Ampel: Angedachtes ‚Bürgergeld‘ löst nicht das Hauptproblem der ‚Hartz 4′-Empfänger

Norbert Walter-Borjans (SPD), Foto: Roland W. Waniek

Es gab in den vergangenen Tagen Lob und Tadel für die Ergebnisse der Sondierungsgespräche in Bezug auf eine mögliche ‚Ampel‘-Koalition von SPD, Grüne und FDP auf Bundesebene. Wenn die am Freitag vorgestellten Ergebnisse auch noch nicht sonderlich detailliert waren, was nicht überrascht, lassen sich doch schon erste zu erwartende Veränderungen in der Politik einer kommenden Bundesregierung im Vergleich zur alten, erkennen.

Einer der für Millionen von Bundesbürgern mit Sicherheit spannendsten Aspekte ist das sogenannte ‚Bürgergeld‘, das zukünftig an die Stelle des umstrittenen ‚Hartz 4‘ treten soll.

Ein Interview mit SPD-Chef Norbert Walter-Borjans am Sonntagabend im WDR-Fernsehen lässt jedoch vermuten/befürchten, dass die Enttäuschung bei vielen Leistungsbeziehern am Ende groß sein dürfte, und dass sich für sie, abgesehen von ein paar Details, letztendlich gar nicht wirklich viel ändern dürfte. Jobcenter-Kunden drohen vermutlich auch in Zukunft häufig drangsaliert zu werden und in vielen Fällen schlich der Willkür ihrer Sachbearbeiter ausgeliefert zu sein.

Der Gedanke ist grundsätzlich nicht neu. Schon seit Jahren möchte die SPD das inzwischen etablierte ‚Hartz 4‘ loswerden. Die im Rahmen der Agenda 2010 unter Kanzler Gerhard Schröder eingeführte Unterstützung für ‚Langzeitarbeitslose‘ hatte den Ruf der Partei als Interessenvertretung der Arbeitnehmer und ‚kleinen Leute‘ nachhaltig beschädigt. Stichwort ‚Flexibilisierung des Arbeitsmarktes‘, was in Wahrheit aus der Sicht vieler Betroffener lediglich eine Verschärfung ihrer Situation Darstellte; den Druck auf diese massiv erhöhte.

Als die Leidtragenden das bemerkten, nahmen viele ihrer früheren Stammwähler ‚ihrer‘ SPD das sehr übel. Unter den Nachwirkungen leidet die Partei bis heute. Auch die vom aktuell gefeierten Kanzlerkandidaten und womöglich zukünftigen Bundeskanzler Olaf Scholz eingefahrenen rund 25 Prozent an der Wahlurne sind weit entfernt von Zahlen, wie sie die SPD bis vor wenigen Jahren noch regelmäßig einfuhr. Viele Beobachter sehen auch in der Einführung von Hartz 4 dafür einen mitentscheidenden Grund.

Die SPD hatte daher unter dem neuen Führungsduo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken beschlossen, sich von Hartz 4 besser wieder zu verabschieden. Sie will damit die Agenda 2010 des in zentralen Punkten abändern und Widergutmachung bei ihren früheren Anhängern betreiben, sich ihre Gunst auf Sicht wieder zurückerkämpfen.

Dass die aktuellen Pläne in Sachen ‚Bürgergeld‘ jedoch längst nicht die Verbesserungen für betroffene herbeiführen werden, wie sie das vielleicht erhoffen, das zeigte ein aktuelles Interview mit Walter-Borjans am Sonntag in der WDR-Sendung ‚Westpol‘.

Dort sprach der SPD-Co-Chef in erster Linie von einer vereinfachten Beantragung und der Möglichkeit viele Dinge mit dem ‚Amt‘ online regeln zu können, was das Leben mit Hartz 4 in Zukunft deutlich vereinfachen soll. Walter-Borjans sprach zudem von leichterem Zugang für Familien und Kinder usw..

Das mag alles schön und gut sein, sicherlich auch einige Vorteile für die Bezieher dieser Leistungen mit sich bringen, doch löst das die Probleme der Betroffenen eben nicht. Da scheint nur an einigen eher nebensächlichen Details herumgeschraubt werden zu sollen.

Wer jedoch selber schon einmal in der misslichen Lage war Hartz 4-Zahlungen beantragt haben zu müssen, oder wer Leute in seinem persönlichen Umfeld kennt, die auf diese Gelder angewiesen sind, der wird bestätigen können, das (abgesehen von der Arbeitslosigkeit und dem dadurch vorhandenen Geldmangel an sich) häufig der menschenunwürdige Umgang der Sachbearbeiter des Jobcenters mit den ‚Kunden‘ das größte Ärgernis für die Hilfesuchenden darstellt. Und es hörte sich bisher nicht so an, als solle sich hier in Zukunft viel ändern…

Wer beim Kontakt mit dem Jobcenter als Betroffener immer wieder mit großer Arroganz konfrontiert, der Willkür der Sachbearbeiter ausgeliefert ist, wem (abgesehen vom Geld) beim Jobcenter nicht wirklich geholfen wird, wem stattdessen nicht nur gefühlt sogar Steine in den Weg gelegt werden, wer immer wieder unnötigen Schikanen ausgesetzt wird, wem reichlich Nerven und Selbstvertrauen im Alltag mit dem ‚Amt‘ abhandenkommen, dem dürften ein paar Vereinfachungen bei der Beantragung der Gelder nur wenig Erleichterung in seinem Leben bringen. Zumal diese, wenn man das Alles einmal richtig durchdenkt, am Ende auch mehr den Angestellten des Jobcenters zu Gute kommen dürften als dem in Not geratendem Empfänger der Basis-Hilfeleistungen.

Das Problem hier ist in erster Linie doch der viel zu häufig menschenunwürdige Umgang mit den Arbeitssuchenden und Armen seitens der Behörden, nicht das eine oder andere in Zukunft verkürztes Onlineformular und schon gar nicht der bloße Wegfall des negativ besetzten Namens ‚Hartz 4‘. Hier droht die SPD, wenn auf dem weiteren Weg von Olaf Scholz ins Kanzleramt kein Wunder geschieht, einmal mehr ihre frühere Klientel bitter im Stich zu lassen!

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Matthias Oelkrug
Matthias Oelkrug
3 Jahre zuvor

"Das Problem hier ist in erster Linie doch der viel zu häufig menschenwürdige Umgang mit den Arbeitssuchenden und Armen seitens der Behörden[…]." Jobcenter-Verantwortliche werden sich schwer tun, den Tippfehler zu finden.

Walter Stach
Walter Stach
3 Jahre zuvor

Robin,
abwarten, ob , wie und ggfls. ab wann mit der Umbenennung "Bürgergeld statt Harzt IV" auch eine " qualitative Veränderung einhergehen wird.
Ich bin mir sicher, dass es diese geben wird. Ich bin mir allerdings eben so sicher, daß diese nicht "jedermann" zufrieden stellen wird.

Tolduso
Tolduso
3 Jahre zuvor

Was ist denn unter einer "qualitativen Veränderung" zu verstehen? Das ist so vage wie die Absichtserklärung eines Politikers.

Dirk Gleba
Dirk Gleba
3 Jahre zuvor

Eine Umbennung von Hartz IV zu Bürgergeld ist überhaupt nicht notwendig. Den nirgendwo wird im SGB II der Begriff "Hartz IV" verwendet. Somit ist das Bürgergeld (vorerst) nur ein Framing von alten Wein in neuen Schläuchen.

Karl Sasserath
Karl Sasserath
3 Jahre zuvor

Das Hartz-System bedarf einer generellen Überprüfung und einer grundlegenden Reform. Fakt ist, dass das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren die nicht gegebene Auskömmlichkeit der Regelsätze festgestellt. Anstatt die Regelsätze bedarfsgerecht zu erhöhen, wurde dann das Bildungs- und Teilhabegesetz eingeführt. Dann wurde der Kindergeldzuschlag verabschiedet. Keines dieses Gesetze hat für die Betroffenen Verbesserungen gebracht, vielmehr wurden zusätzliche weitere bürokratische Strukturen etabliert. Die stark gestiegenen Lebenshaltungs- und Energiekosten erfordern zuerst einmal eine bedarfsgerechte Erhöhung der Regelsätze.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
3 Jahre zuvor

"Das Problem hier ist in erster Linie doch der viel zu häufig menschenunwürdige Umgang mit den Arbeitssuchenden und Armen seitens der Behörden[…]."
Hierbei wirkt vor allem das Ausmaß der Abhängigkeit verschärfend.
Bei eigentlich jedem Schreiben von welchem Amt auch immer, stellt sich die Frage, was für Pickelhauben die Autoren sind und welche Kinderstube sie genossen haben mögen. Daß gendergerechte Formulierungen den obrigkeitlichen Duktus mildern, ist auch kaum zu hoffen. Meine Anteilnahme gehört dabei auch den "Frontschweinen", die versuchen, für den im Vorhinein angenervten Bürger den Vorgang höflich und glatt abzuwickeln.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
3 Jahre zuvor

Wenn man das Job Center abschaffen würde, die Gelder einfach auszahlen würde, käme unter dem Strich ein Plus im Staatshaushalt heraus.
Das ist leider bei vielen Leistungen des Staates mittlerweile so, das deren "gerechte" Verteilung nur zusätzliche Kosten produzieren, aber keine bessere oder gerechtere Vergabe von Mitteln.
Die bleibt am Ende nur zu häufig reine Theorie.
Eine teure zu dem, die gleichzeitig die Effizienz der Verwaltung drastisch minimiert.

sneaking_beauty
sneaking_beauty
3 Jahre zuvor

Für alle, die der Linkspartei schon den Untergang prophezeit haben: Wenn die SPD beim Bürgergeld nicht liefert und dazu noch die Bürgerversicherung nicht ins Koalitionsprogramm kommt, hat sie der Linkspartei den Einzug in den Bundestag 2025 schon jetzt gesichert.

Manni
Manni
3 Jahre zuvor

Weiß Nowabo eigentlich überhaupt, wovon er redet?

Entspricht von "der Möglichkeit viele Dinge mit dem ‚Amt‘ online regeln zu können, was das Leben mit Hartz 4 in Zukunft deutlich vereinfachen soll"?

Bei Hartz4 werden Telefon, Internet und Handyvertrag zusammengefasst. Rund 38 Euro darf das Hartz-IV-Beziehern 2020 im besten Fall monatlich kosten. Vielleicht erklärt mir ein Betroffener Mal, wie er vom Regelsatz sein MacBook und die LTE-Flatrate finanziert?

Manni
Manni
3 Jahre zuvor

"Das Problem hier ist in erster Linie doch der viel zu häufig menschenunwürdige Umgang mit den Arbeitssuchenden und Armen seitens der Behörden"

Das ist gefühlt das größte Problem für die Betroffenen. Dahinter steht dann allerdings der rosa Elefant: vielen fehlt nicht nur Geld sondern Hilfe, um das eigene Leben wieder gestalten zu können. Hilfe bei der Jobsuche, bei der Kinderbetreuung, bei Behördengängen u.v.m. Solange es die nicht gibt, bleibt jegliche Umbenennung nur nutzlose Wortklauberei.

Tolduso
Tolduso
3 Jahre zuvor

#10:

Deutlich problematischer finde ich den "Verpflegungssatz" von 4,85€/Tag oder das Einarbeiten der Kosten für Haushalts-Strom in den Regelsatz.
Das könnte jetzt sehr schnell sehr schwierig werden für die, die von Alg2 leben müssen.

DAVBUB
DAVBUB
3 Jahre zuvor

@8, Berthold Grabe: "Wenn man das Job Center abschaffen würde, die Gelder einfach auszahlen würde, käme unter dem Strich ein Plus im Staatshaushalt heraus."
Das ist richtig. Im Grunde könnten wir jeden Arbeitslosen ein Gehalt zahlen, begleitet von der Kindergrundssicherung. Das könnte man mit wenig Aufwand z.B. über die Finanzämter regeln. Jedoch, was machen dann die MA der Jobcenter und Arge, der 153 Familienkassen, die festen MA der Arbeitslosenhilfevereine, all die Berater und Arbeitsmarktintegrationdienstler? Der Tafeln, die ursprünglich Lebensmittel retten wollten und jetzt ein bundesweiter Firmenverbund im Bereich soziale Hilfen mit tausenden MA sind?
Der "Weiterbildungsinstitute", denen noch für die sinnlosesten Maßnahmen teures Geld gezahlt wird? All die Menschen, die von der Umverteilung direkt und indirekt immerhin besser leben als die von ihnen umsorgten? Die wären dann arbeitslos und müßten auch noch alimentiert werden. Und viel der Akademiker, deren Lebenstraum sich in einer Anstellung im ÖD oder gleichgestellten Einrichtung erschöpft, wären ihrer Lebensperspektive beraubt: Aus dem warmen Nest der staatlichen Versorgung das Linkssein predigen und abends bei Chiaauflauf und Biomerlot von der Revolution träumen.

Tolduso
Tolduso
3 Jahre zuvor

#13:
"Die wären dann arbeitslos und müßten auch noch alimentiert werden"

Die würden weiterhin von Transferleistungen leben, nur eben karger.

aki
aki
3 Jahre zuvor

Im Jahr 2009 wo ich mein Job als Gießer verlor beim Kriese Verdiente ich 2500€ Netto bei Drei Schicht.

Als ich Arbeitslos wurde hatte ich mit Wohngeld und Kindergeldzuschlag ca.2100 € Netto.

Ein Jahr später wo ich zum Hartz 4 landete für 5 Personen bekamen wir 1550€ Netto.

Da bot Mann als Gießer 6€ und 7€ Brutto als Leiharbeiter. Wäre damals 900€ Netto.

Sie sehen die haben alles getan damit der Bürger so schnell zum Armut Landet bis er es kapiert war er schon Arm.
Um Menschen wachzurütteln mache ich das
https://www.markt.de/stellengesuche/verschenke+ford+focus+kombi+gegen+job/a/03daff96/

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