Alles außer Pop – The Cure V – Japanese Whispers

Nanu? Was ist denn jetzt passiert? Electrosounds? Kontrabässe? Bläser? Zunächst gehört Japanese Whispers streng genommen gar nicht in diese Reihe mit Besprechungen aller Cure-Alben. Denn es ist offiziell eine Singles-Collection und das Ding ist auch nur 28 Minuten lang. Aber diese Platte stellt einen gewichtigen Einschnitt dar und die weitere Entwicklung dieser Band kann man ohne sie nicht verstehen.

Japanese Whispers besteht aus den Singles „The Walk“, „Let‘s go to bed“ und „Lovecats“ sowie deren B-Seiten. Nach dem depressiven Tiefpunkt „Pornography“ verließ Bassist Simon Gallup vorübergehend die Band (obwohl er neben Robert Smith deren beständigstes Mitglied ist), gerüchteweise wurden viele Drogen konsumiert und der Song „Lovecats“ ist nach Aussage von Robert Smith eigentlich nur ein betrunkener Spaß gewesen, ein Witz. Nur ist Smith ein derart begnadeter Songschreiber, dass ihm mit so einem Witz sofort eine Top-Ten-Platzierung gelingt. Lovecats erreichte Platz 7 der UK-Charts und war damit erfolgreicher als jede vorangegangene Single.

Es ist ein lupenreiner Pop-Song zum Mitwippen. Mir persönlich bedeutet das Stück nichts, es lässt mich so kalt wie den Komponisten selbst wohl ebenfalls. Aber man kommt nicht umhin festzustellen, dass dieses Lied geradezu perfekt arrangiert ist, von vorne bis hinten genauso funktioniert, wie ein makelloser Pop-Song es sollte. Und das beweist, dass alles was vorher kam, kein Zufall war. Dass The Cure auf ihren düsteren Alben, die wir bereits besprochen haben, nicht einfach nur ein Händchen hatten, mit mechanischen Drums und den passenden Synthesizern eine spezielle Stimmung zu erzeugen, für die vielleicht in der Musikwelt gerade ein Bedarf bestand. Nein, jene Kompositionen waren genauso musikalisch durchdacht und künstlerisch hochwertig und sie berühren einen genau deswegen auch heute noch wie damals.

Neben Lovecats‘ swingendem Akustik-Sound wird die Platte von den elektronischen Dancefloor-Klängen von The Walk und dessen Geschwistern geprägt. Ich hatte als 14-Jähriger Schwierigkeiten mit diesen Songs, weil sie arg nach der Musik klangen, die (damals) jene Leute hörten, die wir (damals) als „Prolls“ bezeichneten. Heute, nach 80ies-Revival und diversen Retro-Wellen sind solche Kategorisierungen belanglos geworden. Offenkundig haben The Cure zu dieser Zeit aktuelle Trends ausprobiert, genau wie sie mit Kontrabässen und Bläsern experimentiert haben. Dabei kam einiges heraus, das ich nicht mit auf die einsame Insel nehmen müsste.

Mein liebstes Stück ist La Ment, das schwebend, verträumt und sehnsüchtig klingt und auch auf der Faith nicht Fehl am Platz gewirkt hätte. Just one Kiss erinnert deutlich an A Forest und zeigt damit ebenso, dass nicht alles auf dieser Platte völlig aus dem Kontext der bisherigen Musik gerissen ist. Und ein bisschen Melancholie findet man selbst unter den Bedingungen der Bubble-Bobble-Synthie-Sounds in fast allen Stücken.

Festzuhalten ist: Mit Japanese Whispers bzw. den vorangegangen Singles-Erfolgen (auch The Walk erreichte Platz 12 der Charts) haben The Cure zum einen erfahren, dass man mit den gefälligeren Genossen des Portfolios ganz schön viel Geld einnehmen kann. Zum Anderen haben sie sich neuen musikalischen Formen und Möglichkeiten geöffnet, haben, sehr deutlich, klargestellt, dass sie nicht vorhaben, fortan immer nur die gleichen düsteren Gothic-Sounds zu spielen. Was, nach der perfekten Vertonung musikalischer Verzweiflung auf der Pornography auch nicht steigerbar gewesen wäre. Das Schicksal anderer Bands, die jahrzehntelang ein und den gleichen Stil weiterzüchten, wurde somit im Keim erstickt.

Und tatsächlich wurde es mit dem folgenden Album erstmal noch viel, viel experimenteller, wie wir im nächsten Teil besprechen werden.

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