In Herford haben sich Bürger zusammengeschlossen, um Jugendliche vor dem Abrutschen in die Szene gewalttätiger Salafisten zu bewahren. Unterstützung bekommen sie nicht.
Salafismus war bis zum Beginn dieses Jahres für die Herforder Lehrerin Birgit Ebel kein großes Thema. Sie engagierte sich gegen Rassismus und warb unter ihren Schülern für Toleranz und Offenheit. Zu ihren Schülern hält sie engen Kontakt, nicht nur während ihrer Arbeitszeit. „Ich bin“ sagt Ebel, „mit vielen meiner Schülerinnen und Schüler auf Facebook in Kontakt. Wir tauschen uns dort aus und sie können mit mir schnell und unkompliziert Fragen klären.“ Zum Unterricht, zu Hausaufgaben aber auch zu privaten Problemen.
Im Januar fiel der Lehrerin ein Schüler auf. Er saß in ihrem Unterricht, obwohl der an Schule eigentlich nichts zu suchen hatte. Im Internet posierte er mit einer Waffe, gab sich auch in der Schule als radikaler Salafist. Falscher Alarm, wie sich schnell herausstellte. Zwar hatte sich der Schüler tatsächlich in ihren Unterricht eingeschlichen, ein Salafist war er nicht – nur psychisch auffällig. Aber bei der Beschäftigung mit diesem Jugendlichen bekam Ebel mit, dass immer mehr Kinder und Jugendliche Kontakt zu Salafisten haben. Auch in Deutschland, auch in Herford. Der Salafismus ist eine radikale Form des Islam. Die meisten Salafisten sind streng religiös, aber friedlich und versuchen ihr Leben am Koran auszurichten. Andere, wie der Prediger und Agitator Pierre Vogel, werben mit Vorträgen auf Marktplätzen, in Moscheen und vor allem auf der Videoplattform Youtube und auf Facebook ebenso für ihre Ideen wie die Gruppe „Lies!“, die in Fußgängerzonen kostenlos den Koran verteilt. Und dann gibt es die gewalttätigen Salafisten. In Deutschland werben sie vor allem unter Jugendlichen um Nachwuchs für die Terrormiliz Islamischer Staat. Über 600 sind bereits in den Krieg gezogen. „Mir haben Schüler erzählt, wie Salafisten versuchen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen und wer alles in Herford in der Szene ist,“ sagt Birgit Ebel: In den sozialen Medien werben die Salafisten mit Videos um die Jugendlichen: Lässige Krieger vor japanischen Geländewagen berichten davon, wie großartig es sei, für den Islamischen Staat zu kämpfen, die Hälse der Feinde durchzutrennen und zu sterben – immerhin erwarte einen das Paradies. Mädchen werden auf der Straße angesprochen und gefragt, warum sie kein Kopftuch tragen und sich nicht verhüllen.
Ebel wurde aktiv. Schon im April wandte sie sich an den Staatsschutz, im Mai organisierte sie mit Anna Kuschnarowa eine Lesung, deren Jugendroman „Djihad Paradise“ beschreibt, wie junge Menschen zu Terroristen werden. Die Veranstaltung war ein Erfolg: 250 vor allem junge Menschen kamen, um Salafismus und Hass zu diskutieren.
Als dann die Situation in Herford im August eskalierte, als aus Tschetschenien stammende Salafisten einen Jesidischen Gastronomen angriffen, der ein Plakat für eine Demonstration gegen den Islamischen Staat in seinem Fenster aufhängte und es zu einer Massenschlägerei kam, gründete die Lehrerin gemeinsam mit Jugendbetreuer Andreas Höltke, dem Rapper Daniel Schneider und dem Fotografen Jürgen Escher die Initiative „extremdagegen!“. Höltke ist schon lange in der Präventionsarbeit aktiv:„Ich habe es vor allem mit Opfern zu tun. Viele Mädchen haben Angst und werden bedrängt zu konvertieren.“ Treffen könnten nur heimlich stattfinden. Ein Problem sei, dass die Zielgruppe, an die sich die Salafisten wenden, deutlich größer sei als die der Nazis, mit denen sich Höltke auch beschäftigt: „Nazis haben sich an junge Deutsche gewandt. Für die Salafisten ist es egal, welche Staatsangehörigkeit, Hautfarbe oder Religion jemand hat – sie wenden sich an alle.“ Die junge Sängerin Sibel Sancar, die mit dem Rapper Schneider zusammen arbeitet, berichtet, dass sich die Agitation der Salafisten auf die Atmosphäre in der Stadt auswirkt: „Die Salafisten zeigen sich in der Öffentlichkeit und versuchen so Räume zu belegen.“ In der Stadt missionieren sie, sprechen Jugendliche an, bedrängen Mädchen sich anders, nicht mehr westlich zu kleiden, denn so sähen nur Prostituierte aus. Vor allem die Jugendlichen aus dem Autonomen Zentrum in Herford stellen sich ihnen in den Weg. Noch meiden die Salafisten die Konfrontation.
Auch die Jesiden Herfords werden immer wieder angegangen und beleidigt. Sancar, selber Jesidin, kennt Beispiel von Jesiden, die bedroht und beleidigt wurden. Ihr Mittel dagegen ist das Gespräch: „Wenn man sich überwindet und mit den Leuten spricht, sind sie verwundert und gestehen sogar manchmal ein, dass sie einfach nur irgendwelchen Unsinn nachgeplappert haben.“
extremdagegen! ist da aktiv, wo die Jugendlichen sind: Auf Facebook, was der Meinung von Sancar das wichtigste Werbemedium für die Salafisten ist.
Extremdagegen hat einen Fotowettbewerb gegen Salafismus gestartet, will Jugendliche mit Musikprojekten erreichen und wendet sich immer auch wieder an die Öffentlichkeit. Als der WDR aus Herford eine Talkshow zum Thema Salafismus sendete, waren Ebel und Höltke dabei. Birgit Ebel sprach vor 400 Menschen im Publikum während der Live-Sendung Herfords Oberbürgermeister Tim Kähler (SPD) darauf an, dass es in der Stadt kein Präventionsprojekt gäbe. Außer zu betonen, dass Dialoge zwischen allen betroffenen Gruppen wichtig und ansonsten das Land verantwortlich sei, fiel dem nicht viel dazu ein.
Die Arbeit in den sozialen Netzwerken und Aufritte in Herford reichen extremdagegen nicht. Sie wissen, dass sie alleine wenig gegen die gewalttägigen Salafisten ausrichten können. „Was wir brauchen sind Möglichkeiten, Lehrkräfte, Schulen und Eltern zu beraten und auch die Polizei muss aktiver werden. Jugendliche müssen betreut werden. Wir können als Gesellschaft doch nicht einfach zuschauen, wie die nach Syrien oder in den Nordirak gehen und da töten und getötet werden.“
Mehrere junge Männer aus Herford sind in den heiligen Krieg gezogen. In einem Boxstudio in der Nähe der Polizeiwache haben sie zum Teil trainiert, dort treffen sich bis heute die militanten Islamisten. Der bekannteste Herforder Salafist, der 30jährige Murat D., steht im Verdacht, für den Islamischen Staat Menschen abgeschlachtet zu haben. Mindestens ein Herforder ist im vergangenen Winter bei Kämpfen in Syrien ums Leben gekommen. Gegen einen weiteren Ausgereisten, Tarik S., ermittelt die Bundesstaatsanwaltschaft wegen Terrorismus-Verdacht. Ob sie ihm jemals habhaft wird ist unsicher. S. hat angekündigt, nie mehr nach Deutschland zurückzukehren.
Der Online-Shop der Gruppe „Die Wahre Religion“, die mit Ihrer Lies!-Kampagne in ganz Europa Korane verteilt und aus deren Mitte etliche Kämpfer des Islamischen Staates hervorgegangen sind, hat ein Lager und Unterstützer in Herford. Der Kölner Hassprediger Ibrahim Abou Abu Nagie wurde noch im September in der Stadt gesehen. Auf einem in 2011 Herford gedrehten Video ist Abu Nagie mit einem polnischen Konvertiten zu sehen. Und auch Pierre Vogel, der prominenteste fundamentalistische Wanderprediger, hat sein Kommen für die nächste Zeit angekündigt. Für viele Jesiden ist Vogel ein rotes Tuch: Als der Islamische Staat im Sommer im Nordirak Massenmorde an Jesiden im beging, die den Muslimen als Teufelsanbeter gelten, riet Vogel den Jesiden, von denen mehrere Hundert in Ostwestfalen leben, zum Islam zu konvertieren. So würden sie vor der Hölle bewahrt. Ein Rat, der angesichts des Völkermordes an den Jesiden kaum zynischer hätte ausfallen können. Prediger wie Vogel kommen bei vielen jungen Männern und Frauen an.
Vertreter von islamischen Gemeinden geben hingegen zu, an viele Jugendliche nicht mehr heranzukommen. Die von Gastarbeitern gegründeten Gemeinden stehen den Salafisten und ihrem Auftreten in den Sozialen Medien, ihrer modernen Sprache und ihrem Wissen um die Alltagswelt der Jugendlichen hilflos gegenüber. Ihre Imame kommen aus Arabien oder der Türkei und leben nur für ein paar Monate in Deutschland- mit den Jugendlichen, die oft nur deutsch sprechen, können sie sich nicht einmal unterhalten.
„Wir brauchen dringend Unterstützung und konkrete Präventionsprojekte an allen Schulen. Herford ist mittlerweile ein Zentrum des Salafismus“, sagt Birgit Ebel.
Das sieht man im Innenministerium-NRW anders. Herford sei kein Zentrum des Salafismus. Salafisten gäbe es in ganz NRW, aber die größten Gruppen seien in Wuppertal, Bonn, Köln und dem Ruhrgebiet aktiv. Dort hat das Land auch das Projekt Wegweiser gestartet, das bundesweit als Vorbild für Präventionsarbeit gegen Salafismus gilt. Lehrer und Eltern werden von Wegweiser beraten, Jugendliche betreut. Noch mit wenigen Stellen ausgestattet hat Wegweiser drei Standorte im Land: Bonn, Düsseldorf und Bochum. „Ein Wegweiser-Büro“, sagt Ebel, „brauchen wir auch für Ostwestfalen, wir brauchen so etwas in Herford.“ Eine Anlaufstelle für alle, die mit Jugendlichen zu tun haben und gegen die Salafisten aktiv werden wollen. Auf absehbare Zeit, teilt das Land auf Anfrage dieser Zeitung mit, sei kein Wegweiser-Standort in Herford geplant, obwohl das Programm ausgebaut wird. Im kommenden Jahr sollen Wegweiser-Büros in Wuppertal, Duisburg und Krefeld eröffnet werden. In Herford könne man sich ja bei Problemen direkt an das Innenministerium wenden. Birgit Ebel und ihre Mitstreiter bleiben allein.
Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereist in der Welt am Sonntag.
„Alleine gegen Salafisten“ ? Vermutlich ja, denn die Behörden haben ja ihr eigenes Bild von NRW, was sich so gar nicht mit dem der Bevölkerung deckt. Dass immer noch mehr Datenzugriffe etc. von den Behörden gefordert werden, ist ein Witz. Einfachste Beobachtungen und Veröffentlichungen werden nicht verantwortungsvoll ausgewertet (siehe Köln). Wenn aber ein Musiker ein paar Minuten länger spielt, greift das Ordnungsamt durch.
Es kommt der Eindruck auf, dass für friedliche Menschen andere Gesetze gelten als für (potenzielle) Gewalttäter.
Im Ansatz ist hier im Artikel auch beschrieben worde, dass es eben nicht nur um Salafismus geht, sondern um unsere Werte und unser Grundgesetz. Hier ist es egal, welche Gruppe sie bedroht.
Es kann sein, dass der Staat nicht eher eingreift, wenn offene Beleidungen/Drohungen etc. vorkommen. Hier ist auch Bevölkerung gefragt, hier einzugreifen.
Es kann nur Öffentlichkeit helfen. Dies ist hier passiert.
Mir ist es aber vollkommen schleierhaft, wie sich junge Menschen mit Hölle, Paradies und Krieg ködern lassen. Ebenso ist es mir ein Rätsel, wie eine salafistische Lebensweise in Deutschland möglich sein soll.
Aber auch im christlichen Bereich ist der Teufel immer noch geeignet, um Gläubie für die richtige Sache zu begeistern.
Zu behaupten, es gäbe friedliche Salafisten, die ihr Leben am Koran ausrichten, ist ein absoluter faux pas. Denn gerade der Koran und der Salafismus bilden doch die theoretische Grundlage, der jetzigen beobachtbaren Praxis von Salafisten und Islamisten in Europa, Nordamerika aber auch in Syrien und im Irak – hier jedoch in einem bei weitem schlimmeren Ausmaß. Folgerichtig müsse man sich zur Aufgabe machen gegen den Salafismus, egal ob „friedlich“ oder nicht, vorzugehen. Denn ein Salafist, der den Koran als sein Lebensfundament sieht, bezeichnet die Umma als das geltende Gesetz mit seiner Shariah und nicht die westlich demokratischen Grundsätze. Mich würde deshalb auch interessieren, von welchen friedlichen Salafisten die Rede ist.
@Egal: Sowohl in der gängigen Literatur als auch von den Sicherheitsdiensten werden die Salafisten in drei Gruppe eingeteilt, die wie alle Gruppen natürlich nicht hermetisch voneinander getrennt sind: Pietistische Salafisten, die streng nach ihrer Auslegung des Korans leben aber nicht missionieren und nicht gewaltbereit sind. Politische Salafisten wie Pierre Vogel die missionieren und versuchen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen und gewaltbereite Salafisten.
@Stefan,
wenn die Sicherheitsbehörden schon so einordnen, haben sie offensichtlich wenig Ahnung. „Pietistische Salafisten“ pietistische ist eine christliche Definition und trifft dann eher auf Evangelikale zu. Richtig ist es, solche Leute Salafyya zu nennen, ein Vertreter war u.a. Muhammad Abduhs, dieser war weder gewaltbereit, sondern vertrat auch die Lehrmeinung des Islams und der Moderne. Es ist schon bedauerlich, dass Muslime, die diesen Weg wählen dermaßen negiert werden, d.h. die Auslegung ihres gelebten und praktizierten Glaubens.
Politische Salafisten, politisch ist u.a. auch Mili Görüs, UETD, etc. werden aber weder zu den Salafisten gezählt, verbreiten und nehmen politischen als auch gesellschaftlichen Einfluss und zwar schon ziemlich lange, siehe auch Herrn Toka. Vielleicht erinnerst du dich an den Vertreter der UETD im österreichischen Fernsehen, der äußerlich nicht so auffallend ist wie ein Abu Hamza alias Pierre Vogel. Allerdings sind „Saubermänner“ meistens brandgefährlich!
Gewaltbereite Salafisten, nun es ist ähnlich wie bei Asylanten, das Wort gibt es nicht, sondern wurde/ wird vor allem von rechtsstehenden Organisationen verwendet und ist abwertend gemeint. Ähnlich ist es bei dem Wort Salafisten, ein Aquivalent bei Christen oder Juden gibt es nicht, da sind es Evangelikale oder Ultraorthodoxe (allerdings auch eine christliche Definition und damit auch für Juden ungeeignet) nennen wir das Ding beim Namen: islamische Terroristen.
@Aimee: Den Begriff gewaltbereite Salafisten verwenden die Sicherheitsbehörden. Zum Thema religiöser Terrorismus im Islam, Christentum, Judentum und Hinduismus fand ich das Buch „Die Globalisierung religiöser Gewalt“ von Mark Juergensmeyer eine erhellende Lektüre. Religiöser Terrorismus ist kein Phänomen, dass es nur im Islam gibt, auch wenn der Großteil der religiös motivierten Terroristen zur Zeit sicher Muslime sind. Pietistisch war falsch – es muss puristischer Salafismus heißen. der ist übrigens erstaunlich Anschlussfähig an den zur Zeit grasierenden Neopuritanismus im Westen.
@Stefan,
ich hatte es so geschrieben, die falsche Definition der Sicherheitsbehörden.
Religiöser Terrorismus finde ich per se für alle Religionen auch eine falsche Definition, da wird die jeweilige Religion für die Macht der eigenen Peer-Gruppe, d.h. die jeweilige Religion mißbraucht und eher in eine Ideologie verkehrt.
Was mir auffällt ist, dass die „reinen Ideologie“ weg sind, wie Kommunismus herrschen nun die religiösen Ideologien.
„Salafisten“ nennen wir diese durchgeknallten Freaks einmal so agieren ähnlich wie ein Pol Pot, nur benutzen sie jetzt eben „Allah“ als Alibi für ihre Gewalt und Terror. Selbst da, sind diese Freaks nicht bereit zu ihren eigenen Taten zu stehen!