Zu danken ist unserer Gastautorin Diana Zulfoghari für ihren Beitrag zum Gedenken an die Bücherverbrennungen und Irmgard Keun.
Vor 90 Jahren brannten Bücher, allerdings war der 10. Mai 1933 regnerisch. Wo man die Bücher schon am Tag zu Scheiterhaufen gestapelt hatte, wollten sie abends nicht brennen. In Berlin griff die SA zu Spiritus, schließlich sollten 70.000 Besucher dem Spektakel beiwohnen, das auch live im gleichgeschalteten Rundfunk übertragen wurde. Fotografen waren bestellt, als Höhepunkt würde Goebbels sprechen:
„Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist zu Ende gegangen, und die deutsche Revolution hat dem deutschen Wesen wieder die Gasse freigemacht. Diese Revolution kam nicht von oben, sie ist von unten hervorgebrochen. Sie ist deshalb im besten Sinne des Wortes der Vollzug des Volkswillens.“
Nichts durfte man dem Zufall überlassen, beim spontanen Volkszorn.
Bochum und Dortmund haben sich angestrengt, gleich zwei Mal Bücher verbrannt!
In Bochum am 10. März und 9. Juni 1933 auf dem Imbuschplatz; in Dortmund am 30. Mai auf dem Hansaplatz, einige Tage später auf dem Markt in Aplerbeck. Essen hat sich Zeit gelassen, am 21. Juni gab man das Schauspiel auf dem Gerlingplatz.
Und doch waren es im Ruhrgebiet bloß Nachahmer-Aktionen, von strammen Nazi-Lehrern befeuert, von Hitlerjugend oder SA organisiert. Denn Universitäten mit Professoren im Talar gab es halt nicht an der Ruhr. Nur geplünderte Leihbüchereien, Stadtbibliotheken, überfallene Gewerkschaftshäuser mit Lesehallen.
Und den jungen Pöbel, der „Feuersprüche“ auswendig lernte, die „undeutschen“ Bücher aber ohnehin nicht gelesen hatte. Die deutschen Dichter und Denker, Goethe, Schiller und alle, die in den geplünderten Bücherregalen stehen bleiben durften, auf die man sich so gerne beruft, wohl auch nicht.
Die minutiös geplante Aktion „wider den undeutschen Geist“ deren Höhepunkt die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 in Berlin und 18 weiteren Universitätsstädten war, ging von Studenten und Professoren aus. Mit lokalen Feinheiten: mal mochte ein Rektor das Thesenpapier nicht im Vestibül, ein Anderer verbot das Aufsagen der Feuersprüche. Vielerorts wurden die roten Fahnen der Linken gleich mitverbrannt.
In Köln wollte einer Thomas Manns Werke nicht verbrennen. Überall schritt die Polizei bei diesen „spontanen Studentenprotesten“ nicht ein, im Gegenteil: sie half beim Beschlagnahmen der Bücher. Ganz vorne Germanisten, Bibliothekare und Buchhändler. Die lustvoll schwarze Listen schrieben und sich erblödeten, ausländische Autoren wie Ernest Hemingway, André Gide und Jack London drauf zu setzen. (Als hätten diese jemals von sich behauptet, den deutschen Geist zu vertreten!)
370 Namen auf der schwarzen Liste
370 Namen standen in der ersten Fassung auf der schwarzen Liste, aber so schnell waren sie halt nicht fertig geworden – in den folgenden tausend Jahren bis 1945 wurden es immer mehr verbotene Schriften, erst 2014 beim „Kulturhackaton“ gelang es, die vollständige Liste von Autoren und Werken zu erstellen.
Eine von uns. – Irmgard Keun
Sie ist weder Kommunistin noch Jüdin, sondern eine gefeierte Bestseller-Autorin. Irmgard Keuns Romane „Gilgi – eine von uns“ von 1931 und „Das kunstseidene Mädchen“ von 1932 sind so gehyped wie heute der neue Stuckrad-Barre. Ihre Sprache wirkt immer noch frisch, furchtlos, lebenshungrig, ihre Protagonistinnen sind moderne Frauen, berufstätig, die ihr Leben selbst bestimmen. Das reicht, um die Bücher zu verbrennen.
Irmgard Keun ist 28 (aber macht sich gerne fünf Jahre jünger) ist in Köln in einem liberalen, wohlhabenden Elternhaus aufgewachsen, hat nach dem Lyzeum die Berlitz-School besucht, als Stenotypistin gearbeitet, dann die Schauspielschule absolviert und auch ein paar Engagements gehabt, bis sie sich ganz dem Schreiben widmet. Und auch dem Trinken und der Verzweiflung.
Ihre Bücher sind ins Englische, Französische, Niederländische und Norwegische übersetzt, ja, sie ist international bekannt. So wie Erich Kästner, der in Berlin bei der Verbrennung seiner Bücher zugesehen hat. Nebenbei: aus Privatwohnungen sind keine Bücher abgeholt worden – es wird keiner mit seiner Ausgabe von Keuns „kunstseidenem Mädchen“ oder Kästners „Emil und die Detektive“ angerannt gekommen sein, um sie feierlich ins Feuer zu werfen.
Nein, die Bücherverbrennungen waren ein symbolischer Akt, um ein Berufsverbot, Publikationsverbot auszusprechen, gegen jede und jeden, der den neuen Machthabern nicht in den Kram passte. Verbrannt oder beschlagnahmt wurden auch die bereits gedruckten neuen Auflagen, die Buchhändler wollten sie ohnehin nicht mehr verkaufen. Und das wollte Irmgard Keun nicht hinnehmen.
Sie meldet am 29.10.1935 Schadenersatzansprüche beim Landgericht Berlin an:
„Die Geheime Staatspolizei hat im Juli 1933 die gesamten Bestände meiner Bücher beschlagnahmt. Ein Gerichtsurteil, das diese Beschlagnahme rechtfertigt, ist bislang nicht erfolgt und auch nicht angestrebt worden!“
Weil sie nun nichts mehr verdiene, beantragte sie zugleich für den Prozess „Armenhilfe“ wie es damals hieß. Eine Antwort hat sie nicht bekommen, sondern sie ist verhaftet worden, wieder und wieder verhört – es heißt, ihr wohlhabender Vater habe sie für viel Geld freigekauft.
Ihr gelingt die Flucht nach Amsterdam, aber ist das Sicherheit? Ein Tross von Geflüchteten, von Schriftstellern, Journalisten, Kommunisten, Philosophen, jüdischer oder sonstwelcher Herkunft reist ständig herum… denn wer einen Deutschen Pass hat, braucht für jedes Land ein Visum.
„ein Visum ist auch etwas, das abläuft. Zuerst freuen wir uns immer schrecklich, wenn wir ein Visum bekommen haben und in ein anderes Land können. Aber dann fängt das Visum auch schon an, abzulaufen, jeden Tag läuft es ab – und auf einmal ist es ganz abgelaufen, und dann müssen wir aus dem Land wieder raus.“ Aus: Kind aller Länder, 1938
Irmgard Keun gehört zu den wenigen, die weiter schreiben, ihre Bücher erscheinen in einem holländischen Exilverlag. Das berühmteste davon ist „Nach Mitternacht“ das sie bereits vor ihrer Flucht 1936 noch in Deutschland begonnen hat und das beklemmend genau das Leben in ständiger Furcht beschreibt:
„Zwei ältere Damen kamen herein, dünn und sauber sahen sie aus, unverheiratet und nach beschränkten Mitteln, wie reisende Lehrerinnen aus einer kleinen Stadt. Sie bestellten Kaffee und Apfeltorte mit Sahne. Als sie anfangen wollten zu essen, wurde im Radio das Horst-Wessel-Lied gespielt, die alten Fräuleins ließen ihre Löffel fallen, standen auf, reckten die Arme. Das muss man, weil man nie weiß, wer einen beobachtet und anzeigt. Vielleicht hatten sie voreinander Angst.“
Sie schreibt von den Schreien der Gefangenen im Kölner Gefängnis Klingelpütz, die jeder in einer vorbeifahrenden Straßenbahn Linie 18 hören kann, von Konzentrationslagern, von den Juden, die nur noch zuhause bleiben, weil sie überall unerwünscht sind und von den inszenierten Massenspektakeln, Aufmärschen wenn der Führer kommt:
„Von weitem schwollen Rufe an: Heil Hitler, näher kam der Mengen Ruf herangewellt, immer näher – nun stieg er zu unserem Balkon empor- breit, heiser und etwas müde. Und langsam fuhr ein Auto vorbei, darin stand der Führer wie der Prinz Karneval im Karnevalszug. Aber er war nicht so lustig und fröhlich wie der Prinz Karneval und warf auch keine Bonbons und Sträußchen, sondern hob nur eine leere Hand.“
Keun inszeniert ihren Selbstmord
Irmgard Keun inszeniert ihren Selbstmord und kehrt unter falschem Namen 1940 nach Köln zurück, wo sie bis zum Kriegsende im Keller ihres halbzerstörten Elternhauses lebt. Sie bleibt ihrer scharfen Beobachtung und lakonischen Sprache treu, schreibt von den Nachkriegsjahren, wo jeder sich an allem bereichert, Schwarzhandel blüht und alle hoffen, entnazifiziert zu werden. „Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen“ erscheint 1950, ist aber kein Erfolg.
Sie ist in Vergessenheit geraten, kann an ihre Erfolge nicht anknüpfen. Im Alter von 46 Jahren wird sie alleinerziehende Mutter und provoziert wieder, in dem sie die Geburt stolz per Zeitungsannonce bekannt gibt (und den Namen des Vaters nie preisgibt) – erst 1977 nach einer Reportage im „Stern“ Magazin wird Keun wiederentdeckt, ihre frühen Romane wieder aufgelegt. Sie ist wieder begehrter Gast in Talkshows, macht Lesungen, spielt sogar eine kleine Rolle in der Verfilmung von „Nach Mitternacht“ – die Premiere des Films hat sie nicht mehr erlebt. Sie stirbt 1982 in Köln und ist als Figur am Rathaus verewigt.
Wer mag kann sich mit jedem Roman von Keun durch Köln bewegen – den „Bieresel“ und das „Päffgen“ gibt es bis heute, die Schule, die sie besuchte, die Häuser, in denen sie gelebt hat, der Kiosk in der Südstadt, an dem sie ihre Zigaretten und den Schnaps gekauft hat.
Literaturland NRW (2): Irmgard Keuns Spuren in Köln | Bücheratlas (buecheratlas.com)
Der Ort der Bücherverbrennung (vor der heutigen FH) ist mit einem Boden-Denkmal gekennzeichnet, ganz Köln veranstaltet zwischen dem 10. Und 17. Mai eine Gedenkwoche zur Bücherverbrennung vor 90 Jahren
verbrannt & verbannt – Bücher und ihre Autor*innen – Stadt Köln (stadt-koeln.de)
Und natürlich kann man alle Romane in der Stadtbibliothek ausleihen… ja, da gibt es auch Thementische zur Gedenkwoche, vorwiegend mit zeitgenössischen Autor*innen, die jetzt gerade im Exil leben und irgendwo auf der Welt Publikationsverbote haben.
„Wo stehen denn die Romane von Irmgard Keun?“ frage ich die nette junge Bibliothekarin.
„Irmgard wer?“ fragt sie zurück „Wie schreibt man den Namen?“
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Diana Zulfoghari, *1967 in Essen geboren, lebt seit 2000 in Köln – aber berichtet für Radio & andere Medien immer wieder aus dem Ruhrgebiet.
„Asphaltliteratur mit antideutscher Tendenz“
gefällt mir als Bezeichnung für Irmgard Keuns Bücher (falsch das historisch nicht korrekt sein sollte, bitte ich um einen Hinweis – Danke!)
„Das kunstseidene Mädchen“ konnte ich irgendwann (stellenweise) auswendig, ohne es zu wollen: das ist für mich eine ganz besondere Qualität!
Ich versuch mal eine Textstelle aus dem Gedächtnis:
„Und ich denke, dass es gut ist, wenn ich alles beschreibe, weil ich ein ungewöhnlicher Mensch bin. Ich denke nicht an Tagebuch, das ist lächerlich für ein Mädchen von Achtzehn und auch sonst auf der Höhe. Aber ich will schreiben wie Film, denn so ist mein Leben und wird noch mehr so sein. (…) Und wenn ich später lese, ist alles wie Kino – ich sehe mich in Bildern.“