Alles außer Pop – Wie die Faust aufs Herz

Es gehört zu den Wundern der Menschheit, dass manche Leute Kunst schaffen, statt sich das Leben zu nehmen. Was dabei entsteht, ist Kunst, die ihrerseits Leben retten kann. In einer Therapie wirkt es oft schon, dass einem jemand hilft, die Verzweiflung in Worte zu fassen. Und auch Musik tut das gelegentlich. Ich weiß nicht, von vielen Menschen ich schon gehört habe, dass The Cure für sie genau diese Rolle gespielt haben. Jedes Cure- Album hat seine eigene Stimmung. Die trostloseste von allen hat Pornography. So sehr, dass hier eben vielleicht nicht mehr Trost zu finden ist, sondern das Gegenteil.

Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie ich diese Musik das erste mal gehört habe. Es dürfte 25 Jahre her sein. Nach dem ersten Durchgang von Pornography beschloss ich, diese Platte so schnell nicht wieder zu anzustellen. Nicht, weil ich sie nicht gut gefunden hätte. Sondern weil ich Angst um mein Leben hatte. Wenn hundert Jahre Verzweiflung drohen, wenn das Leben so kalt ist, wie es in Cold beschrieben wird, dann liegt es nahe, es zu beenden. Ich musste mich vor der Macht dieser Platte schützen. Ich wollte sie mir aufheben, für eventuelle zukünftige, vollends schwarze Tage. Natürlich habe ich die Pornography in den darauffolgenden 25 Jahren trotzdem noch oft gehört, aber beileibe nicht so häufig wie alle anderen Alben von The Cure.
Eine ganz andere Platte, die für mich zu den Top Ten für die einsame Insel gehört – und auch auf die Liste mit Musik, die ich hören würde, wenn ich irgendwann wieder an dem Punkt wäre, an dem ich mit 15 war – ist No more dreams of happy endings von Damnation a.d.. Wenn Sie jemand sind, der nichts mit Musik anfangen kann, bei der die Leute aus voller Kehle brüllen, werden Sie das nicht verstehen. Damnation a.d. ist eine Hardcore-Band um Ken Olden (Worlds Collide, Battery) und Mike McTernan (der wiederum der Bruder des Battery-Sängers Brian McTernan ist). Die Musik dieser Gruppe ist Ausdruck von Gefühlen, die in Worte gefasst nur holzschnittartig klingen können. Deswegen braucht man ja Musik.
Es ist viele Jahre her, dass ein Freund mir erzählte, Damnation a.d. würden ein Album herausbringen, auf dem sie ausschließlich die Pornography von The Cure covern. Das war eine Kombination, die mir den Mund offen stehen ließ. Aber irgendwie kam dieses angekündigte Album nicht. Es dauerte bis jetzt letztes Jahr, erzählt Ken Olden, die Musik so zu schleifen, dass sie den Ansprüchen an das Vorbild genügte und er den Eindruck hatte, dass sie dessen Atmosphäre angemessen einfing.
Hört man sich beide Alben hintereinander an, das Original und das Cover, so wird einem bei der The Cure-Version schon klar, wieviel Damnation a.d. von ihnen gelernt haben. Man kann sich die Stücke problemlos im brachialen Gewand vorstellen, auch wenn sie noch mit Synthesizer gespielt werden. Ohnehin geht ja ein gewaltiger Anteil düsterer Musik auf die frühen Alben von The Cure zurück.
Der Sound von Pornography ist eigentlich gar nicht so viel anders als der der benachbarten Alben Seventeen Seconds und Faith. Aber die Dissonanzen, die gruseligen Soundschichten, der Gesang und die Texte – alles hebt die Verzweiflung auf ein Level, das schwer zu ertragen ist. Die Faith hat für mich trotz aller Düsternis eine friedvolle Grundstimmung. Vielleicht ist auch Faith ein Album, um sich zu suizidieren – aber wenn man alt ist und seinen Frieden gemacht hat und mittels einer watteweichen Tavor-Überdosis und nicht durch den Sprung von einem grauen Hochhaus auf eine eisige Straße. So wiederholt Robert Smith dort ja auch die nach Ruhe-in-Frieden klingende Zeile: „There’s nothing left but faith“.
Auf der Pornography hingegen, dramaturgisch ganz ähnlich, aber inhaltlich konträr: „I will never be clean again“. Das einzige Stück das ein wenig die Faith-Atmosphäre heraufbeschwört, ist für mich Strange day, aber nur bis zu dem Moment kurz vor dem Schluss, wo die Songstruktur plötzlich aufbricht und Smith nach den tröstlichen Worten „held for one moment I remember a song, an impression of sound“ etwas ganz anderes in die abrupte Stille singt: „then everything is gone forever.“
Das ist ein Augenblick, der in der Cover-Version leider verloren geht. Aber auch Damnation a.d. scheinen meinen Eindruck von der Stimmung dieses Liedes zu teilen, spielen sie ihn doch in einer energiegeladenen und treibenden Version ihres Sounds. Eher wie ein Stück von Kingdom of lost souls als von No more dreams …. Damnation a.d. machen nicht den Fehler, ihren Stil dem Vorbild anzupassen. Das ganze Cover-Album ist druckvoll und klingt von vorne bis hinten wie eine ihrer eigenen Platten. Und das, obwohl die Lieder größtenteils sehr eng am Original gespielt werden. Es zeigt, wie sehr Damnation a.d. mit beiden Füßen im Erbe von The Cure stehen, auch wenn die Musik für den Außenstehenden ganz anders klingen mag.
Im Interview zum Album sagt Mike McTernan, wie sehr ihm die Texte und die Musik von Robert Smith geholfen haben. Weil sie Dinge ausdrücken, die er selbst nicht benennen konnte oder wollte. Dinge, die in ihm vorgehen, diesem tätowierten Koloss von einem Mann. Ich weiß nicht, ob ihm klar ist – oder ob er glauben kann – dass er selbst so ein Künstler ist, dessen Musik mehr ausdrückt als Worte es können.

Auf Spotify:

The Cure – Pornography
Damnation a.d. – Pornography

Der Autor schreibt hier alle zwei Wochen über Musik. Über Musik redet er auch im Podcast Ach & Krach – Gespräche über Lärmmusik.

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Neinzeichen Duisburg
Neinzeichen Duisburg
6 Jahre zuvor

Neinzeichen meint: SPD-No-Graffiti
… gegen das Bergrecht und die 100-jährige Tradition der Revier-Ausbeuter, deren sog. Repräsentative Demokratie historisch von anderen Kräften überholt wird. Die alten Kräfte der Industriekultur in der Parteihochburg haben selektiert als alte, eigennützige SPD-Schwachmaten vergessen, wie „repräsentative Demokratie“ werden könnte.

Zum Üben wird das politische Reviergesöcks mit dem Neinzeichen konfrontiert: Das Neinzeichen markiert eine Ablehnung!

… und dann?

… SPD-Wix³ – keine Erneuerung! Die CDU Duisburg plant seit ihrem jüngsten Kreistag eine Große Koalition Duisburg. Sieg Heil Populismus.

Helmut Junge
Helmut Junge
6 Jahre zuvor

Immerhin habe ich nach dem "Reinhören" beschlossen, mir mal in Ruhe die Musik dieser Band, die ich nur vom Namen her kenne, anzuhören.

trackback

[…] Nach einer längeren Pause geht es endlich weiter mit unserer Reise durch alle The-Cure-Alben. Und es ist vielleicht kein Zufall, dass ich gerade vor diesem Album so lange gezögert habe. Dabei habe ich sogar schon mal darüber geschrieben und muss eigentlich nur einen Teil meines letzten Textes hier reinkopieren (damals ging es um die Cover-Version des Albums durch Damnation a.d.) […]

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