Nun sind wir also da angekommen, wo wir bei „The Top“ nicht waren: Auf dem Klimax der Poppigkeit. The Head On The Door ist die Platte, auf der The Cure endgültig nicht mehr als Postpunk-, Gothic-, New Wave- oder Wasauchimmer-Band, sondern als Popgruppe auftreten. Und, mein Gott, machen sie das gut. Was sind das für Ohrwürmer, die da wie selbstverständlich aus dem Ärmel geschüttelt werden. Allen voran die erste Single, In Between Days, Blaupause für viele weitere Songs wie Friday I’m In Love, ein bisschen treibend, ein bisschen mellow, mindestens auf den ersten Blick fröhlich und leicht, wenn auch ein paar Unzen Wehmut stets mitschwingen. Mit der zweiten Single, Close To Me, werden dann leider, meines Erachtens, wirklich die Gefilde der Belanglosigkeit erreicht, vielleicht ist dies, gemeinsam mit Six Different Ways, der Song von The Cure, auf den ich am getrostesten verzichten könnte.
Der Überfluss an poppiger Genialität endet aber nicht bei den Singles. Schließlich ist da auch A Night Like This, das zwar melancholischer als die vorangenannten ist, aber nicht weniger perfekt und eingängig. Ein Song, der eine Geschichte zu erzählen scheint, Soundtrack einer Herzensangelegenheit. Und natürlich Push. Nicht gerade als Single geeignet, dauert es doch fast zweieinhalb Minuten, bis erstmals der Gesang einsetzt. Doch von solcher musikalischer Schönheit, von bestechender Form, ein Song, bei dem man schon beim ersten Hören das Gefühl hat, ihn schon immer zu kennen, weil es einfach genau diese Melodie schon immer brauchte.
Ein wenig sägender und sperriger, mehr schon an das nächste Album gemahnend, klingen The Baby Screams und Screw. Auch die sind eingängig, gewiss, aber sie gehen auch genauso schnell wieder hinaus. Keine Lieder für die Ewigkeit, vielmehr Stücke, die selbst ich, der als Jugendlicher alle Alben hundert- und aberhundertfach gehört hat, nicht wirklich in Erinnerung hatte. Genaugenommen musste ich sogar beim Schreiben dieses Textes die Lieder abermals anhören, um sie wieder ins Ohr zu kriegen, obwohl ich mir erst vor einer Woche das Album frisch angehört hatte.
Es wäre kein Cure-Album, wenn es nicht auch andere Stücke gäbe. Selbst auf dem Pop-Olymp gibt es düstere, experimentellere Lieder, den Kyoto Song, The Blood, die den Strohhalm für den Fan bilden, der bei The Cure nicht pfeifen, sondern weinen oder sich gruseln will. Aber leider, man muss es sagen, sind das nicht die überzeugendsten Vertreter ihrer Gattung, es sind nicht diese Über-Songs, für die alleine man über die Reling springen würde, wenn die CD über Bord geht. Eher dann schon Sinking, das verträumt und einlullend bereits einen Disintegration-Vibe verbreitet.
Sinn und Zweck dieser Reihe ist es ja nachzuweisen, dass jedes einzelne Cure-Album großartig und wertvoll ist. Und ja, für Push und A Night Like This und Sinking lohnt es sich, aber wenn ich ganz ehrlich bin, wäre dieses (mit einer weiteren Ausnahme, auf die wir später zu sprechen kommen) das Album, dass ich am ehesten gewillt wäre, wegzugeben, wenn mich jemand unter Androhung von Folter, ewiger Höllenqual und einem fürchterlichen Fluch auf allen meinen Nachkommen sowie mit einer Pistole vor der Brust dazu zwingen würde.
Hier gibt es die bisherigen Teile:
Alles außer Pop – The Cure II – Seventeen Seconds
Alles außer Pop – The Cure III – Faith
Alles außer Pop – The Cure IV – Pornography
Alles außer Pop – The Cure V – Japanese Whispers
Alles außer Pop – The Cure VI – The Top
Der Autor schreibt hier regelmäßig über Musik. Über Musik redet er auch im Podcast Ach & Krach – Gespräche über Lärmmusik.