Zwang funktioniert, behauptet die chinesisch-amerikanische Juraprofessorin Amy Chua in ihrem weltweit viel diskutierten Buch „Battle Hymn of the Tiger Mother“. Chuas Erziehungsmethoden seien eine „gefährliche Grenzüberschreitung“, meint hingegen die US-Bestsellerautorin Nicole Krauss. Druck und Kontrolle bei der Erziehung von Kindern, wie es in China gang und gäbe ist, führten später keineswegs zu beruflichem Erfolg.
Nicole Krauss, in den USA hat Amy Chuas Buch »Battle Hymn of the Tiger Mother« wütende Proteste ausgelöst. Wie stehen Sie als jüdische Mutter zu dem von Chua propagierten strengen chinesischen Erziehungsstil?
Ich halte es für eine krasse Grenzüberschreitung, dass Chua ihre Töchter beispielsweise als »Müll« beschimpfte, um sie zu noch besseren Leistungen anzuspornen. Ebenso skandalös ist es, dass sie ihnen drohte, ihre Stofftiere zu verbrennen, wenn sie nicht unverzüglich perfekt Klavier spielen. Das alles klingt für mich nach der Pädagogik einer längst überwunden geglaubten Zeit.
Nach Chuas Auffassung sicherten Zwang und Druck den langfristigen Erfolg der Kinder. Die westliche Kuschelpädagogik hingegen bringe den Nachwuchs um seine Chancen. Heiligt der Zweck nicht die Mittel?
Keinesfalls. Zudem sind Chuas Erziehungsmethoden nicht nur gefährlich, sondern auch kontraproduktiv. Wenn Eltern ihr Kind zu Höchstleistungen drillen, werden sie auf lange Sicht das genaue Gegenteil erreichen.
Weshalb?
Ein auf totaler Kontrolle basierender Erziehungsstil traumatisiert die Kinder, und das wird sich später auch beruflich negativ auswirken – vom moralisch höchst verwerflichen Aspekt dieser Pädagogik ganz zu schweigen.
Gleichwohl plädieren bereits die ersten westlichen Journalisten für eine strengere Kindererziehung, um in Zukunft mit aufstrebenden Ländern wie China konkurrieren zu können.
Gegen ein gewisses Maß an Strenge ist auch nichts einzuwenden. Würde ich meinen Söhnen alles erlauben, wäre unser Haus bereits mehrmals in Flammen aufgegangen (lacht). Aber Verantwortung darf nicht mit Zwang verwechselt werden. Der Geheimnis von erfolgreichen Menschen ist, dass sie intrinsisch motiviert sind – und nicht, dass sie zu etwas gezwungen werden. Das sollten überehrgeizige Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder beachten.
Jüdische Mütter sind bekannt dafür, dass sie großen Wert auf Bildung legen. Welche Rolle spielt für Sie und Ihren Mann Jonathan Safran Foer eine jüdische Erziehung?
Es ist uns sehr wichtig, dass unsere Söhne eine jüdische Vorschule besuchen. Ich beobachte mit Freude, dass dort ihr Interesse für das Judentum geweckt und ihre religiöse Identität auf spielerische Weise gestärkt wird. Da das Judentum eine Religion des Lesens ist, wird dort auch viel gelesen. Für mich ist das der wirkliche Schlüssel zum späteren Erfolg im Beruf.
Inwiefern?
Je besser ein Kind lesen kann, desto größer ist sein schulischer Erfolg. Umso größer ist dann wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass es einen qualifizierten, gut bezahlten Job finden wird. Und das Beste ist: Wenn man es ihnen selbst vorlebt, greifen die meisten Kinder ohne Zwang ganz von selbst zu Büchern. Mein ältester Sohn bekommt nicht genug von den Geschichten in der hebräischen Bibel.
Vielleicht sollten Sie und Amy Chua sich einmal zusammensetzen und über die Vorteile jüdischer Erziehung sprechen.
Gute Idee. Wissen Sie, die Tigermutter will dasselbe wie die klassische jiddische Mamme: Ihr Kind soll erfolgreich und glücklich sein. Nur, dass die Tigermutter denkt, das müsse mit Härte erzwungen werden. Da würde ich sie gerne eines Besseren belehren.
Das Interview erschien, in anderer Version, zuerst bei der “Jüdischen Allgemeinen”.
Wie wir wissen und wie sich widerwillig auch die Tiger Mom eingestehen muss ist ihr Erziehungsstil nicht sehr hilfreich. Natürlich kann man Menschen mit Härte und Gewalt wie Hund, Pferd und andere Tiere formen und erziehen. Dressieren passt wohl besser.
Doch man bekommt dann nur das was man den Kindern eintrichtert. So sind die chinesischen Kindern bspw. Spitze in der Theorie und auf dem Gebiet das sie gelernt haben, aber schon Textaufgaben oder Problemlösungen überfordern sie. Denn ihre Gehirne haben Neugierde, Kritik und alles was nicht gerade straff läuft ausradiert. Solche Menschen sind heute aber nicht mehr gefragt, das war vor 50 bis 100 Jahren mal so, heute braucht man Menschen die flexibel sind, auch mal Lösungen finden können und vor allem offen sind gegeneinander abzuwägen.
All das was die Tiger Mom nicht erwartet und auch nicht fördern will, sie will nur das ihre Kinder in dem am Besten sind was sie für richtig hält. Bspw. Klavier spielen. Das sie mit ihrem Erziehungsstil bei den eigenen Kindern scheitert verschweigt sie lieber: Wer es noch nicht wusste, bei ihrem zweiten Kind welches leider nicht so begabt war wie das erste ist sie mit ihrem Erziehungsstil grandios gescheitert.
Ich persönlich frage mich wieso man überhaupt darüber debattieren muss. Die Frage ist doch die, wollen wir unsere Kinder auf eine Fähigkeit oder bestimmte Schulfächer die wir für wichtig halten trainieren, nötigst mit Gewalt (Wo wir Gewalt ja schon bei unseren Haustieren verwerflich finden) oder wollen wir unseren Kindern helfen sich Wissen anzueignen damit sie später selbstständig und intelligent werden?
Man könnte die Frage auch einfacher stellen:
Was ist wichtiger,
ein Kind das Spaß am Lernen hat und später sich leicht umorientieren kann sowie selbsttätig Lösungen findet
oder liegt die Priorität nur darauf dass auf einem Zeugnis überall Einsen stehen, egal wie der Mensch dahinter ist oder wird?
Wer hier hat das Buch gelesen? Soweit ich weiß schreibt die Tiger Mom dort, dass diese Erziehungsmethoden einer Tochter nicht so gut getan haben, oder? Nichts natürlich gegen den Vorschlag, dass Tiger Moms Kinder vorgelebt bekommen, Geschichten aus der hebräischen Bibel (?) zu lesen.
Ist doch schön, wenn wir alle noch lernen können, wie familiäre Bildung in verschiedenen sozialen Zusammenhängen (vor-)gelebt wird…
Grüße, Elmar
Ergänzung zu meinem Kommentar:
Snip aus dem Interview bei SPON:
Chua: Ja. Ich wusste natürlich, dass mein Buch provozieren würde. Aber was jetzt passiert, ist surreal. Die Leute realisieren nicht, dass das Buch die Reise einer Mutter beschreibt. Am Ende stelle ich komplett in Frage, wie ich meine Kinder anfangs erzogen habe. Ich vermute, dass die Sache auch eine geopolitische Dimension hat. Shanghai hat ja gerade überragend in der Pisa-Studie abgeschnitten. Die Dominanz der Chinesen macht vielen Menschen im Westen Angst.
SPIEGEL: Sie sagen, Sie seien mittlerweile viel westlicher geworden. Dürfen Ihre Töchter inzwischen bei Freunden übernachten?
Chua: Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Zufällig ist genau heute Lulus 15. Geburtstag. Und wissen Sie was? Am Samstag haben sieben ihrer Freundinnen bei uns übernachtet.
Grüße. Elmar.
@ Elmar
„Wer hier hat das Buch gelesen?“ Ich kann nicht für andere sprechen, aber ich habe Chuas Buch gelesen. Nicht zuletzt auch deshalb, da ein Gespräch mit ihrem Mann geplant ist, der im Buch so gut wie keine Rolle spielt.
Chua plädiert in ihrem Buch für Zwang, Kontrolle und Härte in der Erziehung. Rückblickend bereut sie lediglich die in meinem Krauss-Interview beschriebenen Episoden, in denen sie ihre Tochter etwa als „Müll“ bezeichnete.
„Soweit ich weiß, schreibt die Tiger Mom dort, dass diese Erziehungsmethoden einer Tochter nicht so gut getan haben, oder?“ Nein, Chua ist nach wie vor der Ansicht, dass ihr Zwang aus ihren Töchtern erfolgreiche und glückliche Menschen gemacht hat und dass die liberale Erziehung des Westens mehr oder weniger fatal sei.
Wenn Eltern ihre dreijährigen mit Helm! auf einem Dreirad! im Park! schieben, kommt mir der Gedanke, daß sie ihre Kinder nicht voll nehmen. Was ist das für ein Sicherheitsdenken? Ich kapier´ das nicht.
Die deutschen Kinder kann ich beurteilen sind verweichlicht und haben den reinen Status Kind in der Gesellschaft zu sein, sonst nix. Kuscheltiermäßig, keine Verantwortung, keine Entscheidungen treffen. In anderen Ländern, in anderen Gesellschaften haben Kinder mehr Achtung, ob das die westlichen Gesellschaften glauben oder nicht.
Was Fr Chua antreibt, ist, glaube ich, der absoluter Ehrgeiz. Zumindest schafft sie damit Diskussion.