„Alle Wege der AfD führen nach Russland“

Marcus Bensmann Foto: Correctiv


Es dürfte kaum einen Journalisten geben, den die AfD so sehr hasst wie Marcus Bensmann. Für Correctiv beobachtet er seit Jahren die rechtsradikale Partei. Bensmann hat vertrauliche Parteiinterna veröffentlicht, Konflikte offengelegt und an der Skandalgeschichte der Partei entscheidend mitgeschrieben.

Er gehörte auch zu dem Correctiv-Team, das über das Treffen im Landhaus Adlon berichtete, bei dem im November AfD-Funktionäre und Politiker mit dem österreichischen Rechtsradikalen Martin Sellner darüber diskutierten, wie man Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund aus dem Land drängt. Die Recherche über die Remigrationspläne führte im Januar zu einer der größten Demonstrationswellen in der Geschichte der Republik. Nun hat Bensmann mit „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst“ ein Buch veröffentlicht, das in kompakter Form nicht nur seine und die Recherchen anderer Journalisten zusammenfasst, sondern auch analysiert, warum die Partei zu ihrer heutigen Größe aufsteigen konnte und aufzeigt, was geschehen muss, um sie auf dem Weg zur Macht zu stoppen.

Die wohl spektakulärste AfD-Recherche von Marcus Bensmann und dem Team von Correctiv ist ohne Zweifel das Treffen im Landhotel Adlon in der Nähe von Berlin. Sie zeigte einer breiten Öffentlichkeit die Nähe von AfD-Kadern zu offen auftretenden Rechtsradikalen auf. Nun konnte tatsächlich niemand mehr sagen, er habe es nicht gewusst. Die Berichterstattung zerstörte den Rest der Legende, dass die AfD eine bürgerliche, konservative Partei sei. Bensmann schildert knapp das zentrale Thema des Adlon-Treffens im November vergangenen Jahres: „In der Villa unweit des Wannsees besprachen die Teilnehmer die »ethischen«, »rechtlichen« und »logistischen« Möglichkeiten der »Remigration«, also Vertreibung, von Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund, darunter auch »nicht assimilierte Staatsbürger«, die in einem »Jahrzehnteprojekt« mit »maßgeschneiderten Gesetzen« und »Anpassungsdruck« dazu gebracht werden sollten, das Land zu verlassen. Da sich die Beteiligten klar waren, dass die Vertreibung von Staatsbürgern mit migrantischem Hintergrund ein Problem sei, schlug der Vortragende Sellner in der Diskussion um den »Masterplan« vor, legale Lösungen zu suchen, »nicht assimilierte« Staatsbürger dazu zu bringen, das Land zu verlassen. Der Österreicher mit den dunkelbraunen Haaren brachte sogar auch eine Musterstadt in Nordafrika ins Spiel, die die Vertriebenen aufnehmen sollte, darunter auch Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen.“

Die dort Versammelten liefen Sturm gegen die Recherche und überzogen Correctiv mit Klagen, um den Eindruck einer falschen Berichterstattung zu erwecken. Es gelang ihnen nicht, wie Bensmann schreibt: „Der juristische Blog Internet-Law schrieb dazu am 1. März 2024: »Die Berichterstattung von Correctiv ›Geheimplan gegen Deutschland‹ zu einem Treffen von Rechtsextremen, AfD-Politikern und Unternehmern in Potsdam hat hohe Wellen geschlagen und nunmehr auch zu einem juristischen Nachspiel, in allerdings sehr bescheidenem Umfang, geführt. Von zwei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde einer vollständig und ein zweiter zu 2/3 vom Landgericht Hamburg zurückgewiesen. Die Kernaussagen des Correctiv-Artikels wurden in beiden Verfahren aber erst gar nicht beanstandet.«“

Dass die Idee der Remigration für die AfD nichts Neues ist, obwohl sie den offiziellen Verlautbarungen der Partei widerspricht, in denen sie versucht, sich als demokratische Partei darzustellen, wird in dem Buch mit zahlreichen Zitaten von AfD-Größen wie Björn Höcke, dem Thüringer Parteivorsitzenden der AfD und ihrem Spitzenkandidaten bei der Europawahl, Maximilian Krah und anderen belegt. Aber in „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst“ geht es nicht nur um das Treffen am See. Bensmann zeichnet die Geschichte der AfD nach, in deren Verlauf sie sich von einer Partei Euroskeptischer, aber westlich orientierter konservativer Wirtschaftsprofessoren zu einer immer offener auftretenden rechtsradikalen Partei wandelte, mit der selbst Marine Le Pen und Rassemblement National nichts mehr zu tun haben wollen. Treibende Kraft von Anfang an war Höcke, der seit der Gründung Machtkampf für Machtkampf gewann und heute, wenn auch ohne Amt auf Bundesebene, den Kurs der Partei lenkt. Die wenigen verbliebenen Kritiker dieses Kurses sind längst ausgeschaltet. Politiker wie der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich sind heute im Landesvorstand der Partei in Nordrhein-Westfalen. Die PArtei will ihn loswerden, ob es ihr gelingt ist ungewiss. Nun müssen die Schiedsgerichte entscheiden Der selbst ernannte »demokratische Freisler« und das »freundliche Gesicht des NS« ist in der AfD kein Paria, schreibt Bensmann, sondern zu einem wichtigen Strippenzieher auf den Parteitagen geworden.

Das Buch belegt die Nähe der AfD zu Russland, die weitgehende Übernahme von Putins Positionen nach dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022: „Zentrale Parteifunktionäre wünschen sich den Sieg Russlands in der Ukraine, hoffen auf den Zerfall des ihrer Meinung nach dekadenten Westens.“ Höcke klingt wie Sahra Wagenknecht, wenn er Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Brief warnt, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen: »Gehen Sie nicht in die Geschichte ein als ein Mann, dessen Entscheidung, Marschflugkörper zu liefern, den Dritten Weltkrieg ausgelöst hat.« Zwischen dem Landesverräter Höcke und Russlands Präsident Putin passt kein Rubelschein.

Bensmann zeigt den ideologischen Kern dieses Denkens auf, der auf Ideen des NS-Juristen Carl Schmitt („Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft“) basiert, nach denen die Welt in Großräume einzuteilen ist, die von jeweils einer Macht dominiert werden. Alle anderen seien raumfremde Mächte, die sich in einer „multipolaren Welt“, die zwischen den Großmächten aufgeteilt ist, heraushalten müssen. Nach dieser Logik haben die USA, die Schutzmacht des Westens, nicht nur in Europa nichts zu suchen. Tino Chrupalla, der Ende Juni in Essen wiedergewählte Parteivorsitzende, schrieb wenige Tage nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 11. Oktober auf X: »Der Angriff der #Hamas auf #Israel ist zu verurteilen. Ich trauere um alle Kriegstoten. Jetzt müssen Staaten der Region auf Deeskalation setzen, um einen Flächenbrand abzuwenden. Diplomatie ist das Gebot der Stunde. Eine tragfähige Lösung für alle Seiten muss das Ziel sein.« Bensmann zeigt auf, was die Folgen der von der AfD propagierten Großraumpolitik für Israel wären: „Hier spiegelt sich die Ideologie der »multipolaren Weltordnung« von Kisoudis und Dugin wider. Die »Staaten der Region«, nicht die USA als »raumfremde Macht«, sollen das Problem lösen. Wenn dieser Tweet Wirklichkeit werden würde und Syrien, Türkei, Iran oder Ägypten das alleinige Sagen hätten, stünde die Existenz Israels auf dem Spiel.“

Neben Russland hat die AfD auch große Sympathien für China und sogar der Iran kann auf sie setzen. Fast woke klingt die Partei, wenn es um die Mörder-Mullahs in Teheran geht: „Wir sollten es zudem ausdrücklich vermeiden, abwertend über die Führungen anderer Länder zu sprechen, unabhängig davon, wie sympathisch oder unsympathisch sie uns sind – in diesem Fall dem Iran. Die Wortwahl ›Mullah-Regime‹ ist unangemessen. Wir sprechen auch nicht vom ›Saud-Regime‹ in Saudi-Arabien – und sollten dies auch nicht tun“, heißt es in einem von Correctiv öffentlich gemachten internen Positionspapier. Die AfD, das belegt das Buch an vielen Stellen, ist eine Partei, die den Westen und seine Demokratien verachtet, die NATO und die EU zerstören und faktisch Deutschland an Großmächte wie Russland ausliefern will. Es ist schlicht eine Partei völkischer, rechtsradikaler Landesverräter, die nicht einmal Respekt vor der deutschen Staatsbürgerschaft haben und deren isolationistischer Kurs das Land ins wirtschaftliche Elend führen würde. Bensmann kritisiert die Partei jedoch nicht von einer linken Position aus, sondern als Anhänger der westlichen Demokratien. Die NATO und die EU sind für ihn Errungenschaften, die er durch die AfD bedroht sieht und mit Entschlossenheit verteidigen will. Er bewundert Politiker wie Konrad Adenauer, den ersten Kanzler der Republik. Als der 1952 durch ein Angebot Stalins die Gelegenheit bekam, Deutschland als neutralen, aber faktisch russischen Marionettenstaat wiederzuvereinigen, entschied er sich dafür, die Bundesrepublik im Westen zu verankern. Einer Wiedervereinigung nach Stalins Vorstellungen erteilte er eine Absage. Die Unionsparteien sind für ihn entscheidend, wenn es darum geht, die AfD aufzuhalten. Er warnt davor, jegliche Migrationspolitik jenseits der Parole „All Refugees Welcome“ als rechtsradikal zu stigmatisieren: „Die Forderung nach einer geregelten Einwanderung und die ökonomischen Grenzen der Aufnahme sind etwas anderes als die zutiefst rassistische Idee eines monoethnischen Staates, der auch Menschen mit Migrationshintergrund durch die »Remigrationspläne« der Identitären Bewegung und AfD-Politiker wie Björn Höcke oder Maximilian Krah bedroht; Menschen, die seit Generationen und Jahrzehnten hier leben und Teil unserer Bürgergesellschaft sind.“

Die Brandmauer, schreibt Bensmann, werde nicht brechen, wenn in irgendeinem Rathaus die AfD mal für einen CDU-Antrag stimmt oder die CDU für einen der AfD. „Die Brandmauer wird aber niedergerissen, wenn die CDU sich nicht von den »ethnokulturellen« Reinheitsphantasien in der AfD glasklar absetzt. Die CDU und auch Friedrich Merz können natürlich strengere Regeln bei der Flüchtlingsaufnahme und dem »Bürgergeld« in Deutschland fordern, das ist Teil einer notwendigen Debatte in einer Demokratie (…). Die Union darf dabei aber nicht in die Falle tappen, die ihnen die völkischen Ideologen stellen. Denn eines ihrer Ziele hat das AfD-Vorstandsmitglied Maximilian Krah auch offen formuliert: die Zerstörung der CDU.“ Die CDU sollte sich an Adenauer und seine Wahlkampfslogans erinnern: „Alle Wege der AfD führen nach Russland. Auch würde ein anderer Slogan aus Adenauers Wahlkampfkiste passen: »Wir wählen die Freiheit«.“

Dafür, dass die AfD seit Anfang 2023 noch einmal stark wachsen konnte, macht Bensmann allerdings auch die Politik der Ampel, die Blockaden der Letzten Generation und postmoderne Ideologie verantwortlich: „Die linke Identitätspolitik begann, Individuen in ein Kollektiv aus Herkunft, Hautfarbe und Abstammung zu drücken. Nur Menschen mit der richtigen Hautfarbe oder dem richtigen Geschlecht sollten bestimmte Rollen spielen können oder bestimmte Gedichte übersetzen dürfen. Dazu ein Gedanke. Am 6. Januar ziehen in katholischen Gegenden als Drei Könige verkleidete Kinder von Haus zu Haus. Früher war einer der Könige schwarz geschminkt. Das würde heute nicht mehr gehen, es würde als »blackfacing« kritisiert. Dabei wird der Mann mit schwarzer Hautfarbe keinesfalls diskriminiert. Er ist nicht der Unterdrückte, sondern einer der Könige. Er bringt Weihrauch und Myrrhe, kostbare Geschenke. Die Geschichte der drei Weisen ist keine Geschichte von Rassismus und Unterdrückung. Im Gegenteil, die Drei Heiligen Könige sind die erste diverse Truppe im Abendland.“

Auch das Gendern würden die meisten ablehnen: „Viele Menschen fühlten sich von der aufoktroyierten Sprachveränderung erst verwirrt und dann verärgert.“ Der Ausstieg aus der Kernenergie 2023 sei angesichts der veränderten Versorgungslage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ein Jahr zuvor ein Fehler gewesen. Die Bevölkerung hätte in ihrer Mehrheit nicht verstanden und sei deutlich pragmatischer gewesen als die grünen Ideologen: „Viele Menschen im Lande hätten es zu schätzen gewusst, wenn die Partei trotz ihrer Ablehnung der Kernenergie in Zeiten der höchsten Not ein Opfer gebracht und für das Wohl des Landes die Kernkraft für eine Übergangszeit von vielleicht fünf Jahren oder zehn Jahren akzeptiert hätte. Zumal das auch der Klimarettung geholfen hätte. Jetzt muss der fehlende Strom über Kohlekraftwerke erzeugt werden, die anders als Kernkraftwerke klimaschädliches CO2 produzieren.“

In der Auseinandersetzung mit der AfD rät Bensmann, die CDU solle in den Wahlkämpfen im Osten auf Aufklärung setzen. Sie müsse deutlich machen, dass die Politik der Partei zu ihrem wirtschaftlichen Abstieg führen würde und dass die für Einwanderung offene Bundesrepublik nicht nur demokratisch, sondern auch wirtschaftlich deutlich erfolgreicher war als die abgeschottete DDR. Die SPD sollte wieder ihre Kernwählerschaft ins Zentrum der Politik stellen und sich vor allem auf die Interessen der Menschen konzentrieren, die im unteren und mittleren Lohnbereich tätig sind. Ihnen muss von dem verdienten Lohn mehr vom Brutto übrig bleiben.

Eine Idee, wie das zu machen wäre, liefert Bensmann gleich mit: „Was machen mit Geringverdienern, von deren Bruttolohn nach Abzug der Sozialkosten kaum mehr übrig bleibt als einem Bezieher von Bürgergeld, der über Schwarzarbeit etwas dazuverdient? Warum wird nicht darüber diskutiert, die Sozialkosten für die unteren Gehaltsgruppen auszusetzen, damit die Menschen tatsächlich mehr vom Brutto haben. Damit wäre das Lohnabstandsgebot eingehalten. Die Idee: Die ersten 300 Euro des Arbeitnehmeranteils müsste ein Angestellter oder Arbeiter nicht mehr zahlen. Für eine Familie mit zwei Beschäftigten würde das bedeuten: Sie hätten 600 Euro mehr vom Brutto jeden Monat auf dem Konto. Das würde Leute, die arbeiten könnten, aus dem Bürgergeld locken und für Geringverdiener viele Probleme lösen. Die Neiddebatte der AfD wäre beendet.“

„Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst“ ist kein Buch für Politiknerds. Es ist eine gut lesbare Analyse der AfD, die es gelingt, auch die Hintergründe wie das Großraumkonzept, Metapolitik und die Bedeutung der Sozialen Medien für den Aufstieg der Partei darzustellen.
Bensmann greift die AfD aus einer Position der Mitte heraus an, ist kein rot-grüner Ideologe, sondern ein Pragmatiker, der weiß, dass Probleme gelöst werden müssen, damit die AfD nicht weiter über ihre rechtsradikale Kernklientel hinauswachsen kann. Ihm geht es um die Verteidigung der Demokratie, der Menschenrechte und des Westens. Kann es bessere Anliegen geben?

Marcus Bensmann:
Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst: Die ungeheuerlichen Pläne
Galiani-Berlin, 22 Uro

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