr nicht. Ähnlich wie das Christentum vom Judentum beeinflusst wurde. Für andere gehört der Alevismus zum Islam, steht aber in Opposition zum Sunnitentum.
Im Dezember 2020 erkannte das Land NRW die Alevitische Gemeinde Deutschland als Körperschaft des öffentlichen Rechts an. Damit wurde die Gemeinde den Kirchen gleichgestellt. Mit dem Körperschaftsstatus wurde die gesellschaftliche Realitiät auf den Punkt gebracht, dass Aleviten ein fester Teil des religiösen und kulturellen Lebens in Deutschland sind: „Die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an unsere Gemeinde ist uns ein großer Ansporn und noch mehr:
Sie ist uns eine Verpflichtung. Die Verpflichtung, auch zukünftig unser ganzes Tun und Engagement dafür einzusetzen, dass wir die Vielfalt der Gesellschaft gegen die Einfalt des Denkens schützen und noch intensiver dafür einsetzen, dass unsere Gesellschaft frei und offen bleibt“, erklärte die Alevitische Gemeinde Deutschlands, die Dachorganisation der in Deutschland lebenden Alevitinnen und Aleviten mit Sitz in Köln. Sie vertritt die Interessen der deutschlandweit 160 Mitgliedsgemeinden. Ihr Bundesvorsitzender ist Hüseyin Mat, Generalsekretär Ufuk Çakır.