Das ist jetzt ärgerlich. Weil: Eigentlich hatte ich in die Band Polyphia (neues Album “New Levels New Devils” z.B. hier) nur reingehört, um mal wieder richtig schön über etwas abzulästern. In der kostenlosen Metalcore-Bravo Fuze hatte ich ein Interview mit den jungen Männern gelesen, in dem es vor allem um Mode ging und darum, wie progressiv Polyphia im Gegensatz zu allen anderen seien. Das dazugehörige Foto zeigte vier Hipster, die in ironisch-cooler Sportkleidung auf einer Luxuslimousine lümmeln. Nun muss ich aufpassen, weil mir immer Lookism vorgeworfen wird, wenn ich mich über Leute mokiere, die augenscheinlich versuchen, sich über ihr Äußeres zu definieren. Und die ebenfalls augenscheinliche Ironie macht es natürlich nicht einfacher. Aber ich sage mal so: Leute, die aufrichtig angeben sind mir immer noch lieber als Leute, die ironisch angeben.
Jedenfalls hatte ich mich auf oberflächliche, wenn auch gutgemachte Musik eingestellt, die als reine Angeberei zu entlarven meine Mission sein sollte. Aber, das ist jetzt ärgerlich. Weil: Die Musik gefällt mir richtig gut. Ja, das ist in gewisser Hinsicht hochdestilliertes Gitarrengewichse. Und natürlich legt man höchsten Wert auf Innovation und Technik. Aber das, was Polyphia hier herbeihexen ist nicht nur technisch beeindruckend, sondern einfach extrem musikalisch. Melodien, die sofort ins Ohr gehen, ohne abgeschmackt zu klingen, Ideen, die sprachlos machen und rhythmische Vabanque-Spiele, die sich rechnen. Denn Polyphia gelingt, woran viele Taktart-Mathematiker scheitern: Ihre komplexen Gleichungen gehen auf und obwohl einem einmal der Kopf verdreht wird, guckt man am Ende wieder geradeaus und die Musik groovt. Das ist ungefähr wie in einer Achterbahn, die ein paar Loopings dreht, aber dabei sicher in der Spur bleibt.
Wie hier Moleküle von Flamenco, Funk, Rap, Grime, Blues und aller Arten progressiver Rockmusik zu einer absolut einheitlich klingenden Mischung amalgamiert werden, das kann ich nur mögen. Ich hätt’s also gern gehasst, aber ich bin schließlich kein Lookist und nur die Musik zählt. Und außerdem, wenn man was hassen will, kann man immer noch Polyphias erstes Album “Muse” anhören, wo das Gitarrengewichse völlig geist- und ironiefrei auf Basis von kitschigem Metalcore zelebriert wird und die Musik genauso schlimm klingt, wie die Fotos aussehen.
Der Autor schreibt hier alle zwei Wochen über Musik. Über Musik redet er auch im Podcast Ach & Krach – Gespräche über Lärmmusik.