Antizionismus, Querfront, Russland: „Warum ich nach 16 Jahren Die Linke verlasse“

Jan Vahlenkamp Foto Privat

Unser Gastautor Jan Vahlenkamp verlässt nach 16 Jahren die Linkspartei. Hier erklärt er, warum er sich zu diesem Schritt entschlossen hat.

Es war im Frühling 2005: Gerhard Schröder war Bundeskanzler, die Montagsdemos gegen Hartz IV hatten eine soziale Bewegung ins Leben gerufen und immer mehr war von einer neuen Linkspartei die Rede, die dieses Land gut gebrauchen konnte. Zur vorgezogenen Bundestagswahl stellten sich die politischen Schwergewichte Oskar Lafontaine und Gregor Gysi als Galionsfiguren dieser neuen Linkspartei zur Verfügung, die als Zusammenschluss aus PDS und WASG eine Kraft für soziale Gerechtigkeit und Frieden darstellen sollte.

Der neoliberalen Politik ein Ende bereiten – das schien mir dringend geboten. Die Schröder-Regierung machte auf mich den Eindruck, nur noch die kostengünstige Verwaltung der Massenarbeitslosigkeit, statt ihrer Bekämpfung im Sinn zu haben. Die Linke. schien für die neue, die echte Sozialdemokratie zu stehen. „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“ prangte auf den Wahlplakaten. Für mich war klar, wem meine Stimme gehören würde und ein Jahr später trat ich dann selbst in die Partei ein, die nun Linkspartei.PDS hieß und wiederum ein Jahr später endgültig mit der WASG fusionieren und fortan als DIE LINKE. bekannt sein sollte.

Was ist von dieser angeblich so mächtigen Idee geblieben? Während Die Linke über all die Jahre hauptsächlich „Weg mit Hartz IV!“ rief, sank die Arbeitslosenquote von 11,7 % im Jahr 2005 auf 6 % im Jahr 2021. Zu der diesjährigen Bundestagswahl fordert Die Linke ein sanktionsfreies Mindesteinkommen von 1.200 Euro für alle und einen einklagbaren individuellen Rechtsanspruch auf Erwerbsarbeit bei gleichzeitigem Recht, eine konkrete Erwerbsarbeit abzulehnen. Wie realistisch das ist, sei mal so dahingestellt. DIE LINKE. hat sich angewöhnt, hauptsächlich zu fordern statt zu gestalten oder überhaupt gestalten zu wollen.

Häme über den Sieg der Taliban

Ein weiteres, über die Jahre vor sich hingetragenes Mantra lautete „Raus aus Afghanistan!“ Dies ist jetzt umgesetzt worden, auch wenn es für die Menschen in Afghanistan nichts Gutes verheißt. Fast hämisch wirkt es, wenn Sevim Dagdelen als Sprecherin für Abrüstungspolitik der Linksfraktion nach der Eroberung von Kundus meinte, dass „die Niederlage der Bundeswehr-Intervention im Rahmen des Nato-Kriegs besiegelt“ sei. Dass immerhin 20 Jahre lang eine afghanische Zivilgesellschaft entstehen konnte, Frauen zur Schule gingen und eine, für afghanische Verhältnisse, relative Stabilität herrschte, scheint nichts wert zu sein.

Gregor Gysi schlug vor, die Taliban diplomatisch anzuerkennen und ihnen Wirtschaftshilfe zukommen zu lassen. Diese solle dann an Bedingungen geknüpft sein, um einen „Wandel durch Annäherung“ zu schaffen. Das hätte bei Willy Brandt und der DDR schließlich auch geklappt. Was für eine gnadenlose Unterschätzung des totalitären islamistischen Terrors! Bei solchen Vorlagen wundert es dann nicht wirklich, dass ein ehemaliger Landessprecher der Hamburger Linksjugend [’solid] auf Facebook bekannt gab: „Ich gratuliere dem Afghanischen Volk zu ihrem Sieg über die Ausländischen Besatzer (insbesondere zu jedem einzelnen der 37 von Ihnen eliminierten Bundeswehrsoldaten) und wünsche ihnen eine blühende Zukunft in Frieden und Freiheit!“ [sic!]

Eine solche Aussage stellt zwar eine zynische und radikale Zuspitzung dar, die der Partei ziemlich peinlich war, aber generell ist die Vorstellung, die Taliban seien „ein legitimer Teil eines Volksbefreiungskampfes gegen die imperialistische Invasion der NATO“ an der Basis nicht allzu selten, auch wenn es wohl nur die wenigsten öffentlich bei Facebook bekannt geben würden. Der entsprechende Beitrag wurde dann aber trotzdem prompt von einem Landesvorstandsmitglied und einer Bundestagskandidatin geliket.

Die „völkerrechtskonforme Intervention“ der russischen Luftwaffe

Afghanistan mag ein Beispiel dafür sein, dass westliche Interventionen Probleme nicht lösen können und neue verursachen. Die westliche Nicht-Intervention kann aber zu weitaus größeren Problemen, im Sinne einer völligen Eskalation des Krieges führen, wie am Beispiel des Syrischen Bürgerkrieges zu sehen ist, auch wenn dieser durch die Interventionen Russlands, der Türkei und der „Achse des Widerstandslängst kein Bürgerkrieg mehr ist.

Eigentlich hatten die mutigen Menschen in Syrien ja das getan, wozu Linke stets auffordern und hatten für Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie demonstriert. Doch ihr Gegenspieler, der Diktator Assad, betrachtet sich als Sozialist, unterhält beste Beziehungen zu den ALBA-Staaten und ist ein entschiedener Gegenspieler des „US-Imperialismus“. Dass die syrische Freiheitsbewegung von der europäischen Linken keine Solidarität zu erwarten hatte, auch nicht nachdem sie mit Giftgas bekämpft wurde, war klar.

Ganz anders wird die Intervention der russischen Luftwaffe zur Stabilisierung des Assad-Regimes betrachtet. Diese ist aus Sicht der Linksfraktion (und insbesondere ihres Osteuropa-Beauftragten und Putin-Anhängers Alexander Neu) völkerrechtskonform, da sie auf Einladung der legitimen Regierung Syriens geschehe. Dass im Zuge dieser Intervention besonders zivile Infrastruktur, wie Krankenhäuser, systematisch zerstört wurden, scheint nicht zu stören. Man stelle sich mal vor, was hier auf den Straßen (und in der Linken los wäre, würden die USA oder irgendeine westliche Armee auch nur halb so viele Kriegsverbrechen begehen. Die russische Militärintervention stellte einen Turning Point im Syrischen Bürgerkrieg dar, der dazu führte, dass sich etliche Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machten, da sie keine Hoffnung mehr für Syrien hatten.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise fand bei einer Mitgliederversammlung der Linken in meinem Bezirksverband Hamburg-Nord eine aktuelle Stunde zum Thema „Fluchtursachen“ statt. Während dieser Stunde fiel nicht ein einziges Mal der Name Assad. Stattdessen wurde einhellig der „US-Imperialismus“ und, noch ein bisschen absurder, der „deutsche Imperialismus“ als Kriegs- und Fluchtursache genannt. Nun mag man mir vorwerfen, warum ich meine Sicht der Dinge dort nicht vortrug. Doch erstens tue ich das selbst schon und zweitens ist es erfahrungsgemäß höchst anstrengend bis zutiefst unangenehm, mit Leuten zu diskutieren, die seit Jahrzehnten ihre Feindbilder pflegen und zu welchem man selbst auch schnell werden kann, wenn man nicht dieselbe Einstellung pflegt.

Für die russische Einflusssphäre gilt offenbar kein Völkerrecht

Auch die Menschen in der Ukraine waren mutig und demonstrierten 2014 gegen Korruption und für eine Annäherung an die EU. Da aber eben jene EU unter Linken nicht gerade hoch im Kurs steht, man sich aber gleichzeitig Russland traditionell sehr verbunden fühlt, wurde Putins Diffamierung der Euromaidan-Proteste kritiklos übernommen. Die Rolle der rechtsgerichteten Swoboda-Partei wurde stark übertrieben und die Ereignisse als Putsch bezeichnet. Auch die russische Annexion der Krim und russische Unterstützung des Bürgerkrieges in der Ostukraine änderten nichts an diesem Kurs.

Paradox dass ausgerechnet Die Linke, die sich als Partei des Völkerrechts sieht und sich sonst stets auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker beruft, dieses Mal äußerst wenig gegen eklatante Völkerrechtsbrüche einzuwenden hatte und sich darauf berief, die Ukraine gehöre nun mal zur russischen Einflusssphäre. Dass der souveräne Staat Ukraine jedes Recht hat, sich der EU oder NATO anzuschließen, wurde schlichtweg ignoriert.

Die Linke unterstützt auch das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2, obwohl dieses die fossile Energieinfrastruktur auf Jahrzehnte in die Abhängigkeit vom russischen Staatskonzern Gazprom zwingen wird. Trotzdem oder gerade deshalb, lud Klaus Ernst, in seiner Funktion als Wirtschaftsausschuss-Vorsitzender im Bundestag, sogar den Altkanzler und Kreml-Lobbyisten Gerhard Schröder als vermeintlichen Energiepolitikexperten in ebenjenen Ausschuss ein.

Die Stadtteilgruppe Langenhorn der Hamburger Linken hatte im letzten Jahr sogar dem russischen Präsidenten persönlich einen Brief geschrieben und bedankte sich bei ihm dafür, „auf internationaler Ebene dem Völkerrecht wieder Geltung zu verschaffen und dem Recht des Stärkeren in der Weltpolitik ein Ende zu setzen“. Ich weiß nicht, ob diese Ansicht auf Zynismus oder Realitätsverlust beruht. Auf jeden Fall schrieb ich den Antrag „Keine Liebesgrüße nach Moskau“, der den Brief und seine Formulierungen rügen sollte. Der Antrag wurde zwar von zwei Landesarbeitsgemeinschaften und 25 Einzelmitgliedern unterstützt, aber vom Landesparteitag nie besprochen. „Nichtbefassung“ war das gleichermaßen einhellige wie wenig überzeugende Votum der Delegierten.

Geschäfte mit den Mullahs

Auf der Kundgebung „Solidarität mit Israel – Gegen jeden Antisemitismus“ im Mai diesen Jahres sagte der Linksfraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch: „Die Forderungen von Elio Adler, ich hoffe dass sie alle möglichst schnell im Deutschen Bundestag beredet und möglichst weitgehend umgesetzt werden, das wäre dringend nötig.“ Dabei dürfte es vor allem Die Linke sein, die den auf der Kundgebung geäußerten Forderungen von Elio Adler, dem Vorsitzenden des Vereins „WerteInitiative – jüdisch-deutsche Positionen“, entgegensteht. Eine dieser Forderungen lautete etwa: „Begegnen Sie dem antisemitischen Mullah-Regime im Iran mit Härte anstatt mit diplomatischer Eleganz und wirtschaftlich ausgestreckter Hand.“ Eine weitere hieß: „Beschränken Sie den Einfluss ausländischer Regierungen, insbesondere durch DITIB und das IZH, wie es irgendwie geht.

Der linke Wirtschaftspolitiker Klaus Ernst war 2019 Redegast beim „Banking and Business Forum Iran Europe“ in Berlin, welches den Zweck hatte, die über iranische Unternehmen verhängten Wirtschaftssanktionen zu umgehen. Währenddessen steht die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft im Kontakt mit dem von der Islamischen Republik gesteuerten IZH und verteidigt den mit ihm geschlossenen Staatsvertrag gegen berechtigte Kritik.

Vor zwei Jahren erreichte mich die Nachricht eines iranischen Geflüchteten, der mir schrieb dass Freunde und Bekannte von ihm sich in iranischen Geheimgefängnissen befänden und zum Tode verurteilt seien. Er fragte mich, ob ich Kontakte zur Presse oder zu einflussreichen Organisationen hätte, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Ich musste dies leider verneinen, schrieb aber der Hamburger Bundestagsabgeordneten Zaklin Nastic, immerhin menschenrechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion. Ich habe von ihr nie eine Antwort erhalten.

Dafür gehörte Zaklin Nastic zu den acht Abgeordneten der Linksfraktion, die Angela Merkel wegen „Beihilfe zum Mord“ anzeigten, da sie die Tötung des iranischen Kriegsverbrechers Qassem Soleimani nicht verhindert habe. Ansonsten verbreitet die Hamburger Spitzenkandidatin antizionistische Propaganda zum Nakba-Tag, mobilisiert gegen eine drohende Corona-Impfpflicht und gegen die „imperialistische US-Wirtschaftsblockade gegen Kuba“. Die Fachsprecherin hat offenbar eine recht eigenwillige Interpretation von Menschenrechtspolitik.

Menschenrechte auf Kuba

Doch damit steht sie nicht allein. Der Parteivorstand der Linken fasste in diesem Jahr den Beschluss „Solidarität mit Kuba“. Auf Initiative der Strömung Emanzipatorische Linke wurde auch Punkt 5 beschlossen, der da lautet: „Für DIE LINKE gilt, Menschenrechte sind universell, sie gelten für jeden – überall! Wir treten ein für eine Fortsetzung des Dialogs in Kuba mit kritischen Künstlern und Aktivisten zur Demokratisierung der kubanischen Gesellschaft.

Es folgten heftige Reaktionen an der Basis, der Ältestenrat schaltete sich ein und der Parteivorstand schob in seiner darauffolgenden Sitzung eilig hinterher, dass man mit der Demokratisierung ausschließlich den „breiten gesellschaftlichen Diskussionsprozess zur weiteren demokratischen Entwicklung Kubas im Rahmen seines sozialistischen Gesellschaftssystems“ gemeint hätte. Dabei ist doch offensichtlich, dass der kubanische Einparteienstaat eine Diktatur darstellt. Wie soll ich glaubhaft machen, dass Die Linke eine demokratische Partei ist, wenn solche Regime mit strengem Dogmatismus gegen jegliche Kritik abgeschirmt werden, selbst wenn es um das Offensichtliche geht?

Nicht mehr ganz so enthusiastisch ist Die Linke, wenn es um Venezuela geht. Die Bolivarische Republik von Hugo Chávez wurde bis vor wenigen Jahren noch als „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ begeistert abgefeiert. Der wirtschaftliche Verfall, die Massenflucht aus dem Land und die um sich greifende Repression haben jedoch deutlich gemacht, dass der Sozialismus des 21. Jahrhunderts sich nicht vom Sozialismus des 20. Jahrhunderts unterscheidet. Ist es dem reformerischen Flügel der LINKEN heute eher peinlich, an den Chávez-Hype erinnert zu werden, verteidigen andere unbeirrt das Regime. Denn Schuld an der Misere seien, wie immer, die „US-Imperialisten“.

Krieg und Frieden

Was genau ist nun eigentlich die Position der Linken zur Bundeswehr und Auslandseinsätzen? Die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow erklärte in einem Interview mit Thilo Jung, dass die Bundeswehr ausschließlich zur Landesverteidigung dienen solle. Friedenserhaltende Einsätze sollten allerdings im Einzelfall geprüft werden. Zu Kampfeinsätzen gäbe es aber ein klares Nein. Auf die Frage, wo es denn derzeit Kampfeinsätze geben würde, fiel Hennig-Wellsow nur der bereits beendete in Afghanistan ein. Beim Anti-Piraterie-Einsatz vor Somalia war Hennig-Wellsow sich nicht sicher, ob das ein Kampfeinsatz sei. Weitere fielen ihr keine ein, es gäbe aber todsicher mehr. Fakt ist, dass „Kampfeinsatz“ kein offizielles Mandat ist. Bei Auslandseinsätzen kann es zu Kampfeinsätzen kommen. Aber zu glauben, die Bundeswehr würde derzeit zum Zweck aktiver Kampfhandlungen in andere Länder geschickt, ist eine unrealistische Vorstellung. So sehr, dass nicht einmal Hennig-Wellsow weiß, wo das stattfinden könnte.

In der Einzelfallprüfung war Die Linke bislang allerdings immer recht eindeutig. Der Bundeswehreinsatz zur Abschirmung der Vernichtung von Assads Chemiewaffen 2014 wurde abgelehnt, ebenso wie die Waffenlieferungen an die Autonome Region Kurdistan zur Abwehr eines Genozids durch den IS im selben Jahr. Keine Zustimmung fand auch die Entsendung von Bundeswehrsoldaten zu Ausbildungsmissionen in das Gebiet und auch der (bescheidene) Beitrag der Luftwaffe im Kampf gegen den IS-Terror wurde seitens der Linken abgelehnt. Lediglich im Fall der Luftbrücke aus Afghanistan konnte sich Die Linke zu einer Enthaltung durchringen. (Bzw. zumindest ein großer Teil von ihr.)

Die in der Linken tief verwurzelte Abneigung gegenüber der NATO muss als Mischung aus (N)ostalgie, antiwestlichem Ressentiment und Pseudo-Pazifismus gesehen werden. Dabei gibt es wenig, was an einem System kollektiver Sicherheit verkehrt ist. Das weiß auch Die Linke und fordert deshalb ein neues System kollektiver Sicherheit unter Beteiligung Russlands, obwohl es in Form der OSZE längst eine friedensfördernde Organisation gibt, die zwischen den westlichen Staaten und Russland vermitteln kann. Worin aber der Zweck bestünde, eine militärische Zusammenarbeit mit Russland anzustreben, bleibt schleierhaft. Dies gilt zumindest solange, wie das Land vom Autokraten Putin regiert wird, der eine klare imperialistische Agenda verfolgt. Fakt ist, dass man in den baltischen Staaten derzeit ruhiger schlafen kann, da es das bestehende System kollektiver Sicherheit gibt. Fakt ist ebenso, dass wenn die Ukraine rechtzeitig der NATO beigetreten wäre, es dort heute keinen Krieg gäbe.

Es ist auch nicht schlüssig, warum Die Linke sich gegen Sanktionen gegenüber Russland stellt. Sanktionen sind eine Möglichkeit, eine kriegerische Auseinandersetzung zu vermeiden, gleichzeitig aber schwere Menschenrechtsverletzungen, kriegerische Akte und Völkerrechtsbrüche nicht einfach so hinzunehmen. Eigentlich müsste DIE LINKE., die ja angeblich gegen alle Waffenexporte ist, die Sanktionen gegen Russland begrüßen. Diese richten sich ausschließlich gegen am Völkerrechtsbruch beteiligte Personen und Institutionen sowie gegen Rüstungs- und sog. Dual-Use-Güter. Ein Lebensmittelembargo, wie Putin es gegenüber der EU erlassen hat, gibt es von europäischer Seite aus keins.

Die mit der Linken eng verzahnte Friedensbewegung hält sich von Anti-Kriegs-Demos syrischer Geflüchteter auffällig fern. Dafür demonstrieren sie auch schon mal vor dem russischen Generalkonsulat. Nicht aber um dort gegen die von Putin geführten Kriege oder gegen den in Russland praktizierten Militarismus zu demonstrieren, sondern um unter dem Motto „Frieden mit Russland“ ihre Solidarität auszudrücken. Wären diese Leute ernsthaft an Frieden interessiert, würde ich ihnen, als Politologe, mal ans Herz legen sich mit der Democratic Peace Theory zu beschäftigen. Ich glaube ihnen aber nicht, dass sie ernsthaft an Frieden interessiert sind, sondern sehe in ihnen nützliche Idioten für Moskaus hybriden Krieg. Und da gilt der Ausspruch von Paul Spiegel: „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder.“

Die Querfront

Eine kritische Reflektion darüber, warum Rassismus und radikale Rechte heute in Ostdeutschland spürbar stärker sind als im Westen und eine Tendenz zu reaktionärem Denken in postsozialistischen Ländern insgesamt stärker ausgeprägt ist, als in Ländern mit liberaler Tradition, findet in der Linken nicht statt. Die sog. Dimitroff-These, wonach der Faschismus die „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ sei, ist auch unausgesprochen weiterhin präsent. Der verstärkte Rassismus im Osten wird mit Neoliberalismus, Treuhand und Arbeitslosigkeit erklärt. Dabei hat Arbeitslosigkeit alleine noch niemanden zum Nazi gemacht. Im Westen hatte es im Zuge der 68er-Bewegung eine individuelle Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit gegeben, nicht selten auch mit der in der eigenen Familie. Der verordnete, plakative Antifaschismus der DDR war dazu nicht in der Lage. Eine individuelle Auseinandersetzung war nicht gewünscht und die autoritären Strukturen der DDR machten es den Neonazis vor und nach der Wende leicht, daran anzudocken. Aber davon will DIE LINKE. nichts wissen, hieße es doch zuzugeben, dass Kommunisten sich hier (ein weiteres Mal) getäuscht haben und Individualismus nichts genuin Schlechtes ist.

Die Sehnsucht nach einem einheitlichen Kollektiv, in dem der Einzelne nichts zählt, wird durch niemanden in der Linken so gut zur Schau gestellt, wie durch Sahra Wagenknecht. Sie beklagt sich darüber, dass „das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten“ gerichtet wird und kämpft seit 1989 für eine neue DDR (oder wenigstens eine spießige alte BRD). An der Basis herrscht vielfach Verständnis für die Wählerschaft der AfD und ihre Wut auf „die Eliten“. Als der MdB Diether Dehm an einer der berüchtigten „Montagsmahnwachen für den Frieden“ teilnahm oder der stellvertretende Linksfraktionsvorsitzende Andrej Hunko auf einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen sprach, da wollten sie erklärtermaßen verhindern, dass die jeweilige Protestbewegung von Rechtsaußen vereinnahmt wird. Wenn aber ein Diether Dehm dann davon spricht, dass die Medien „in der Hand von US-Geheimdiensten“ seien oder Andrej Hunko behauptet, Bill Gates würde „einen nicht zu legitimierenden Einfluss auf die Ausrichtung der WHO“ nehmen, dann bestätigen sie ein irrendes Publikum nur in ihrem Wahn und am Ende profitiert davon dann wieder die Rechte. Es ist somit nicht verwunderlich, dass als parteipolitische Gegenpole heute meist die AfD und Die Grünen gesehen werden und nicht etwa die AfD und DIE LINKE.

In Hamburg wird die Querfrontstretegie unter anderem von der Gruppierung „Liste LINKS“ gefahren, die im vergangenen Jahr mit Demos gegen den Lockdown und Polemiken gegen die Corona-Schutzmaßnahmen auffiel. Über diese Gruppe, die unter Parteimitgliedern meist nur „die Sekte“ genannt wird, ist schon viel geschrieben worden. Streng hierarchisch gegliedert, leben sie in ihrer eigenen Realität und glauben, dass die Revolution einst ihren Anfang an der Universität nehmen wird, weshalb sie sich für ein Leben als Studenten entschieden haben. Ältere Sektenmitglieder nehmen dabei jüngere Anhänger finanziell aus, so dass auch im Geschäftsführenden Landesvorstand der Linken von „kriminellen Machenschaften“ gesprochen wird, ohne jedoch etwas dagegen zu unternehmen. Im Umgang mit innerparteilichen Gegnern kennt die Liste LINKS keine Grenzen. Ich wurde in meiner Zeit an der Uni Hamburg zeitweise heimlich beschattet und ein Dossier über mich erstellt. Dieses sollte dokumentieren, dass ich mich mit Mitgliedern der Juso-Hochschule auf dem Campus treffen, also Kontakt zum Feind aufnehmen würde. Mag die Liste LINKS mit ihren eigenwilligen Parteitagsbeiträgen für DIE LINKE. auf Bundesebene einen Pausenclownfunktion haben, in Hamburg sind sie ein gewichtiger Faktor, der die Betätigung an der Basis schwer erträglich macht.

Vorwärts immer, rückwärts nimmer

In den letzten 16 Jahren war ich jeweils zeitweise Abgeordneter im Studierendenparlament für Die Linke.SDS, Mitglied im Landesvorstand von Die Linke Hamburg, Delegierter auf dem Bundeskongress der Linksjugend [’solid], Sprecher des LAK Shalom Hamburg und Mitglied im Landessprecher:innenrat der Emanzipatorischen Linken. Ich stimme auch heute mit vielen Positionen der Linken überein und sehe weiterhin einige fähige Politikerinnen und Politiker in ihren Reihen, wozu ich z.B. Anne Helm, Katharina König-Preuss, Klaus Lederer, Stefan Liebich oder Bodo Ramelow zählen möchte. Ich habe in der LINKEN unheimlich tolle und sympathische Menschen kennengelernt. Aber ebenso traf ich Menschen, die vom Wahnsinn zerfressen und weder persönlich noch politisch inspirierend sind, um das mal höflich auszudrücken.

Der „demokratische Sozialismus“ ist eine Ideologie, in der Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander klaffen. Die Politik der Linken ist praktisch ausschließlich vom 20. Jahrhundert geprägt. Im zunehmenden Systemwettstreit zwischen Demokratien und Autoritarismen kann und will Die Linke sich nicht positionieren – oder steht auf der Seite der Autoritären. Und das ist in meinen Augen zutiefst falsch. Deshalb beende ich meine Mitgliedschaft in der Linken und schließe diesen Text mit den Worten des Philosophen Sir Karl Raimund Popper, der einst den Weg vom Sozialisten zum Liberalen fand: „Wenn wir die Welt nicht wieder ins Unglück stürzen wollen, müssen wir unsere Träume der Weltbeglückung aufgeben. Dennoch können und sollen wir Weltverbesserer bleiben – aber bescheidene Weltverbesserer. Wir müssen uns mit der nie endenden Aufgabe begnügen, Leiden zu lindern, vermeidbare Übel zu bekämpfen, Missstände abzustellen; immer eingedenk der unvermeidbaren ungewollten Folgen unseres Eingreifens, die wir nie ganz voraussehen können und die nur allzu oft die Bilanz unserer Verbesserungen zu einer Passivbilanz machen.“

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
8 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Adrian E.
Adrian E.
3 Jahre zuvor

Wer ignoriert, dass es sich bei den Aufständischen in Syrien zu einem großen Teil um brutalste islamistische Extremisten handelte, und sich im Falle eines Sieges diese durchgesetzt hätten, macht sich unglaubwürdig.
Jan Vahlenkamp meint also, dass Russland die syrische Regierung nicht gegen mit IS und Al Qaeda verbundene Milizen hätte unterstützen dürfen. Somit tritt er dafür ein, dass diese in Syrien die Macht übernehmen sollte. Niemand bestreitet ernsthaft, dass es in diesem Fall zu riesigen Massakern an religiösen Minderheiten gekommen wäre und eine extrem intolérante Variante des Islams mit Gewalt durchgesetzt worden wäre. Diese "Aufständischen" versteckten gar nicht, dass sie Slogens wie "Christen in den Libanon vertreiben, Alawiten ins Grab hatten".
Jan Vahlenkamp wirft sich in eine moralisierende Pose, aber gleichzeitig ist er bereit, für seine geopolitischen Präferenzen extrem viel Leid, Grausamkeit und noch viel höhere Opferzahlen als die aus dem Ausland aufgerüsteten islamistischen Milizen in Syrien ohnehin bereits verursachten, hinzunehmen. Wer wie Vahlenkamp seine geopolitischen Präferenz über die Frage nach der Vermeidung von Massakern stellt, kann sich nicht gleichzeitig in eine moralisierende Pose werfen.
Ich vermute Vahlenkamps Ausrede wären wohl Ausflüchte wie die absurde Behauptung, die syrische Regierung sei noch viel schlimmer als die mit Al Qaeda verbundenen Milizen und es sei ein Verbrechen, dass sich Syrien überhaupt militärisch gegen diese radikalislamischen Milizen verteidigte und sich ihnen nicht einfach unterwarf. Solche absurde Ausflüchte ändern nichts daran, dass Vahlenkamp für etwas extrem Grausames und Unmenschliches eintritt.

Albert Rech
Albert Rech
3 Jahre zuvor

Mag sein das der Demokratische Sozialismus wie er in der deutschen demokratischen Republik umgesetzt wurde autoritär gewesen ist.
Dafür gab es keine Nazi-Parteien in der Volkskammer, kein Hartz IV und keine Konzerne die auf Kosten menschlicher Grundbedürfnissen wie Wohnen, Essen, Gesundheit oder der Natur Profit gemacht haben.

Zudem haben die Länder des demokratischen Blocks dafür gesorgt das der Friede erhalten blieb.
Als die neoliberale Wende in Polen, Ungarn und der deutschen demokratischen Republik dieses Gegengewicht zu Fall brachte hatte der Westen nichts besseres zu tun als die Konflikte in Jugoslawien, Somalia, Afghanistan und am Persischen Golf anzuheizen.

Und auch wenn Menschen wie Jan Vahlenkamp das versagen des Neoliberalismus nicht sehen wollen: gegen den Klimawandel & soziale Verelendung hilft nur eine ökologischer, demokratischer Sozialismus.

Stefan Laurin
Admin
3 Jahre zuvor
Reply to  Albert Rech

@Albert Rech: Der "demokratische Block" war eine Ansammlung von Diktaturen.

Fridtjof
Fridtjof
3 Jahre zuvor

Herrlich, dass sich wieder diese ganzen Dinos aus ihren Ecken raustrauen, um blutüberströmte und kollektivistische Regime zu verteidigen.

Bleibt doch bitte auf dem Müllhaufen der Geschichte.

ChrisDO44229
ChrisDO44229
3 Jahre zuvor

@Fridtjof: "Herrlich" (gemeint ist sicher im Sinne von "amüsant") kann ich es leider überhaupt nicht finden, wenn Adoratoren des russischen Diktators hier ihr Gift verspritzen. Schon gar nicht an einem Tag wie heute, an dem sich die rote AfD anschickt, Teil der Bundesregierung zu werden.
@Jan Vahlenkamp. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Einsicht. Auch, wenn sie spät kommt, denn wes Geistes Kind diese Partei ist, hätte einem ja schon länger klar sein können/sollen/müssen. Aber besser spät als nie!

Peter Gross
Peter Gross
3 Jahre zuvor

Bravo, Herr Vahlenkamp!

Ihren Beispielen fataler linker Politik könnte ich problemlos mehrere Dutzend weiterer Fälle hinzuaddieren. Zum Beispiel den Beschluss der Bremer Linken aus 2014, den militärischen Arm der PKK in Syrien, die YPG/YPJ mit Spenden zum Kauf von Waffen zu unterstützen. Einer illegalen Armee, die zu Hunderten auch Kinder ab 12 Jahren zwangsverpflichtet, bewaffnet und an die Front schickt…

Also: Chapeau für Ihre Entscheidung!

Ralf S.
Ralf S.
3 Jahre zuvor

Wenn ich geschlagene 16 Jahre benötigen würde, um doch noch auf den Trichter zu kommen, dass ich halt doch Sozialdemokrat bin und in der SPD bleiben hätte können, denn Herr Vahlenkamp (wer immer das ist) erwähnt ja auch nochmals, wie stark die Arbeitslosigkeit dank der Hartz-Reformen gesunken ist, Hartz 4 also doch eigentlich ganz erfolgreich war, wär ich auch frustriert und würde meinen Ärger über diese Lebenslüge und alles richtig linke bei den Ruhrbaronen ablassen. Die das natürlich dankbar "drucken". Sarkasmus beiseite: Er wünschte sich eigentlich nur eine "richtige Sozialdemokratie" , und merkt 16 Jahre nicht, was ihm alles in der Partei nicht passt? Denn alles, was er aufzählt, ist ja keine neuere Entwicklung, im Gegenteil, vieles, was er so schrecklich findet, wie die Kuba-Solidarität, war in der Vergangenheit ja noch stärker ausgeprägt. Und dass die PDS eine andere Tradition hat als sie westdeutsche Linke wusste man auch. Come on. Da wird's wohl auch noch andere Gründe geben, neben den vorgeschobenen politischen.

@Fridtjof
Nein, nicht doch! Kollektivismus! Es fällt schwer sowas einzuordnen. Sind sie ein linker oder rechter Kommunistenhasser?

P.S. und ja, die DDR war das bessere Deutschland. (Wenn es schon ein Deutschland geben muss)

Jan Vahlenkamp
Jan Vahlenkamp
3 Jahre zuvor

Was den syrischen Bürgerkrieg angeht, so verband die Aufständischen zunächst einmal die Forderung, den Diktator abzusetzen und wie richtig diese Forderung war, das haben 10 Jahre erbittertste Kriegsführung gezeigt. Die vom Westen ausgesendete Ignoranz stärkte aber leider nicht gerade die prowestlichen Kräfte, stattdessen half das Sponsoring aus den Golfstaaten den Islamisten. Man muss aber überhaupt nicht mit Islamisten sympathisieren, um festzustellen, dass natürlich die syrische Regierung für weitaus mehr Tote verantwortlich ist. (https://en.wikipedia.org/wiki/Casualties_of_the_Syrian_civil_war)

Was aber noch viel wichtiger ist: Im Fall Afghanistan sagte Die Linke stets, der Krieg sei falsch und schlecht. Aber es geht doch gegen den islamistischen Terror wurde dann entgegnet. Der Krieg sei aber trotzdem falsch und schlecht, denn es leide ja die Zivilbevölkerung. Im Fall Syrien heißt es dann aber von Seiten der Linken, der Krieg sei legitim und richtig. Aber es leide die Zivilbevölkerung (übrigens mehr als in Afghanistan) wurde entgegnet. Der Krieg sei aber trotzdem legitim und richtig, denn es ginge ja gegen den islamistischen Terror. Bemerkt jemand die Inkonsequenz?

Und bei aller DDR-Verherrlichung wollen wir mal nicht vergessen, dass es natürlich eine Nazi-Partei in der Volkskammer gab: die NDPD. Es gab zwar kein Hartz IV, dafür aber Arbeitszwang gemäß §249 StGB der DDR, was in meinen Augen keine bessere Alternative darstellt. Ich selbst kenne die DDR zwar nur als Kind und Tourist, aber ich kann mich noch gut daran erinnern, in was für einem erbärmlichen Zustand die Natur dort war. Dass Umweltzerstörung also zwangsläufig die Folge von Kapitalismus sei, braucht man mir nicht zu erzählen.

Ich will gar nicht verhehlen, dass ich vor 16 Jahren zu vielem noch eine andere Meinung hatte. Das ist ja das Angenehme, wenn man so um die 40 ist: Man ist alt genug, seine Erfahrungen gemacht zu haben und jung genug, um daraus seine Schlüsse zu ziehen. Zum einen war es das konkrete Verhalten der Genossinnen und Genossen vor Ort, die mich an ihrer Ernsthaftigkeit bei der Umsetzung der „besseren Welt“ zweifeln ließen. Ich habe hier im Text ja einige Anekdoten dazu erzählt und könnte derlei sicherlich noch viel mehr auflisten, aber es würde den Rahmen sprengen. Zum anderen muss ich aber auch sagen: Vor 16 Jahren gab es noch keinen aggressiven putinschen Imperialismus, der Iran hielt noch nicht den halben Nahen Osten besetzt und Querfront war eher ein Schimpfwort, als eine politische Realität.

Die Zeiten ändern sich. Die Linke nicht.

Werbung