Im Herbst letzten Jahres erschien der Roman „NSA“ (Nationales Sicherheits-Amt) des bekannten deutschen Fantastikautoren Andreas Eschbach. Bereits gestern veröffentlichten wir das Interview mit ihm als Podcast. Nun liegt es auch in geschriebener Form vor.
Bartoschek: Wie würden Sie denn „Nationales Sicherheits-Amt“ beschreiben, ist das ein dystopischer Roman, oder wie würden Sie den benennen?
Eschbach: Es gibt einen Begriff, ich weiß nicht, ob es den nur im Französischen gibt, eine „Uchronie“, eine Alternativgeschichte. Von der Form, vom Aufbau her ist es eine Alternativgeschichte, die Geschichte hat einen etwas anderen Verlauf genommen. In dieser Alternativgeschichte wird durchgespielt, was an Potential in digitaler Technik steckt, wenn sie in die falschen Hände fällt.
Bartoschek: Für die Hörerinnen und Hörer, die das Buch noch nicht kennen: Die Rahmengeschichte ist in etwa so, dass der Computer wesentlich früher entwickelt wurde, als dies tatsächlich der Fall war, schon im Kaiserreich, und dann später eben auch im Nationalsozialismus die entsprechenden Überwachungstechniken genutzt werden konnten, um den einzelnen Bürger komplett auszuspionieren. Ich habe dann gedacht an „The Man in the High Castle“ von Philip K. Dick. War das etwas, was man dann mitdenkt, oder entwickelt man so seine Sachen?
Eschbach: Ich kenne den Roman nur vom Hörensagen. Ich meine aber, dass er einen anderen Inhalt hat, nämlich, dass es eben darum geht: Was wäre, wenn die Nazis den Krieg gewonnen hätten? Darum geht es aber in meinem Buch gar nicht. Es geht eigentlich auch nicht um den Nationalsozialismus, der ist nur sozusagen die Bühne, auf der sich die Digitaltechnik zu ihrer vollen Blüte entfaltet, also zur dunklen Seite der Macht gewissermaßen wechselnd.
Bartoschek: Ich finde spannend, dass Sie sagen, Sie haben das Buch selbst nicht gelesen, weil ich die Parallele sehr spannend fand, dass einer der Nebencharaktere in Ihrem Buch dem Leser nochmal erklärt, wo er sich hier gerade befindet, also dass es so eine alternative Zeitlinie ist, eben ähnlich wie bei „The Man in the High Castle“, wo einer der Hauptcharaktere eben auch herausfindet, dass man sich in einem Buch befindet, das eine alternative Zeitlinie darstellt.
Eschbach: Das ist ein erzählerischer Trick, der in dieser Art von Geschichten häufig vorkommt. Bei Philip K. Dick natürlich besonders, der hat ja solche Sachen geliebt, so mit der Realität zu spielen.
Bartoschek: Mich hat dieses negative Element sehr berührt, ich habe die ganze Zeit gewartet, dass es gleich einen Dreh kriegt, dass gleich Nazideutschland verliert. Und den Gefallen tun Sie uns ja nicht, am Ende geht es nicht gut aus.
Eschbach: Zu diesem Buch hätte auch der leiseste Hauch eines Happy Ends nicht gepasst. Man soll ja nicht beruhigt aus der Lektüre rausgehen. Es soll einem im Gedächtnis bleiben.
Bartoschek: Das ist jetzt vielleicht eine etwas weit gefasste Frage, aber: Hat man da tatsächlich auch so einen Impuls, mit dem man etwas anstoßen möchte an Veränderung, an Gedanken, oder was glauben Sie, wie so eine Geschichte rezipiert wird vom Leser?
Eschbach: Als Schriftsteller hängt man irgendwie unwillkürlich immer diesem Traum an, man könne ein Buch schreiben, mit dem man die Welt verbessert. Das funktioniert natürlich nicht, das hat es noch nie wirklich gegeben. Aber was ein Buch tun kann, ist, dass es ein wichtiger Einfluss im Leben Einzelner wird. Jeder, der Bücher liest, weiß, dass es so eine Handvoll Bücher gibt, denen man im Leben begegnet, die so richtig reingehauen haben. Nicht immer dieselben, manchmal sind es Sachbücher, die bestimmt nicht so gedacht waren, aber sie kommen halt im richtigen Moment und bewirken irgendetwas, bleiben einem im Gedächtnis, verändern einen. Und in dem Sinne, das steht so im Hinterkopf, sozusagen. Es ist mir wichtig, dass es dieses Buch gibt, dass das, was dem zugrunde liegt, einmal gesagt worden ist. Aber natürlich lesen die Politiker keine Romane, die haben ja gar keine Zeit dazu. Und deswegen ist die Welt so, wie sie ist.
Bartoschek: Was ich spannend fand an dem NSA-Buch, ist, dass ich immer so ein bisschen darauf gewartet habe: Wann kommt er denn jetzt mit so ganz abgedrehten technologischen Entwicklungen? So, dass ich jetzt das für mich angenehme Gefühl habe: „Da ist er jetzt ein bisschen drüber.“ Den Gefallen haben Sie mir aber auch nicht getan, Sie sind eigentlich sogar letztlich hinter dem, was wir so an technischen Möglichkeiten kennen, sogar noch ein Stück weit zurückgeblieben, und haben ein Szenario gezeichnet, wo ich mir dann gedacht habe: Entziehen können wir uns dem Ganzen gar nicht mehr, denn was Sie beschreiben, ist schon –
Eschbach: Das ist schon altmodisch.
Bartoschek: Ja.
Eschbach: Ich hatte beim Schreiben schon so eine Art Steam Punk – Computer vor Augen. Es gibt kein Plastik in dieser Zeit, das ist noch nicht erfunden. Alles muss aus Messing sein oder bestenfalls aus Bakelit, also einem dieser frühen Kunststoffe. Das Volkstelefon ist aus Aluminium, vorne Bakelit, das wird in dem Buch auch beschrieben, dass es alles so massiv ist. Unsere heutige Technik ist ja elegant, die verschwindet im Hintergrund und ist schick designt von Apple und Co., aber ich hatte eher diese brutalistische Architektur vor Augen, die Diktaturen ja immer auszeichnet und die Nazizeit ja auch. Und dann fällt einiges hinten runter: Die Kameras gibt es noch nicht in den Handys, das fällt ganz weg. Da hätte man auch noch viel daraus machen können, aber dann wäre das Buch ja noch dicker geworden. Das einzige, wo ich ein bisschen über den Stand hinausgehe, ist am Schluss mit der Künstlichen Intelligenz, die die da quasi entwickeln, die ist schon „state of the art“, diese Implantate.
Bartoschek: Auch diese Gesichtserkennung, die Sie da beschrieben haben, erinnert mich schon sehr stark an das, was in China derzeit Serienreife bekommen soll, wahrscheinlich nicht zufälligerweise, oder?
Eschbach: Nicht zufälligerweise, nein. Wie weit sie in England sind, wäre auch mal eine interessante Frage.
Bartoschek: Es fehlt für mich die Idee – wenn man das ernst nimmt, was ich getan habe, sonst hätte ich dieses Interview ja auch nicht haben wollen – mir fehlt so die Idee: Und jetzt? Das ließ mich so völlig depressiv zurück und ich dachte mir: Klasse, er hat ja recht, wenn diese Technik tatsächlich in den Händen eines totalitären Staates ist, dann haben wir eigentlich verloren, und dann sind wir da eigentlich schon so tief mittendrin, dass wir uns da gar nicht mehr rausziehen können.
Eschbach: Als ich angefangen habe zu schreiben, habe ich mir natürlich auch überlegt, ob man da jetzt irgendwelche technischen Antworten finden kann, also: Was müssen wir an der Digitaltechnik verändern? Aber mittlerweile, wo das Buch raus ist und ich viele Gespräche darüber geführt habe, bin ich zu dem Schluss gekommen: Es liegt gar nicht an der Technik. Es ist wie mit den Messern: Das Messer in der Hand eines Kochs bewirkt etwas anderes als das Messer in der Hand eines Serienkillers. Es liegt nicht am Messer. Im Prinzip geht es darum, dass wir politisch aufmerksamer sein müssen, wachsamer, und Diktaturen gar nicht erst hochkommen lassen dürfen. Das ist der einzige Weg.
Bartoschek: Ist diese Idee auch getragen von den politischen Entwicklungen im Bereich des Populismus in Europa generell, aber auch von dem Populismus, den wir jetzt aktuell im Bundestag sitzen haben? Oder ist das dann doch zu konkret?
Eschbach: Also die Idee ist schon älter als die AfD. Es passt irgendwie dazu, ja klar, aber bei Diktaturen nur an Nazis zu denken, greift zu kurz. Es hat auch andere gegeben und die gibt es ja teilweise heute noch.
Bartoschek: Unter anderem lassen Sie ja Himmler auftreten in Ihrem Roman und das ist ja nun einmal eine Figur mit extrem viel Fallhöhe, hat man da Angst sich einer solchen Person auch in einer alternativen Zeitlinie zu nähern oder nimmt man die eher als Figur?
Eschbach: Die nimmt man als Figur. Also im Gegenteil, das hat den Vorteil, dass man diese Figur schon kennt aus vielen Dokumentationen und dem, was man über sie gelesen hat, und aus Filmen, in denen sie schon dargestellt wurde, und man kann die dann verändern. Das ist generell so mit Figuren des öffentlichen Lebens, die sind eigentlich einfacher als die Figuren, die man selbst erfindet. Auch wenn man jetzt amerikanische Präsidenten auftreten lässt, da hat man nichts zu befürchten. Ich werde natürlich den Teufel tun, da jetzt irgendwie Werbung zu machen.
Bartoschek: Jetzt sagten Sie gerade selbst schon, Politiker lesen wahrscheinlich eher weniger Romane. Ich habe mich tatsächlich gefragt im Nachgang: Was glaubt man als Autor, wie viel Impact so eine Geschichte haben kann, oder fragt man sich das gar nicht?
Eschbach: Man ist gespannt, wie viel Impact das hat. Meistens ist es ja so, dass der Impact eher auf den Autor zurückschlägt, also dass man dann irgendwie blöd dasteht, weil man irgendetwas gesagt hat, was jemandem nicht in den Kram passt, dass irgendwelche Fatwas über einen verhängt werden oder man zur Persona non grata wird. Das ist eher so die Sorge, die man hat.
Bartoschek: Gab es denn irgendein Feedback aus der Politik, dass Ihnen irgendwer geschrieben / gemailt oder Sie angerufen hat?
Eschbach: Nein. Gar nicht.
Bartoschek: Das finde ich spannend, weil ja gerade im Moment auch diese Artikel13 – Debatte relativ hochkocht über diese Upload-Filter, das passte für mich da auch nochmal rein, aber zeitlich danach.
Eschbach: Das war danach, ja.
Bartoschek: Was ich bei Ihnen generell spannend finde, ist, wenn man jetzt nochmal die aktuelleren Sachen von Ihnen sieht, Sie sind ja relativ nah an der Realität für einen Fantastik-Autor… sehen Sie sich als Fantastikautor überhaupt?
Eschbach: Ja.
Bartoschek: Sie sind ja relativ nah an der Realität dann doch dran, das ist ja schon vieles, was möglich ist. Hat sich das bei Ihnen – wenn ich jetzt an die ersten Sachen von Ihnen denke – hat sich das irgendwie entwickelt oder ist das so, dass man mal mehr, mal weniger Lust darauf hat?
Eschbach: Ja, das hat sich entwickelt, so eine Lust daran, das Fantastische im Alltäglichen zu entdecken. Wie schnell man ins Fantastische umschlägt, wenn man nur eine klitzekleine Kleinigkeit ändert ab und zu. Das ist die eine Seite, und die andere Seite ist, zu versuchen, in diese ganzen Topoi der fantastischen Literatur Emotionalität reinzuziehen. Wie wäre es denn wirklich, wenn…? Bei vielen fantastischen Geschichten bleiben ja so Sachen außen vor, also sowas wie: Was macht Spiderman in seiner Freizeit? Da habe ich Lust darauf, so etwas zu hinterfragen. Ich habe ja jetzt gerade noch einen Roman herausgebracht über die Jugend von Perry Rhodan, das ist auch so etwas. Was macht Perry Rhodan in seiner Freizeit? Das hat man jetzt 50 Jahre lang nicht gewusst und ich habe es mir halt dann mal ausgedacht. Sowas macht mir Spaß, so ein bisschen auch ein Verbinden von Realität und fantastischer Welt aus zwei Richtungen.
Bartoschek: „Perry Rhodan“ ist ja, wenn ich das richtig verstehe, derzeit Ihre Lesereise, oder?
Eschbach: Diese Woche, ja. Übernächste Woche gehe ich dann mit „NSA“ auf Lesereise.
Bartoschek: Ah, sehen Sie, Recherche-Fehler… das war mir nicht bewusst. Die Frage mag klischeehaft klingen, aber ich stelle sie trotzdem: Wie stressig ist das eigentlich? Sie sind jetzt ja, wenn ich Ihren Plan jetzt richtig verstehe, jeden Tag woanders. Dann kommen Sie ja nirgends richtig an. Kriegt man da überhaupt noch mit, wo man gerade ist?
Eschbach: Wenn man auf Lesereise geht, lernt man die Bahnhöfe in Deutschland ziemlich gut kennen und weiß in jeder Stadt, wo die guten und schlechten Hotels sind, im Laufe der Jahre. Sonst weiß man aber nicht unbedingt Bescheid. Das ist ebenso, da kann man auch nichts dran ändern, weil man eben zu kurz in der Stadt ist. Man kommt an, meistens ist das spät am Nachmittag, und kann sich gerade noch vorbereiten auf die Lesung, und am nächsten Tag geht es weiter. Da bleibt nicht viel Raum für Sightseeing, und man hat auch nicht die Ruhe innere dafür, weil ja doch das Lampenfieber steigt, je näher der Lesetermin kommt. Da kann man sich nicht in die Betrachtung irgendwelcher Kirchen oder Museen vertiefen.
Bartoschek: Das heißt, Sie haben immer noch so eine Art Lampenfieber vor den einzelnen Lesungen?
Eschbach: Ja, schon.
Bartoschek: Wird das weniger oder eher mehr, weil der Erwartungsdruck höher wird, wenn man bekannter wird?
Eschbach: Nein. Lampenfieber ist ja eigentlich eine ganz normale Reaktion des Organismus. Er weiß, jetzt muss er optimale Leistung bringen, und sammelt so seine Kräfte. Das ist das, was wir als Lampenfieber wahrnehmen. Und erfahrene Schauspieler sagen, – das habe ich schon relativ früh zu meiner Beruhigung gelesen – sie machen sich eher Sorgen, wenn das Lampenfieber nachlässt.
Bartoschek: Weil die Leidenschaft dann weniger wird.
Eschbach: Ja, genau.
Bartoschek: Ich danke Ihnen vielmals für dieses Gespräch und ich hoffe, wir bekommen noch ganz viele spannende neue Romane von Ihnen in den nächsten Jahren, aber auch Kurzgeschichten, da habe ich auch viel von Ihnen gelesen.
Eschbach: Ja, Kurzgeschichten sind nicht so mein Gebiet, aber ich habe mir vorgenommen, mich wieder mehr damit zu beschäftigen. Aber meine Form ist schon der Roman, ich werde erst ab 100 Seiten so richtig wach.
Bartoschek: Vielen Dank, Herr Eschbach.
Eschbach: Bitte, gern geschehen.
Transkription: Vanessa Stracke
Fotos: Sina Klaß