Das Pogrom von Amsterdam liegt jetzt ein paar Tage zurück, und es gibt schon längst wieder neue Nachrichten. In wenigen Tagen wird es fast vergessen sein. Irgendwo werden erneut Juden angegriffen werden, wie beispielsweise in Berlin die jungen Fußballspieler von Maccabi. So wird es in Europa wohl jeden Tag neue Nachrichten dieser Art geben. Darauf kann man sich verlassen wie das Amen in der Kirche, solange keine ernsten Konsequenzen gezogen werden. Es ist nicht zu erwarten, dass irgendein europäischer Politiker das ernsthaft tun wird. Von der EU, obwohl mittlerweile ein europäisches Phänomen, hört man dazu wenig. Im Gegenteil, Personen wie der palästinensische Präsident Abbas, der verdächtigt wird, am Terroranschlag bei der Olympiade 1972 in München beteiligt gewesen zu sein, werden im Parlament in Brüssel gefeiert, um nur ein Beispiel zu nennen. Immerhin ist der niederländische König deutlich geworden, als er sich entschuldigte und schwor, die Juden in seinem Land zu schützen. In dem Land, in dem die Anti-Islam-Partei von Geert Wilders kürzlich stärkste Kraft wurde.
Es waren vor allem islamische beziehungsweise arabische junge Männer, die sich da zusammenrotteten und fast ungehindert überall in der Stadt Jagd auf die Anhänger von Maccabi Tel Aviv machten, die nach Amsterdam gekommen waren, um gegen Ajax zu spielen. Einem Club, der sich nach einem griechischen Superhelden benannte und der im März 1900 in der Nähe des jüdischen Viertels von Amsterdam gegründet wurde und deswegen viele jüdische Anhänger hatte. Dessen Fans nennen sich heute die „Super Joden“ und gehen mit jüdischen Symbolen wie dem Davidstern geschmückt ins Stadion und singen hebräische Lieder, obwohl die meisten von ihnen gar keine Juden mehr sind, da die Nazis sie deportiert und ermordet hatten. Jeder kennt die Geschichte von Anne Frank aus Amsterdam.
Ähnliches gibt es auch in London beim Fußballclub Tottenham Hotspur, wo sich die Fans selbst die „Yids“ nennen und den Nationalspieler Jürgen Klinsmann nach dem Wechsel zu den Spurs mit dem Lied begrüßten: „Chim chiminey, chim chiminey, chim chim cher-ee. Once he was a German, now he is a yew.“ Auch die Fans der Eintracht Frankfurt identifizieren sich gerne mit Juden, vor allem wenn die Offenbacher sie so bezeichnen. In der Tat haben beide Vereine jüdische Wurzeln.
Zu dem Namen kamen die Ajax-Fans in den 70er Jahren, als sie von gegnerischen Fußballanhängern als Juden beschimpft wurden. Diese übernahmen einfach die Fremdbeschreibung und sangen von nun an „Wir sind die Super Juden“. Ihr schlimmster Feind waren die Fans von Feyenoord Rotterdam, die sie in ihrem Stadion De Kuip schon mal mit dem Geräusch von ausströmendem Gas begrüßten. Durch Fanarbeit der niederländischen Fußballvereine konnte der Antisemitismus in den jeweiligen Fanszenen abgebaut werden. Antisemitische Äußerungen dieser Art gibt es in Holland schon lange nicht mehr. So feierten die Ajax-Fans und die Maccabi-Fans vor dem Spiel friedlich miteinander und sangen zusammen im Stadion das Lied der Schlümpfe. Die Maccabäer: „Wo kommen Juden her?“ Das Stadion: „Israel, weit weg von hier.“
Aber es gibt einen neuen Antisemitismus in den Niederlanden, und der kommt nicht von den Fans, sondern von den Einwanderern, vorwiegend aus den islamisch geprägten Ländern wie Marokko, Syrien, der Türkei und natürlich auch aus Palästina. Vielen wird noch der Filmemacher und Publizist Theo van Gogh in Erinnerung sein, der 2004 von einem marokkanischen Islamisten auf der Straße abgestochen wurde. Aber auch aus der autochthonen Gesellschaft Hollands kommt ein neuer, gegen Israel gerichteter Antisemitismus, der sich wie in Deutschland seit dem 7. Oktober in Universitäten ungehemmt zeigt und der von Teilen der holländischen Kulturszene, wie in der Bundesrepublik, gefördert wird.
In dieser Gemengelage kamen nun hunderte Fans aus Israel nach Amsterdam, um ihren Verein Maccabi Tel Aviv zu unterstützen. Einige der jungen und männlichen Anhänger, und diese Geschichte gehört beispielhaft ehrlicherweise auch dazu, begegneten Palästinaflaggen, die an Wohnhäusern angebracht waren. So kam eine Ultragruppe auf die bescheuerte Idee, vor dem Spiel mindestens eine solcher Flaggen runterzureißen. Dafür mussten sie in halsbrecherischer Weise die Fassade eines Hauses emporklettern.
Natürlich wurde das Ganze gefilmt, und so verbreitete sich die Nachricht samt Videobeweis schnell in der ganzen Stadt. Allerdings gab es am Spieltag und selbst davor eindeutige Äußerungen, die deutlich gemacht haben, dass die arabische Seite nicht friedlich bleiben würde. So wurde eine propalästinensische Demonstration am Spieltag vor dem Stadion abgesagt. Das Kurioseste an dieser Flaggengeschichte war, dass ein Polizeiwagen angefahren kam und alle bereits dachten, das war’s jetzt, „die Bullen“ sind da, aber der Wagen fuhr einfach im gleichen Tempo weiter, als wäre nichts geschehen.
Die vorwiegend arabischen jungen Männer der Stadt organisierten sich mit ihren Handys, warteten das Spiel ab und griffen danach alles an, was ihrer Meinung nach jüdisch war. Dabei setzten sie Stühle und Feuerwerkskörper ein. Das traf vor allem Menschen, die offen ihre Fansachen trugen, aber auch Israelis, die man zuvor fragte, ob sie Juden seien, oder von denen man unter Androhung von Gewalt den Pass verlangte. Ein junger Mann wurde gezwungen, in das eiskalte Wasser einer Gracht zu springen. Polizei war auf den Videos, die später in den sozialen Medien kursierten, nicht zu sehen. Obwohl sie allerspätestens nach dem Fahnenvorfall oder auch antipalästinensischen Gesängen der Maccabi-Fans davon ausgehen mussten, dass es für die Anhänger von Tel Aviv nun gefährlich werden könnte. Angeblich war den Beamten von ihrer Leitung freigestellt worden, ob sie sich an der Sicherung der israelischen Fans beteiligen wollen. So wurde zunächst nicht ein Gewalttäter geschnappt. Die gemeldeten 60 Festnahmen bezogen sich auf Vorfälle vor dem Spiel. Das Verhalten der Polizei soll zumindest untersucht und aufgearbeitet werden. Wobei mich auch die Rolle der Ajax-Fans interessiert. Inwieweit sie betroffen waren und warum sie ihre Freunde nicht besser beschützt haben. Auch in Bremen hatte die Polizei völlig versagt, als sie die Störung einer Gedenkfeier zum 7. Oktober zuließen.
So hat das Fußballspiel von Ajax Amsterdam gegen Maccabi Tel Aviv, das eigentlich eine wundervolle Fanbegegnung war, ein schreckliches Ende genommen. Auch in Deutschland gibt es pro-israelische Fanszenen, die sich allerdings etwas anders entwickelt haben als bei Ajax oder Hotspur. Die bekannteste ist die von Werder Bremen. Dort hatten Fans an von mir als Mitarbeiter des Fanprojekts Bremen organisierten Fanbegegnungen in Israel und Bremen in den Nuller- und Zehnerjahren teilgenommen und die Bekanntschaft mit den Fans von Hapoel Jerusalem gemacht, aus der eine echte Freundschaft erwuchs, wie sie vor allem nach dem 7. Oktober für die Öffentlichkeit deutlich wurde. Denn ein Fan von Hapoel Jerusalem war von der Hamas entführt worden, und die Werderfans versuchten alles, um ihn frei zu bekommen. Dazu gehörten auch Stadionchoreografien, die große Bekanntheit erfuhren, vor allem auch in Israel. So reagierten die Werderfans am letzten Spieltag auf das Pogrom von Amsterdam mit Transparenten, die ihre Einstellung gegenüber Judenhass und israelbezogenem Antisemitismus deutlich machten. Leider haben die beiden Fanszenen aus Bremen und Amsterdam nichts miteinander zu tun, aber warum nicht einen internationalen Fanaustausch der beiden Gruppen organisieren? Mittel gäbe es dafür genug.
Überhaupt hat es mich schon immer gestört, dass vor allem die Shoa bemüht wird, wenn es um Antisemitismus geht. Dagegen ist im Prinzip nichts zu sagen, aber Jugendliche und junge Erwachsene interessieren sich vor allem für andere Jugendliche aus anderen Ländern. Was daraus entstehen kann, hat das Beispiel von Werder Bremen gezeigt. Warum sollte das nicht mit arabischen und türkischen Jugendlichen auf die eine oder andere Weise funktionieren? So hatte ich einmal die Maccabi Tel Aviv-Fans in einer Bremer Jugendbildungsstätte untergebracht, bei der auch arabische und türkische Jugendliche aus Bremen anwesend waren. Anfangs skeptisch kamen sie „mit diesen Juden“ ins Gespräch und waren dann angenehm überrascht. Einer sagte am Ende des Tages einem Kollegen von mir: „Die sind ja nicht anders als wir!“