Antisemitische Hetze und Nazitexte sind im Internet nur einen Mausklick entfernt. Doch braunes Gedankengut gibt es nicht nur auf dubiosen Download-Seiten sondern auch beim größten Online-Shop Deutschlands: Amazon.
Verbote von Texten, Bildern und Musik sind seit dem Beginn des Siegeszuges des Internets vor 20 Jahren kaum noch durchzusetzen: Ob Hitlers „Mein Kampf“ oder die Hetze gegen Juden einer seit 2003 verbotenen Band wie Landser ist immer nur einen Klick entfernt. Mehr oder weniger dubiose Downloadseiten haben, neben Bestselleromanen, Filmen und aktueller Chart-Musik fast immer auch rechtsradikale und antisemitische Inhalte im Angebot, die zumeist unkontrolliert von den Nutzern der Seiten hochgeladen werden. Auch auf eigentlich seriösen Angeboten wie Archiv.org finden sich Nazitexte. Archive.org ist ein US-Angebot, das in Deutschland übliche Verbot von rechtsradikalen und antisemitischen Inhalten gilt dort als Angriff auf die Meinungsfreiheit.
Allerdings müssen sich an solchen Texten Interessierte nicht durch die Angebote verschiedener Betreiber von Downloadseiten klicken. Ein Besuch beim größten Buchhändler der Welt genügt: Auf amazon.de findet sich eine reichhaltige Auswahl an antisemitischen Büchern und es ist nicht schwer zu finden: Wer das Stichwort „Juden“ in die Suchzeile gibt, dem werden, neben einer großen Zahl seriöser Bücher, auch Nazitexte zum Thema angeboten. Vor allem im Bereich „Marketplace“, dem Marktplatz Amazons, auf dem Drittanbieter im Rahmen des Partnerprogramms ihre Angebote einstellen, werden Suchende rasch fündig:
Bücher von Alfred Rosenberg zum Beispiel. Rosenberg galt als Vordenker der Nazis, er verfasste mehrere antisemitische Schriften und raubte während des zweiten Weltkriegs mit seinem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg in den von Deutschland besetzten Ländern den Kunstbesitz auch zahlreicher jüdischer Familien. Eines seiner wichtigsten Ziele war die Vernichtung der Juden. Im Rahmen der Besetzung der Sowjetunion verfolgte er als „Reichsminister für die besetzten Ostgebiete“ gegenüber der Bevölkerung eine „Hungerstrategie“, mit dem Ziel Millionen von Zivilisten verhungern zu lassen. Rosenberg wurde im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt und 1946 gehängt.
Bei Amazon waren zu Beginn der Recherche dieser Zeitung sowohl sein Schlüsselbuch „Der Mythus des 12. Jahrhunderts“, der bis 1942 194 in Auflagen gedruckt wurde, als auch seine Schrift „Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik“. Rosenberg hat mit diesem Buch die „ Die Protokolle der Weisen von Zion“ in Deutschland erst bekannt gemacht. Die Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland verfassten „Protokolle“, in denen eine angebliche „Jüdische Weltverschwörung“ beschrieben wurde, waren schon vor dem Erscheinen von Rosenbergs Buch als Fälschung entlarvt worden. In Deutschland sind sie verboten.
Rosenbergs Buch ist nicht das einzige Buch auf Amazon , das sich mit den Protokollen, die man getrost als einen der zentralen Texte des modernen Antisemitismus bezeichnen kann, begeistert auseinandersetzt. Auch „Die Protokolle der Weisen von Zion – erfüllt!“ von Johannes Rothkranz und Herbert Pitliks „Die ‚Protokolle‘ der Weisen von Zion. Aus der Sicht 100 Jahre danach.“ werden den Kunden angeboten.
Auch Holocaustleugner finden auf Amazon passende Lektüre. Mit Paul Rassiniers: „Was ist Wahrheit? Die Juden und das Dritte Reich“ können sie sogar auf den Text eines ehemaligen KZ-Häftlings zurückgreifen, der den Mord an den Juden leugnet.
Und wer immer schon glaubte, dass die Juden die Weltwirtschaft unter Kontrolle haben, wird von Werner Sombart in „Die Juden und das Wirtschaftsleben“ in dieser Ansicht bestätigt.
Auf Anfrage teilte Amazon mit, es sei „nicht der Anbieter von Produkten, die von Dritten über den Amazon.de Marketplace angeboten werden, sondern stellt dafür lediglich die Plattform zur Verfügung.“ Das Unternehmen verweist auf seine Regeln, nach denen Drittanbietern untersagt ist sowohl „Rassistisches, diskriminierendes oder gewaltverherrlichendes Material“ als auch „Artikel, die den Nationalsozialismus verherrlichen oder verharmlosen“ zum Verkauf anzubieten. Regeln, bei deren Überprüfung sich Amazon auf „ Gerichte und Staatsanwaltschaften, sowie die Bundesprüfstelle jugendgefährdender Medien (BPjM)“ und Meldungen aus seinem Kundenkreis verlässt.
Allzu effektiv scheinen die gewählten Verfahren indes nicht zu sein. Nach der Anfrage nahm Amazon Rassiniers : Was ist Wahrheit? Die Juden und das Dritte Reich“, Rothkranzs „Die „Protokolle der Weisen von Zion“ – erfüllt“ und Rosenbergs „Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik.“ aus dem Angebot. Ein Anfang: „ Die Überprüfung ist derzeit noch nicht abgeschlossen; die weiteren von Ihnen genannten Titel prüfen wir derzeit noch.“
Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jüdischen Allgemeinen.
[…] Von Stefan Laurin, Ruhrbarone […]
Der leichte Zugang zu volksverhetzenden Schriften ist sicher kritisch zu sehen, und es ist gut, wenn Amazon das gesamte Angebot auch aufgrund externer Hinweise überprüft und ggf. „bereinigt“.
Allerdings glaube ich, dass man sich solche Schriften auch in der Vorinternetzeit, wenn man sie denn unbedingt lesen wollte, beschaffen konnte. Das war umständlich aber möglich.
Generell sollten wir uns klar dazu bekennen, dass Verbote oder Filter uns nicht das eigenständige Denken ersparen. Das Migazin berichtete gerade, dass eine UN-Unterorganisation Deutschland vorhält, nicht genug gegen die volksverhetzenden Inhalte von Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ getan zu haben. Die Konklusion des Deutschen Instituts für Menschenrechte lautet sinngemäß (ich lese es so): Richter und Staatsanwälte müssen darauf geschult werden, das dumme deutsche Volk vor volksverhetzender Lektüre zu bewahren.
Ich hasse viele Aussagen in Sarrazins Buch. Aber wir sollten uns diese Art der Bevormundung wirklich verbieten! Da entwickeln sich Tendenzen staatlicher und institutioneller Bevormundung, die ich für absolut kritisch und undemokratisch halte.
[…] Amazon: “Größtmögliche Auswahl” – Auch an antisemitischer Hetze… | Ruhrbarone […]
hmmm, sollte man Literatur wirklich verbieten? Egal welcher Lesart?
Ich bin optimistischer als Stefan, was die Vernunft anbelangt und kann mich eher mit der angelsächsischen Meinungsfreiheit identifizieren.
Wie ist es mit Umberto Ecos Roman „Friedhof in Prag“ der die Thematik der unsäglichen Protokolle aufnimmt?
Fragen eines lesenden Intellektuellen 😉
Der Link zwischen Sarrazin und Rosenberg etc. ist meiner Meinung nach geschmacklos & diffamierend … auch wenn ich ein Freund guter Polemik bin …
Gerade gefunden: Der aktuelle Transparenzbericht von Google: https://www.google.com/transparencyreport/removals/government/DE/
Demnach meldet sich bei Google (YouTube, Blogger) die Behörde, wenn was Ungesetzliches publiziert wurde oder eine Regierungkritik nicht passt. Und bei amazon müssen das User leisten?
Was die Bücherverbote angeht: So wie jeder ein Recht hat, sich gegen Verleumdung und Hetze zu verteidigen, sollten ebensolche Bücher m. E. verboten bleiben.
Kritik und Meinung sollten wir aber selbstverständlich aushalten. Aber dieses Recht aufrecht zu erhalten stelle ich mir in Zeiten zunehmender PC immer schwieriger vor. Die Denk- und Sprechverbote nehmen zu.
[…] Amazon: “Größtmögliche Auswahl” – Auch an antisemitischer Hetze… | Ruhrbarone Antisemitische Hetze und Nazitexte sind im Internet nur einen Mausklick entfernt. Doch braunes Gedankengut gibt es nicht nur auf dubiosen Download-Seiten […]