Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn beschreibt in seinem Buch „Globaler Antisemitismus“ den Angriff auf die Aufklärung.
Drei Wellen der Demokratisierung erkannte der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington: Die erste begann zu Beginn des 19. Jahrhunderts und hatte ihren Ursprung in der Amerikanischen und Französischen Revolution, ab den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts setzte, beginnend mit Mussolinis Machtergreifung in Italien, die Gegenbewegung ein. Die zweite Demokratisierungswelle setzte mit dem Vormarsch der westlichen Alliierten ab 1943 ein, die Gegenbewegung erfolgte ab den späten 50er Jahren und führte unter anderem zu den Militärdiktaturen in Südamerika und Griechenland. Die dritte Demokratisierungswelle setzte Mitte der 70er Jahre ein und die Angriffe von Al Qaida auf die Twin Towers in New York am 11. September 2001 markieren den Beginn der Reaktion. Alle drei waren Bewegungen gegen Demokratie und Aufklärung, das ist eine der zentralen Thesen in Samuel Salzborns Buch „Globaler Antisemitismus – Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne“. Und alle drei Gegenbewegungen, schreibt Salzborn, waren und sind nicht nur gegen Demokratie und Aufklärung gerichtet, sondern auch antisemitisch gewesen.
Salzborn arbeitet, anschaulich gemacht durch historische Belege, heraus, dass der Antisemitismus das verbindende Element sämtlicher Kämpfe gegen die Demokratisierung war und dass sich dies bis heute, in einer Zeit in der sich zu christlichen, faschistischen und islamistischen Antisemiten auch ein postmoderner Antisemitismus gesellt hat, nicht geändert hat.
Die erste Welle gegen Demokratie und Aufklärung ab den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, der unter anderem die Demokratien in Deutschland, Italien, Griechenland, Spanien und Portugal zum Opfer fielen und die im Nationalsozialismus und der Shoah ihren Höhepunkt fand, zeigt Salzborn, etablierte das völkische Denken und machte aus dem Antisemitismus eine Massenbewegung: „Im Rahmen der völkischen und rassistischen Aufladung des Antisemitismus in Europa entwickelte sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend eine nationale Grenzen negierende und als politische Bewegung auch Grenzen überschreitende antisemitische Gemeinschaft als soziale Bewegung (…)“.
Die zweite Welle der Gegenaufklärung zerstörte die zahlreichen Demokratien in Südamerika und Asien. Für sie war der Antisemitismus die Bindeideologie und diese führte auch zu antisemitischen antiimperialistischen Bewegungen, „deren Höhepunkt der Linksterrorismus der 70er Jahre war.“
Die dritte Welle setzte mit den Terroranschlägen des 11. September ein: „Seither werden vor allem die westlichen Demokratien aufgrund der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus gezwungen, Freiheitsrechte zugunsten der inneren und äußeren Sicherheit einzuschränken, was ein internes Entdemokratisierungspotential für die demokratisch verfassten Staaten beinhaltet.“ Aber für Salzborn ist die dritte Gegenwelle auch „der klar erkennbare Beginn einer antisemitischen Revolution: „Der islamische Antisemitismus, der im internationalen Kontext die gegenwärtig einflussreichste Form des Antisemitismus darstellt, integriert dabei ebenso wie die beiden anderen Formen des transnationalen Antisemitismus ein gewaltförmiges und auf die physische Tötung von Jüdinnen und Juden zielendes Potenzial. Nach dem Nationalsozialismus und dem Linksterrorismus ist der islamische Antisemitismus die dritte supranationale Bewegung.“
Aber warum lässt sich der Antisemitismus als zentraler Bestandteil in jeder der drei Wellen gegen Demokratie, Freiheit und Aufklärung finden? Der Antisemitismus, erklärt Salzborn mit Verweis auf den kanadischen Philosophen und Historiker Moishe Postone „ist zwingend auch die Negation des Versprechens der Aufklärung auf Individualität und Subjektstatus, ist kurzum die Rebellion gegen das Versprechen auf Freiheit und Gleichheit“, denn der Antisemitismus ist die „Unfähigkeit und Unwilligkeit „abstrakt zu denken und konkret zu fühlen.“
Und diese Unfähigkeit, zeigt Salzborn, verbindet Rechtsradikale, Antiimperialisten, Islamisten und die „Israelkritiker“ der postmoderner Provenienz.
Samuel Salzborn
Globaler Antisemitismus. Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne.
Beltz Juventa, Weinheim, Basel 2018, 24,95 Euro
Der Test erschien in einer ähnlichen Version schon bei den Salonkolumnisten
In meinem Artikel Eintracht Frankfurt und die AfD-Debatte erwähnte ich, dass die" Kuwait Airlines" am Frankfurter Flughafen einen israelischen Staatsbürger vom Flug in den Fernen Osten ausschlossen. Reaktion der Politik: null. Das OLG Frankfurt bestätigte nun die Rechtmäßigkeit dieses Handelns, da es kuwaitischen Gesetzen entsprochen habe. Reaktion der Politik: nullmalnull.
Das Mindeste ist dann doch, dieser Fluggesellschaft sämtliche Landerechte in Deutschland zu entziehen. Oder????
Hier sieht mir viel nach selektiver Wahrnehmung aus.
Was ist mit Asien? Was ist mit Afrika?
@1 T Weigle:
Ja, das ist kaum nachvollziehbar und zeigt wieder mal, dass Politik nicht handelt und zu oft nur Sonntagsreden hält.
@ke: Nigeria, Uruguay – in dem Buch kommt es drin vor. Kauf es Dir – es lohnt sich 🙂
Danke für diesen wertvollen Literaturtip!
Es ist schon lange meine Überzeugung, dass Antisemitismus der konkrete, manifeste Auswuchs einer (kulturprägenden) antimodernen, kulturpessimistischen und geradezu "antikognitiven" Verweigerungshaltung bzw. Unfähigkeit ist. In der Tat sind sich bspw. Pegidisten & Co. und Islamisten viel ähnlicher als erstere und Liberale (in letzter Konsequenz geht es somit auch um einen Konkurrenzkampf verwandter Weltanschauungen). Diese Weltanschauungen benötigen den Konflikt der Selbstvergewisserung wegen. Reflexion wäre das Eingeständnis des eigenen Irrtums, die Abwesenheit von Konflikt und eindeutigem Gegner stellt also die wahre Bedrohung dar. Das Verlassen der Konfliktskala als einziger Maßstab ist auch intellektuell schließlich nicht mehr zu durchdringen. Dementsprechender Widerspruch wird mit völligem Unverständnis oder Replik auf der Ebene des konkreten Klein-Kleins begegnet. Man mute sich in dem Kontext mal den schwülstigen wie völkischen Thymusdrüsen-Quatsch zu, den bemüht intellektuell wirkende rechte "Denker" so von sich geben.
Im Übrigen wurden hinengen selten so passende wie präzise Worte über Antisemiten und den Antisemitismus verloren wie von Stephan Grigat:
"In einer wahnhaften Projektion bekämpfen sie im "jüdischen Prinzip" und seinen vermeintlichen Verkörperungen gesellschaftliche und individuelle Ambivalenzen, Widersprüche und Krisenerscheinungen. (…) In seinem Selbstverständnis ist der Antisemitismus eine Revolte gegen das globale Prinzip subjektloser Herrschaft und die als Zumutung und Bedrohung empfundene Abstraktheit von Ökonomie und Politik. Während die jüdische Religion für die Antisemiten einerseits von verstocktem Traditionalismus geprägt ist, andererseits aber auch wegen ihrer Vermittlung von Vernunft und Glaube gehaßt wird, werden Juden als Verkörperung von Zivilisation und Modernität, Intellektualität und Individualität attackiert. Der Antisemit sehnt sich nach Eindeutigkeit, der Jude repräsentiert den Zweifel, das Judentum die Reflexion.
Die Abgrenzung gegen die "Minderwertigen" findet im Rassismus seinen Ausdruck. Gegen die "Überwertigen" richtet sich der Antisemitismus."
Grigat, Stephan (2014): Die Einsamkeit Israels. Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung. Hamburg: KVV konkret.
Der religiöse Antisemitismus, der ja in dem Vorwurf gipfelt, sie seien die Mörder Jesu, zeigt die ganze Irrationalität dieser Sorte Vorwürfe , denn ohne Kreuzigung kein Christentum und v.a. keine Erlösung im Jenseits, wie sie die Kirchen verlautbaren und anpreisen.
Letztlich ist der Ursprung allen AS in der Religion zu verorten, die die Juden schon sehr früh außerhalb ihrer geistlichen und staatlichen Ordnung stellte, ihnen Sonderplätze und bestimmte Tätigkeiten zuwies bzw.verbot , die am Ende zur Sonderbehandlung der Juden durch die völkisch-nazionalsozialistischen Massenmörder führte.