Der Bundestag will dafür sorgen, dass Antisemiten und glühende Israelkritiker künftig nicht mehr mit Staatsknete durchgefüttert werden. Die Betroffenen sind empört.
Am 9. November vergangenen Jahres brachten sowohl die Fraktionen der Ampel als auch die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag Entschließungsanträge ein, die mit „Jüdisches Leben in Deutschland schützen“ überschrieben waren.
Die demokratischen Fraktionen reagierten damit auf die Pogrome der Hamas am 7. Oktober. Dass es zwei Entschließungsanträge gab, war ungewöhnlich: Bei Themen solcher Tragweite einigten sich die Fraktionen in der Vergangenheit zuvor auf einen gemeinsamen Antrag. Die beiden Anträge wurden zur Beratung an den Innenausschuss verwiesen und nach Monaten des Verhandelns zeichnet sich nun ein gemeinsamer Entwurf ab, bei dem bereits weitgehende Einigkeit zu bestehen scheint und der diesem Blog vorliegt.
Der vierseitige Antrag beschreibt ganz zu Anfang treffend die Lage in Deutschland nach dem Hamas-Pogrom: „Seit dem grausamen Terror-Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sehen wir in Deutschland Judenhass und israelbezogenen Antisemitismus auf einem seit Jahrzehnten nicht dagewesenen Niveau. Der Anstieg antisemitischer Einstellungen und Taten ist zutiefst beunruhigend. Antisemitismus ist ein hochgradig dynamisches, zutiefst menschenfeindliches Phänomen. Die Entwicklung seit dem 7. Oktober 2023 ist sowohl auf einen zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in rechtsextremistischen und islamistischen Milieus als auch auf einen relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus zurückzuführen.“
Das Papier unterstreicht zudem, und das geht aus der uns vorliegenden Version hervor, dass bei allen Fraktionen Einigkeit darin besteht, das bereits 2017 durch die damalige Bundesregierung erfolgte Bekenntnis zur Antisemitismus-Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu bekräftigen und sie auch weiterhin als „maßgeblich“ anzusehen.
Weiter heißt es in dem Antrag: „Auf der Grundlage der Gemeinsamen Erklärung der Kultusministerkonferenz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der kommunalen Spitzenverbände vom 13. März 2024 sollen Länder, Bund und Kommunen – soweit noch nicht erfolgt – rechtssichere, insbesondere haushälterische Regelungen erarbeiten, die sicherstellen sollen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Inhalten gefördert werden. Kunst- und Kulturveranstaltungen sowie -einrichtungen sollten gemeinsam mit Experten antisemitismuskritische Codes of Conduct und Awarenessstrategien als Leitfaden ihres Handelns anwenden.“
Es handelt sich dabei um die Erweiterung einer Resolution des Bundestages aus dem Jahr 2019, in dem er die BDS-Kampagne, das Kürzel steht für Boycott, Divestment and Sanctions und soll Israel unter anderem wirtschaftlich und kulturell isolieren, als antisemitisch bezeichnet und fordert, dass Organisationen, welche die BDS-Kampagne unterstützen und das Existenzrecht Israels infrage stellen, nicht mehr mit öffentlichen Geldern finanziell gefördert werden.
Der gemeinsame Entschließungsantrag der vier demokratischen Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP ist knapp und zutreffend formuliert, stellt klar, wo der Bundestag steht und zeigt, dass die Politik bereit ist, aus der explosionsartigen Zunahme von Antisemitismus in Deutschland Konsequenzen zu ziehen. Es wäre sicher angemessen gewesen, wenn das Parlament schneller nach dem 7. Oktober reagiert hätte, aber besser etwas später als nie. Es ist ein Antrag, der sicher einen breiten gesellschaftlichen Konsens widerspiegelt.
Allerdings wird er auch zu Lasten derjenigen gehen, bei denen glühende Israelkritik, Antisemitismus und die mehr oder weniger offen gezeigte Solidarität zum palästinensischen Terrorismus, hinter der BDS-Kampagne steht unter anderem die Hamas, zum Lifestyle gehören oder Teil der eigenen Überzeugungen sind und deren Existenz von staatlicher Alimentierung weitgehend abhängt. Sie fürchten, künftig keine Staatsgelder mehr zu bekommen und sehen das als eine Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit. In einem offenen Brief behaupten sie zudem, der Entschließungsantrag würde Deutschland international isolieren und könnte ihre „muslimischen und arabischen Nachbarn“ gefährden.
Es mag sein, dass die antisemitischen Teile der Kulturszene Deutschland künftig meiden, was dieses Land wohl aushalten wird, aber es ist nicht zu befürchten, dass Geld in den Kulturetats des Bundes, der Länder und der Städte liegen bleibt, weil kein Künstler aus dem Ausland mehr in Deutschland arbeiten will. Die knapp 15 Milliarden Euro werden ihre Abnehmer finden. Wenn die einen das Geld nicht mehr wollen oder nicht mehr bekommen, werden sich andere über die Mittel freuen.
Und eine Gefährdung der Meinungsfreiheit oder gar, wie Stefan Reinicke heute in der taz schreibt, von Zensur, geht von dem Papier des Bundestages nicht aus. Der Staat wird sich auch weiterhin nicht darum kümmern, was ein Künstler macht, solange es nicht den im Strafgesetzbuch gesetzten Rahmen verletzt. Die Kunst bleibt frei. Aber aus der Freiheit der Kunst kann man nicht das Recht auf staatliche Alimentierung ableiten.
Das stellte Hans Michael Heinig, Professor für Öffentliches Recht an der Georg-August-Universität Göttingen, im Juni in einem Beitrag für den Verfassungsblog klar. „Es zeugt doch von einem sehr speziellen Freiheitsverständnis, wenn jede Hürde auf dem Weg zu einer staatlichen Subventionierung als Grundrechtseingriff verstanden wird, der funktional mit einem Verbot äquivalent sein soll,“ schrieb Heinig. „Durchgreifende Zweifel anmelden will ich insbesondere, soweit postuliert wird, eine liberale Demokratie müsse, wenn es den Kulturbetrieb subventioniert, von Verfassungs wegen Zuwendungen für Kunst ausschütten, die verständige Rezipientinnen und Rezipienten aus guten Gründen als antisemitisch oder rassistisch kodiert verstehen. Die freiheitliche Demokratie muss aus verfassungsrechtlicher Sicht im Bereich der Kultur keineswegs pauschal und undifferenziert alles, was nicht verboten ist, durch Zuwendungen fördern.“
Für die betroffenen Künstler hat das die Konsequenz, sich andere Geldgeber für ihre Arbeit zu suchen: Auch Stiftungen und Religionsgemeinschaften finanzieren Kunst und dann ist da auch noch der freie Markt, auf dem Menschen für Kunst mit ihrem eigenen Geld bezahlen. Willkommen in der Freiheit, auf dem freien Markt.