Die Abwesenheit von Politikern mit alevitischem Glauben in der Führung der türkischen Oppositionspartei CHP nach der Abwahl des Aleviten Kemal Kılıçdaroğlu, geboren in Nazımiye in Tunceli, wirft berechtigte Fragen zur Vielfalt innerhalb politischer Strukturen auf. Vor den anstehenden Kommunalwahlen 2024 erheben Aleviten energisch Forderungen nach repräsentativer Teilhabe, um nicht nur ihre Präsenz in der CHP-Führung zu betonen, sondern auch nach einem prominenten Bürgermeister mit alevitischem Hintergrund. Der Druck auf den Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu nimmt zu, sich für die Anliegen der Aleviten einzusetzen, da andernfalls die Alevitengemeinschaft droht, die CHP nicht mehr zu unterstützen. Unser Gastautor Ufuk Sezer ist Türkei-Experte aus Hamburg
Die kommenden Kommunalwahlen dienen als Katalysator für die Aleviten, die ihre Forderungen nach repräsentativer Teilhabe energisch vorbringen. In einer Gesellschaft, die so vielfältig wie die türkische ist, gewinnt die Notwendigkeit einer inklusiven politischen Repräsentation zunehmend an Bedeutung. Die Forderung nach der Integration eines alevitischen Politikers in die CHP-Führung spiegelt breitere Diskussionen über die Notwendigkeit wider, dass politische Parteien die vielfältige Bevölkerung angemessen repräsentieren. Die Abwesenheit alevitischer Vertreter wirft nicht nur Fragen zur Inklusivität der CHP auf, sondern betont auch die generelle Herausforderung politischer Organisationen, die Vielfalt der türkischen Gesellschaft angemessen abzubilden.
Die Forderung nach einem prominenten alevitischen Bürgermeister hat ebenfalls große Bedeutung. Sie symbolisiert nicht nur den Wunsch nach symbolischer Repräsentation, sondern auch nach wirklicher Einflussnahme und Entscheidungsbefugnis. Städte spielen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der nationalen Erzählung, und die Wahl eines alevitischen Bürgermeisters würde eine kraftvolle Botschaft der Inklusivität senden, die das Zugehörigkeitsgefühl der Aleviten stärken könnte.
Diese Debatte wird nicht nur in den alevitischen Gemeinden in der Türkei, sondern auch in der Diaspora geführt. So vertritt die in Köln beheimatete Alevitische Gemeinde Deutschlands mehr als 160 Gemeinden in Deutschland. Mit mehr als 700.000 Mitgliedern gehören die Aleviten zu den großen religiösen Gemeinden in Deutschland. In der Türkei sind es Millionen, die dem alevitischen Glauben angehören, aber keine politische Heimat mehr haben.
Der Fokus auf Ekrem İmamoğlu, den Bürgermeister Istanbuls und einflussreichen Akteur innerhalb der CHP, verdeutlicht die Rolle, die Schlüsselfiguren bei der Bewältigung von Gemeinschaftsanliegen spielen können. Imamoglu, bekannt für seine progressive Haltung und sein Engagement für Inklusivität, sieht sich nun der Herausforderung gegenüber, den sensiblen Ausgleich zwischen verschiedenen religiösen und ethnischen Gemeinschaften in Istanbul zu finden.
Mit Argusaugen hat die alevitische Gemeinde eine von Ekrem İmamoğlus Stadtverwaltung finanzierte Beilage in der Berliner Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ zur Kenntnis genommen, in der der religiösen Vielfalt in Istanbul keine wahrnehmbare Rolle bemessen wird. Chance vertan!
Die mögliche Rücknahme der Unterstützung der Aleviten für die CHP stellt daher eine erhebliche Bedrohung für die Wahlaussichten der Partei dar. In einer politischen Landschaft, in der jede Stimme zählt, müssen Parteien auf die Anliegen verschiedener Gemeinschaften eingehen. Das Nichterfüllen dieser Forderungen könnte nicht nur einen Verlust an Wahlsupport bedeuten, sondern auch ein Gefühl der Marginalisierung unter den Aleviten verstärken. Inzwischen wird schon darüber nachgedacht, wer die alevitischen Stimmen zukünftig erhalten soll.
Mit Blick auf die Kommunalwahlen am 31. März 2024 wird das Ergebnis nicht nur von traditionellen politischen Dynamiken geprägt sein, sondern auch von der Fähigkeit politischer Führer, auf die sich wandelnden Anforderungen ihrer vielfältigen Wählerschaft zu reagieren. Der Fall der Repräsentation von Aleviten innerhalb der CHP dient als Mikrokosmos für breitere Diskussionen über die Natur von Inklusivität und Vielfalt in der zeitgenössischen türkischen Politik. Die Entscheidungen in den kommenden Monaten werden nicht nur die politische Landschaft beeinflussen, sondern auch die Erzählung der türkischen Identität und des Pluralismus formen. Es liegt in der Verantwortung der politischen Akteure, die Forderungen der Aleviten ernst zu nehmen und für eine repräsentative Teilhabe zu sorgen, um eine inklusive und vielfältige politische Landschaft zu schaffen.
Verlierer wäre auf jeden Fall die CHP. Innerhalb der Regierungspartei AKP gibt es bereits erste Bestrebungen, sich noch stärker den Aleviten zu öffnen – Erdoğan stehe schließlich wie niemand sonst für einen modernen Staatsführer, der alle Strömungen vereint, heißt es aus dem Umfeld der türkischen Regierungspartei.