Larmoyanz & Ärsche
Es ist Frühling und in meinem Alter ignorieren mich die schönen Frauen nicht einmal mehr. Geht mir alles am Arsch vorbei, ehrlich.
Du Pflaume
Zwischen zwei Zwetschgen zwitschern Zwergen-Zwillinge zwangsweise zwanzig Slibowitz zwecks zukünftiger zwiebelnder, zwackender Zirrhose.
Geht doch.
Mönchsköpfe
Der Freund aus Berlin mäkelt, die regionalen Zeitungen hier seien Käseblätter. Mein Tête de Moine, blattfein geschabt, scheut diesen Vergleich und verlangt lautstark nach einer Gegendarstellung. Also spüle ich den renitenten Stinker Glas um Glas mit Sauvignon runter…
Fas tut man ficht alles für die Fressefreiheit!
Teile und herrsche?– Jedenfalls bloß kein Theater machen!
Die Ruhrbarone zitieren Michael Rubinstein, zurzeit OB-Kandidat in Duisburg und Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, mit dem Satz: „Wir geben noch Millionen für ein Theater aus – und sparen an den Jugendeinrichtungen und Schulen. Können wir uns das wirklich leisten?“
Nein, natürlich nicht! Das Duisburger Theater, ach was, alle Theater: weg damit! Und dann fließt das Geld todsicher in Schulen und Jugendeinrichtungen, versprochen, Hand aufs Herz, Ehrenwort. Und wenn man den Bibliotheken und Museen auch noch ein paar Milliönchen nähme, ha, dann würden wir die Armen mit Gottes Hilfe aber sowas von speisen! Bravo! Gut, dass es in Duisburg noch Intellektuelle und mutige Tabubrecher wie Rubinstein gibt. Weiter so.
Und wo wir gerade dabei sind: Wir geben Milliarden für ewiggestrige Banken und Spekulanten aus – und sparen an Polizei und modernen Hochsicherheitstrakten für die Aufständischen von morgen. Können wir uns das wirklich leisten? Wir geben Abermillionen Staatssubvention an große patriarchalische Religionsgemeinschaften und leisten uns den Luxus von Sektenbeauftragten wider Scientology & Co., obwohl genau diese Sorte Aberglaubens-Kirchen dem Staat gar nicht auf der Tasche liegen – aber sparen bei Frauenhäusern und Kinderschutz. Können wir uns das wirklich leisten? Wir geben Milliarden für Waffenproduktion und -handel aus, verteidigen unsere Freiheit am Hindukusch und sparen beim Friedensdorf Oberhausen? Können wir uns das wirklich leisten?
„Der TUI ist der Intellektuelle dieser Zeit der Märkte und Waren“ (Brecht)
Vier hochsubventionierte Kulturmanager (mindestens einer davon verbeamtet) promoteten neulich im SPIEGEL (11/2012) ihre Schmähschrift „Der Kulturinfarkt“ und warnten – Achtung! Achtung! Land unter! – vor der „kulturelle(n) Flutung“ Deutschlands.
Buch wie Artikel strotzen vor ungenießbarem Metaphernsalat und Bildbrüchen. „Kulturelle Flutung“? Ungefähr so daneben wie „atomare Bedrohung“, weil uns ja kein Atom je bedroht hat, sondern nur Atomwaffen und ihre bigotten Besitzer. Kann man alles bei Wolf Schneider nachlesen. „Kulturelle Flutung“ also: Wird da nun die Kultur geflutet? Aber warum will man die unter Wasser setzen? Oder flutet die Kultur gar selbst? Aber wen oder was?
Auch der Buchtitel „Kulturinfarkt“ zeigt, wie gedankenlos die vier kraftmeiernden Muskeltiere und SPIEGELfechter mit Sprache umgehen. Ein „Infarkt“ ist laut Wikipedia „ein Gewebsuntergang (Nekrose) infolge einer Sauerstoffunterversorgung (…) durch unzureichenden Blutzufluss“. Ein Herzinfarkt, etwa durch Verschluss eines Herzkranzgefäßes, kann also den Tod herbeiführen, weil das Herz eben nicht mehr funktioniert wie es soll. Das Herz stirbt zuerst und dann der Rest am Herzversagen.
Und der „Kulturinfarkt“? Stirbt die Kultur, weil etwas an/in ihr nicht mehr funktioniert oder der Zufluss geblockt ist? Aber nein, die vier tapferen Tabubrecher prangern kurz vor ihrer Pensionierung populistisch noch schnell das Gegenteil an: Der Kultur geht es zu gut, blabla, weil zu hoch subventioniert …
Einen tödlichen „Kulturinfarkt“ erleiden wir also nicht, weil etwa Kultur-„gewebe“ unterversorgt wäre oder der Geldzufluss versiegte, sondern im Gegenteil, weil es nach Meinung der Autoren viel zu viel Kultur und überflüssiges Geld dafür gibt. „Kulturinfarkt“?
Nicht einmal mit Sprache umgehen können sie, aber das Maul aufreißen. Und dazu fordern: Die Hälfte aller Theater, Museen und Bibliotheken „könnten verschwinden“, dabei muss es natürlich heißen „die Hälfte aller … könnte verschwinden“. Hirninfarkt?
Trendige Biedermänner hie, Brandstifter da
Neulich habe ich bei den Ruhrbaronen in meinem Beitrag „Radika(h)lschläge an der Ruhr oder über die Fabrikation von Dumpfheit“ nachzuweisen versucht, wie die Lese- und Literaturförderung der öffentlichen Hand Schritt für Schritt abgewickelt und ersetzt wird durch marktkonforme Event-Kulissen und Modernisierungsgeschwätz.
Die neoliberalen Kulturkrisenbeschwörer müssen überhaupt nicht mehr im SPIEGEL auftrumpfen, dass mindestens die Hälfte aller Kultureinrichtungen geschlossen werden solle, denn genau dies passiert im Moment sowieso überall, auch in unserer Region. In Gladbeck, wo ich arbeite, im Moment aber noch nicht. Wunderbar. Allerdings kommen die Folgen geistiger Verwahrlosung auch in Gladbeck an, aber anders. Ein Einbrecher hat vor Wochen in den Kellerräumen der immer gut besuchten Gladbecker Stadtbücherei Feuer gelegt. Der Brand konnte nächtens relativ schnell gelöscht werden. Das Feuer wütete nur in ein paar Kellerräumen, bevor die Wehr es umsichtig löschte. Dennoch: Die ganze Bücherei war verraucht und verrußt und ist seit Wochen für Leserinnen und Leser geschlossen, die beliebten (und ausverkauften) KinderLiteraturNächte mussten ausfallen. Spezialfirmen reinigen Bücher und Einrichtung.
Lob der schönen Leserin
Und ich konnte für Wochen keine jener schönen Leserinnen sehen, die so oft still in Bücher vertieft vor den Regalen stehen. Achten Sie einmal darauf. Die Schönheit lesender Frauen ist umwerfend. Sie schauen dich nicht an, bemerken dich nicht einmal, aber sie stehen da voller Anmut und Würde, leuchten so wunderbar. Auch da wird Feuer gelegt, aber in die Herzen.
Vielleicht wird auch dieses Standbild bald nicht mehr zu sehen sein, weil Reiche und Superreiche weiter konsequent ihren Beitrag fürs Gemeinwohl verweigern und folgerichtig immer mehr und mehr Arm-Gemachte und Verdummte so blöde werden, dass sie weitere Bibliotheken anzünden, in denen neben dem blinden SPIEGEL auch jene Bücher stehen, die ihnen erklären könnten, was falsch gelaufen ist und läuft, auch für sie, auch für Sie.
Lieber Herr Herholz,
ich fordere sie hiermit auf, das Schreiben der „Alltagssplitter“ nicht einzustellen, und zwar solange sie noch schreiben können.
Bitte in regelmässigen Abständen,
Vielen Dank für diese wunderbaren Zeilen.
Sie sollten die Kultur-Beamten mal zu einer Diskussion einladen.
Ich wäre gerne dabei wie sie denen ihre Thesen um die Ohren hauen.
# 1: O.k., mach ich, auch wenn’s ein bisschen wie das Pfeifen im Walde (oder im Keller) ist. Wäre selbst froh, wenn ich in loser Folge die beiden Ruhrbarone-Reihen „Mich mangeln die Wörter“ (Zitat von Jürgen Lodemann) und „Alltagssplitter“ schaffte.
Der „Kulturinfarkt-Artikel“ im Spiegel ist in der Tat nur die Pseudo-Eliten-Begleitmusik zu den laufenden Kahlschlägen im Kulturbereich.
Unter den Bedingungen der politisch systematisch herbeigeführten Haushaltspleiten (Verzicht auf Steuereinnahmen aus der Wirtschaft, horrende Subventionen vor allem für Wirtschafts- und Finanzwelt plus Förderung von Renommier- und Alibiprojekten auf der Ausgabenseite usw.) …, unter diesen Bedingungen wird es natürlich nie mehr als die Simulation einer konstruktiven Diskussion um sinnvolle Kultur- und Bildungsförderung geben. Ab jetzt wird vor allem nur noch gekürzt, von Jahr zu Jahr mehr, möglichst geräuschlos abgewickelt halt – und bei kulturpolitischen Diskussionen das Gegenteil behauptet.
Ich helf‘ mir im Moment mir schräg-buddhistischer Haltung: gallige Gelassenheit und etwas Resthumor.
Auf Ihrer Homepage sehe ich, dass Sie mit Kunst (& Politik) auf die zeitgeistigen Zumutungen reagieren. Das wird immer wichtiger.
Wie heißt es so kitschig bei den Credo-Kulturindianern? „Erst wenn die letzte Bibliothek geschlossen ist, das letzte Theater „Erlebniswelt“ wurde, der letzte Geist vergiftet, der letzte Mensch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ (Außer Schoko-Taler natürlich.)